Die Slowakei - neue Impulse der Forschung. Geschichtsschreibung in und über die Slowakei (19./20. Jahrhundert)

Die Slowakei - neue Impulse der Forschung. Geschichtsschreibung in und über die Slowakei (19./20. Jahrhundert)

Organisatoren
Collegium Carolinum, in Verbindung mit dem Südost-Institut und dem Ungarischen Institut München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.10.2002 - 18.10.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Peter Haslinger, Collegium Carolinum, München

Die Slowakei - Ein möglicher Fokus für Transnationale Geschichtsforschung

Mitte Oktober veranstaltete das Collegium Carolinum in Zusammenarbeit mit dem Südost-Institut und dem Ungarischen Institut eine von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte Arbeitstagung. Diese steckte sich das Ziel, den Stand der Historiographie zur Slowakei zu resümieren, Desiderata zu benennen und Konsequenzen für die Vertiefung der internationalen Kooperation zu formulieren. Erfreulich war daher, dass keine Friktionen nationaler - ungarisch versus slowakisch - oder ideologisch-politischer Art die Diskussionen bestimmten, sondern dass die Gespräche kooperativ und konstruktiv verliefen und sich an zentralen historiographischen Fragen orientierten. Hierbei wurde Konsens darüber erzielt, dass eine Analyse der slowakischen historischen Entwicklung einzuleiten sei, die deren Charakter als einem vielschichtig vernetzten und multioptionalen Prozeß Rechnung trägt.

Wie die Tagung zeigte, könnte sich in diesem Zusammenhang die Slowakei sogar zu einem möglichen Fokus transnationaler europäischer Geschichtsschreibung entwickeln. Denn in diesem Kontext wäre gerade das, was die traditionelle national-historiographische Perspektive bislang als großes Manko slowakischer historischer Entwicklung wahrgenommen - z.B. die lange fehlende Staatlichkeit, die periphere Lage, die Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen slowakisch-nationaler Identifikation - als vielversprechender Ansatz zu werten. Eine vernetzte Diskussion über die Objektdiffusion in der Geschichtsschreibung zur Slowakei - Sprachgruppe, Territorium, Souveränitätsanspruch, Staatlichkeit - liegt daher nahe: Eine vor allem mit Fachkollegen aus Tschechien und Ungarn geführte Diskussion über die Frage "Was ist slowakische Geschichte?" würde, so ergab die Tagung, ein zweifaches Dilemma des nationalen Blickregimes auf historische Entwicklung lösen helfen: der Blick für regionale Netzwerke, die zwischen nationaler, sozialer und ethnisch-kultureller Funktionalität diffundieren, würde weiterentwickelt und dem Problem vorgebeugt, dass "grenzüberschreitende" oft Prozesse ausgeblendet oder in ihrer Bedeutung unterschätzt werden.

Die europäische Vergleichsgeschichte wird in Zukunft weiter auf den Ergebnissen nationaler Geschichtsschreibung aufbauen müssen. Es wurde jedoch klar, dass in Zukunft die einzelnen Nationalhistoriographien an der Dynamik einer transnationalen Forschung nur dann partizipieren können, wenn sie kompatible Fragestellungen und Methoden entwickeln. Daher kommt auf alle europäischen Nationalhistoriographien das Erfordernis zu, die eigenen Ergebnisse auch jenseits des eigenen nationalen Bezugshorizonts in ihrer Relevanz "erkennbar" werden zu lassen. Dies gilt insbesondere für "kleinere" Historiographien, deren Bedeutung für die Gesamtentwicklung nicht automatisch auf der Hand liegt.

- Zum Stand der Geschichtsschreibung in und außerhalb der Slowakei und zum Problem der methodischen Innovation

Zu dieser Frage wurde eine eher ernüchternde Bilanz gezogen; dabei wurden sowohl Defizite als auch Desiderata offen benannt. Fast alle slowakischen Teilnehmer verwiesen auf das geringe Interesse für methodische und theoretische Fragen in der Slowakei. Es überwiegen, wie Elena Mannova (Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava) feststellte, faktographische und deskriptive Arbeiten, und es gäbe etliche Historiker, für die nur die politische Geschichte die "wahre" Geschichte darstelle. Während, wie Marina Zavacka (Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava) festhielt, außerhalb der Slowakei Geschichte als Problem oder Faktor angesehen werde, herrsche in der Slowakei vielfach die Vorstellung vor, Geschichte reduziere sich auf das Problem ihrer Periodisierung. Für Tatjana Tönsmeyer (Humboldt-Universität Berlin) wiederum war die Frage nach dem Potential und den Grenzen des Positivismus zentral; so sei z.B. die Frage nach Konzepten mit diesem Ansatz nicht zu leisten. In ihrem Beitrag zum Diktaturenvergleich plädierte Tönsmeyer jedoch nicht nur für eine vergleichende Geschichte politischer Systeme, sondern auch für zusätzliche empirische Forschung, ohne die zahlreiche Diskussionen, z.B. über den "faschistischen" bzw. totalitären Charakter des slowakischen Staates, der notwendigen faktologischen Grundlage entbehrten.

Ein wenig ermutigendes Bild zeichnete Martina Winkler (GwZO, Leipzig) jedoch auch von der aktuellen angloamerikanischen Slowakeiforschung. In den letzten zehn Jahren habe sich das Interesse im wesentlichen auf den politologischen Bereich beschränkt, in den großen relevanten Fachzeitschriften komme die Slowakei faktisch nicht vor, und vereinzelte historische Dissertationen würden häufig nicht publiziert. Eine auch durch die Finanzierung bedingte politisch-ideologische Voreingenommenheit und methodisch-theoretische Konzeptlosigkeit hätten bewirkt, dass das Interesse der jüngeren Generation an slowakischen Themen im Sinken begriffen wäre.

Hinsichtlich der slowakeibezogenen Forschung in Ungarn fand Eva Kovacs (Mitteleuropa-Institut, Budapest) ebenfalls zu kritischen Worten und plädierte für eine intensivere Selbstreflexion unter ihren ungarischen Kollegen hinsichtlich der Rolle der Geschichtsschreibung bei der Legitimation des Nationalstaates. Zu jenen Innovationsinseln, auf die in vielen Beiträgen verwiesen wurde, gehörte jedoch bereits, so Jan Rychlik (Karls-Universität Prag), eine neue Historikergeneration in der Tschechischen Republik, die sich unter neuen Voraussetzungen, ohne jede Nostalgie, mit der Tschechoslowakei beschäftige.

- Die Frage nach dem Objekt der Forschungen - Nation und/oder Transnationalität

Wie der Ethnologe Juraj Podoba (Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava) in seinem Beitrag ausführte, habe der Wandel von 1989 auch in der Slowakei ein gesteigertes Interesse in Richtung ethnischer und nationaler Identität mit sich gebracht. Die Revitalisierung des Nationalgefühls und die verstärkte Präsenz des Nationalismus als Ideologie und politische Praxis habe hierbei nicht nur den Transformationsprozeß tief beeinflußt, sondern auch jene Fächer geprägt, die von den Traditionen der "nationalen Wissenschaft" "kontaminiert" worden waren. Peter Haslinger (Collegium Carolinum, München) wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der Nationalismusforschung in der Slowakei bis Anfang der neunziger Jahre klassische Konzepte nationaler Vergesellschaftung überwogen hätten, welche dem Konstruktcharakter der Nation kaum gerecht wurden; vielmehr war das Postulat der Volksgeschichte, die von der "Erweckung" naturgegebener Einheiten ausgeht, in weiten Teilen noch erkenntnisleitend. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Martina Winkler für die amerikanische Slowakeiforschung: Manche Überblickswerke verträten dort einen mehr oder weniger starken Nationalismus, Antikommunismus und Messianismus; offene Fragen und Kontroversen würden nicht angesprochen, und es herrsche eine identitätsstiftende Motivation vor, der Wunsch, die "eigene" Geschichte möglichst reich auszugestalten.

In mehreren Beiträgen wurde daher der Beginn einer offenen Diskussion über den Forschungsgegenstand eingefordert. Wie Laszlo Szarka (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest) formulierte, kennzeichneten fast alle Historiographien das gleiche Grundproblem: Der Gegenstand diffundiere zwischen Gebiet und nationaler Gruppe. Entsprechend sah Martina Winkler entweder die Geographie (in Form des heutigen Staatsgebiets) oder einen diffusen kulturellen Diskurs des "Slowakischen" als Grundlage der amerikanischen Slowakeiforschung und bemängelte die fehlende Einbindung der Slowakei in einen breiteren geographischen Kontext.

Roman Holec (Universität Bratislava) lokalisierte das Hauptproblem der slowakischen Geschichtsschreibung in der Frage nach dem Gegenstand und plädierte für die Stärkung der vergleichenden Forschung in einem europäischen Kontext und kritisierte unter anderem auch die Denominationspraxis bei historischen Lehrstühlen an slowakischen Universitäten (entweder in nationale oder in allgemeine Geschichte). Hinsichtlich des unterschiedlichen Herangehens der slowakischen Historiographie an die ungarische und die tschechoslowakische Vergangenheit stellte Peter Svorc (Universität Presov) fest, dass im Falle Ungarns immer noch negative nationale Tradierungen stark nachwirkten, und auch heute der Gedanke an eine magyarisch-slowakische Koexistenz noch Befürchtungen auslöse, entsprechend auch die Rolle Budapests für die slowakische nationale Entwicklung in den Darstellungen marginalisiert sei. Prag erscheine demgegenüber als zentraler Orientierungspunkt des slowakischen politischen Lebens, die Tradition des Tschechoslowakismus habe erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre eine Abschwächung erfahren. Elena Mannova bezeichnete in diesem Zusammenhang die These, die slowakische Historiographie hätte vor 1989 auf eine slowakische Identität verzichten und ihr eigenes Forschungsobjekt unterdrücken müssen, als einen Mythos.

- Die Fraktionsbildung innerhalb der slowakischen Historiographie und die Politisierung der Geschichte

Das Erbe der Zeit vor 1989 wurde vor allem von slowakischen Kollegen als sehr hoch veranschlagt. Juraj Podoba führte aus, dass unter dem Label "Marxismus" viele Einstellungen, Zugänge und Stereotypen der Zwischenkriegszeit bewahrt worden seien und die historische Forschung durchaus den Charakter einer "nationalen" Wissenschaft aufgewiesen habe. Mehrere slowakische Teilnehmer verwiesen auf die internationale Isolierung, in welche die Geschichtsschreibung in der Slowakei nach 1968 geraten war, in Zeiten also, als die polnische und die ungarische Historiographie neue Konzepte diskutierten und entwickelten.

Die 1993 errungene Staatlichkeit bildete in vielen Beiträgen den Anknüpfungspunkt für jene Polarisierung, welche die slowakische Historiographie in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre kennzeichnete. Tatjana Tönsmeyer legte die Zäsur in das Jahr 1995, das gefolgt war von drei bis vier Jahren heftiger Auseinandersetzungen, wobei die Debatte um die Geschichtsschreibung in eine Identitätsdebatte mit Zuspitzungen auf beiden Seiten überführt worden sei. In diesem Zusammenhang verwies Peter Haslinger darauf, dass ein beträchtlicher Teil der Neudeutungen zur slowakischen Geschichte aus fachlicher Sicht nicht als Beitrag zur Erforschung nationaler Entwicklung, sondern eher als deren Gegenteil zu klassifizieren wäre: als Standardtexte eines nation building und damit als Bestandteil einer nationalisierenden Geschichtspolitik. Die Auseinandersetzungen über die Bewertung dieser Literatur hätte, so bilanzierte Haslinger, eine methodisch-theoretische Reflexionen verzögert bzw. in Teilbereichen sogar ersetzt.

Etliche Autoren sahen diese Art der Polarisierung jedoch nicht zuletzt auf Grund der veränderten innenpolitischen Rahmenbedingungen inzwischen auf dem Rückzug. Es gebe immer mehr Historiker, so Haslinger, die sich einer eindeutigen Einordnung entziehen würden und zu fachlichen Debatten zurückkehrten, und Elena Mannova sah auch bei Vertretern einer nationalbetonten Geschichtsschreibung Zeichen einer Entpolitisierung und einer Rezeption etwa postmoderner Theoreme.

- Das Schlüsselpotential der Regional-, Lokal und Ethnizitätsstudien; die Adelsforschung als Strukturansatz

In vielen Beiträgen wurde die Notwendigkeit zu Forschungen auf regionaler und lokaler Ebene unterstrichen. In seinem Beitrag kam jedoch Peter Svorc auf den geringen Stellenwert zu sprechen, der der Regionalgeschichte im allgemeinen Geschichtsbetrieb immer noch eingeräumt werde; so habe bisher die zentrale Fachzeitschrift Historicky Casopis die Aufnahme entsprechender Artikel in der Regel abgelehnt. Dennoch habe sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die gesamtnationale Geschichte nicht ohne Kenntnis der regionalen Geschichte zu erfassen und erklären sei.

Robert Luft (Collegium Carolinum, München) plädierte in diesem Zusammenhang für Regionalgeschichte als Untersuchung verdichteter Räume. Die Analyse soziokultureller Netzwerkstrukturen stand auch im Zentrum der Überlegungen von Eva Kovacs, die selbstkritisch einräumte, in früheren Studien dem Irrtum traditioneller Minderheitenforschung erlegen zu sein, nämlich eine ethnische Gruppe aus ihrem multiethnischen Kontext herausgehoben und getrennt untersucht zu haben; damit sei eine Gruppe konstruiert worden, ohne deren Platz in der lokalen Gesellschaft verorten zu können. Kovacs knüpfte hierbei an poststrukturalistische Theorien an, welche die Lokalität in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellen und Kulturen nicht als räumlich abgeschlossen gedachte Gruppen werten, und wies sowohl auf das Potential als auch auf die Grenzen kleinregionaler Untersuchungen hin: Ohne Rückbindung an den nationalen Kontext seien die gewonnenen Ergebnisse kaum interpretierbar.

Was die Geschichtsschreibung über nationale und ethnische Minderheiten betrifft, fiel die Bilanz der letzten zehn Jahre erstaunlich produktiv aus: Für die Themenkomplexe jüdisches Leben, Antisemitismus, Deportation und Arisierung zeichnete Eduard Niznansky (Universität Nitra) in seinem Literaturbericht das Bild eines beeindruckenden Aufholprozesses innerhalb weniger Jahre. Dennoch fiel während der Tagung auf, dass die meistgenannte Minderheit nicht etwa die Magyaren oder Juden in der Slowakei, sondern die Roma darstellten. Diese Tendenz wurde nicht als eindeutig positiv veranschlagt: In den zahlreichen neuen Lokalgeschichten sei die meist marginale Erwähnung von Juden und Roma teils mit antiziganistischen und antisemitischen Stereotypisierungen verknüpft.

Die Frage von Laszlo Szarka, ob für die Erforschung der slowakischen Entwicklung Multikulturalität als eine zukunftsweisende Methode gelten könne oder eher das irreale Bild einer Idylle stabilisiere, blieb offen. Das Eingangsplädoyer von Martina Winkler, Forschungen im Sinne der amerikanischen New Ethnicity voranzutreiben, die eine Gruppe nicht als primordiales Gebilde ansehe und keine nationalpolitische Botschaft impliziere, wurde nur zum Teil geteilt. Peter Haslinger warnte vor einer Überethnisierung der Geschichtsschreibung als Reaktion auf ihre Entnationalisierung, und Gerhard Seewann (Südost-Institut München) wies darauf hin, dass Ethnizität als Forschungskonzept überhaupt nur für das 19. und 20. Jahrhundert einen gangbaren Weg darstelle.

Einen Versuch, sich strukturgeleitet einem Thema anzunähern ohne den Untersuchungen von vornherein einen nationalen bzw. ethnischen Blick zu unterlegen, stellte der Abendvortrag von Joachim v. Puttkamer (Universität Jena) und der Kommentar von Peter Macho zum Themenkomplex Sozialgeschichte dar: Im Zentrum beider Beiträge stand die Adelsforschung. Wie Peter Macho (Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava) ausführte, herrsche in der slowakeibezogenen Historiographie immer noch die Trennung zwischen slowakischer Nationalbewegung und magyarischem Adel vor, die allerdings vor allem für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht durchzuhalten sei. Joachim v. Puttkamer wiederum wies darauf hin, dass Sozialisierungsprozesse in nationale Milieus in jener Epoche keineswegs an die Sprache gebunden waren. Aus der Sicht seiner Argumentation wäre die Slowakei bis 1918 in allgemein osteuropäische Strukturen eingebunden gewesen, und erst der radikale Elitenwechsel 1918/19 wäre in diesem Zusammenhang als singulär zu werten.

- Ansätze von Interdisziplinarität: Sozialgeschichte und Ethnologie

Vor allem zum Themenbereich Sozialgeschichte wurde das Potential interdisziplinärer Ansätze deutlich. Wie unter anderen auch Peter Heumos (Collegium Carolinum, München) in seinem einleitenden Statement ausführte, war die Gesellschaftsgeschichte in der slowakeibezogenen Historiographie bisher kaum präsent. Marina Zavacka konstatierte im Bereich der politischen Geschichte eine Fixierung auf Einzelpersönlichkeiten (etwa in Form von Who-is-who-Publikationen), eine konzentrierte Beschäftigung mit Gesellschaft habe jedoch noch nicht stattgefunden. Zudem herrsche, so führte Gabriela Dudekova (Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava) aus, das positive Autostereotyp von den Slowaken als einer homogenen bäuerlichen Gruppe vor. Die slowakische Sozialgeschichte sei nach wie vor stark ideologisch überprägt und nach Klassenkonzepten schematisiert, und die Erforschung der Alltagsgeschichte stehe erst am Anfang.

Gabriela Dudekova wie auch Roman Holec wiesen darauf hin, dass sozialgeschichtliche Impulse vor allem von Seiten der Ethnologie zu verzeichnen wären, welche die Sozialgeschichte praktisch ersetzt hätte. In der Diskussion wurden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Inter- bzw. "Transdisziplinarität" (Elena Mannova) deutlich, die Notwendigkeit einer verstärkten Vernetzung jedoch immer betont. Joachim v. Puttkamer plädierte in seinem Kommentar dafür, den Wandel der klassischen Sozialgeschichte der letzten zehn Jahre auch bei der Bearbeitung slowakeibezogener Themen nachzuvollziehen, d.h. mehr kulturwissenschaftliche Fragestellungen aufzunehmen und in Richtung Milieuforschung zu gehen. Neben der Kooperation mit der Ethnologie wurde auf einige Beispiele bereits funktionierender institutionalisierter Zusammenarbeit verwiesen, wie z.B. auf das Sozialwissenschaftliche Institut in Kosice, welches bereits auf die lokalen Historiker ausstrahle.

- Neue Themen, neue Methoden, neue Vernetzungsstrategien

In ihrem Referat wies Elena Mannovs auf die fortschreitende Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Geschichtsschreibung in der Slowakei hin: Es komme zunehmend zur Entdeckung neuer Teildisziplinen (wie der Kirchengeschichte, der Judaistik oder der Alltagsgeschichte) und neuer Konzepte (Identität, kollektives Gedächtnis, historische Stereotypen). Eine kritische Masse für die Akzeptanz von Innovation fehle zwar noch, dennoch wären einige "Inseln der positiven Deviation", auch transdisziplinären Zuschnitts, auszumachen - hierbei sei auch die Kooperation mit Kollegen aus Deutschland und Österreich von großer Hilfe.

Was jene thematischen Felder betrifft, die geeignet wären, den Erkenntniswert slowakischer Entwicklung in einem europäischen Rahmen deutlich werden zu lassen, nannte Peter Haslinger in seinem Beitrag die Souveränitäts- und Elitenwechselforschung, die Loyalitätsforschung, die Hybriditätsforschung und die Kulturtransfer- und Migrationsforschung. Robert Luft bemängelte die Absenz sozialer und religiöser Kategorien - gerade in letzterer Hinsicht stelle die Slowakei als multikonfessionelles Land mit stark katholisch geprägter Selbstrepräsentation ein ideales Forschungsobjekt dar. Schließlich plädierte Martina Winkler in ihrem Schlußstatement für die intensivere Erforschung der Gesellschaftsgeschichte (als Ausweitung von Alltagsgeschichte) sowie für eine Beschäftigung mit Identität als Problem der Moderne, mit Multikulturalität und Hybridität (gewertet als Nicht-Exklusivität). Die Slowakei stelle, so Winkler, hier nicht nur ein "Traumland für die Kritiker des klassischen Nationsbegriffes" dar, sondern auch ein Übergangsgebiet zwischen verschiedenen Großregionen, wobei gerade an der slowakischen Entwicklung viele gesamteuropäische Probleme deutlich würden.

In seiner abschließenden Zusammenfassung bilanzierte Peter Haslinger die Ergebnisse der Tagung durchwegs positiv: Die empirischen Ergebnisse und ein Problembewußtsein seien vorhanden, Desiderata und konzeptionell-methodische Ansätze für die Zukunft benannt. Nicht zuletzt hätten die Beiträge der Tagung bewiesen, dass eine methodische Neuorientierung bereits eingesetzt habe und sich die slowakische Historiographie im Zuge einer weiteren internationalen Vernetzung zu einem Impulsgeber für gesamteuropäische Fragestellungen entwickeln könnte. Eine Voraussetzung hierfür sei jedoch eine verstärkte Vernetzung bisheriger Nationalhistoriographien, der jedoch nicht so sehr die Konstituierung eines neuen Faches (z.B. "Ostmitteleuropastudien"), sondern eine transnationale Bündelungen über Themen und methodische Zugänge zugrunde liegen solle. Entsprechend plädierte Haslinger auch für eine Öffnung der nationalen Historikertage, für die Entwicklung neuer Formen in der Lehre (Schwerpunktstudien bzw. regionale oder interdisziplinär angelegte Studienprogramme), vor allem aber für eine - die Erweiterung der EU begleitende - internationale Vernetzung. Ansonsten drohe eine Fortschreibung der Fragmentierung innovativer Forschung innerhalb und außerhalb der Slowakei.

Kontakt

Kontakt und weitere Informationen über zukünftige Aktivitäten zur SLOWAKEI:

Peter Haslinger
Collegium Carolinum, Forschungsstelle für die Böhmischen Länder
D-81669 München, Hochstraße 8

peter.haslinger@extern.lrz-muenchen.de


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