Rechtsextremismus. Herausforderung ... (Braunschweig, 15.-17.11.2001)

Rechtsextremismus. Herausforderung ... (Braunschweig, 15.-17.11.2001)

Organisatoren
Georg-Eckert-Institut
Ort
Braunschweig
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.11.2001 - 17.11.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Schwoch, Rebecca

"Rechtsextremismus. Herausforderung fuer Schule und Gesellschaft", Georg-Eckert-Institut (Braunschweig, 15.-17.11.01)

Auf seiner Homepage (www.gei.de) formuliert das "Georg-Eckert-Institut" in Braunschweig, es wolle zur "Konfliktbewaeltigung und Friedenserziehung" beitragen. In diesem Sinne veranstaltete das Institut vom 15. bis 17. November dieses Jahres eine Tagung zum Thema: "Rechtsextremismus. Herausforderung fuer Schule und Gesellschaft". Was die Tagung unter anderem auszeichnete, war die gute Mischung aus wissenschaftlichen Vortraegen zur historischen Verortung von Rechtsextremismus und Rassismus, einem Vortrag ueber Websites mit neonazistischem und rechtsextremistischem Inhalt, Erfahrungsberichten von Lehrern, einem Bericht von einer Aussteigerin, einer Filmvorfuehrung sowie Vortraegen mit Erklaerungsversuchen fuer rechtsextreme Ansichten bei Jugendlichen. Prof. Diethelm Prowe (Carleton College, Minnesota, USA) beschaeftigte sich in seinem Vortrag mit Parallelen und Unterschieden des Nationalsozialismus und des modernen Rechtsextremismus. Beiden gemein ist demnach ein rassistischer Nationalismus, der die eigene Nation, so wie sie besteht, verachtet; beide wenden sich extrem gegen politisch Linke und setzen sich fuer eine straffe Unterordnung unter einen Fuehrer ein. Rechtsextreme, besser: Rechtsradikale heute deklarieren nicht mehr "den Juden" als Feindparadigma, wie es noch eine feste Saeule der NS-Ideologie war, sondern "den Auslaender", was Prowe mit einem Sozialstaatsneid begruendete. Prowes Einschaetzung der zukuenftigen Entwicklung der rechtsextremen Szene: Der Rechtsextremismus entwickle sich immer mehr zu einer antimuslimischen Bewegung.

Dr. Ruud Koopmans (Wissenschaftszentrum Berlin fuer Sozialforschung) sprach ueber "Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland: Probleme von heute - Diagnosen von gestern" und konstatierte, dass es in den letzten Jahren keinen Anstieg rechtsextremer Handlungen gegeben habe. In der Debatte um Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit seien in Deutschland bislang weitgehend falsche Akzente gesetzt worden. Der Neo- Nationalsozialismus mache aber nicht den Kern des heutigen Rechtsradikalismus aus. Antisemitismus, Revanchismus und NS-Apologien seien seit der Gruendung der Bundesrepublik marginale Elemente in der politischen Kultur geblieben; sie haetten in juengster Zeit weder dramatisch zugenommen noch seien sie in Deutschland staerker verbreitet als in anderen westeuropaeischen Laendern. Die Fokussierung auf diesen Aspekt durch die Medien schade eher dem Kampf gegen den Rechtsradikalismus und die brutale fremdenfeindliche Gewalt. Eine gute Zuwanderungs- und Integrationspolitik (bildungspolitische Massnahmen, zivilgesellschaftliches Engagement, eine pluralistische, kulturelle Zuwanderungspolitik oder Sprachunterricht) stellte Koopmans als moegliches Loesungsangebot dar. Der Journalist Burkhard Schroeder (Berlin) stellte den Tagungsteilnehmenden Websites mit neonazistischem und rechtsrextremistischem Inhalt vor. Die vielen Angebote im world wide web sind kaum noch ueberschaubar, wobei vor allem die Musiksparte ein nicht zu unterschaetzender Anziehungspunkt fuer Jugendliche ist. Um gerade diese vor Missbrauch zu schuetzen, muesse bei Jugendlichen eine Medienkompetenz durch Jugendarbeit in der Schule und/oder Freizeit entwickelt werden.

Die naechste Sektion haben Prof. Peter Schreiber (ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, Graz), Dr.des. Barbara Sonnenberger (Biedenkopf/Hessen) und Karla Werkentin (Berlin) mit einem Erfahrungsaustausch ueber rechtsradikal motivierte Aktivitaeten an der Schule und die Auseinandersetzung mit ihnen gestaltet. P.Schreiber berichtete von einer Grazer Organisation (www.argejugend.at), die sich fuer eine handlungsorientierte Positionierung gegen alle Formen von Gewalt, sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung von Menschen einsetzt. In diesem Sinne hatte das Projekt "Grenzgaenge zur Demokratie" die Erforschung oesterreichischer Fluechtlingsschicksale in Suedfankreich zum Ziel. Je 16 SchuelerInnen aus Graz und Montauban haben in beiden Staedten das historische Quellenmaterial der juedischen Familie Kurzweil ausfindig gemacht und gesichtet, mit ZeitzeugInnen gesprochen sowie mit VertreterInnen von Behoerden und aus der Politik die aktuelle Fluechtlingspolitik der beiden Staedte analysiert. Ein Produkt dieses Projektes ist das Buch "Der Koffer der Adele Kurzweil. Auf den Spuren eine Grazer juedischen Familie in der Emigration", das in diesem Jahr bei CLIO erschienen ist. Barbara Sonnenberger berichtete ueber die Situation ihrer SchuelerInnen im konservativen Biedenkopf, das einen niedrigen Auslaenderanteil in der Gesellschaft hat. Trotzdem seien ihre SchuelerInnen wenig sensibel fuer den schmalen Uebergang von rechtem Konservatismus zum Rechtsradikalismus, der sich vor allem in einer latenten Fremdenfeindlichkeit zeige. Aufklaerung im Unterricht durch die Bearbeitung von Themen wie die ´Geschichte der Arbeitsmigration´ oder ´die Bundesrepublik als Einwanderungsland´ sei eine Chance, an die SchuelerInnen heranzukommen. Karla Werkentin stellte ihre Erlebnisse mit SchuelerInnen einer Berliner Hauptschule vor; rechtsradikale Einstellungen und Handlungsweisen seien dort an der Tagesordnung. Um mit diesem Problem umzugehen, wuerden die LehrerInnen negative Sanktionen fuer rechtsradikale SchuelerInnen erteilen, um ihnen Grenzen zu zeigen und moeglichst weitere Taten zu verhindern; SchuelerInnen, die Gefahr laufen, als MitlaeuferInnen in den Sog rechtsradikaler Kreise zu geraten, wuerden hingegen Unterstuetzung und Hilfe angeboten.

Gunda Hernández (Zentrum Demokratische Kultur, Berlin) hat den Tagungsteilnehmenden ihre Geschichte erzaehlt: Noch vor wenigen Jahren gehoerte sie zur Neonazi-Szene, bis sie - wie sie meinte - wegen einer rechtsradikalen Gewalttat, die sie wachgeruettelt habe, ausstieg; heute leistet sie praeventive und interkulturelle Arbeit vor allem bei Jugendlichen. Ihr Fazit: Jugendarbeit oder Ueberzeugungsarbeit in der Neonazi-Szene habe keinen Sinn; Praevention in Form von Gespraechen, ZeitzeugInnenarbeit, Freizeitgestaltung oder Workshops hingegen sei die einzige Moeglichkeit, Kinder/Jugendliche frueh zu sensibilisieren. Biologische Klassifizierungen - so Dr. Mona Singer (Universitaet Wien) - seien immer diskriminierend. Natuerlich gebe es biologische Differenzen zwischen den Menschen; die Frage sei nur, welche Merkmale dabei eine (negative) Bedeutung erlangen wuerden. Ein biologistischer Rassismus stehe in Verbindung mit sozialen, kulturellen Einstufungen. Dabei sei Kultur nichts Homogenes, sondern ein Machtfeld, das zu einer vermeintlichen Vormachtstellung, die zudem nur materialisiert werde, zu berechtigen scheine. Um seine kulturelle Identitaet zu sichern, werde der Fremde in seine "Heimat" zurueckgewuenscht, womit gleichzeitig eine Abgrenzung stattfinde.

Der Film "Hass im Kopf" von Uwe Friessner wurde von fast allen Teilnehmenden als ein Film ueber eine diffuse Gewalt denn als Film gegen Rassismus, Rechtsradikalismus oder Antisemitismus interpretiert. In diesem Film werden verschiedene Milieus aneinandergereiht, die es nicht zulassen, dass die Zuschauenden eine zufriedenstellende Einordnung erreichen. Den oeffentlichen Abendvortrag hielt Prof. Peter Fleissner (EUMC, Wien). Er stellte Ergebnisse einer Eurobarometer-Umfrage (~ 16.000 Interviews in den 15 Mitgliedstaaten) im Hinblick auf Einstellungen gegenueber Minderheiten und MigrantInnen in der EU vor. Hauptziel des "European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia" ist es, die EU-Laender ueber rassistische Uebergriffe zu informieren und bewaehrte Praxen im Umgang zwischen den Menschen in der EU mitzuteilen. Die an dieser Stelle zu umfangreichen Einzelergebnisse koennen unter http://eumc.eu.int eingesehen werden. Prof. Rainer Erb (Zentrum fuer Antisemitismusforschung, Berlin) charakterisierte Ursachen und Hintergruende von rechten Jugendszenen (Spass, Abenteuer, Ideologie, Musik, Kleidung ...). Ihre Gewaltbereitschaft werde von den Neonazis/Rechtsradikalen legitimiert, weil es eine gute Sache sei, fuer das Vaterland zu kaempfen oder das Vaterland vor der "Ueberschwemmung krimineller Auslaender" zu schuetzen. Das Wissen dieser Jugendlichen sei jedoch eher eklektisch und diffus, wenngleich es auch Musik-Kenner oder Rechtsgeschulte unter ihnen gebe, was als eine gewisse Kompetenz gesehen werden koenne. Die Gewaltbereitschaft ist fuer Erb somit eine groessere Gefahr fuer unsere Gesellschaft als die weitverbreitete Fremdenfeindlichkeit.

Biographische Fallanalysen von Einzel- und Gruppeninterviews mit Mitgliedern unterschiedlicher rechtsextremer Gruppierungen, die Dr. Lena Inowlocki (Hessische Stiftung fuer Friedens- und Konfliktforschung) allerdings vor bereits 20 Jahren durchgefuehrt hat, haben gezeigt, dass sich diese Jugendlichen selbst und sich gegenseitig in einem Selbstethnisierungsprozess in ihre Ueberzeugungen hineingeredet haben. Die Rhetorik rechtsextremer Gruppen bezog sich argumentativ auf "die deutsche Geschichte" und rechtfertigte den Nationalsozialismus durch die Leugnung des Holocaust. Geschichtliche Konstruktionen des Alltagswissens der primaeren eigenen Opferposition "der Deutschen" wuerden herangezogen, um in der Gegenwart Gewalttaetigkeit zu rechtfertigen.

Die Vortragenden auf dieser Tagung hatten unterschiedliche Zugaenge, Herangehensweisen oder Sichtweisen in Bezug auf das Thema "Rechtsextremismus/Rechtsradikalismus". Doch der Grundkonsens stimmte ueberein. Fuer den einen stand die Gewaltbereitschaft im Mittelpunkt, fuer andere die Fremdenfeindlichkeit. Rechtsextreme Parteien sind seit 20 Jahren parteipolitisch erfolglos. Was tatsaechlich viel gefaehrlicher zu sein scheint als die NPD und andere, ist die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen und die Fremdenfeindlichkeit noch groesserer Gesellschaftskreise. Wenngleich auch die sogenannten Ewiggestrigen bis auf Ausnahmen gestorben sind, so erledigt sich der Rechtsextremismus bzw. Rechtsradikalismus mit ihnen nicht biologisch. Neue Generationen wachsen heran und mit ihnen die Gefahr, die eine Herausforderung fuer Schule und Gesellschaft bleibt.

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