Die Rezeption des Genfer Psalters in Deutschland und den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert

Die Rezeption des Genfer Psalters in Deutschland und den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert

Organisatoren
Stiftung Johannes a Lasco Bibliothek Emden
Ort
Emden
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.03.2003 - 08.03.2003
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Von
Cornelia Kück

Zum dritten Mal kamen Anfang März 2003 in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden vierundsechzig Wissenschaftler und Forscher aus Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Japan zusammen, um neue Erkenntnisse über die Rezeptionsgeschichte des Genfer Psalters zu gewinnen. Germanisten, Musikwissenschaftler, Historiker, Theologen und Buchwissenschaftler ließen die Tagung zu einem Erlebnis interdisziplinärer Forschung werden.

Der erste Vortrag von Prof. Dr. Klaus Garber, Leiter des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit in Osnabrück, widmete sich dem Thema "Erwägungen zur Kontextualisierung des nationalliterarischen Projekts in Deutschland". In einem weiten historischen und geographischen Bogen ordnete er den Genfer Psalter in die Zeit um 1600 ein. Ausgehend vom Quattrocento Italiens wirkten auch im Deutschen Reich Bestrebungen, der deutschen Sprache in anspruchsvoller Poesie im Wettstreit mit den europäischen Nachbarn Literaturfähigkeit zu bescheinigen. Hiervon blieb das geistliche Lied nicht unberührt. Psalmendichtung, so Garber, sei als Trostgedicht und damit als Lehrgedicht zu verstehen; damit gelte sie in diesem Zusammenhang als ein deutsches Epos, das in der Nachfolge Vergils stehe.

Lars Kessner, Stipendiat des Mainzer Graduiertenkollegs "Geistliches Lied und Kirchenlied interdisziplinär", betrachtete die "Lutherischen Reaktionen auf den Lobwasserpsalter" anhand der Psalter von Cornelius Becker (1561-1604) und Johannes Wüstholz (†1626). Wenn auch die zu geringe christologische Auslegung der Psalmen bei Lobwasser von Becker und Wüstholz stark kritisiert wurde, findet sich bei beiden keine explizite Polemik gegen Calvinisten, wohl aber gegen den Papst und bei Becker auch gegen die Türken. Thematisch ist Beckers Psalter - biographisch bedingt - durch den Bezug auf das weltliche Regiment geprägt; in Wüstholz' Psalter bestimmen hingegen moralische Anweisungen die Summarien.

Den öffentlichen Abendvortrag übernahm Oskar Gottlieb Blarr, em. Professor an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. Als Kirchenmusiker der Neanderkirche brachte er dem Auditorium in humorvoller und lebensnaher Form das Lied Joachim Neanders (1650-1680) "Lobe den Herren" nahe. In seinem Vortrag beleuchtete Blarr nicht nur den Einfluß von Jean de Labadie (1610-1674) und Philipp Jakob Spener (1635-1705) auf Neander, sondern auch die Wirkungsgeschichte des Liedes in den Werken von J.S. Bach und Max Reger, als Preußischer Choral zur Goldenen Hochzeit Kaiser Wilhelms I. und in den deutsch-christlichen Gesangbüchern des Dritten Reichs.

Der zweite Tagungstag begann mit einem Beitrag Jörg-Ulrich Fechners, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft in Bochum unter dem Titel "Martin Opitz und der Genfer Psalter". Im Mittelpunkt stand seine These, Opitz habe als "bewußter Barock-Dichter" auf Kunstfertigkeit verzichtet, um seinen Psalter (1637) für den Gebrauch im Gemeindevollzug Menschen aller Bildungsschichten zugänglich zu machen.

Hieran schloß sich ein überaus fundierter und gut recherchierter Vortrag von Irmgard Scheitler, Professorin für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Würzburg, über "Die Rezeption des Genfer Psalters im protestantischen Deutschland des 17. und 18. Jahrhunderts", an. Nach der Übertragung durch Ambrosius Lobwasser (1515-1585) ins Deutsche (1573) fand er mit zahlreichen Anhängen ab 1574 Verbreitung. Im Luthertum wurde er im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts in drei Psaltern (Wüstholz, Becker und Franz Algermann) rezipiert. Nach der Opitzschen Versreform trat er als sprachlich-metrische Alternative durch verschiedene Lesepsalter in Alexandrinern in Erscheinung. Von seinen französischen Weisen, durch Claude Goudimels (1514-1572) Sätze kanonisiert, ließen sich einige Musiker auch zu Vertonungen für Musikinstrumente inspirieren. Für das 18. Jahrhundert sei zwar eine starke Rezeption im pietistischen Bereich festzustellen, so Scheitler, aber in die offiziellen Gesangbücher habe der Genfer Psalter kaum Aufnahme gefunden.

Dr. Alfred Ehrensperger, em. Dozent für Liturgik und Hymnologie in Zürich und St. Gallen, lenkte den Blick in die Schweiz und auf die liturgische Einbindung des Psalmengesangs in den reformierten Gottesdienst. Vor allem die ab Mitte des 17. Jahrhunderts belegten Zuweisungstafeln geben Aufschluß über die Zuordnung der Psalmen zu bestimmten Glaubensthemen, Ständen, Tages- und Jahreszeiten. Weitere Quellen bezeugen einen vierstimmigen Gesang von Lobwasser-Psalmen zu Handwerksarbeiten.

Pfr. Hans-Jürg Stefan, langjähriger Leiter des Fachbereichs "Gottesdienst und Musik" im Institut für Kirchenmusik in Zürich, zeichnete in seinem Vortrag den Kontext, die Alternativen und Folgen von "Johann Caspar Lavaters (1741-1801) Specialgravamen gegen den Gesang der Lobwasserschen Psalmen" detailliert nach. Durch die Beschlüsse des Zürcher Rats wurden aufklärerische Reformvorstöße zurückgewiesen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts löste das Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Zürich den Lobwasser-Psalter zusammen mit seinen verbesserten Ausgaben ab.

Dieter Breuer, Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Aachen, verfolgte die Spur Genfer Psalmen im katholischen Rheinfelsischen Gesangbuch aus dem Jahr 1666, das die Lieder der "Davidischen Harmonia" (Wien 1658) aufnahm und um Psalmen erweiterte. Zwar verweigerte Weihbischof Kaspar Zeiler (1645-1681) in Augsburg die Approbation; in Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels (1623-1693), dem als katholischer Herrscher eines reformierten Territoriums an der Toleranz des katholischen Glaubens in zumindest einigen Städte gelegen sein mußte, fand es einen aufgeschlossenen Förderer.

Der Beitrag von Maria A. Schenkeveld-van der Dussen, em. Professorin der Universität Leiden, über "The Huguenot Psalter in the Dutch Republic. The function of the rhymed psalm version in the 17th century" befaßte sich mit dem Umstand, daß sich der Reimpsalter von Petrus Dathenus (1566) trotz sprachlicher Schwäche durchsetzte und bis 1773 das offizielle Gesangbuch blieb. In Kontrast hierzu setzte sie die bis dahin unterdrückten Texte von Jacobus Revius, Philips von Marnix u.a.

Drs. Hans Beelen, Dozent für Niederlandistik in Oldenburg, wies an den Psalmdichtungen Pieter Corneliszoon Hoofts (1581-1647) nach, daß der biographische Ansatz, die Wende in seinem literarischen Schaffen - angesetzt für die Jahre 1623 bis 1627 - zu erklären, zu erheblichen Widersprüchen führt. Beelen wandte sich statt dessen dem literarischen Umfeld zu und kam zu dem Ergebnis, daß Datheens Psalmen Hooft und Anna Roemers Visscher als poetisches Übungsfeld dienten.

Constanze Grutschnig-Kieser, eine weitere Promovendin des Mainzer Graduiertenkollegs, analysierte in ihrem Tagungsbeitrag zum Radikalpietismus keine direkte Rezeption des Genfer Psalters. Wenn auch ein Titel wie "Davidisches Psalter-Spiel der Kinder Zions ..." (Schaffhausen 1718) durchaus Psalmübertragungen erwarten läßt, so handelte es sich bei diesem Beispiel nur bei 3 % der Lieder um Übertragungen ("Psalter ohne Psalmen"). Das Psalmenverständnis stellte sie präzise und übersichtlich an den Liedern von Eberhard Ludwig Gruber (1665-1728), Leiter der wahren Inspirationsgemeinde, Gottfried Arnold (1666-1714) und Johann Wilhelm Petersen (1649-1727), Mitglied der philadelphischen Sozietäten, dar.

Jürgen Henkys, bis 1995 Professor für Praktische Theologie in Berlin, arbeitete in seinem Beitrag über "Die deutsche Neutextierung des Genfer Psalters durch Matthias Jorissen (1798). Hymnodisches Erbe und Geist der Zeit" heraus, daß sich das Interesse Jorissens an einer zeitnahen Auslegung an den von ihm herangezogenen exegetischen Autoritäten niederschlug. Gerade für die Psalmübersetzung Moses Mendelssohns (1729-1786) aus dem Jahr 1782 wies Henkys an zahlreichen Beispielen einen deutlichen Einfluß auf Jorissen (1739-1823) nach.

Schon am Freitagabend konnten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Tagung im eindrucksvollen Konzert des Projektchores der Reformierten Kirche unter der Leitung von Edzard Herlyn (Canum) in Verbindung mit Dr. Jan Luth als Organisten den "stilus ecclesiasticus" des 18. Jahrhunderts nachempfinden. Daß das langsame Psalmensingen - nur etwa 30 Schläge pro Minute - auch von den Zeitgenossen als überaus anstrengend erachtet wurde, belegen Vorreden zu Gesangbüchern, wie Luth, Dozent für Liturgiewissenschaft in Groningen, in seinem Vortrag am Samstagmittag zu berichten wußte. Quellen, die von einem tatsächlich praktizierten vierstimmigen Gesang in den Niederlanden berichten, gibt es nicht. Vielmehr bedurfte es eines "Voorsangers" und eines Kirchenchors, der die Gemeinde zum Singen anleitete.

Interessante Aspekte über die "Statenberijming" (1773), eine den Datheen-Psalter ablösende und aus drei jüngeren Reimpsaltern zusammengestellte Sammlung, und gleichzeitig über das Verhältnis von Staat, reformierter Kirche und Theologie bot der letzte Vortrag von Dr. Roel A. Bosch, Studentenpfarrer in Maastricht und Autor kirchengeschichtlicher Publikationen. Nicht die reformierten Synoden, sondern die "Staten Generaal" gaben diesen neuen Reimpsalter in Auftrag und führten ihn ein; eine Approbation durch die Kirche blieb aus. Gerade das bisher hohe Maß an calvinistischer Prägung in Datheens Psalter ging durch eine Anpassung an rationalistische Vorstellungen des 18. Jahrhunderts verloren.

Das Ergebnis des dreijährigen Forschungsprojekts (2001-2003) - Teilprojekt im Rahmen des Forschungsprogramms "Kulturwirkungen des reformierten Protestantismus" der Stiftung Johannes a Lasco Bibliothek Emden und finanziell durch die Stiftung Niedersachsen und das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert - wird sich sehen lassen können. Eine Bibliographie des Lobwasser-Psalters wird in Verbindung mit dem Mainzer Gesangbucharchiv (Deutsches Institut) auch auf der Homepage der a Lasco Bibliothek zugänglich gemacht werden. In kommentierter Form werden im Jahr 2003 "Alcvns pseaulmes et cantiques ..:" (Straßburg 1539) als Faksimile, der Lobwasser-Psalter (1576) und der Opitz-Psalter (1637) jeweils als Reprint herausgegeben. Die Vorträge aller drei Tagungen erscheinen in einem einzigen Sammelband in der Reihe "Frühe Neuzeit" bei Niemeyer in Tübingen. Nicht nur von seinem Umfang her wird dieses Werk den Charakter eines Handbuchs tragen; mit diesem Werk wird - nach dem Verlauf und Gehalt der dritten Tagung zu urteilen - die Geschichte der Wirkung des Hugenottenpsalters in Deutschland und Europa erstmals umfassend erschlossen. Zu hoffen bleibt, daß hier auch die erfrischend-lehrreichen Einführungen von Prof. Dr. Eckhard Grunewald (Oldenburg), der zusammen mit Dr. Henning Jürgens diese Tagung organisierte, einen Platz finden werden.

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