Medialisierungen des Unsichtbaren um 1900

Medialisierungen des Unsichtbaren um 1900

Organisatoren
Prof. Dr. Susanne Scholz (Institut für England- und Amerikastudien, Universität Frankfurt am Main) Prof. Dr. Julika Griem (Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, TU Darmstadt)
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.02.2008 - 09.02.2008
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Von
Martina Sehring, Universität Frankfurt

Das Unsichtbare hat Konjunktur. Dies spiegeln nicht nur akademische Diskurse, sondern auch populärkulturelle Erzeugnisse wider. Die Aktualität des Themas scheint hierbei mit Neudefinitionen des Wissens, mit veränderten medialen Möglichkeiten und dadurch erschlossenen epistemischen Feldern, mit neuen ways of seeing und den damit einhergehenden Verunsicherungen zu tun zu haben. Idee der Tagung war es daher, den Blick zurück ans Ende des 19. bzw. den Beginn des 20. Jahrhunderts lenken, auf einen historischen Moment, der ebenfalls von einer Krise der Wahrnehmung geprägt ist. In der Medialisierung des ‘Unsichtbaren’ treffen sich hier technischer Optimismus und phantasmatisches Begehren, die Verfahren der wissenschaftlichen Visualisierung und die entpragmatisierten Spiel-Räume der Kunst.

Die Tagung wurde von PETER GEIMER (Zürich) eröffnet, der in seinem Vortag „Sichtbar/Unsichtbar. Szenen einer Zweiteilung“ das Spannungsfeld beider Begriffe anhand der so genannten Fotografie des Unsichtbaren im 19. Jahrhunderts explorierte. Die hierzu gezeigten Fotografien (Röntgenstrahlung, Radioaktivität etc.), verdeutlichen die Trope einer Sichtbarmachung des Unsichtbaren, wobei vor allem die Idee einer Unterschreitung der Wahrnehmungsgrenze oder eines Überlistens der Zeit im Vordergrund steht.
Mit Rekurs auf Georges Didi-Hubermann verwies Geimer dabei auf die Problematiken einer strikten Trennung der Bereiche des Visuellen, und stellte die Frage, ob es sich bei sichtbar/ unsichtbar um Zustände des gleichen Objektes handelt – das Unsichtbare also lediglich ‘erweckt’ werden müsse – oder ob das hier sichtbar Gemachte eher einen Akt der Hervorbringung markiert. Zum einen zeigte der Vortrag, dass es sich bei jenen Fotografien des Unsichtbaren nicht um die Abbildung eines eigentlich Sichtbaren, sondern vielmehr die Herstellung von Sichtbarkeit handelt. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die so hervorgebrachten, sichtbaren Gegenstände erklärungsbedürftig sind, ihre Evidenzleistung also erst erbracht werden muss. Geimer explorierte, dass das Unsichtbare weniger als ein ‘Nichts’, denn als strukturiertes Dunkel zu verstehen sei, das seinerseits mit kulturellen Imaginationen durchtränkt sei. In Bezug auf Röntgenfotografien von Charles-Edouard Guillaume sprach Geimer abschließend von einer Dramaturgie der Enthüllung, die ihrerseits jedoch gleichsam neue Seiten der Verhüllung hervorbringe – während also bestimmte Dinge sichtbar gemacht werden, andere wiederum aus dem Feld der Betrachtung verschwinden. In der Diskussion wurde die Frage nach einem Vergleich jener Sichtbarmachung des Unsichtbaren auf den Bereich der Psychoanalyse eruiert, wobei zudem auf Walter Benjamins Überlegungen des optisch Unbewussten Bezug genommen wurde. Darüber hinaus wurden insbesondere die Verbindungslinien zur Literatur diskutiert, gerade in Bezug auf ein Sichtbarmachen von Zeit und der Zeitlichkeit des Erzählens.

CHRISTINE KARALLUS’ (Essen/Berlin) Beitrag „Fotografische Argumentationen. Das Spurenbild und der Sachverständige um 1900“ beschäftigte sich mit der Funktion der explorativen Fotografie innerhalb des juristischen Diskurses in Deutschland. Als Sachverständige figurierten hier diejenigen Experten, die die Fotografien als Beweise innerhalb ihrer Gerichtsgutachten einzubinden suchten, gleichzeitig verweist der Terminus innerhalb jenes Diskurses aber auch auf die zunehmende Professionalisierung der sachverständigen Fotografen selbst. Karallus zeigte, wie die Fachleute der Zeit die Objektivität jener Fotografien hervorhoben, die als Aufzeichnung des Vorhandenen gewertet, und als Möglichkeiten einer Befestigung des Zeitflusses verortet wurden. Obgleich Experten und Kommentatoren des 19. Jahrhundert immer wieder eine Unkenntlichkeit der Fotografien trotz großer Naturtreue monierten, führte die Diskussion hinsichtlich potenzieller Fehlerhaftigkeit weniger zu einer prinzipiellen Kritik der Verfahren als zu einer Normierung des Abbildungsprozesses selbst. Karallus konnte dabei den fundamentalen Enthusiasmus dokumentieren, mit dem zeitgenössische Fachleute der Evidenzproduktion via Fotografie begegneten. Die nachfolgende Diskussion eruierte Unterschiede in der Rolle des Sachverständigen in anderen Ländern, allen voran innerhalb des juristischen Diskurses Großbritanniens. Eine deutliche Kritik der explorativen Methodik führte hier auch zu einer prekären Rolle des Experten. Es wurde zudem angemerkt, dass die Evidenz der Fotografien nur solange intakt blieb, wie auch die Narration, in die sie eingebunden waren, aufging – ein Verhältnis, das kippen konnte, wenn etwa Anwälte Fotografien als Beweise der Unschuld ihrer Mandanten ins Feld führten.

Den nachfolgenden Vortrag präsentierte BERND STIEGLER (Konstanz), der in „Unschärferelationen. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der piktorialistischen Fotografie“ ‘Unschärfe’ als zentralen Moment des wahrnehmungstheoretischen als auch ästhetischen Programms jener Fotografie ausmachte. Stiegler verwies dabei auf die Verzahnung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit innerhalb jener Programmatik und zeigte, dass subjektive Wahrnehmung als Gegenstand und gleichsam Richtschnur piktorialistischer Fotografie fungierte. Neben dem Rekurs auf die Fotografietheorie um 1900, etwa von Peter Henry Emerson, widmete sich Stiegler dabei piktorialistischen Arbeiten von Fred Holland Day und Edward Steichen. Gerade Unschärfe ermögliche, so Stiegler, die Inszenierung einer Reihe von Ambivalenzen (nicht nur scharf/unscharf, sondern auch hell/dunkel, weit/nah…), sie eröffne gar einen Raum der Ambivalenz, der auch eine Suspendierung des Indexcharakters von Fotografie erziele. Piktorialismus wurde dabei als Spiel mit Bildern der Wirklichkeit verortet, die die Fotografie als Orte der Gegenwelt setzte – vor allem gegen die Wahrheiten der Wissenschaften und der Einzelheiten. Nicht zuletzt die Bedeutung der äußerst experimentellen Ansätze, vor allem in Bezug auf unterschiedlichste Techniken, wurde dabei hervorgehoben, wobei Stiegler zudem zeigen konnte, dass jene Unschärfe nicht ‘unkontrolliert’, sondern vielmehr strategische Praxis war. Die anschließende Diskussion ergab weitere Erörterungen der Materialität piktorialistischer Fotografien, wobei zudem auf die besondere Bedeutung einer stets mitgedachten Ausstellungspraxis und eines An-die-Wand-bringens verwiesen wurde. Diskutiert wurde darüber hinaus, in welchem Spannungsverhältnis ‘Unschärfe’ zu Objekten der Schärfe steht, und welchen Bezug diese Dynamik zu einer Konzeption der Unsichtbarkeit hat.

Der Vortrag von SUSANNE SCHOLZ (Frankfurt) mit dem Titel „Familiengesichter. Kompositfotografie und spätviktorianische Literatur“ ging am Beispiel von Thomas Hardys Roman The Well-Beloved von 1897 dem Phantasma des Familiengesichts nach, das in der spätviktorianischen Literatur ausagierte, was in einigen wissenschaftlichen Diskursen der Zeit postuliert wird und was im kulturellen Imaginären zu einiger Beunruhigung führte, dass sich nämlich hinter jedem Gesicht immer nur die Gesichter (und damit die Wirkmacht) der Ahnen verbergen. Scholz zeigte, dass die Familienähnlichkeit, niedergelegt in Form generischer Bilder und ‘Typen’ (zum Beispiel in der Kompositfotografie) damit als Visualisierung einer deterministischen Agenz verstanden wird, auf die das Subjekt vermeintlich keinen Einfluss hat. Vor dem Hintergrund der Evolutionslehre gelesen, erscheint hier der Körper und speziell das Gesicht als Medium einer wiederkehrenden Vergangenheit. Der historische Kontext dieser Bildproduktion ist ein eugenischer, das heißt auf der Matrix eines evolutionistischen Denkens werden generische Bilder herangezogen, um ‘typische’ Imagines ‘rassischer’ Reinheit zu erzeugen, die als Vorbilder oder Schreckbilder für künftige Hygienepolitiken dienen können. Somit sei die Kompositfotografie als paradigmatische visuelle Praxis lesbar, die diese – in der Empirie nicht vorhandenen, unsichtbaren – Typen produziert. Der Vortrag zeigte, wie die unterschiedlichen narrativen Fokalisierungen des Romans genau jene visuellen Evidenzen unterlaufen, die der wissenschaftliche Blick auf den Menschen postuliert.
In der Diskussion wurde das Spannungsverhältnis von Serialität und Reproduktion, aber auch von Identität und Ähnlichkeit diskutiert, in dem Identität selbst eine Art Stillstand markiert. Darüber hinaus wurde eruiert, inwiefern es sich bei den Kompositfotografien Galtons um eine Medialisierung oder eine Hervorbringung von Unsichtbarkeit handelt, wobei auch auf die Sichtbarmachung eines Ideals bei gleichzeitigem Verschwinden des Individuums verwiesen wurde.

FELIX HOLTSCHOPPEN (Frankfurt) verwies in seinem Vortrag „Jenseits der Sprache? Mediale Subjekte in Algernon Blackwoods A Psychical Invasion (1908)" auf die Verbindungslinien zwischen Blackwoods phantastischem Text und der ‘Entdeckung’ des Unbewussten innerhalb der Psychical Research – einer Verknüpfung spiritistischer, psychologischer und positivistischer Diskurse – etwa in den Arbeiten Fredrick W.H. Myers. Die für die phantastische Literatur typische Verhandlung epistemologischer Unsicherheiten, insbesondere in Form einer Krise im Register menschlicher Wahrnehmung, werden in der Erzählung Blackwoods anhand der Einflussnahme medialer Botschaften aus dem Jenseits auf Sprache und Sprach-Sinn exploriert. Holtschoppen zeigte, wie der Text den Kontrollverlust eines Autors über den Bedeutungsgehalt seiner Sprache inszeniert und dabei mediale Subjektmodelle mit den Angstphantasmen einer Invasion des Subjekts durch unsichtbare Wesenheiten aus dem Reich jenseits der Wahrnehmung verknüpft werden. Die Frage nach dem Ursprung medialer Botschaften wird im Text an das Verhältnis von Subjekt und Sprache gekoppelt und ist vom Versuch geprägt, nicht nur Sprache, sondern gleichsam das männliche Subjekt gegen das Eindringen des (als unheilvoll und weiblich gesetzten) ‘Fremden’ abzudichten. Die dem Vortrag folgende Diskussionsrunde ergab eine weitere Konkretisierung des Verhältnisses von Visualität und Textualität innerhalb der Erzählung und der Frage, inwiefern die im Text skizzierte Methode der Geisteraustreibung einen Akt des Messens oder des Verstehens des unheimlichen Inputs markiert. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit diskutiert, den Kontrollverlust des Mediums positiv zu lesen, bzw. erörtert inwiefern dies eine mögliche Lesart innerhalb des 19. Jahrhunderts konstituierte.

Der Abendvortrag „Unvorstellbare Zeiträume. Darwins Medialisierung des Verschwundenen“ wurde von PHILIPP SARASIN (Zürich) gehalten, der seine Überlegungen mit einer Reihe kritischer Betrachtungen des Feldes des Unsichtbaren und der vermeintlichen Krise des Blickes um 1900 einleitete. So verwies Sarasin zum einen auf die technischen Möglichkeiten, die bereits das 17. Jahrhundert kannte, um kleinste Objekte sichtbar zu machen, und die wenig aufgeregte Reaktion auf den durch diese neue Sichtbarkeit gewonnenen Bereich des Unsichtbaren. Zum anderen führte er an, dass alle Dinge in der Welt unter gewissen kulturellen Bedingungen unsichtbare Qualitäten besitzen. Der Vortrag widmete sich den Schwierigkeiten Darwins, seine evolutionstheoretischen Überlegungen, insbesondere aber die schier unvorstellbare Zeitspanne der Veränderungen/ Bewegungen über Jahrmillionen, greifbar, sichtbar zu machen. In der Betrachtung geologischer Sedimente und Fossilien ergab sich das Problem, dass zwar ältere Arten gefunden wurden, nicht aber die Zwischenformen, die eine Entwicklung der Tiere in der Zeit hätten visualisieren können. Sarasin explorierte dabei die Metaphern, die Darwin vor allem in den Origin of Species bemühte, um seine Gedanken zu verdeutlichen, aber auch die Grafiken und Diagramme, die ihm als Visualisierung seiner Theorien dienten. Mit Rekurs auf die Überlegungen von Julia Voss hinsichtlich der Bildstrategien Darwins verwies der Vortrag auf die in diesen Bildern ansichtige Kontingenz der evolutionären Entwicklung, eine Setzung, die Darwin von zeitgenössischen Theorien unterschied, die zumeist teleologisch verfuhren und eine Ordnung der Natur gemäß bestimmter (etwa geometrischer) Formen zu erreichen suchten. Sarasin konnte zudem zeigen, wie Darwin im Versuch, die einzelnen Fundstücke seiner Reise zu einer bewegten Serie in der Zeit zu verdichteten, die die langsamen Veränderungen der Arten zu medialisieren imstande war, eine Art morphologische Bewegungsvision bemühte. Die Aufzeichnungen Darwins zeigten, inwiefern die Reisen auf der Beagle selbst eine evolutionäre Bewegung markierten, bei der die Entwicklung etwa verschiedener Vögel vor den Augen des Betrachters sichtbar wurde. Die Übertragung jener Erlebnisse im Raum auf die Tiefendimensionen der Zeit kontextualisierte der Vortrag hinsichtlich bestimmter medientechnischer Voraussetzungen, allen voran den in den 1830er-Jahren entwickelten optischen Spielzeugen der bewegten Bilder. Ähnlich der Phantasmakop-Scheiben oder stroboskopischen Wunderscheiben konnten die Erinnerungsbilder der Vergangenheit so in Serie, in Bewegung gebracht und Darwins „gefährliche Idee“ visualisiert werden. Gerade jener letzte Punkt wurde besonders intensiv in der Diskussion aufgegriffen, wobei zum einen die Vergleichbarkeit der evolutionären Bilder-Bewegung mit der zyklischen, runden Bewegung auf den Scheiben der optischen Spielzeuge besprochen wurde. Hierbei ergab sich auch der Hinweis auf die bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannten Daumenkinos, die ebenfalls mit dem Prinzip einer Bewegung über Sukzession operierten. Gerade die Bedeutung der Lücke als (notwendiges) Moment der Bewegung – in Bezug auf die Gucktrommeln aber auch die evolutionäre Entwicklungen der Arten – wurde hierbei diskutiert.

Der zweite Tag des Workshops wurde von SEBASTIAN SCHOLZ (Darmstadt) mit dem Beitrag „(Hetero-)Topologien des Unsichtbaren. Medien-Werden und optisches Unbewusstes der Mikrofotografie“ eröffnet. Scholz skizzierte dabei zunächst, wie sich die Mikrofotografie innerhalb experimenteller Labore des späten 19. Jahrhunderts durchsetzte. Dabei wurde deutlich, dass jene Techniken nicht nur den Versuch markierten, Objekte dem obskuren Raum des Unsichtbaren zu entreißen. Scholz verwies vor allem auf die dabei entstehenden, neuen Sichtbarkeitstopologien, die gleichsam immer auch bedroht sind von einem Unsichtbaren, das sie stets mitproduzieren. Bei dem hier gewonnen Sichtbarkeitsraum handle es sich um eine Heterotopie im Foucault’schen Sinn, wobei der Vortrag in diesem Kontext auf den heterotopen Nicht-Raum des Labors selbst verwies. Scholz skizzierte zudem Verschiebungen im Verhältnis von Bild und Abbild, das immer weniger die Idee einer Fixierung der Welt beinhaltete. Unter Rekurs auf Robert Koch wurde dabei deutlich, inwiefern innerhalb jener neuen Techniken der Sichtbarmachung die Objekte hinter die von ihnen gemachten Bilder zurücktraten und die Bilder selbst zum Gegenstand der Erkenntnis, zum „epistemischen Ding“ wurden. Die ‘Unsichtbarkeit’ jener technischen Instrumente erwies sich somit als Konstituens für ihren Stellenwert als Medien. Der Vortrag betonte, dass es sich bei Medien nicht schon immer um gegebene oder fixe Entitäten handle, die Wissen einfach produzieren, sondern er hob das Medien-Werden der Mikrofotografie hervor, ein Prozess, der auch immer auf ein kontingentes Zusammenwirken verschiedenster technischer, aber auch gesellschaftlicher Elemente verweist. Vor allem in Bezug auf Deleuze und Foucault erörterte der Vortrag darüber hinaus die (dislokative) Konjunktion von Sichtbarkeit und Sagbarkeit, ein Punkt, der auch in der anschließenden Diskussion aufgegriffen wurde. Auch Fragen nach der Notwendigkeit einer räumlichen Konzeption heterotoper Sichtbarkeit, sowie deren Eingang in kulturelle (kollektive) Imagination wurden hierbei erörtert. Darüber hinaus wurden die Bedeutung des wissenschaftlichen Blickes und der Gestus des gelehrten Auges im Kontext populärwissenschaftlicher Bildlektüre diskutiert.

FALK MÜLLERs (Frankfurt) Beitrag „Das Experiment als Zwischenraum: William Crookes und die Medialisierung von Molekülen und Geistern“ beschäftigte sich mit der Forschung Crookes innerhalb zweier, aus heutiger Sicht inkommensurabel wirkender, Wissenschaftsbereiche. Zum einen erörterte der Vortrag hierbei die physikalischen Arbeiten Crookes, der durch die Erforschung von Abstoßungseffekten im Vakuum und die in seinen Versuchen entdeckte so genannte „Strahlende Materie“ bekannt wurde. Müller verortete diese Entwicklungen innerhalb des Physik-Diskurses des 19. Jahrhunderts und den hier angesiedelten Bemühungen um eine Sichtbarmachung physikalischer Prozesse. Die Forschungen Crookes wurden dabei vor allem in Bezug zu Elektrizitätsforschung in England gesetzt. Allen voran die Äthertheorie, wie sie von Peter Tait in The Unseen Universe (1875) und anderen formuliert wurde, markiere dabei einen wichtigen Brückenschlag zu religiösen und spiritistischen Denkansätzen. Müller zeigte dabei, inwiefern jene Theorien Äther als eine Art unendlichen Speicher unsichtbarer Schwingungen beschrieben, den Bereich des Sichtbaren gleichsam auf Seiten der endlichen Phänomene ansiedelten. Hierbei wurden auch die Anknüpfungspunkte zu spiritistischen Denkansätzen deutlich, die den ewigen Fluss der Ätherwellen beschrieben, in die das Medium einzutauchen vermag. Obgleich Crookes zunächst als Anhänger der Äthertheorie galt, der sich jedoch im Lauf seiner Forschung der Molekulartheorie widmete, blieb die Erforschung spiritistischer Phänomene stets ein wichtiger Forschungszweig seiner Arbeit. Müller dokumentierte hier das anhaltende Interesse Crookes an mediumistischen Zuständen, das ihn trotz der weitaus offeneren Grenzen zwischen naturwissenschaftlicher und spiritistischer Forschung im 19. Jahrhundert dem Gespött seiner Zeitgenossen aussetzte. In der Diskussion wurden noch einmal Fragen nach der Verortung des Äthers als unsichtbarem Speichermedium und der Zuschreibung von Materialität als Sichtbarkeit eruiert. Darüber hinaus ergaben sich Fragen nach dem Einfluss früherer Fluidums-Theorien, wobei noch einmal deutlich wurde, dass Crookes Forschungen vor allem im Kontext der englischen Äthertheorie zu verorten ist.

JULIKA GRIEM (Darmstadt) präsentierte im Folgenden ihren Vortrag mit dem Titel „Gelüftete Schleier, Unlesbare Teppiche: Die Rhetorik des Unsichtbaren in Erzählungen von G. Eliot und H. James“. Dabei zeigte sie, dass Eliots The Lifted Veil und James’ A Figure in the Carpet nicht nur auf Motivebene visuelle Praxen ihrer Zeit (etwa der Fotografie, oder Telegrafie) verhandeln, sondern darüber hinaus in ihren poetologischen Programmen mit visuellen Modellen operieren. Im Kontext der Idee einer Literatur als Ort der Sichtbarmachung oder als Medium der Darstellung des Undarstellbaren, verwies Griem auf die poetologischen Selbstversuche beider Erzählungen. In beiden Texten lassen sich Dreiecksverhältnisse ausmachen, in denen Frauen als Trägerinnen eines Geheimnisses figurieren, und als Medien für den Wissensdrang ihrer Männer inszeniert werden. Die Erzählungen bemühen dabei, so Griem weiter, eine Reihe visueller Metaphern, allen voran die des Schleiers und der Ver-/Entschleierung, formulieren jedoch gleichsam eine radikale Absage an das damit einhergehende Evidenzversprechen. Irreführende sowie scheinbar endlos aneinander gereihte Metaphern verweisen vor allem im Werk James‘ auf die endlose Aufschiebung eines dénouements und verunmöglichen Sinnstiftung. Die Texte spielen dabei mit der Möglichkeit, dass hinter dem Schleier nichts ist, sich hinter dem Geheimnis kein Geheimnis verbirgt. Griem versteht dabei das poetologische Programm der beiden Romane auch als eine Ablösung der auktorialen Allwissenheit durch eine Ethik der Einfühlung, die in James’ Fall eng an sein poetologisches Programm geknüpft sei. Gegen den ‘auktorialen’ Wissensdrang der Figuren, der in deutlicher Korrelation zu einem Willen zur Macht gesetzt sei, stehe andererseits die figurale Offenlegung der Charaktere in der erlebten Rede. Die Diskussion des Vortrags ergab weitere Überlegungen hinsichtlich der Beziehung von Literatur und Sichtbarmachung und eruierte in diesem Kontext die Bedeutung anderer Sinne. In diesem Zusammenhang wurde auch die Verwendung von Onomapoetika, sowie die Materialität und Visualität von Schrift/Schriftlichkeit diskutiert.

Der Vortrag „Descartes in der Kammer. Das Unsichtbare in Roland Barthes’ La chambre claire und die Literatur“ hielt HANIA SIEBENPFEIFFER (Greifswald), die zunächst auf die Bestimmung der Fotografie durch Barthes einging. Insbesondere das im Punctum beschriebene (fotografische) Vermögen, flüchtige und übersehbare Details sichtbar zu machen wurde dabei exploriert, und in Zusammenhang mit Benjamins Konzept des optisch Unbewussten gebracht. Darüber hinaus verwies Siebenpfeiffer auf die möglichen Auswirkungen einer Theorie des Punctum für die literarische Semiotik, etwa in einem Ineinander treffen von ‘Lichtschrift’ und ‘Tintenschrift’ oder der Frage, ob letztere ein ähnliches bestechend punktierendes Vermögen besitze wie erstere. Der Vortrag warf dabei einen Blick zurück auf die Geschichte optischer Medien, insbesondere der ersten systematischen Konzeptualisierung des Unsichtbaren in der Neuzeit, Rene Descartes’ Theorie visueller Wahrnehmung in La Dioptrique (1637). Siebenpfeiffer konnte dabei zeigen, dass die Medialisierung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bei Descartes und Barthes in der optischen und epistemologischen Denkfigur der Kammer (camera obscura) kulminieren.
Der Vortrag benannte darüber hinaus zwei rekurrierende Punkte des Workshops. Zum einen betonte Siebenpfeiffer noch einmal, inwiefern die Unsichtbarkeit des Mediums konstitutiv für die Hervorbringung von Sichtbarkeit und die Produktion von Evidenz sei. Zum anderen verwies sie mit Benjamin auf das Angewiesensein der Fotografie auf Sprache, wobei hierbei für einen synästhetischen Medienbegriff plädiert wurde. Anstelle einer Fokussierung auf einzelne Medien müsse vielmehr die Betrachtung des Zusammenspiels verschiedener Medialisierungsprozesse stehen. Die Diskussion ergab Konkretisierungen hinsichtlich des Descartes’schen Modells, insbesondere der Rolle der Zirbeldrüse als Schnittstelle körperlicher und seelischer Vorgänge, bzw. der materiellen und immateriellen Teile der Seele. Auch die Frage nach der Notwendigkeit des Begriffes des Mediums wurde dabei eruiert und diskutiert, inwiefern sich dieses durch Begriffe wie Versinnlichung ersetzten ließe.

Den abschließenden Vortrag „Unfassbar: Das Unbegreifliche in Giftdiskurs und Film“ wurde in zwei Teilen von BETTINA WAHRIG (Braunschweig) und HEIKE KLIPPEL (Braunschweig) präsentiert. Wahrig eröffnete den Beitrag mit ihren Untersuchungen des medizinisch-kriminologischen Giftdiskurses des 18. und 19. Jahrhunderts. Gift und Vergiftungserscheinungen galten hier lange Zeit als etwas Unfassbares, kaum Greifbares, das das sich langsam etablierende, toxikologische Feld zu definieren und fixieren suchte.
Unter Rekurs auf wissenschaftliche Quellen sowie literarische Texte der Zeit verdeutlichte der Vortrag, inwiefern diese Unfassbarkeit zum einen an die verschwindend geringe Dosierung von Gift geknüpft wurde, und die „kleinste Menge“ einen zentralen Definiens von Gift präsentierte. Wahrig verwies jedoch auch auf den der Vergiftung inhärenten „ver-rückten“ Zeitplan, da die Wirkung jener Toxide sich oftmals erst über die Zeit hinweg entfaltete und somit schwer zu diagnostizieren war. Um die Wirkweisen verschiedener Giftstoffe zu verstehen, bemühten die Toxikologen um 1900 dabei vor allem die Mikroskopie, ein Unterfangen, das wiederum einen Akt der Sichtbarmachung jener unfassbaren, kleinsten Mengen beinhaltete.
In einem zweiten Schritt analysierte Heike Klippel die Bedeutung und Funktionsweisen von Gift und Vergiftung im Kinofilm. Dabei stellte sie heraus, dass ähnlich der medizinisch-kriminologischen Zuschreibungen Gift hier zumeist unsichtbar bleibt, ein Umstand, der das Thema nicht zu einem dankbaren Motiv des Kinos macht. Nicht nur würden Giftwirkungen nur selten gezeigt, auch der Akt der Vergiftung selbst sei zumeist auf wenige cinematografische Handgriffe beschränkt, allen voran wiederholte close-ups der vergiftenden Person sowie des Behältnisses, in dem das Toxid dargereicht wird. In einer Analyse von Alfred Hitchcocks Notorious (1946) verwies der Vortrag dabei auf eine Reihe, insbesondere geschlechtsspezifischer Zuschreibungen des filmischen Vergiftungsmotivs. Vor allem die mordende Schwiegermutter wird hierbei bar jeder Empathie als hart, unweiblich, ja selbst ‘giftige’ Frau skizziert. Klippel verdeutlichte die Funktion des Giftmotivs als eine Art Folterkur für im Film unterstellte Unweiblichkeit der Schwiegertochter, die sich zum Ende als Versinnbildlichung hingebungsvoller, passiver Weiblichkeit präsentiert – selbst nachdem (oder gerade weil) sie um die Vergiftung weiß. Giftmord präsentiere sich so in Notorious als Matrix, vor deren Hintergrund weibliche Rollen verhandelt werden. In einer letzten Diskussionsrunde wurde im Anschluss unter anderem die soziale Phänomenologie des Giftmords thematisiert, wobei deutlich wurde, dass das Motiv immer wieder als Marker für soziale Differenzen herangezogen wurde. Auch die Korrelation von Giftmord und sexueller Devianz wurde dabei diskutiert. Unter Bezugnahme auf Roland Barthes’ Mythen des Alltags wurde darüber hinaus die Bedeutung äußerlicher Zeichen für innere Prozesse eruiert, insbesondere im Kontext der Schwierigkeiten einer filmischen Darstellung des Vergiftungsprozesses.

Kurzübersicht

Peter Geimer: Sichtbar/Unsichtbar. Szenen einer Zweiteilung
Christine Karallus: Fotografische Argumentationen. Das Spurenbild und der Sachverständige um 1900
Bernd Stiegler: Unschärferelationen. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der piktorialistischen Fotografie
Susanne Scholz: Familiengesichter. Kompositfotografie und spätviktorianische Literatur
Felix Holtschoppen: Jenseits der Sprache? Mediale Subjekte in Algernon Blackwoods A Psychical Invasion (1908)

Philipp Sarasin: Unvorstellbare Zeiträume. Darwins Medialisierung des Verschwundenen

Sebastian Scholz: (Hetero-)Topologien des Unsichtbaren. Medien-Werden und optisches Unbewusstes der Mikrofotografie
Falk Müller: Das Experiment als Zwischenraum: William Crookes und die Medialisierung von Molekülen und Geistern
Julika Griem: Gelüftete Schleier, Unlesbare Teppiche: Die Rhetorik des Unsichtbaren in Erzählungen von G. Eliot und H. James
Hania Siebenpfeiffer: Descartes in der Kammer. Das Unsichtbare in Roland Barthes’ La chambre claire und die Literatur
Bettina Wahrig/Heike Klippel: Unfassbar: Das Unbegreifliche in Giftdiskurs und Film


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