HT 2004: Sprachen und Formen der Kommunikation in Adligen Führungsschichten in der Frühen Neuzeit

HT 2004: Sprachen und Formen der Kommunikation in Adligen Führungsschichten in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Ronald G. Asch
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2004 - 17.09.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Christian Wieland, Historisches Seminar, Universität Freiburg

Adelsforschung ist mit zumindest zwei Paradoxa konfrontiert: Zum ersten: Während sowohl das von der vormodernen Aristokratie konstruierte Selbstbild als auch die Vorurteile der Modernen von Kontinuitäten, langer Dauer und Tradition ausgehen, stellt sich die soziale Realität des Adels als von bemerkenswerten Neuerungen gekennzeichnet heraus, und das fast für die gesamte alteuropäische Periode.

Zum zweiten: Die Hierarchien der ständischen Gesellschaft wurden zwar als solche bis zum späten 18. Jahrhundert nur selten grundsätzlich in Frage gestellt; dennoch mußte die Aristokratie insgesamt und mußten einzelne Adlige durchgängig ihre Führungsposition begründen, Herrschaftsansprüche anderer und anders legitimierter Schichten abwehren oder neue Elemente der Herrschaftsausübung in das Selbstbild, den Bildungskanon oder den Habitus integrieren. Dazu zählte auch die bei aller grundsätzlich formulierten Strenge der Abschließung, der prinzipiellen Undurchlässigkeit der Grenze zwischen Adel und Nicht-Adel, immer wieder praktizierte Integration von Aufsteigern, aktive Flexibilität, die von rhetorischer Unbeugsamkeit flankiert wurde.

Die Spannung, die sich aus der Divergenz von Image und Praxis ergab, stellte den Rahmen der von Ronald Asch organisierten Sektion über Kommunikationsformen des frühneuzeitlichen Adels dar. In seiner Einleitung stellte der Freiburger Frühneuzeit-Historiker dar, daß adlige Identiät und Definition (im Sinne von Abgrenzung) durch juristische bzw. sozio-ökonomische Mechanismen nicht oder doch nur ungenügend zu leisten war; die „Kultur“ – in, mit, ggf. wegen ihrer Uneindeutigkeit – füllte diese Leerstelle aus. Dazu zählte das Sprechen von – standesspezifischer – Ehre, auf das man sich nur einlassen konnte, indem man die adlige Superiorität im Grundsatz akzeptierte, ein Code, der Zugehörigkeit nicht mechanisch, sondern kontinuierlich in Zugehörigkeit und Ausgrenzung zuschreibenden Praktiken regelte. Die Regeln, die die Aristokratie sich selbst gab – oder die sie modifizierend von anderen sozialen Gruppen übernahm – sicherten zum einen die interne Kommunikation und demonstrierten zum anderen Distanz zum Nicht-Adel. Um jedoch der Gefahr der Imitation des eigenen Regelwerks durch Fremde zu begegnen, gehörte gleichzeitig der kalkulierte Regelverstoß, der Bruch von Verhaltenserwartungen, der nur auf der Grundlage einer gewissermaßen „natürlichen“ Vertrautheit und ungezwungener, ja spielerischer Einübung möglich war, zum adligen Rollenideal.

Richard Cust – „The Language of Honour in Tudor and Stuart England“ – beschrieb die Mechanismen, mit deren Hilfe Familien der Gentry untereinander Probleme der Hierarchie regelten, dies v. a. für den Zeitraum der späten Tudors und frühen Stuarts. Der Kampf um die Präzedenz war besonders virulent, wenn kein benachbarter Peer als Schiedsrichter fungierte und gleichzeitig ein massiver Elitenaustausch immer neue Prätendenten auf herausgehobenen Rang mit den immer weniger werdenden eingesessenen Adelsfamilien konfrontierte. Um den gesellschaftlichen Anspruch zu schaffen bzw. zu demonstrieren, bediente man sich einer Vielzahl von Instrumenten: Großer Häuser, Ehen mit Ranghöheren, öffentlicher Ämter und genealogischer Literatur. Vor allem die Genealogie, deren sichtbarer Ausdruck neben Stammbäumen die öffentliche Darstellung von Wappen war, geriet zur primären Waffe im Konkurrenzkampf, besonders intensiv in den Dorfkirchen, in denen nach der Reformation Wappenschilde zunehmend die religiösen Bilder ersetzten.

Besonders katholische Familien, denen die Bekleidung von Ämtern, in erster Linie des Friedensrichters, verwehrt war, griffen auf die Tugend der alten Herkunft zurück – worauf protestantische homines novi mit der ostentativen Praktizierung von religiösen Werten wie Gastfreundschaft oder „godliness“ reagierten. Die katholische Strategie war aufs ganze gesehen erfolgreich: Die von den Katholiken dargestellten Kategorien blieben die Leitwerte der adligen Gesellschaft bis ins frühe 18. Jahrhundert.

Martin Wrede – „Les loix de la chevalerie donnèrent une forme à la noblesse ...: Code, Konzept und Konjunkturen des Rittertums in der französischen Monarchie des 17. Jahrhunderts“ – richtete das Augenmerk im Gegensatz dazu auf adlige Repräsentationen, die im Kontext der vom Monarchen dominierten Gesellschaft stattfanden: Nachdem Heinrich II. bei einem Turnier tödlich verunglückt und diese Form des adlig-ritterlichen Zweikampfes daraufhin im Kontext des französischen Hofes wie in ganz Frankreich geächtet war, entwickelte die Monarchie neue Modelle der Demonstration eines auf das Mittelalter bezogenen Kriegerethos, das sich gesellschaftlich in eine auf den König ausgerichtete Form goß. Die „Carrousels“ von 1612, 1662 und 1685 – Geschicklichkeitswettbewerbe anstelle von Zweikämpfen – boten zum einen Raum für pompöse Prachtentfaltung sowohl der Krone als auch ihrer prominentesten Vasallen; zum anderen reflektierten sie sich wandelnde Bezüge zwischen Monarchie und Adel: 1612 warb das Haus Bourbon um einen auf seine Unabhängigkeit bedachten, gegenüber der Friedenspolitik der Krone mißtrauischen Adel, 1662 bot sich die Welt als ein auf den „großen König“ ausgerichteter Kosmos dar – ein Anspruch, der vor allem gegen den Prinzen von Condé durchgesetzt werden sollte, 1685 dann: Abgesang. Im 18. Jahrhundert fanden keine solchen Schauspiele mehr statt.

Mit dem Umzug des Hofes von Paris nach Versailles fehlte das städtische Publikum für die „Carrousels“ – oder bedeutete der neue Rahmen der höfischen Gesellschaft auch eine Absage an die Verzauberungen einer vergangenen Zeit, Entzauberung der Welt durch neue Rationalität?

Auch in den Ausführungen von Christian Wieland – „Ein fremder Dialekt? Adlige Selbstbehauptung in der Sprache des Rechts“ – spielte der Aspekt der Demonstration physischer Gewalt oder wenigstens Gewaltfähigkeit für die Selbstdefinition des Zweiten Standes eine zentrale Rolle. Der sich im Laufe des Spätmittelalters und des 16. Jahrhunderts theoretisch und praktisch zunehmend durchsetzende Anspruch des Rechts als alleiniges Medium der Konfliktlösung und die Monopolisierung von Recht und Gewalt bei den Dynastien, die den vormodernen Staat repräsentierten, bedeutete eine fundamentale Herausforderung an die Aristokratie. Sie begegnete dieser Zumutung auf drei Weisen: Einerseits entzogen Adlige sich den Regelungsmechanismen der Justiz, indem sie für bestimmte Typen von Konflikten interne Schlichtungs- oder Lösungsinstrumente fanden: standesinterne Austrägalgerichte oder Duelle, die zivilisierte, „moderne“ Form der Fehde; andererseits wurde das Gerichtswesen intensiv in das Repertoire adliger Auseinandersetzungen integriert – im Sinne der „Justiznutzung“ also weniger ein Sich-Ausliefern des Adels an Staat und Recht als deren Verwendung zum Erhalt und zur Demonstration von unabhängigem Status; schließlich durch das Nebeneinander von Recht und Gewalt, das Fortleben von fehdeähnlichen Auseinandersetzungen bei gleichzeitiger Beschreitung des Rechtsweges. Auch die Erfolgsgeschichte der Juridizierung in der Moderne erscheint so dialektischer als allein modernisierungstheoretische gespeiste Anschauungen nahelegen.

Ähnliche Muster ließen sich auch im Vortrag von Gerrit Walther – „Gelehrte Bildung als Medium adliger Kommunikation“ – ausmachen: Vergleichbar mit dem Recht stellte die „Bildung“ eine Herausforderung dar, sowohl hinsichtlich der „ursprünglichen“ sozialen Trägerschicht, eben des Nicht-Adels, des Proto-Bürgertums, als auch bezüglich des Typs von Legitimation, die sie implizierte: Vorrang, Status, Präzedenz durch erworbene und erwerbbare Leistung, nicht durch Herkunft, Geblüt oder Tradition. Den im Humanismus formulierten Ansprüchen auf Bildung verschloß sich auch der Adel nicht, im Laufe des 16. Jahrhunderts zunehmend weniger. Doch die Instrumentalisierung und Demonstration des Erworbenen unterschied sich wesentlich von der Weise, wie sie von den hauptamtlich Gebildeten, den universitären Pedanten und Professoren, betrieben wurde: Adlige ließen sich nicht auf die logischen Verstiegenheiten und Weltferne der antiken Philosophie an sich ein, sondern schätzten sie als Reservoir für die geistreiche und schlagfertige Konversation; Bibliotheken und Kunstsammlungen konnten einen bewußt idiosynkratischen Charakter aufweisen, ein Sich-Entziehen von enzyklopädischen Ansprüchen, und damit zur Bühne von persönlichem Geschmack, Familientradition und Wohlstand geraten. Adlige Bildung war eine, die man sich leisten können mußte, die sich ihre Profis eher „hielt“ als daß sie sich ihnen unterordnete und die in ihrer Raffinesse, in ihrer schweren Durchschaubarkeit, neue und scharfe Grenzen der Zugehörigkeit, eben auch zwischen Adel und Nicht-Adel, zog.

Adlige Existenz in der Frühen Neuzeit scheint gleichsam besessen von dem Bedürfnis, Hierarchien zu konstruieren, sie zu konservieren und soziale – oder ständische – Grenzen zu definieren. Um das Oben-Sein und Oben-Bleiben der Aristokratie zu gewährleisten, bediente sich der Zweite Stand offensichtlich virtuos eines breiten Repertoires von Sprachen, Symbolen und Praktiken, die er sowohl in einer romantisch verklärten ritterlich geprägten Vergangenheit als auch in den „harten“ Vorgaben bürgerlicher Bildung und gelehrten Rechts vorfand. Der kreative Umgang mit diesen Elementen und die Tatsache, daß „Adel“ bis weit ins 18. (oder 19. - oder 20.) Jahrhundert eine Leitvorstellung der sozialen Ordnung und individueller Ambitionen blieb, legt die Vermutung nahe, in ihm und nicht in den Vorläufern des modernen Bürgertums nach den zukunftsweisenden Kräften der Vormoderne zu suchen.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts