Auf dem Weg zur Professionalisierung: "Politisches Engagement protestantischer Frauen" (Hofgeismar, 05.-07.09.2001)

Auf dem Weg zur Professionalisierung: "Politisches Engagement protestantischer Frauen" (Hofgeismar, 05.-07.09.2001)

Organisatoren
Prof. Dr. Ute Gause, Siegen / Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser/ Evangelische Akademie Hofgeismar
Ort
Hofgeismar
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.09.2001 - 07.09.2001
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Von
Ellen Ueberschär, Philipps-Universität Marburg

Auf dem Weg zur Professionalisierung: "Politisches Engagement protestantischer Frauen"

In der deutschsprachigen Kirchengeschichtswissenschaft steckt die konfessionelle Frauenforschung fuer den Bereich der Neuzeit noch immer in den Kinderschuhen.

Zur Behebung des Defizites fand im September 2001 die erste Nachfolgetagung einer 1999 gezogenen Zwischenbilanz statt. Die juengste Tagung richtete ihr Augenmerk auf Frauen, die im 19. und 20. Jahrhundert vor einem konfessionellen Hintergrund im weitesten Sinne politisch aktiv wurden. Unter der Leitfrage nach einer moeglichen Typologie politischen Engagements umkreisten die Vortraege und Diskussionen Professionalitaet, Konfessionalitaet und Politikverstaendnis.

Eingangsstatements

Einen weiteren Horizont eroeffnete der einleitende Vortrag von Birgit Meyer, Professorin fuer Politikwissenschaften in Esslingen. Sie stellte ihre Analysen parteipolitisch aktiver Frauen in der Bundesrepublik vor. In einem knappen historischen Abriss wies Meyer auf, dass die Emanzipation von Frauen in der Bundesrepublik immer gegen das historische Erbe durchgesetzt werden musste. Vor dem Hintergrund der von Meyer vorgestellten Untersuchungsergebnisse spitzte sich die Frage nach der spezifischen Rolle der Konfession fuer das politische Engagement in den Anfangsjahren der Frauenemanzipation zu. Die von Meyer gefuehrten Interviews liessen vor allem die indirekte Wirksamkeit konfessioneller Praegungen in den politischen Biographien der von ihr untersuchten Frauen erkennen, greifbar in Angaben ueber Herkunftsfamilien oder ethische Grundhaltungen.

Jochen-Christoph Kaiser, Professor fuer Kirchengeschichte in Marburg, entwickelte drei Ueberlegungen, die das Tagungsthema in seinem geschichtswissenschaftlichen Kontext verorteten:

1. Die konfessionell gebundenen Frauen und Frauenverbaende des 19. und 20. Jahrhunderts unterlaegen einer doppelten Stigmatisierung. Sie seien zum einen von den Historikerinnen der 1970er, aber auch der 1990er Jahre, deren ueberwiegendes Interesse sich auf radikal-emanzipatorische Gestalten richtete, ausgeblendet worden. Zum anderen habe die deutsche Geschichtswissenschaft bis in die 1990er Jahre hinein kulturgeschichtliche Fragestellungen und konfessionsbezogene Frauenforschung vernachlaessigt. Es ergebe sich jedoch ein verzerrtes Bild des historischen Prozesses, wenn die Geschichtsmaechtigkeit der konfessionellen Verbaende ausser Acht bleibe.
2. Des weiteren wies Kaiser auf ein methodisches Problem hin: Die Emanzipation der Frauen sei parallel zur Sklavenbefreiung und zur Emanzipation der Juden und Katholiken (Nordirland) ein Phaenomen der Moderne. Das muesse bei einer Uebertragung der emanzipatorischen Fragestellung auf das Mittelalter und die Alte Geschichte in methodisch-hermeneutischer Hinsicht stets mitbedacht und problematisiert werden.
3. Kaiser stellte, anknuepfend an den aktuellen Forschungsstand in den historischen und Sozialwissenschaften, schliesslich die Frage nach der Perspektive konfessioneller Frauengeschichte: Ob es in Zukunft, auch im Rahmen solcher Tagungen, um eine historische gender-Forschung gehen solle, oder ob es sinnvoll sei, weiterhin historische Frauenforschung zu betreiben.

Vortraege

Den Kern der Tagung bildeten vier Vortraege zu einzelnen Frauengestalten, deren differierendes politisches Engagement in die erste Haelfte des 20. Jahrhunderts fiel. Insgesamt waehlten die Referentinnen nicht den 'great women approach', sondern einen Zugang, der ueber die spezifische Biographie hinaus Rueckschluesse auf den Zusammenhang von konfessioneller Praegung und politischem Engagement erlaubte.

Den Auftakt bildete das Referat von Gisa Bauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultaet Leipzig, die Agnes von Zahn-Harnack vorstellte, eine liberale Publizistin, die vor allem mit zwei Werken bekannt wurde: zum einen mit der 1928 erschienenen Geschichte der Frauenbewegung und zum anderen mit der Biographie ihres Vaters, Adolf (von) Harnack, 1936 in erster Auflage veroeffentlicht. Zahn-Harnack kann als eine der fuehrenden Gestalten der ersten Frauenbewegung gelten, die in ihrem Wirken versuchte, liberalprotestantische und frauenpolitische Wertvorstellungen zu vernetzen.

Am Beispiel von Elly Heuss-Knapp, die der gleichen Generation wie Zahn-Harnack angehoerte, untersuchte die Bielefelder Historikerin Dr. Ursula Krey den Zusammenhang von konfessioneller Praegung und politischem Engagement. Krey nahm zunaechst begriffliche Praezisierungen vor: konfessionelle Praegung definierte sie als lebenslange Deutungsperspektive, wobei die Konfession stets eine Referenzgroesse auf ein Kulturideal hin bildete. Politisches Engagement fasste sie in einem weiteren Verstaendnis auf als individuell reflektiertes Handeln fuer das Gemeinwohl. Elly Heuss-Knapp liess sich als Multiplikatorin auf der politischen und der konfessionellen Ebene charakterisieren, sie war eine sensible Grenzgaengerin, die versuchte, konfessionelle Prinzipien und soziale Forderungen in Einklang zu bringen und mit sozialintegrativen Konzepten die bipolare Struktur des Geschlechterverhaeltnisses zu ueberwinden.

Die zwei folgenden Vortraege wandten sich der zweiten Generation kirchlich und sozial organisierter Frauenbewegung zu.

Dr. Beate Hofmann, Neuendettelsau, beleuchtete das Wirken von Antonie Nopitzsch, der Begruenderin des bayerischen Muetterdienstes. Nopitzsch definierte ihr Wirken nicht sozialpolitisch, sondern pragmatisch - sie forderte mehr Mitwirkungsmoeglichkeiten fuer Frauen in der Kirche. Ihr Anliegen bestand schlicht darin, die Not von Frauen, insbesondere von Muettern, zu lindern. Ihrem unpolitischen Selbstverstaendnis entsprach ein Politikstil, der auf informelle persoenliche Beziehungen baute.

Einen groesseren Bekanntheitsgrad konnte Frau Dr. Hildburg Wegener Elisabeth Schwarzhaupt, die erste Ministerin der Bundesrepublik, attestieren, die in gewisser Weise eine komplementaere Biographie zu Antonie Nopitzsch aufweist. In ihrem Amt als Gesundheitsministerin, das sie zwischen 1961 und 1966 ausuebte, sah sie sich keinesfalls in der Naehe eines 'Suffragettentums', eine automatische Zustaendigkeit fuer Frauen und deren Organisationen lehnte sie ab, nahm sich jedoch frauenpolitischer Anliegen als Amtsverpflichtung an.

Ergebnisse

Es wird auf dem Forschungsfeld nicht um die kompensatorische Frauengeschichte gehen, die einige Defizite der Kirchengeschichtsschreibung lindert, sondern um die Herausforderung, die Tauglichkeit der Kategorie gender fuer die Christentumsgeschichte der Neuzeit zu pruefen.

Dieser Grundsatz fuehrte zu Konkretisierungen auf methodischer und thematischer Ebene. Neben der bewaehrten 'relecture' bekannter Quellen muessen neue aufgefunden werden, fuer die sorgfaeltig Leitkriterien der Bewertung herauszuarbeiten sind. Eine mikrohistorische Zugangsweise bietet sich an, die beispielsweise unter dem Leitkriterium Partizipation Institutionen oder Organisationen beleuchtet. Ebenso muessen die Untersuchungszeitraeume dem Forschungsinteresse angemessen sein. So laesst sich schon heute sagen, dass eine Epochengrenze 1945 weit weniger einschneidend ist, als die markanten Jahreszahlen 1908 (Aufhebung des politischen Versammlungsverbotes fuer Frauen) und 1918 (Einfuehrung des Frauenwahlrechts).

Weiterhin bedarf der Grundsatz praeziser Forschungsthemen, die valide Ergebnisse erwarten lassen. Eine zentrale Stellung kommt dem Thema Mutter/Muetterlichkeit zu, das in anderen Wissenschaftsbereichen bereits intensiv bearbeitet wird. Von dort aus ergeben sich Bezuege zum Begriff des 'Dienstes', zur Frage nach Machtdispositiven, nach den Konzepten von sozialer Arbeit.

Fuer die Planung der naechsten Tagungen, die sich als Foren der ueberkonfessionellen gender-Forschung etablieren sollen, bildete sich ein Team, das inhaltliche Koordinierung und praktische Vorbereitung leisten wird.

http://www.gender-und-konfession.de
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Deutsch
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