Heilig - Römisch - Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa

Heilig - Römisch - Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa

Organisatoren
Kulturhistorisches Museum Magdeburg; Dr. Matthias Puhle; Dr. Claus-Peter Hasse
Ort
Magdeburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.05.2004 - 22.05.2004
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Von
Elisabeth Handle, Historisches Seminar, Universität Heidelberg; Carla Meyer, Bamberg

Internationale Tagung zur Vorbereitung der Landesausstellung Sachsen-Anhalt 2006 "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962-1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang der Mittelalters"

Sacrum Romanum Imperium: das Heilige, das Römische, das Reich - alle drei Wörter stünden heute den meisten Deutschen fern. Mit diesen Worten führte Bernd Schneidmüller (Heidelberg) in die internationale Tagung "Heilig - Römisch - Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa" vom 19. bis 22. Mai 2004 ein, zu der sich mehr als 200 Tagungsteilnehmer im Kaiser-Otto-Saal des Kulturhistorischen Museums Magdeburg versammelten. Die Säkularisation habe den Nimbus geraubt, die Nationalisierung das universale Römertum, die deutsche Katastrophe 1945 das Reich. "Lohnt sich die Erinnerung?", fragte Schneidmüller provokant zum wissenschaftlichen Auftakt einer für das Jahr 2006 geplanten Ausstellung, die sich dem vor 200 Jahren untergegangenen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation widmen soll. Der mittelalterliche Teil wird im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, der neuzeitliche Teil im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen sein.

Als die Redaktion der "Geschichtlichen Grundbegriffe" in den sechziger Jahren das Lemma "Reich" zu vergeben hatte, so begann Peter Moraw (Gießen) mit einem persönlichen Rückblick in seine Heidelberger Assistentenzeit, habe sich keiner der älteren Kollegen als Autor bereit gefunden; sie scheuten die Brisanz des Gegenwartsbezugs. Eindringlich warnte Moraw in seinem Beitrag "Das Reich im mittelalterlichen Europa: Bestehen, Handeln, Handlungsschwierigkeiten", dass auch heute selbst gewissenhaftes Quellenstudium nicht vor Deutungen aus dem eigenen zeitgenössischen Horizont heraus bewahre. Vielmehr erfülle mediävistische Forschung zum "Alten Reich" auch in einem "Europa der 25 Nationalitäten" aktuelle Bedürfnisse nach Sinnstiftung und Identität.

"Die Reichsinsignien im Kontext der mittelalterlichen europäischen Krönungsinsignien" stellte Hermann Fillitz (Wien) als bedeutendste Zeichen des Reichs vor. Er betonte die herausgehobene Stellung der heute in Wien aufbewahrten Reichskleinodien und erläuterte die historisch gewachsenen Strukturen dieses Bestandes. An zwei prominenten Stücken, der Heiligen Lanze und der Reichskrone, wurde der Funktions- und Bedeutungswandel der Herrschaftszeichen nachvollziehbar. Als wichtigste Reichsreliquie wurde die Heilige Lanze im Hochmittelalter verehrt, trat aber im Laufe des 13. Jahrhunderts hinter die Reichskrone zurück. Ihr Stellenwert, so Fillitz, werde im permanenten Gebrauch bei der Kaiserkrönung deutlich.

Nicht von Kultur, sondern von den "vielen Kulturen in den mittelalterlichen Kaiserreichen" sprach Michael Borgolte (Berlin) in seinem gleichnamigen Vortrag. Kritik übte er an der Darstellung des byzantinischen Reichs in der Forschung, das wegen seiner zentralstaatlichen Organisation zumeist unreflektiert als homogene kulturelle Einheit wahrgenommen werde. Für das abendländische Imperium dagegen sei die Erkenntnis kultureller Pluralität bereits Forschungskonsens; Borgolte verwies auf Moraws These eines Kulturgefälles von Süd nach Nord und von West nach Ost. Im Hinblick auf das Ausstellungsprojekt mahnte er jedoch zur Vorsicht, "Leitkulturen" zu statuieren bzw. kulturelle Unterschiede nach dem Fortschrittsparadigma zu bewerten.

Der öffentliche Abendvortrag von Bernd Schneidmüller (Heidelberg) stellte das mittelalterliche Reich als vielfältigen Kommunikationsraum vor. Im Zentrum seines Beitrags "Das geträumte Reich des Mittelalters" stand Magdeburg. Aus der Geschichte dieser Stadt beschrieb Schneidmüller die Geschichte des Reichs. Vom karolingischen Grenzort zum königlichen Zentrum der ottonischen Herrscher aufgestiegen, rückte Magdeburg seit dem 13. Jahrhundert wieder weiter an den Rand des Reichs. Diese Königsferne konnte das Grab Ottos des Großen nur in Teilen kompensieren. Viele Zeichen und Bilder transportierten die Vorstellungen des Reichs, deren Wandel Schneidmüller bis in die Gegenwart verfolgte.

Ausgehend von der historischen Entwicklung der Kaiseridee aus römisch-antiken Wurzeln bis zu nationalen Ausprägungen im 19. Jahrhundert betrachtete Rudolf Schieffer (München) die "Konzepte des Kaisertums" im Mittelalter. Die Kaiserkrönung Karls des Großen am Weihnachtstag 800 wurde zum "politisch zeremonialen Leitbild". Gegenüber der sakral legitimierten Würde, so legte Schieffer dar, konnten sich neue Konzepte eines romfreien bzw. stadtrömischen oder erbrechtlich begründeten Kaisertums nicht durchsetzen.

Zwar pflegten die byzantinischen Rechtsgelehrten des 6. bis 14. Jahrhunderts die Tradition des römischen Rechts, doch Rom als historischer Ort wie auch als Chiffre von Kaisermacht werde in ihren Texten und Glossen ignoriert, so führte Marie Theres Fögen (Frankfurt am Main/Zürich) in ihrem Beitrag "Römisches Recht und Rombilder im östlichen und westlichen Mittelalter" aus. Aber auch für ihre abendländischen Kollegen, die Bologneser Legisten des 12. und 13. Jahrhunderts, spiele das in historiographischen, philosophischen und kanonistischen Texten der Zeit gefeierte "caput orbis" Rom keine Rolle. Während der Hoftag von Roncaglia 1158 in der Forschung zumeist als Bündnis des staufischen Kaisers mit dem römischen Recht gewertet wird, verwies Fögen auf eine bei Otto Morena überlieferte Episode, in der Friedrich I. den Disput zwischen zwei Rechtsgelehrten mittels eines Geschenks korrumpiert: Sie sei für die Historiographen zum Exempel der gescheiterten Beziehung zwischen Politik und Recht geworden.

"Deutsche Sprache und römisches Imperium im Mittelalter" war Thema des Vortrags von Rolf Bergmann (Bamberg). Verschiedene regionale Formen der deutschen und niederländischen Sprache schließen eine räumliche Übereinstimmung des Sprachraums mit dem Reichsgebiet allerdings aus. Die sprachlichen Verhältnisse illustrierte Bergmann anhand zahlreicher Beispiele deutschsprachiger Rechtsquellen. Diese direkten Quellen und weitere Zeugnisse der Sprachverwendung dokumentieren eine zunehmende Verbreitung der deutschen Sprache seit dem 13. Jahrhundert. Bergmann betonte die pragmatische Verwendung der deutschen Sprache. Ein programmatischer Einsatz lasse sich nicht erkennen.

Der "weise" - geheimnisvoller Stein an der oktogonalen Reichskrone - ist das Symbol, über welches das Sacrum Imperium Romanum Eingang in die Literatur der Stauferzeit gefunden habe, so demonstrierte Ulrich Müller (Salzburg) in seinem Beitrag "Das mittelalterliche Reich in der deutschen Literatur" an zahlreichen Textbeispielen. Auf abenteuerlichen Wegen aus dem Orient ins Abendland gelangt, wie das im 12. Jahrhundert beliebte Epos "Herzog Ernst" erzählt, wurde der Stein durch den Lyriker Walther von der Vogelweide allen im Thronstreit unentschlossenen Fürsten als "leitesterne" anempfohlen. Walthers Zeilen, so Müller, seien mehr als nur poetische Bilder, sie spiegelten die Beweiskraft mittelalterlicher Herrschaftssymbolik.

Ausgehend von Plessners Diktum der "verspäteten Nation" fragte Joachim Ehlers (Berlin) nach dem Konnex "Imperium und Nationsbildung im europäischen Vergleich". Verstanden sich die selbständigen Völker im karolingischen Regnum noch als Bayern, Sachsen oder Franken, so erschien in der ottonischen Epoche erstmals die supragentile Bezeichnung "deutsch", freilich als Import aus Italien: Im 11. Jahrhundert benutzte das Papsttum den Begriff "regnum Teutonicum" programmatisch in seiner Korrespondenz, um gezielt die Autorität des ostfränkisch-deutschen Königs zu schmälern; aus dem Reich nördlich der Alpen konterte man mit dem Titel "Rex Romanorum". "Imperium" und "regnum" waren, so Ehlers, für "die Deutschen" nicht nur im volkssprachlichen Ausdruck "Reich" ununterscheidbar verknüpft, sondern auch in ihrer Vorstellung.

Als "vernichtende Pisastudie" für das spätmittelalterliche Reich wurde Rainer Christoph Schwinges (Bern) Vortrag mit dem Titel "Das Reich im gelehrten Europa" in der anschließenden Diskussion gewürdigt. Zwar schien der Zahl nach am Vorabend der Reformation der Anschluss des Reichs an die Ursprungsländer der Universität, Italien und Frankreich, geschafft, doch die Neugründungen blieben klein und regional beschränkt. Fachlich dominierten nördlich der Alpen nicht Juristen und Mediziner, sondern die Grammatiker, die man - so ein Sprichwort aus dem romanischen Raum - anderswo "nicht gekocht und nicht gebacken" haben wollte. Schwinges' detaillierte prosopographische Studien offenbaren Vetternwirtschaft statt des Leistungsprinzips; Stand und Beziehungen galten mehr als ein akademischer Grad.

Von Friedrich Barbarossa zu Wilhelm Barbablanca: Wie sehr die "Deutungsarbeit" der Historiker den politisch-gesellschaftlichen Erwartungshaltungen im Bismarck-Reich Rechnung trug, darüber sprach Gerd Althoff (Münster) in seinem Vortrag "Die Deutschen und ihr mittelalterliches Reich". Das Reich, die Nation waren die Kriterien, nach denen das - bis heute gängige - Geschichtsmodell der "goldenen Stauferepoche" mit der darauf folgenden "Verfallszeit" des Interregnum entstand, vermittelt durch auflagenstarke Bücher wie Wilhelm von Giesebrechts "Geschichte der deutschen Kaiserzeit". In der Weimarer Republik sollte der Ton noch aggressiver werden: Um den galoppierenden Machtverlust des Reichs zu rechtfertigen, traf der Historiker Karl Hampe über Otto III. das Verdikt des "Versagers". Die sich an den Vortrag anschließende Diskussion betonte die Hartnäckigkeit dieser Vorstellungen; die in der Nachkriegszeit aufgestellte Forderung nach einer "krisenfesten Geschichte", die nicht nach jedem Umschwung in der Gegenwart umgeschrieben werden müsse, bleibe unerfüllbar.

Die Perspektive von außen auf das Reich bestimmte den dritten Vortragsvormittag. Von Frankreich ausgehend betrachtete Jean-Marie Moeglin (Paris) das mittelalterliche Reich ("Der Blick von Westeuropa auf das mittelalterliche Reich"). Das dualistische Prinzip von Verteidigung und Angriff prägte das Verhältnis. Im direkten Vergleich mit dem imperialen Nachbarn mussten die französischen Könige den Vorrang des Kaisers anfangs anerkennen. Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts wurde ihre Rolle aktiver und brachte eigenständige Positionen hervor. Nun sollte sich die königliche Politik grundsätzlich gegen jede Einmischung aus dem Osten richten.

Über das Imperium und seine östlichen Nachbarn sprach Slawomir Gawlas (Warszawa) in seinem Beitrag "Der Blick von Polen auf das mittelalterliche Reich". Am Beispiel Polens beschrieb er die rechtlichen und politischen Beziehungen vom 10. bis zum 14. Jahrhundert. Die polnischen Bemühungen, sich gegenüber den Ansprüchen des Reichs abzugrenzen, wurden dabei von päpstlicher Seite unterstützt. Gegenüber dem Bild der älteren deutschen Forschung müsse die Stellung Polens im europäischen Kontext deutlicher wahrgenommen werden, so Gawlas zusammenfassend.

Bei seinem "Blick von Italien auf das Imperium Romanum der Deutschen" konzentrierte sich Hagen Keller (Münster) auf die Ottonen- und frühe Stauferzeit. Auswärtige Mächte prägten die Herrschaftsstrukturen im "regnum Italiae". Die deutsche Fremdherrschaft wurde durch die Kaiserwürde legitimiert. Nach dem Investiturstreit wurde auch in Italien eine Positionierung zwischen Reich oder Kirche nötig, die rückschauend national gedeutet wurde. Trotz der "verwirrenden Vielfalt von Blicken" plädierte Keller für die Suche nach anderen - als nationalen - Erklärungsmustern.

Das europäische Panorama wurde durch den Vortrag von Matthias Puhle über "Hanse, Nordeuropa und das mittelalterliche Reich" abgerundet. Ein kurzer Überblick über Forschungsstand und -gegenstand nahm die aktuelle Diskussion zur Frage nach der Bündnisform bzw. dem Bündnischarakter der Hansestädte auf. Antworten darauf fand Puhle im Verhältnis der Hanse zum Reich. Als Bündnisform, wie sie sich ab dem 13. Jahrhundert nachweisen lässt, benötigte sie keine reichsrechtlichen Argumente. Obwohl es sich um unterschiedliche politische Einheiten handelte, repräsentierte die Hanse nach außen das Reich.

Wirtschaftsgeschichte sei Landes- und Stadtgeschichte, nicht jedoch die Geschichte des Reichs oder einer Nation, so nahm Gerhard Fouquet (Kiel) gleich zu Beginn seines Vortrags "Das Reich in den europäischen Wirtschaftsräumen des Mittelalters" das Fazit vorweg.
Auch eine königliche Wirtschaftspolitik, die das gesamte Reich in den Blick nehme, sei nicht zu fassen: Die Privilegien der Herrscher seien als punktuelle Reaktionen auf Anfragen zu verstehen, nicht jedoch als gezieltes System zur Schaffung "nationaler" wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Wie Fouquets detaillierte Analyse der wirtschaftlichen Ballungszentren, etwa des Hanseraums oder des Bodenseegebietes, der Städte Köln oder Nürnberg, erwies, lag die wirtschaftliche Entwicklung des hochmittelalterlichen Reichs im Vergleich zu Italien um etwa 200 Jahre zurück; um 1500 betrug der Unterschied noch eine Generation.

Über die "Zeichen und Imaginationen des Reichs" referierte Martin Kintzinger (Münster). Als wichtigste Symbole standen Reichskrone und Reichsadler im Mittelpunkt der Betrachtung. Ihre Rezeption und der Kontext ihrer Verwendung illustrierten die "kollektiven Wahrnehmungsmuster" vom Reich im Spätmittelalter, die Kintzinger im Konzept des Sakralreichs und des Wahlreichs unterschied. Bis 1452 sei die Kaiserkrönung in Rom als die ausdrucksstärkste Darstellung von Kaiser und Reich zu werten; je stärker das Wahlkönigtum in den Vordergrund rückte, desto mehr wurden die Reichsfürsten in das Reichsbild einbezogen.

Als thematische Fortsetzung der Suche nach den Imaginationen des Reichs formulierte Klaus Niehr (Marburg) die Frage nach den "Zeichen des mittelalterlichen Reichs? Speyer, Königslutter, Prag". Er stellte die "gebauten" Zeichen des mittelalterlichen Reichs anhand der drei genannten Beispiele vor. Die architektonischen Formen und Ausstattungselemente der kaiserlichen Bauten interpretierte er im Rahmen der Sichtbarmachung von Tradition bzw. Traditionsbildung und politischer Funktionalisierung.

Dass das Reich in den Städten keineswegs so präsent gewesen sei, wie man zunächst erwarten möchte, stellte Lieselotte E. Saurma (Heidelberg) in ihrem Vortrag zum Thema "Das mittelalterliche Reich in der Reichsstadt" an den Beginn. Seine Verbildlichung könne einerseits durch eine mythisch überhöhte Person wie den Roland, Verkörperung des Rechts, oder durch Karl den Großen als heiligen Schutzherrn geschehen, wie etwa am Frankfurter Galgentor oder am Aachener Rathaus. Figurenprogramme wie am Nürnberger Schönen Brunnen oder an der Nordwand des Kölner Hansesaals rücken statt dessen die Kurfürsten als Vertreter des Reichs in den Mittelpunkt. Als dritte Möglichkeit der Verbildlichung des Reichs nannte Saurma die "Körpermetapher", organologische Modelle wie den "Zirkel" der Reichsstädte in der Koelhoffschen Chronik oder das beliebte Motiv des Quaternionenadlers.

Eine ausführliche Zusammenfassung und abschließende Synthese der vielschichtigen Ergebnisse leistete Stefan Weinfurter (Heidelberg). Sein thematisch gegliedertes Resümee über Erkenntniszugänge und kulturalistische Befunde, Konzepte und Wahrnehmungsformen schloss mit der Frage nach dem Grund für die lange Dauer des Reichs. Antworten bot die Tagung vielfach. Ihre Ergebnisse, deren Publikation für das Jahr 2005 geplant ist, werden nicht nur in der wissenschaftlichen Diskussion weiter verfolgt, sondern sie sind wichtiger Bestandteil des geplanten Ausstellungsprojekts 2006. Weitere Informationen zur Ausstellung "Heiliges Römisches Reich Deutschet Nation 962-1806" finden Sie unter http://www.dasheiligereich.de .

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