Tagung Lutherbilder – Lutherbildprojektionen und ein ökumenischer Luther. Katholische und evangelische Entwürfe Martin Luthers in Früher Neuzeit und Moderne

Tagung Lutherbilder – Lutherbildprojektionen und ein ökumenischer Luther. Katholische und evangelische Entwürfe Martin Luthers in Früher Neuzeit und Moderne

Organisatoren
Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart; Verein für württembergische Kirchengeschichte; Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart; Prof. Dr. Andreas Holzem / Prof. Dr. Volker Leppin, Universität Tübingen
Ort
Weingarten (Oberschwaben)
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.09.2014 - 20.09.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Maria E. Gründig, Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V.

Die Tagung verfolgte das Ziel, die vielfältigen Stilisierungen der Person Martin Luthers zu thematisieren und hinsichtlich ihres Entstehungszusammenhangs und ihrer Wirkung zu hinterfragen. Einführend sprach ANDREAS HOLZEM, der mit VOLKER LEPPIN die Tagung geplant hatte, folglich auch von Spiegelungen, Projektionen und Imaginationen, durch die Luther in Abhängigkeit von Zeit und Raum von den konfessionellen Gruppen oder Einzelpersonen für sich „in Haft“ genommen wurde; Sie alle waren davon überzeugt, den wahren Luther zu beschreiben.

FRIEDERIKE NÜSSEL (Heidelberg) stellte in ihrem Vortrag das Lutherbild der frühen Orthodoxie dar, in der sich nicht eine, sondern verschiedenste theologischen Richtungen sammelten. Diese stritten vornehmlich nach dem Tode Luthers um die „wahre, rechte Lehre“ und über die Frage, wie Gott in die Welt hinein wirke. Die frühen Kanzlisten („Herrgottskanzlei“) seien einflussreich gewesen, wollten das Überleben der lutherischen Reform sichern und konsolidieren. Die Konkordienformel von 1577 und die darin enthaltene Rechtfertigungslehre habe die Lutheraner geeinigt und ein Gesinnungsmilieu geschaffen. Zentral sollte das Wort Gottes sein, hinter dem Menschen zurückzustehen hatten. Nicht Luther, sondern Gott sollte Herr der Geschichte sein. Luther galt als Gottes Prophet und Werkzeug und als Zeuge Jesu Christi.

Für den Jesuiten und Kontroverstheologen Roberto Bellarmino (1542-1621) war Luther ein Ketzer, eine geschwätzige Person, ein entlaufener Mönch und Gelübdebrecher, führte PETER WALTER (Freiburg) aus. Das negative Lutherbild des Bellarmin sei von den früheren Schriften von Johannes Cochlaeus (1479-1552) beeinflusst, der Luther noch extremer verurteilt habe. Bellarmin habe Stück für Stück die Schriften Luthers und Calvins bearbeitet und nach Unterschieden, nach Unstimmigkeiten und Fehlern gesucht. Anhand dreier Beispiele – Luthers Bibelübersetzung, seine Tridentitätslehre und sein Kirchenbild – beleuchtete der Dogmatiker die Grundlinien von Bellarmins Lutherkritik.

SABINE HOLTZ (Stuttgart) stellte zunächst fest, dass Luther für die Prediger so selbstverständlich war, dass sie ihn nicht explizit zitieren mussten. Um 1617 wird Luther in Lehrstreitigkeiten und in Auseinandersetzungen mit Katholiken und Calvinisten zwar als „Lutherus Redivivis“ dargestellt, doch warnen andere Prediger davor, einen Heiligen oder Helden zu stilisieren. Person und Werk sollten im Mittelpunkt des Erinnerns stehen. Dies geschah allerdings nicht sachlich, sondern in einer sehr polemischen Auseinandersetzung mit dem Papsttum. Starken Einfluss auf das populäre Bild des Reformators hatten im Umfeld des Reformationsjubiläums von 1617 die aus Predigten hervorgegangenen Lutherbiographien von Mathesius und Spangenberg. Darin wird Luther als Wundermann – „Sanctus Thaumasiander“ – und „Triumphator“ dargestellt.

ANDREAS HOLZEM (Tübingen) untersuchte Predigtpostillen aus der Zeit der katholischen Konfessionalisierung nach häretisierenden Aussagen. Nur etwa zehn Prozent der Beispielpredigten zählt der Kirchenhistoriker zum polemischen und differenzbetonenden Predigttypus. Die Predigtsammlungen entstanden in einer Zeit sich verdüsternden konfessionellen Klimas, die in Württemberg mit konfessionellen Auseinandersetzungen einherging. Wichtigstes Ziel der Predigten war die Schaffung von Gemeinsinn und Binnenzugehörigkeit, indem definiert wurde, was im katholischen Glauben richtig ist – den lutherischen Abweichler treffe die kollektive Gottesstrafe. In den Predigtpostillen, die nach der reichsrechtlichen Anerkennung der ehemaligen Abweichler 1555 gedruckt wurden, habe nun ein historischer Argumentationstypus überwogen. Dieser habe die Legitimierung der katholischen Kirche über die Geschichte zu beweisen gesucht und die Lutheraner wegen fehlender Geschichtlichkeit negiert.

Die Kunsthistorikerin ANJA OTTILIE ILG (Trier) referierte über Lucas Cranach den Älteren (um 1472-1553), der vor allem nach der Reichsgründung 1871 zu Luthers „Herzensfreund“ stilisiert worden sei. Diese Konstruktion der Kunst- und Geisteswissenschaft wirkte für den jungen Nationalstaat und den deutschen Protestantismus identitätsstiftend und legitimierend. Cranach wie Luther galten als gut-protestantisch und somit gut-deutsch; Ihre vermeintliche Freundschaft galt als „unverbrüchlich“, treu-deutsch. Beide so gezeichneten Figuren wirkten – unter Ausblendung historischer Fakten – langfristig mentalitäts- und kulturprägend. Historische Romane über Cranach und Luther zeigten dieselbe Färbung und wirkten ähnlich. Möglicherweise sollten die Stilisierungen unbewusst Irritationen ausblenden, welche jene Bilder Cranachs hervorriefen, die Altgläubige in Auftrag gaben oder die nicht dem protestantischen Bildprogramm entsprachen.

MARTIN H. JUNG (Osnabrück) thematisierte die Rezeption Martin Luthers im Pietismus. Der evangelische Theologe stellte zunächst die Parallelen zwischen Luthertum und Pietismus (Bibelübersetzung, Katechismus, allgemeines Priestertum) und die Differenzen (Konventikelwesen, Eschatologie, Rechtfertigung und Heiligung) dar. Im zweiten Vortragsteil fokussierte er auf die Haltung der württembergischen Pietisten Johann J. Zimmermann (1644-1693), Johann R. Hedinger (1664-1704), Georg K. Rieger (1687-1743), Johann A. Bengel (1687-1752), Friedrich C. Oetinger (1702-1782), Philipp M. Hahn (1739-1790), J. Michael Hahn (1758-1819) und Beate Paulus (1778-1842) zu Luther und zum Luthertum. Der Referent zeigte auf, dass es im Pietismus trotz aller Kritik der Orthodoxie keine durchgängige Ablehnung lutherischer Reforminhalte und Denkstrukturen gegeben habe. Beide Gruppen verstanden sich als Werkzeuge Gottes. Auch Luther galt als Werkzeug, weshalb ihm im Pietismus keine besondere Verehrung entgegengebracht wurde.

Während des Aufklärungszeitalters habe die Beurteilung Martin Luthers einen „epochalen Paradigmenwechsel“ erfahren, so lautete die von ALBRECHT BEUTEL (Münster) formulierte These. Schon Goethe habe Luthers Haltung zu Individualität und Freiheit geschätzt und sich und seine Gesellschaft in der Nachfolge Luthers gesehen. Diese Einstellung habe viele aufgeklärte Denker beeinflusst, etwa die Theologen Spalding und Semler, die Historiographen Arnold und Schroeckh oder die Literaten Lessing und Herder. Ihnen sei es gelungen, die Fixierung auf das zeitverhaftete Lutherbild zu überwinden und in eine „strukturelle Schülerschaft" zu überführen. Als solche entwickelten diese nach kritischer Prüfung lutherischer Inhalte einen gemeinsamen affirmativen Grundkonsens. Als sich in der Tradition Luthers Sehende bezogen sie sich vornehmlich auf Luthers Charakter und Denkhaltungen – hier vor allem auf sein Menschenbild, die selbstbestimmte Person – und nahmen die eigene geschichtliche Verantwortung in kritischer Selbstständigkeit wahr.

CLAUS ARNOLD (Mainz) rekonstruierte die Kontroverse um das Buch „Luther und Luthertum in der ersten Entwickelung“ von Dominikaner Heinrich Suso Denifle (1846-1905). Im 1903/04 veröffentlichten Werk, das in einer Zeit des von ihm kritisch betrachteten Anti-Ultramontanismus um 1900 und der österreichischen „Los-von-Rom-Bewegung“ entstand, wurden die traditionellen polemischen Topoi des katholischen Lutherbildes formuliert. Andererseits stellte die historische Relativierung Luthers vor dem Hintergrund spätmittelalterlicher Theologie und Frömmigkeit eine produktive Herausforderung auch für die weitere protestantische Lutherforschung dar. Auch Denifles Kritik an der biographischen Selbstkonstruktion Luthers und ihrer Rezeption in der Lutherforschung, sowie seine Hinweise zu den editorischen Defiziten der Weimarer Luther-Ausgabe forderte die protestantische Lutherforschung heraus. Innerhalb des deutschen Katholizismus deckte die Denifle-Kontroverse neue Gemengelagen auf: Die polemischen Passagen wurden von „reformkatholisch“ und auf konfessionellen Frieden und nationale Integration gestimmten Gelehrten zwar weithin abgelehnt, doch wollte man im Sinne einer subtilen katholischen Kulturdominanz auf den apologetischen Wert einer historischen Relativierung Luthers, wie sie Denifle bot, doch nicht ganz verzichten.

VOLKER LEPPIN (Tübingen), stellte die theologischen Lutherinterpretationen der Holl-Schule während der Weimarer Republik ins Zentrum. Das protestantische Lutherbild sei nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich durch den Tübinger Kirchenhistoriker Karl Holl (1866–1926) geprägt worden. Dieser habe die „Gewissensreligion“ betont, doch stand er damit in vielfachen Auseinandersetzungen vor allem mit der katholischen Lutherforschung von Denifle oder Grisar, aber auch mit der Ritschlschule und namentlich mit Ernst Troeltsch. Holls Schüler hoben einerseits den Zug Luthers zur Neuzeit hervor und betonten andererseits die Orientierung an der Mystik, die durch Holls Aufsatz „Luther und die Schwärmer“ motiviert war. Letzteres habe, so führte der Kirchenhistoriker aus, in Teilen der Holl-Schule die Aufnahmebereitschaft gegenüber deutschchristlicher Verbindung von Luther und Mystik wachsen lassen.

Es sei nicht möglich, in einem Vortrag „das Lutherbild der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus“ zu beschreiben. Daher beschränkte JÜRGEN KAMPMANN (Tübingen) seine Ausführungen auf die deutsch-christliche Bewegung in ihrer ersten Phase bis Ende 1934, als die Gruppierung noch relativ homogen war. Sie stellte die Reichskirchenregierung und repräsentierte die evangelische Kirche im NS-Staat. In Wahlkämpfen instrumentalisierten die „Deutsch-Christlichen“ das Bild Luthers, um die evangelische Wählerschaft für die NS-Partei einzunehmen. Sie sprachen von „deutschem Luthergeist“ oder von Luthers „heldischer Frömmigkeit“. Bei Gedenkfeierlichkeiten der Jahre 1933 und 1934 wurde Luther als „Inbegriff des deutschen Menschen“ in die Nähe zur NS-Ideologie und zu Hitler gerückt; Hitler wurde „lutherischer Kampfgeist“ zugeschrieben. Schon Karl Barth habe 1933 darauf hingewiesen, dass das Lutherbild in Abhängigkeit von Zeit und Raum jeweils konstruiert sei.

MICHAEL BEYER (Leipzig) stellte Martin Luther, Thomas Müntzer und den Bauernkrieg in der Historiographie der DDR dar. Dort galten Luther und Müntzer zunächst als „Fürstenknechte“, denen man keinerlei Aufmerksamkeit schenkte, was sich unter anderem im Fehlen jeglicher Luther- und Reformationsforschung niederschlug. Seit 1983 sei jedoch ein grundsätzlicher Wandel im Umgang mit den Reformatoren zu konstatieren: Luther und Müntzer wurden als systemstabilisierende historische Gestalten entdeckt. Friedrich Engels galt in der marxistischen Forschung gar als Nachfolger Müntzers. Die Reformatoren wurden als Auslöser der frühbürgerlichen Revolutionen stilisiert und als konstituierender Teil der DDR-Geschichte akzeptiert. Dies habe sich in einer intensivierten Gedenkstättenarbeit niedergeschlagen, die mit einer Stärkung der vor allem kirchlich organisierten Forschungslandschaft einherging und zu einer theologischen Aneignung Luthers führte. Dies habe wiederum den Aufbau der Kirchengemeinden in der späten DDR erleichtert.

ESTHER WIPFLER (München) zeigte in ihrem Vortrag den Wandel des Lutherbildes im Spielfilm zwischen 1911 („Dr. Martin Luther“), 1921/1923 („Die Wittenberger Nachtigall“) und 2003 („Luther“) auf, die zuvor in Ausschnitten gezeigt worden waren. Luthers Image habe im Spielfilm eine erstaunliche Metamorphose erlebt: Je nach Drehbuchautor, theologischem Berater und Zeitgeist erscheint Luther als romantischer Liebhaber, deutschnationaler Titan, Rebell und zerrissener Zweifler, als Bilderstürmer und leidenschaftlicher Gegner geistlicher und weltlicher Mächte. Da es sich bei den Filmen seit 1923 vielfach um kirchliche Auftragswerke gehandelt habe, spiegele sich in diesen ein gewandeltes Selbstverständnis der Lutheraner bzw. ihrer führenden Vereinigungen wider. Auf US-amerikanische Einflüsse führte die Kunsthistorikerin einen paradigmatischen Wandel des filmischen Luthers vom Nationalhelden zum Freiheitskämpfer und intellektuellen Pionier nach 1945 zurück. Die europäischen Fernsehproduktionen reagierten darauf unterschiedlich: Im Lutherjahr 1983 zeichneten Filmer aus der DDR Luther als frühbürgerlichen Revolutionär, die BRD als umstrittenen Auslöser einer bürgerlichen Befreiungsbewegung Die Lutherinterpretation im Kinofilm 2003 habe dagegen mit seinen hagiographischen Zügen geradezu postmodern gewirkt.

NORBERT HAAG (Stuttgart) stellt zunächst fest, dass sich aus Dekanatsberichten keine allgemeingültigen Aussagen über die Lutherdeutung in Württemberg während der NS-Zeit destillieren ließe. Allerdings rekurrierten einzelne Dekane auf Luther. Der Schorndorfer Dekan Otto Rieder habe Parallelen zwischen Luther und Hitler konstruiert. Beide gelten ihm als „Wunder göttlicher Vorsehung“ und „Retter Deutschlands“. Andere Quellen verstanden Hitler und den Nationalsozialismus als gottgesandt und das Dritte Reich als Reich Gottes. Der Stuttgarter Pfarrer Georg Schneider, ein Vertreter der Bewegung deutscher Christen, verstand den Nationalsozialismus gar als das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung aus Germanentum und Christentum; Das Christentum und (der arische) Jesus seien kämpferisch. Luther gelte zwar als in der jüdisch-etruskischen (gemeint ist: rituellen) Tradition verhaftet, doch sei Luther Mahner für die deutsche Einheit und Befreier aus politischer Ohnmacht. Georg Schneider sah Luther als Exponent der Mannhaftigkeit, als tragischen Held und Beginner einer unvollendeten Reformation. Für deren Vollendung zu einer „wirklichen Volkskirche“ reiche die Bibel nicht aus: Der Anschluss an den Nationalsozialismus sei von Schneider daher als logische Konsequenz betrachtet worden.

MARTIN TREU (Wittenberg) stellte das Bild Luthers zwischen evangelischer Volksfrömmigkeit und deutschem Nationalbewusstsein dar. Anhand von Bildbeispielen aus fünf Jahrhunderten zeigte er die Breite der Lutherbilder und -interpretationen auf: Sie zeigen ihn als Kirchenvater und Lotterbube (17. Jahrhundert), als Freiheitsheld (1806), Aufklärer (um 1770) und Musiker (um 1820), als Familienvater und guten Deutschen (1917) oder als Kartenspieler (vor 1983). Die Arbeiten Lucas Cranachs d.Ä. und seiner Werkstatt erlangten, so Treu, eine besondere Bedeutung, da sie bis heute stilbildend wirkten. Mit der Spätaufklärung habe sich das Lutherbild gewandelt: Das Interesse am Werk habe sich zugunsten der Person reduziert. Luther sei konfessionsübergreifend als Schöpfer einer kulturellen deutschen Einheit verstanden worden. Mit der (kleindeutschen) Reichsgründung 1871 habe sich dieses Heldenbild von neuem konfessionalisiert. Auch nach dem Ende des „Bündnisses von Thron und Altar“ galt dieses Lutherbild, so dass Prägungen des 19. Jahrhunderts konserviert wurden.

In seinem Schlusswort trug ANDREAS HOLZEM eine kurze Geschichte der katholischen Lutherforschung nach Heinrich Denifle und Hartmann Grisar vor. Er erinnerte an den Lutherforscher (und Freund der NSDAP) Joseph Lortz (1887-1975), dessen Arbeiten zu einer Neubewertung Luthers und der Reformation geführt habe: Die Kirche im 15. Jahrhundert sei korrupt gewesen, weshalb es einen Luther gebraucht habe, um Veränderungen einzuleiten. Lortz‘ Nachfolger in Münster wurde 1945 Erwin Iserloh (1915-1996), der auf Lortz‘ Erkenntnissen aufbaute, wobei ihm die Entpolitisierung seiner Lutheraussagen gelang. Die Arbeiten von Wilhelm Damberg hätten das neue katholische Lutherbildes vertieft und verfestigt. Neueste Forschungen z.B. von Thomas Lentes hätten zudem unser Bild vom 15. Jahrhundert maßgeblich verändert, sodass Luther nicht mehr im Gegensatz zu seiner Zeit betrachtet werde. Heute gebe es an katholischen kirchengeschichtlichen Lehrstühlen kaum profilierte Forschungen zur Reformation. Allerdings würden viele überaus fruchtbare Debatten in einer fächerübergreifend und überkonfessionell organisierten Reformationsforschung geführt.

Die Vorträge der Weingartener Luthertagung zeigten, dass jede Zeit ein spezifisches Bild des Reformators und seines Umfeldes gezeichnet hat. In den Referaten wurden vielfältige (Fehl-)Interpretationen und Stilisierungen aufgedeckt und deren intendierte und nichtintendierte Wirkungsgeschichte aufgezeigt. Die Vorträge tragen zudem dazu bei, die jeweilige Logik der Interpretationen, Instrumentalisierungen und Inszenierungen sichtbar werden zu lassen.

Die Veröffentlichung der Vorträge ist im Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte (Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte) und in den Blättern für württembergische Kirchengeschichte (BLWK) vorgesehen.

Konferenzübersicht:

Friederike Nüssel (Heidelberg), Das Lutherbild der frühen Orthodoxie (Gnesiolutheraner, Herrgottskanzlei)

Peter Walter (Freiburg), Der Ketzer Luther: Roberto Bellarmino und die Kontroversliteratur

Sabine Holtz (Stuttgart), Der gepredigte Luther I - Vorbild der evangelischen Konfessionalisierung?

Andreas Holzem (Tübingen), Der gepredigte Luther II - Häretisierung in der katholischen Konfessionalisierung

Anja Ottilie Ilg (Trier), „Lutheri Herzensfreund“. Zur Vorstellung Lukas Cranachs d. Ä. als enger Freund Luthers in Wissenschaft, Literatur und Kunst

Martin H. Jung (Osnabrück), Martin Luther im Pietismus

Albrecht Beutel (Münster), Martin Luther als Gewährsmann der deutschen Aufklärung

Claus Arnold (Mainz), Der katholische Luther im 19. Jahrhundert: Heinrich Denifle und die Anfänge einer vermittelnden Lutherforschung

Volker Leppin (Tübingen), Mystik und Neuzeit. Die Lutherinterpretationen der Holl-Schule in den theologischen Debatten der Weimarer Republik

Jürgen Kampmann (Tübingen), Das Lutherbild der evangelischen Kirche in der nationalsozialistischen Zeit

Michael Beyer (Leipzig), Luther, Müntzer und der Bauernkrieg in der DDR-Historiographie

Filmabend. Filmproduktionen zu Martin Luther

Esther Wipfler (München), Der Wandel des Lutherbildes im Spielfilm

Norbert Haag (Stuttgart), Luther in Württemberg. Das Beispiel der Dekanatsberichte

Martin Treu (Wittenberg), Das Bild Luthers zwischen evangelischer Volksfrömmigkeit und deutschem Nationalbewusstsein