Aktuelle Forschungsdiskurse und -projekte VIII: Arbeitskreis geistliche Frauen im europäischen Mittelalter (AGFEM)

Aktuelle Forschungsdiskurse und -projekte VIII: Arbeitskreis geistliche Frauen im europäischen Mittelalter (AGFEM)

Organisatoren
Arbeitskreis geistliche Frauen im europäischen Mittelalter (AGFEM); Gisela Muschiol / Andrea Osten-Hoschek, Universität Bonn; Sigrid Hirbodian, Universität Tübingen
Ort
Hochstetten-Dhaun
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.03.2016 - 06.03.2016
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Von
Tobias Kanngießer, Köln

Vom 4. bis 6. März 2016 traf sich der „Arbeitskreis geistliche Frauen im europäischen Mittelalter“ zu seinem achten Workshop, um aktuelle Forschungsprojekte vorzustellen und vor dem Hintergrund gegenwärtiger Forschungsdiskurse zu erörtern. So konnten bei den vorgestellten Projekten Fragen und Probleme kritisch besprochen werden, um sie gewinnbringend für das eigene Vorhaben einzusetzen.

SARAH GLENN DEMARIS, (Valparaiso-University, Indiana) eröffnete den Workshop mit der Vorstellung eines neu entdeckten Schwesternbuches aus dem Kloster Zoffingen in Konstanz. Als Stifterin der Handschrift konnte sie Anna Muntprat aus Konstanz nachweisen, die ebenfalls großzügige Stiftungen bei den Dominikanerinnen in Sankt Gallen tätigte. Von dem Manuskript, das Anna Muntprat für das Kloster Zoffingen stiftete, gibt es zwei weitere bekannte Exemplare, die sich sich in Unterlinden, Colmar, und in der Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel, befinden. Das Exemplar in Colmar wurde von Katharina Gueberschwihr († 1345?) auf Latein verfasst. Bei der Wolfenbütteler Handschrift, so konnte DeMaris zeigen, handelt es sich um eine deutsche Übersetzung mit redaktioneller Überarbeitung von Elisabeth Kempf (1415–1485).

Ein Teilprojekt aus ihrem Habilitationsvorhaben stellte HANNA ZÜHLKE (Würzburg) vor. Sie untersucht Mechanismen der Repertoirebildung im Zuge der Hirsauer Reform. Im Mittelpunkt ihres Vortrages standen Gesangshandschriften aus dem Benediktinerinnenkloster Sankt Georg in Prag. Zühlke stellte die besonderen Parallelen zum Heiligenoffizium des Heiligen Otmar in Sankt Gallen heraus und wies auf handschriftliche Ergänzungen hin, die mit Anweisungen aus einem der Hirsauer Reformbewegung zugeordneten Liber Ordinarius übereinstimmen. Dieser noch sehr vage Befund ist schließlich mit anderen Handschriften aus dem Hirsauer Kreis zu vergleichen. Vor allem die Nachträge bedürfen laut Zühlke einer intensiven Untersuchung.

ANNEKE B. MULDER-BAKKER (Groningen) stellte eine auf Deutsch verfasste spirituelle Biografie aus dem 14. Jahrhundert vor. Entstanden ist der Text in Straßburg. Er beschreibt das Zusammenleben von zwei Frauen, die ihrem religiösen Ideal nachfolgend, in einer Gemeinschaft lebten, die geprägt war von Askese und einem Meisterin-Schülerin-Verhältnis. Beide Frauen waren weder Beginen noch gehörten sie einem Orden an. Die Biografie beschreibt eine städtische Spiritualität (Urban Spirituality) einer Gemeinschaft zweier geistlich lebender Frauen. Sie erlaubt einen Blick auf die verschiedenen Glaubens- uns Lebenskonzepte von religiösen Frauen im Umfeld der Bettelorden, wobei besonders die Franziskaner ein großes Interesse am Leben der beiden Frauen zeigten.

ANNE DIEKJOBST (Konstanz) und MICHAEL HOHLSTEIN (Konstanz) stellten in einem gemeinsamen Referat ein Missivbuch aus dem Kloster Sonnenburg vor, eine bereits bekannte Quelle, die sie für ihre jeweiligen Forschungen auswerten konnten. Das seit 1300 entvogtete Kloster musste sich seit diesem Zeitpunkt mit dem Problem beschäftigen, wer die Gerichtsbarkeit über das Kloster ausübte. Im 15. Jahrhundert sammelte die Äbtissin Verena von Stuben daher Kundschaften und Urkunden, um sie in einem Missivbuch zusammenzustellen. In dessen Zusammenhang stellten die beiden Referierenden auch ein Altarretabel mit dem Martyrium der Heiligen Ursula, welches die Äbtissin gestiftet hatte und in dem ihre politische Haltung zum Ausdruck kommt.

TABEA SCHEUBLE (Tübingen) und AGNES MÜLLER (Tübingen) rahmten ihre Vorträge durch eine kurze Einführung in den Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“. Grundlage des SFB-Vorhabens ist das Kenntlichmachen von Prozessen und Modellen des Re-Ordering.1 Aus ihrem Dissertationsprojekt nutzte Tabea Scheuble das Kloster Steinheim an der Murr als Fallbeispiel, um dieses Modell vorzustellen. Das Kloster sollte ab 1534 zwei Mal protestantisch reformiert werden, wogegen sich die Nonnen jedoch erfolgreich wehren konnten. Anhand der untersuchten Quellen konnte sie sowohl den Widerstand des Konventes als auch eine Selbstreflexion der Nonnen über ihren Stand zeigen. Zudem findet sich in den Quellen das Narrativ der „armen Frauen“, woraus Scheuble ein Bewusstsein der Nonnen für gesellschaftliche Stereotypen abliest. Das Modell des Re-Ordering konnte sie am Beispiel von Kloster Steinheim an der Murr verdeutlichen. Der sich daran anschließende Vortrag von Agnes Müller beschäftigte sich mit dem Kanonissenstift St. Stephan in Augsburg. Das im 10. Jahrhundert gegründete Stift war im 16. Jahrhundert ebenfalls von der Reformation betroffen, nachdem sich Augsburg der Reformation angeschlossen hatte. Die Kanonissen hingegen wollten bei ihrem alten Glauben bleiben und verließen 1537 für einige Jahre die Stadt. Das war eine Möglichkeit, die von Seiten des Rates eingeräumt wurde, sollten sich geistliche Institutionen nicht dem neuen Bekenntnis anschließen. Nachdem Augsburgs wieder den alten Glauben angenommen hatte, konnten die Kanonissen 1548 zurückkehren. Für das Kloster St. Stephan konnte Müller eine Reaktion der Bewohnerinnen auf die Bedrohung von außen feststellen. Eine interkommunitäre Reflexion der Situation konnte sie aus den bisher ausgewerteten Quellen nicht evozieren.

YVONNE ARRAS (Tübingen) stellte in Ihrem Vortrag eine Bildquelle vor, die sie im Rahmen ihres Dissertationsprojektes zum Kloster Kirchberg entdeckte. Zwar war das Bild bislang bekannt, jedoch nicht als eine Ansicht vom Kloster Kirchberg aus dem 17./18. Jahrhundert. Diese Druckgraphik ergänzt bereits bekannte Abbildungen des Klosters und schließt eine Lücke für die Zeit nach der Reformation. Das im Bauernkrieg zwei Mal geplünderte Kloster und der bis 1564 auf maximal sieben Konventualinnen zurückgegangene Konvent konnte ab 1564 mit zunächst 39 Dominikanerinnen aus Pforzheim ergänzt werden. Diese Nonnen brachten eine höhere Geldsumme in das Vermögen des Klosters ein. Damit konnten die verfallenen Konventsgebäude wiedererrichtet oder neu gebaut werden. Anhand der gefundenen Graphik können diese Baumaßnahmen genauer beschrieben werden. Der Hintergrund einer im 16. Jahrhundert errichteten Ostempore in der Klosterkirche bedarf einer weiteren Klärung.

Insgesamt zeigte der Workshop in gewohnter Weise die große Bandbreite von Forschungsprojekten zu geistlichen Frauen im Hoch- und Spätmittelalter. Der interdisziplinäre Charakter des Workshops erwies sich in den anschließenden Diskussionen erneut als äußerst ertragreich.

Konferenzübersicht:

Moderation: Sigrid Hirbodian, Tübingen

Sarah Glenn DeMaris, Valparaiso, Indiana: The Unterlinden Sisterbook. Introducing a New Manuscript

Moderation: Gisela Muschiol, Bonn

Hanna Zühlke, Würzburg: Beobachtungen zur liturgischen Gesangstradition des Benediktinerinnenklosters St. Georg in Prag

Anneke B. Mulder-Bakker, Groningen, Niederlande: A Laywoman writing a Spiritual Biography in the Strasbourg of the Franciscan and Dominican Lesemeister (c. 1340–45)

Anne Diekjobst und Michael Hohlstein, Konstanz: Das Monastische als Praxis

Moderation: Sigrid Hirbodian

Tabea Scheuble, Tübingen: Das Dominikanerinnenkloster Steinheim an der Murr während der Reformation: Ja und Amen?

Agnes Müller, Tübingen: Was mir und mein gotzhaus geschehen ist in der luterrei. St. Stephan in Augsburg während der Reformation

Yvonne Arras, Tübingen: Illustrierte Bemerkungen über Kirchberg, Pforzheim und ein Bild in Unterlinden

Anmerkung:
1 Vgl. <http://www.uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-923/forschungsprofil/modell-re-ordering.html> (11.05.2016).


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