Editing Documents in the Age of Technology - Principles and Problems

Editing Documents in the Age of Technology - Principles and Problems

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut London
Ort
London
Land
United Kingdom
Vom - Bis
26.04.2002 - 27.04.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Markus Moesslang, German Historical Institute 17 Bloomsbury Square London WC1A 2LP

Bearbeiter und Herausgeber von historischen Editionen fristen in der historischen Zunft in der Regel ein Schattendasein. Die Zwänge und Probleme, denen sie sich in ihrer täglichen Arbeit ausgesetzt sehen, werden nur selten zu Kenntnis genommen. Vor diesem Hintergrund entschied sich das DHI London, für die Bearbeiter und Herausgeber verschiedener Editionsprojekte aus Großbritannien und Deutschland einen Workshop zu veranstalten, um aktuelle Tendenzen und Entwicklungen historischer Editionen zu diskutieren. Gerade der Einzug neuer Medien und Technologien macht einen solchen Austausch dringender denn je.

Nach der Begrüssung durch Hagen Schulze (London) führte Sabine Freitag (London) in den Workshop ein. Anhand der Edition des DHI "British Envoys to Germany, 1816-1866/1914" erläuterte sie, inwieweit das Erscheinungsbild von Editionen durch eine Reihe von schwierigen aber auch notwendigen Entscheidungen festgelegt werde. Die Wahl des Themas, die Bestimmung von Benutzerkreis, Umfang und Projektdauer, die Festlegung editorischer Prinzipien und philologischer Ansprüche, die Entscheidung, ob ein Textkorpus gesamt oder in Auswahl veröffentlicht werden soll, und nicht zuletzt die Wahl des Veröffentlichungsmediums gelte es im Zuge eines jeden Editionsprojekts zu überdenken. Die editorischen Eingriffe müßten sich dabei am Ziel der jeweiligen Edition messen lassen. So wendet sich "British Envoys to Germany" als Auswahledition nicht nur an Experten, sondern auch an Studenten und interessierte Laien, die durch die Lektüre der englischsprachigen Gesandtenberichte einen Einstieg in die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts suchen. Bei allen Nachteilen gegenüber elektronischen Publikationsformen, der begrenzten Seitenzahl und dem limitierten Verbreitungsgrad, den hohen Produktionskosten und der langen Bearbeitungszeit, sei das gedruckte Buch immer noch ein geignetes Medium für Editionsprojekte dieser Art. Zwei Leitfragen des Workshops wurden damit von Sabine Freitag angesprochen: Zum einen die Frage, ob das technisch Machbare auch immer die sinnvollste Lösung ist; zum zweiten die Frage, inwieweit Zielsetzung und Wirkungsgrad von Editionen durch neue Veröffentlichungsmedien wie CD-ROM und Internet verändert werden.

Als erstes von acht britischen und deutschen Projekten, die am ersten Tag des Workshops vorgestellt wurden, präsentierte Fred Rosen (London) die in den 1960er Jahren begonnene und auf 65 Bände angelegte Edition der gesammelten Werke des Utilitaristen Jeremy Bentham (1748-1832). Rosen betonte, daß ein Projekt dieser Größenordnung neben seiner festen institutionellen Verankerung und finanziellen Absicherung vor allem auch die personelle Kontinuität der Bearbeiter erfordere. Gleichzeitig bringe es die lange Laufdauer mit sich, daß die Edition Veränderungen unterliege. Dazu zählt die in den 1980er Jahren getroffene Entscheidung, die Bände zentral zu erstellen und die Verwendung des sogenannten Bentham Template, das es ermöglicht, die Bände druckfertig herzustellen, ohne daß ein Copy-Editor/Lektor eingreift. Neue Technolgien spielen eine immer größere Rolle. Sie beinflussen zum einen den Bearbeitungsprozess - etwa bei der Erstellung von Indices -, zum anderen wird inzwischen die Edition auch auf CD-ROM und online herausgegeben. Um die möglichst große Verbreitung von Benthams Werk zu gewährleisten, werde über die Veränderung der editorischen Prinzipien - etwa die Übersetzung lateinischer Zitate - und den Einbezug neuer Medien hinaus im Umfeld des Editionsprojektes durch Zeitschriften, Konferenzen, Seminare und Vorträge und eine Bentham-Website die Rezeption und damit die Entstehung einer Forschungslandschaft gefördert.

Ein ähnliches forschungspolitisches Anliegen hat auch die von Jürgen Müller (Frankfurt) vorgestellte Edition "Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes". Ziel dieses 1988 initiierten Projektes sei es, die Geschichte des Deutschen Bundes durch eine möglichst breite und repräsentative Auswahl von Dokumenten auf eine neue Grundlage zu stellen und durch die Eröffnung ungewohnter Perspektiven die historische Forschung zu beleben. Ein solcher Anspruch stelle erhebliche Anforderungen an die Auswahl der Quellen. Die Archivarbeiten münden allerdings nicht nur in die Quellenedition. Parallel dazu werden von den Bearbeitern auf der Grundlage des edierten Materials umfassende monographische Darstellungen (1813-1830; 1830-1848/49; 1850-1866) verfasst. Nicht zuletzt hier finde die übergeordnete Zielsetzung der Edition, den Deutschen Bund als "föderative Nation" zu präsentieren, ihren Niederschlag.

In der anschliessenden Diskussion wurde auf zwei Aspekte hingewiesen, die auch in der Präsentation des dritten Editionsprojektes durch Ina Ulrike Paul (Berlin) thematisiert wurden: die Problematik von Auswahleditionen und, eng damit verbunden, die Frage nach einer "hidden agenda", die vor allem im Vergleich mit offenen und elektronischen Publikationsformen offenbar werde.

Für Ina Ulrike Paul, die ebenso wie Jürgen Müller auf die grundsätzliche Notwendigkeit von Quellenkritik und Transparenz von Methode und Edtionsprinzipien verwies, stellt eine zielgerichtete Auswahledition weniger einen Nachteil als eine Legitimation ihrer editorischen Tätigkeit dar. So sei es eines der Ziele der Edition "Regierungsakten im Herzogthum, Kurfürstenthum und Königreich Württemberg", gegen das Dogma der preußischen Historiographie anzugehen, wonach die Reformen in den Rheinbundstaaten von ihrem Nutzen für das hegemoniale Frankreich bestimmt worden seien. Wesentliches Merkmal des von Paul bearbeiteten Projektes ist die Synthese von Monographie und Edition. Die Reformpolitik Württembergs der Jahre 1797-1819 solle nicht nur durch Quellentexte dokumentiert, sondern durch eine ausführliche Einleitung und die Einführungen in die sieben thematisch geordneten Kapitel des Quellenteils bewertet und eingeordnet werden. Durch die weit über die bei normalen Quellensammlungen übliche Kommentierung, die die Edition auch als Monographie lesen lasse, werde dem prozessualen Charakter der Reformgesetzgebung Rechnung getragen und überdies der Vergleichbarkeit der württembergischen Reformen mit den übrigen Rheinbundstaaten ermöglicht.

Das Problem der "hidden agenda" wurde auch von Keith Hamilton (London) aufgenommen, der seinen Vortrag mit einem historischen Rückblick auf politisch motivierte editorische Großprojekte Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens einleitete. Ziel der von Hamilton vorgestelleten "Documents on British Policy Overseas" sei es dagegen, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Diplomatiegeschichte auf Basis britischer und ausländischer Archive zu fördern und damit die Voraussetzung für eine substantielle Debatte britischer Außenpolitik seit 1945 zu schaffen. Das offene Konzept ermögliche es, die ganze Bandbreite britischer Außenpolitik zu behandeln, aufgrund der begrenzten personellen und finanziellen Kapazitäten stelle es die Herausgeber aber auch vor das grundsätzliche Problem, eine kohärente Reihe ohne allzugroße inhaltliche Lücken herauszugeben und zugleich durch die Wahl der Themen den editorischen Aufwand zu legitimieren. Besondere Bedeutung komme dabei der Herausgabe von Dokumenten zu, die aufgrund der 30-Jahres-Sperrfrist für die Öffentlichkeit noch unzugänglich sind.

Die Frage der Legitimation der Edition verknüpfte Hamilton im zweiten Teil seines Vortrags mit methodologischen Überlegungen. Ausgehend von der Festellung, daß ein hoher Selektionsgrad einen hohen Annotationsbedarf mit sich bringt, der die Herausgabe der Bände zu einem zeit- und kostenintensiven Unterfangen macht, ging Hamilton auf die Möglichkeiten elektronischer Publikationsformen (CD-ROM) ein. Dabei stehe man vor der grundsätzlichen Frage, ob es sinnvoll sei, den bisherigen Weg der Auswahledition zu verlassen und für einen bestimmten Themenkomplex alle relevanten Quellentexte auf einer CD-ROM aufzunehmen. Hamilton schloß mit der Bemerkung, daß eine Edition, die nicht mehr zwischen Schlüsseldokumenten und Dokumenten sekundärer Bedeutung trennt, nur noch bedingt ihren Aufgaben als Hilfsmittel für weitere Forschungen und als Unterrichtsmittel gerecht werde.

Einer solchen Zielsetzung, wenngleich mit deutlicherem politischen Auftrag, sieht sich auch die zu Beginn der zweiten Sektion von Hanns-Jürgen Küsters (St. Augustin) vorgestellte Editionsreihe "Dokumente zur Deutschlandpolitik" verpflichtet. Dieses 1959 initiierte Großvorhaben beschränkte sich bis Anfang der 1980er Jahre auf die Sammlung und Veröffentlichung der offiziellen Dokumente zur Deutschen Frage aus den Jahren 1955-1966. Erst mit der Bearbeitung der Bände, die die Phase des Zweiten Weltkriegs behandeln und dieses Jahr abgeschlossen werden, wandelte sich sich der Charakter der Edition grundlegend zu einer Edition von unveröffentlichtem Archivmaterial. 1990 erfuhr das Editionsprojekt eine Zäsur in mehrfacher Hinsicht. Zum einen war der Endpunkt des Berichtszeitraums durch die Wiedervereinigung gegeben; zum zweiten ging die Herausgeberschaft nach der Auflösung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen an das Bundesinnenministerium über, und drittens wurde das Editionsprojekt durch die Grundsatzentscheidung des Innenmimisters, die Edition fortzuführen, politisch neu legitimiert. Die 1994 getroffene Enscheidung, eine neue Reihe (IV) zu beginnen, die die Jahre 1969-1982 abdeckt, sichert die Herausgabe weiterer Bände entlang der 30-Jahres-Sperrfrist. Um zukünftig die Bände schneller und zugleich kostengünstiger produzieren zu können, sei, so Küsters, vor kurzem das Editionskonzept geändert worden. Ohne die Zahl der einbezogenen Dokumente zu verringern, werde die Anzahl und der Umfang der Annotationen gekürzt und auf die umfangreiche Einleitung des Herausgebers verzichtet. Mit dem Hinweis, daß vor diesem Hintergrund auch elektronische Publikationsformen in Betracht gezogen würden, beendete Hanns-Jürgen Küsters seine Ausführungen.

Stärkere Berücksichtigung als bei den "Dokumenten zur Deutschlandpolitik" finden elektronische Medien in dem von Bärbel Holtz (Berlin) präsentierten Projekt "Protokolle des Preußischen Staatsministeriums". In dieser Edition werden ca. 5200 Protokolle der Jahre 1817-1934/37 chronologisch erfasst, in Regesten kurz zusammengefaßt und mit einer Reihe von relevanten Angaben (Archivsignatur, Namen der Teilnehmer, Beschlüsse und Hinweise auf Literatur) versehen. Kernstück sind die differenzierten und hierarchisch geordneten Register, die nicht nur nur auf die Regesten verweisen, sondern auch den Zugriff auf die Originalquellen ermöglichen, die - und das ist eine weitere Besonderheit dieser Edition - in einer Mikrofichevollverfilmung parallel veröffentlicht werden. Durch die Verwendung eines eigens entwickelten "Format"-Systems bei der Manuskriptherstellung, das die Umwandlung der Texte in ein XML-Format erlaubt, ist die Publikation der Edition in elektronischer Form und ihre Präsentation im World Wide Web möglich. Bislang liegen drei Bände auch auf CD-ROM vor.

Ein nicht weniger entwickeltes und ausschließlich in elektronischer Form vorhandenes Werkzeug zur Erschließung von historischen Quellen ist die "Clergy of England Database", die Arthur Burns (London) vorstellte. In dieser in wenigen Jahren über das Internet zugänglichen Datenbank werden sämtliche "clerical Careers in the Church of England" zwischen 1540 und 1835 erfaßt. Voraussetzung eines solchen Unternehmens sei zunächst die Entwicklung einer benutzerfreundlichen und gleichzeitig hochentwickelten relationalen Datenbank, in der sich die zahlreichen Variationen, die bei einem Projekt solcher regionaler Streuung und zeitlicher Spanne auftreten, integrieren lassen. Noch bemerkenswerter sei allerdings der dezentrale Einsatz geschulter Hilfskräfte, die in den zahlreichen Archiven mit Hilfe von zur Verfügung gestellten Laptop-Computern die Datensätze erheben. Die Einbindung lokaler (Amateur-)Historiker, deren Wissen und Vertrautheit mit Besonderheiten der lokalen Quellenbestände sich gewinnbringend für das Projekt nutzen ließe, ermögliche nicht nur eine vergleichsweise kurze Produktionsdauer. Zugleich würden auf diese Weise potentielle Interessenten der Datenbank frühzeitig in das Projekt eingebunden und garantierten damit von Anfang an seinen Ertrag.

Den Abschluß des ersten Tages und zugleich eine Überleitung zur folgenden Sektion des Workshops bildete Mark Greengrass (Sheffield) mit seinem Vortrag "Electrifying Texts". Greengrass schilderte anhand von verschiedenen Projekten, die am Humanities Research Institute der University of Sheffield angesiedelt sind, drei fundamentale Veränderungen durch den "elektronischen" Editionsprozess. Greengrass ging zunächst auf das Prinzip der "kaleidoscopic hierachisation" ein. Ein offenes und veränderbares Ordnungsprinzip sei nicht nur die Voraussetzung für den individuellen Zugriff des Benutzers auf den Text. Am Beispiel der Publikation der "Hartlib-Papers" auf CD-ROM im Jahr 1995 wies Greengrass auf die Notwendigkeit hin, daß bei der techischen Umsetzung dieser neuen Ordnungsform Inhalt (file content) und Form (file metadata) grundsätzlich voneinander unabhängig sein müßten. Ansonsten betsehe die Gefahr, daß ganze Editionen unbrauchbar würden. Als zweiten Punkt behandelte Greengrass die Frage von textual genetics. Am Beispiel von John Foxes "Book of Martyrs" illustrierte er, daß durch die Verwendung elektonischer Medien auch komplexe Werke in ihren Variationen und unterschiedlichen Ausgaben angemessen wiedergegeben werden könnten. Die Statik gedruckter Ausgaben werde somit überwunden. Als dritten und letzten Punkt stellte Greengrass die Konzeption sogenannter "textabases" vor. Wie Greengrass am Beispiel des Projekts "The Old Bailey Proceedings Online" zeigte, bietet die Einbettung einer "markup language" (SGML, XML) in den Text zahlreiche Möglichkeiten zur Erschliessung umfangreicher Quellenbestände. Notwendige Bedingung solcher technisch immer komplexer werdenden Projekte sei ihre institutionelle Absicherung, die eine langfristige Präsenz gewährleiste.

Die am ersten Tag des Workshop ansprochenen Aspekte von elektronischen Publikationsformen wurden in der dritten Sektion "The New Media" von Stuart Jenks (Erlangen-Nürnberg), Patrick Sahle (Köln) und Simon Renton (London) aufgenommen und vertieft. Aufgrund der immensen technischen Möglichkeiten gelte es, so Stuart Jenks, das Wesen von Editionen grundsätzlich zu überdenken. Bisherige editorische Konventionen würden nicht zuletzt obsolet, da "space" kein aus Kostengründen limitierender Faktor sei. Das Ideal einer elektronischen Edition sei es, dem Leser auf jede seiner Fragen eine Antwort zu geben. Möglich werde dies durch die komplette Neuorganisation der Information. Die Präsentation von Inhalten in neuen Medien müsse dabei eine genuine Aufgabe von Historikern sein, nicht von IT-Spezialisten. Nur Historiker könnten entscheiden, welche Informationen von potentiellen Benutzer gewünscht würden, und vermittelt werden sollten. Neue technische Möglichkeiten eröffneten Lösungswege für neue, innovative Fragen und damit einen heuristischen Fortschritt. Zu bedenken sei auch, ob sich das Forschungsinteresse durch neue technische Möglichkeiten verändere.

Verstärkt auf technische Aspekte ging Patrick Sahle ein. Die entscheidende Neuerung durch digitale Editionen sei die Trennung von Inhalt und Form. Im Gegensatz zum Herstellungsprozess traditioneller gedruckter Editionen könne und müsse bei digitalen Editionen zunächst der Inhalt im Mittelpunkt stehen. Ohne Rücksicht auf die technischen Grenzen und Kompromisse gedruckter Editionen gelte es nach den Strukturen der Dokumente, nach Benutzbarkeit und Zugriffsmöglichkeiten sowie nach sinnvollen Zusatzinformationen, die man als Herausgeber beisteuern könne, zu fragen. Grundsätzlich gehe es dabei um die Bedürfnisse der Benutzer. Technische Lösungsmöglichkeiten, um solche komplexe Anforderungen umzusetzen, böten platformunabhängige und standardisierte "markup languages". Sie ermöglichten es prinzipiell auch mehrere Editionen zu verküpfen und zusammenzuschließen. Als weiteren Vorteil führte Sahle an, daß digitalisierte Dokumente, die einer gemeinsamen Struktur unterliegen, verschiedene Publikationsinhalte und -formen erlauben; eine Edition könne also als gedrucktes Buch oder als Online-Publikation generiert werden. Sahle schloß mit einem Ausblick auf den zukünftigen Produktionsprozeß von Editionen. Während sich der Historiker mit inhaltlichen Aspekten einer Edition befassen werde, werde es Aufgabe des Medienexperten sein, ein professionelles "interface" (Buch, CD; Web-Seite) zwischen dem Inhalt und den Benutzern bereitzustellen.

Als dritter Referent der Sektion behandelte Simon Renton die Probleme, die sich bei der Durchführung fortgeschrittener digitaler Editionsprojekte einstellen können. Er nahm dabei den Fall von "1901 Census online" als Paradebeispiel dafür, was bei zukünftigen Projekten vermieden werden müsse. Die wichtigste Lehre, die Renton aus dem in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Kosten und eingeschränkten Funktionsfähigkeit heftig kritisierten Projekt des Public Record Office zog, ist die Notwendigkeit einfacher Datenstrukturen. Sie garantierten nicht nur Funktionstüchtigkeit, sondern seien auch zukunftsfähig. Daneben sei unbedingt darauf zu achten, den gesamten Digitalisierungsprozess zu dokumentieren, für den Benutzer transparent zu machen und gewissenhaft zu verwalten. Kommerzielle Interessen bei der Verwertung der elektronischen Editionen, wie sie in Großbritannien auch aus politischen Gründen bewußt gefördert würden, könnten für das Editionsprojekt kontraproduktiv sein. In diesem Zusammenhang wandte sich Renton gegen die zunehmende Marginalisierung von Historikern und Archivaren bei der Durchführung von Großprojekten.

Nach der Diskussion, in der unter anderem das Problem von "updates" und der Zitierweise elektronischer Editionen sowie die Einbindung von Faksimiles in Suchmaschinen erörtert wurden, eröffnete Markus Buth (Berlin) die letzte Sektion "Editing Documents and Public Archives". Nach einem Überblick über die Editionsprojekte des Bundesarchivs, für das die Herausgabe und Veröffentlichung von Akten zu den Hauptaufgaben gehört, ging Buth auf die Gründe für das Bundesarchiv ein, weiterhin editorisch tätig zu sein. So seien Quelleneditionen eine wichtige Hilfe für Archivbenutzer, die Archivaufenthalte vorbereiten und oftmals auch verkürzen könnten. In einigen Fällen wie den "Kabinettsprotokollen der Bundesregierung" sei die Veröffentlichung von Akten der einzige Weg, auf dem sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten. Darüber hinaus stünden Editionsprojekte des Bundesarchivs wie die Edition der Akten der Sowjetischen Militäradministration im Zusammenhang internationaler Koorperationen. Da die Akten, die in russischen Archiven lagern, in absehbarer Zeit nicht an Deutschland zurückgegeben werden dürften, diene das von deutscher Seite finanzierte Editions-Projekt als vertrauensbildende Maßnahme und dazu, daß die politische Diskussion um die deutschen Aktenbestände in Russland nicht abbreche. Als letzten Grund für das Engagement des Bundesarchivs bei Editionsprojekten nannte Buth das im Bundesarchivgesetz von 1988 festgelegte Ziel das Verständnis der Bürger für die freiheitlich demokratische Entwicklung in Deutschland zu fördern. Der Auftrag, Dokumente nicht nur für Wissenschaftler, sondern allen interessierten Bürgern zugänglich zu machen, erfordere es, weiterhin annotierte Editionen herauszugeben - und nicht wie von einigen Historikern gefördert, auf Kosten der Kommentierung eine größere Anzahl von Bänden zu produzieren. Mit den Aufgaben des Bundesarchivgesetztes vereinbar sei dagegen die Präsentation von Akten über das Internet, wie sie derzeit für die Edition der "Kabinettsprotokolle" vorbereitet wird.

In deutlichen Kontrast zum Vortrag von Markus Buth standen die Ausführungen von Aidan Lawes (Kew). Herausgabe und Publikation von Dokumenten, traditionell Schlüsselaufgaben des Public Record Office (PRO) und seiner Vorläuferinstitutionen, sind heute noch immer in den Statuten des PRO aufgeführt. Angesichts der steigenden Herstellungskosten und der Möglichkeiten neuer elektronische Medien müsse die Rolle von Editionsprojekten in der Arbeit des PRO allerdings grundsätzlich überdacht werden. Vor allem auch die große Zahl der Amateur und Familienhistoriker, die die Zahl der akademischen Archivbenutzer deutlich übertrifft, mache es notwendig, neue Wege zu einzuschlagen. Wie Lawes anhand mehrerer Beispiele illustierte, bergen elektronische Medien dabei zahlreiche Chancen, aber auch Risiken. Im Falle der "PROfiles 1964" (eine Auswahl von 150000 Abildungen von Kabinettsprotokollen und zentraler Regierungsakten auf CD-ROM) habe sich gezeigt, daß für das ambitionierte Projekt schlichtweg kein ausreichender Markt existiere. Vor der Initiierung eines Editionsprojektes müsse - so die Erfahrungen des PRO - zunächst nach den Wünschen der Benutzer, nach dem Medium und schließlich nach den Kosten gefragt werden. Eine Schlüsselrolle falle dabei den Verlagen zu, die nicht nur über bessere Marktkenntnisse verfügten, sondern auch das finanzielle Risiko übernehmen sollten.

Die Verschiebung der Prioritäten des PRO hin zum Benutzerkreis der Amateur- und Familienhistoriker habe dazu geführt, daß mit der Produktion von Büchern oder anderer Veröffentlichungen keine festangestellten Archivmitarbeiter mehr befaßt seien und alternative Finanzierungsmöglichkeiten gesucht werden müßten. Grundsätzlich gelte es zu fragen, inwieweit dadurch die Editionsaktivtäten des PRO beinflußt werden sollten. Daß extern finanzierte und in Kooperation mit privaten und öffentlichen Partnern durchgeführte Editionen gerade durch die Anwendung neuer Medien ein großes Potential hätten, erläuterte Lawes am Ende seines Vortrag am Beispiel des "Moving here"-Projektes. Ziel dieses Internetprojektes zur Immigration nach Großbritannien sei es, einem neuen Zielpublikum einen bislang unbekannten Zugang zu historischen Dokumenten zu ermöglichen.

Damit hatte Lawes einen Kernpunkt des gesamten Workshops aufgenommen, der auch in der abschließenden Diskussion angesprochen wurde. Durch neue Medien und insbesondere das Internet kann ein neues Publikum für historische Editionsprojekte gewonnen werden. Dabei gilt es noch stärker als bei traditionellen gedruckten Editionen, auf die Wünsche und Interessen der potentiellen Benutzer zu achten. Bei allen kontroversen Punkten waren sich die Teilnehmer des Workshop in einem einig: Die neuen technischen Möglichkeiten werden sich sowohl auf Produktions- als auch auf Publikationsseite immer stärker durchsetzen. Daß die Digitalisierung von Editionen in Großbritannien weiter fortgeschritten ist, mag nicht zuletzt an der stärkeren Marktorientierung der Institutionen britischer Wissenschaft und der Verlage liegen. Deutlich wurde aber auch, daß sich in Großbritannien und Deutschland die Mitarbeiter bestehender Editionsprojekte stärker als bisher als Experten bei der Realisierung digitaler Editionen einbringen müssen. Im Interesse einheitlicher Standards und wissenschaftlicher Unabhängigkeit sind dabei eine engere Zusammenarbeit und weitere Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene unverzichtbar.

Markus Mößlang (London)


Redaktion
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