Handel, Recht und Gericht in Mittelalter und Neuzeit. Die Reichsstadt Nürnberg im regionalen und europäischen Kontext

Handel, Recht und Gericht in Mittelalter und Neuzeit. Die Reichsstadt Nürnberg im regionalen und europäischen Kontext

Organisatoren
Gesellschaft für Bayerische Rechtsgeschichte; Arbeitskreis Handelsrechtsgeschichte; Stadtarchiv Nürnberg; Bildungszentrum Nürnberg
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.07.2018 - 07.07.2018
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Von
Felix Grollmann

Die Gesellschaft für Bayerische Rechtgeschichte (für welche die Veranstaltung die 14. Jahrestagung bildete), der Arbeitskreis Handelsrechtsgeschichte, das Stadtarchiv Nürnberg und das Bildungszentrum Nürnberg luden Interessierte in die Stadt Nürnberg ein, um im Schönen Saal des Rathauses (Wolff'scher Bau) die kommunale Handelsrechtsgeschichte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zu behandeln. Damit war ein passender Ort für die Tagung ausgewählt, waren Mitglieder des (großen und inneren) Rats der Reichsstadt Nürnberg doch in breitem Umfang mit Rechtsprechung betraut. Ziel der Veranstaltung war es, „mit einem interdisziplinären und überregionalen Ansatz […] Fragen der städtischen Handelsgerichtsbarkeit und des Handelsrechts mit ihren Auswirkungen auf Stadt- und Wirtschaftsgeschichte zur Sprache“ 1 kommen zu lassen.

Im instruktiven Vortrag führte WALTER BAUERNFEIND (Nürnberg) vom Stadtarchiv systematisch in die Organisation des Gerichtswesens in Nürnberg ein. Dabei erläuterte er diverse Funktionsverschränkungen zwischen Gerichtswesen und sonstigem Ämterwesen der Reichsstadt. Eine gewisse Gleichheit der Bürger vor den Gerichten sei manchmal durch informellen Einfluss durchbrochen worden. Bezüglich der Gerichtsbarkeit wurde insbesondere das im Nürnberger Stadtrecht geregelte Ruggericht vorgestellt.

Zu kaufmännischen Gutachten und insbesondere deren Normativität trug ANJA AMEND-TRAUT (Würzburg) vor. Hierzu führt die Referentin das DFG-Projekt „Die Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit. Handelsgerichtliche Gutachten in der Frühen Neuzeit“ durch. Diese unter dem Namen Parere bekannten Werke seien zunächst für den Einzelfall erstellt worden, hätten aber bald eine breitere Rezeption erfahren. Bei ähnlicher Struktur hätten sich die Gutachten hinsichtlich des Entstehungskontexts und der Funktion unterschieden. Sie seien entweder auf einseitige Sachverhaltsschilderung hin ergangen oder hätten Rechtsauskunft zu einem übereinstimmend vorgetragenen Vorgang gegeben. Mit ihnen sei die unmittelbare Erledigung eines Konflikts oder die Erschaffung eines Beweismittels für ein anhängiges Verfahren bezweckt worden. Damit sei eine Rationalisierung des Gerichtsverfahrens verbunden gewesen.

Im Vortrag des Wirtschaftshistorikers ANDREA BONOLDI (Trient) stand der Bozner Merkantilmagistrat im Mittelpunkt. Dies sei ein paritätisch mit deutschen und italienischen Kaufleuten besetztes Gericht für Handelssachen gewesen, welches in Reaktion auf die Internationalität sowie die besonderen Bedürfnisse der Bozner Messebesucher nach schneller und effizienter Verfahrenserledigung gegründet worden sei. Mittels einer quantitativen Datenanalyse wurde u.a. herausgearbeitet, dass die Prozesse im Hinblick auf die Herkunft der Parteien ausgewogen entschieden worden seien.

Mit Regensburg wurde im Referat von HANS-JÜRGEN BECKER (Regensburg) eine weitere Kommune des heutigen Freistaats Bayern mit eigenstaatlicher Geschichte zum Gegenstand der Tagung gemacht. Das Augenmerk galt hierbei dem ab 1184 nachweisbaren Hansgrafen, dessen Amt 1810 abgeschafft wurde. Er und seine Behörde seien insbesondere mit der Entscheidung bei Handelsstreitigkeiten befasst gewesen. Aufgrund dieser langen Existenz ließ sich vom Hansgrafen ausgehend ein Längsschnitt durch die Regensburger Handelsrechtsgeschichte ziehen. Der Referent hob etwa die kaiserlichen Privilegien aus dem 13. Jahrhundert hervor, die es der Bürgerschaft gestatteten den Hansgrafen frei zu wählen, sowie den Erlass einer eigenen Ordnung durch Rat und Hansgrafen und dessen Einbindung in die Durchsetzung policeyrechtlicher Bestimmungen.

Im öffentlichen Abendvortrag schilderte GEORG SEIDERER (Nürnberg) die Entwicklung einer besonderen Handelsgerichtsbarkeit in Nürnberg zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Die Rechtsgrundlagen sowie die institutionelle Ausformung der Gerichtsbarkeit wurden hierbei ausgebreitet. Dabei machte der Referent eine differenzierte Gerichtslandschaft mit Stadtgericht, Marktvorstehern, Bancoamt und (ab 1697) Mercantil- und Bancogericht sichtbar. Als typisch angesehene Merkmale einer kaufmännischen Gerichtsbarkeit, wie Laienbeteiligung und Prozessbeschleunigung, wurden im Vortrag berührt. Noch 1818 wurde, als Nürnberg seine Stellung als Reichsstadt bereits verloren hatte, ein Handelsappellationsgericht in der Stadt gegründet; wohl als Konzession an die dortige Gerichtstradition.

Das Verhältnis der Kanonistik zur Wirtschaft wurde durch MATHIAS SCHMOECKEL (Bonn) beleuchtet. Kritisch setzte sich der Referent mit gängigen Vorstellungen von der wirtschaftlichen Rückständigkeit der mittelalterlichen lateinischen Kirche und Max Webers These vom Zusammenhang von Protestantismus und Kapitalismus auseinander. Immerhin habe im 12. und 13. Jahrhundert die sogenannte Commercial Revolution stattfinden können. Von der mittelalterlichen Moraltheologie entwickelte Ausnahmen zum biblischen Wucherverbot hätten in diesem Bereich eine gewisse Sicherheit gestiftet. Kanonisten hätten ebenso einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung geleistet und, ohne die heutigen Begriffe zu gebrauchen, habe die Kanonistik im 16. Jahrhundert sogar das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage dem Sinn nach beschrieben.

Zur Handelsrechtsgeschichte im weiteren Sinne zählt auch die Geschichte des Wirtschaftsstrafrechts, weshalb STEFANIE LEBERLE (Stuttgart) über Strafbarkeit und Strafverfolgung in den Reichsstädten Augsburg, Nördlingen und Memmingen vortrug. Sie äußerte sich hierbei kritisch zur Auffassung, dass das Wirtschaftsstrafrecht erst eine Frucht des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Die Referentin stellte mittels eines systematischen Vergleichs der genannten Reichsstädte diverse Thesen auf. So sei in Nördlingen und Memmingen ein gewohnheitsrechtlicher Betrugstatbestand vorhanden gewesen. Tendenziell habe die Gläubigerbefriedigung Vorrang vor dem obrigkeitlichen Strafanspruch genossen.

Mit der Konfliktregulierung mittels der Parere wurden im Vortrag von CHRISTOF JEGGLE (Würzburg) zusätzliche Aspekte zu einem schon auf der Tagung vorgestellten Quellenbestand dargelegt. Der Referent ist Projektmitarbeiter beim bereits angesprochen DFG-Projekt unter der Leitung von Anja Amend-Traut. Nachdem der Vortragende die Topographie der Märkte in Nürnberg erläutert hatte, grenzte er die Zuständigkeit der Marktvorsteher im Marktgewölbe, des Bancoamts und des Stadtgerichts voneinander ab. Zur Demonstration der Ergiebigkeit der in 13 Bänden versammelten (nebst einigen einzeln überlieferten) Parere wurde ein Gutachten im Bereich des Wechsels besprochen. Dabei machte er deutlich, dass sich das Gutachten nicht direkt auf Schriftrecht bezog, sondern als wesentliche Referenz den Kaufmanns- oder Merkantilstil angeführt habe.

Im abschließenden Referat von PHILIPP HÖHN (Frankfurt am Main) wurde mit dem Hanseraum ein klassischer Bereich der Handelsrechtsgeschichte berührt. In Lübeck habe sich kein spezifisches Handelsgericht herausgebildet, sondern dort seien vier Gerichte auch mit Handelssachen beschäftigt gewesen. Der Referent näherte sich der Konfliktregulierung unter kritischer Auseinandersetzung mit modernisierenden Prämissen, wie etwa der (nicht nur die Wirtschaftswissenschaften dominierenden) Annahme des Kaufmanns als eines rationalen Akteurs, der sich freie Wirtschaftsräume erschließen wolle. Um ihr Agieren einzuordnen, müsse man auch Netzwerke und uns heute fremde Zielsetzungen berücksichtigen. Es habe nicht unbedingt ein großes Interesse an einer Entscheidung geherrscht, sondern wichtiger sei die Signalisierung fortbestehender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gewesen.

Als besonders fruchtbar erwies sich die Tagung, weil sie die Betrachtung nicht nur auf eine bestimmte Reichsstadt konzentrierte, sondern diese mit Untersuchungen anderer Reichs- bzw. Freien Städte wie Regensburg, Lübeck oder Augsburg verband. Damit konnte in die Tiefe vorgedrungen werden, ohne zugleich die überregionale Perspektive zu vernachlässigen. So ist die Vorstellung, dass Kaufleute gerade aus Gründen der Effizienz stets ein spezielles Gericht benötigen und daher auch wollten, zweifelhaft. Eine naturgesetzliche Zwangsläufigkeit war die Einrichtung von Kaufmannsgerichten an Handelsorten, wie das Beispiel Lübeck lehrt, ohnehin nicht. Dass gerade die eher nicht als wirtschaftsfreundlich geltende lateinische Kirche des Mittelalters durch Moraltheologie und Kanonistik zur europäischen Wirtschaftsentwicklung beitrug, ist ebenfalls eine regional übergreifende Erkenntnis. Bezüglich der Reichsstadt Nürnberg lag ein besonderer Schwerpunkt auf den Parere, deren Erforschung weitere Einsichten in die kaufmännische Gerichtsbarkeit verspricht. Hierzu dürfte es aus rechtsgeschichtlicher Sicht besonders reizvoll sein, den sogenannten Kaufmanns- und Merkantilstil als Argumentationsgrundlage der Gutachten inhaltlich fassbarer zu machen. Dabei wird die vom oben erwähnten DFG-Projekt anvisierte Erstellung einer Datenbank weitere Forschungen erleichtern. Abschließend sei noch auf die Breite der angewandten methodischen Zugänge, wie etwa die Institutionen-, die Dogmengeschichte, die quantitative Datenanalyse oder die historische Netzwerkanalyse, hingewiesen. Ein weiterer Austausch verspricht Wissenszuwachs, ohne dass man vorschnell allerorts Synergieeffekte erblicken sollte.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Walter Bauernfeind (Nürnberg)
Anja Amend-Traut (Würzburg)
Hans-Georg Hermann (München)

Sektion I

Moderation: Hans-Joachim Hecker (München)

Walter Bauernfeind (Nürnberg): Handelsrecht und Gerichtswesen der Reichsstadt Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert

Anja Amend-Traut (Würzburg): Kaufmännische Gutachten Nürnberger Provenienz. Wege zur Normativität

Sektion II

Moderation: Hans-Georg Hermann (München)

Andrea Bonoldi (Trient): „La dignità della giudicatura ... conferita a mercanti“. Recht und Handel zwischen Italien und Deutschland am Beispiel des Bozner Merkantilmagistrats (1635–1851)

Hans-Jürgen Becker (Regensburg): Zur Geschichte der Regensburger Handelsgerichtsbarkeit

Öffentlicher Abendvortrag

Georg Seiderer (Erlangen-Nürnberg): Vom Handelsvorstand zum Handelsappellationsgericht. Nürnberger Handel und Handelsgerichtsbarkeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert

Sektion III

Moderation: Albrecht Cordes (Frankfurt am Main)

Mathias Schmoeckel (Bonn): Von der Subsistenzwirtschaft zur Gewinnorientierung

Stefanie Leberle (Stuttgart): Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Wirtschaftskriminalität in den frühneuzeitlichen Reichsstädten Augsburg, Nördlingen und Memmingen

Sektion IV

Leitung: Anja Amend-Traut (Würzburg)

Christof Jeggle (Würzburg): „Wieder kauffmanns brauch und wechselrecht gehandelt“? Die Regulierung von Konflikten unter Kaufleuten im 17. und 18. Jahrhundert mittels Nürnberger Parere

Philipp Höhn (Frankfurt am Main): Kaufmännische Expertise? Juristische Spezialisierung? Vergleichende Überlegungen zu Praktiken der Konfliktregulierung von Handelsstreitigkeiten in Hansestädten (1350–1550)

Schlussdiskussion

Leitung: Hans-Georg Hermann (München)

Anmerkungen:
1 Christof Jeggle, Ankündigung zu: Handel, Recht und Gericht in Mittelalter und Neuzeit. Die Reichsstadt Nürnberg im regionalen und europäischen Kontext, 06.07.2018 – 07.07.2018 Nürnberg, in: H-Soz-Kult, 24.05.2018,
http://hsozkult.de/event/id/termine-37369 (29.07.2018).


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Deutsch
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