HT 2018: Der Kalte Krieg als Chance. Handlungsspielräume im geteilten Berlin

HT 2018: Der Kalte Krieg als Chance. Handlungsspielräume im geteilten Berlin

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Nikolai Okunew, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)

Die Meistererzählungen des Kalten Krieges zeichnen die Epoche geprägt durch einen globalen Machtkampf zweier Großmächte, deren jeweilige Verbündete diesen Konflikt auch auf lokaler Ebene entsprechend der Logik der Blockkonfrontation austrugen. In den letzten Jahren verschob sich der Fokus immer deutlicher auf die Akteur_innen on the ground, die dieser Logik zuwider liefen oder deren Handlungsmotive sich dem dichotomen Verständnis des Konflikts entzogen. Im Panel sollten Akteur_innen dieser Art im geteilten Berlin, das als „Reichshauptstadt“, „Hauptstadt des Sozialismus“ sowie „Frontstadt“ im 20. Jahrhundert mehrfach gebrochen wurde, untersucht werden. Der Systemkonflikt wurde hier von den Akteur_innen nicht nur erduldet, sondern auch für die eigenen Ziele brauchbar gemacht.

KONRAD JARAUSCH (Chapel Hill) eröffnete das Panel mit knappen Worten und sorgte auch im weiteren Verlauf gewohnt souverän dafür, dass sich alle Beteiligten angenehm kurz fassten. Berlin, so Jarausch in seiner Einführung, sei durch die zentralen Krisen 1948, 1961 und 1989 weiterhin das Symbol für den Kalten Krieg und dessen Ende und nicht zuletzt deswegen Touristenmagnet. Im Kontext einer globalisierten Historiographie des Kalten Krieges rücke Berlin aber, etwa aus der Perspektive des globalen Südens, zunehmend an den Rand der Darstellungen. Dabei eigne sich Berlin weiterhin dazu, die „kulturelle Dimension der Systemkonkurrenz“, systeminterne Konflikte und systemübergreifende Kooperationen zu untersuchen. Hier könne der Beitrag der Stadt und Europas zur Überwindung des Kalten Krieges herausgearbeitet werden. Solch eine das Globale und das Lokale verbindende Problemgeschichte werde, so bedauerte Jarausch, bisher in Berlin nicht entsprechend musealisiert.1

SCOTT KRAUSE (Berlin) begann den auf seiner Dissertation basierenden Beitrag mit der zentralen These, dass das zerstörte Berlin „in einer koordinierten transnationalen PR-Kampagne“ neu definiert wurde. Einen Ruhepunkt habe es für Berlin nicht gegeben: Unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen habe sich der symbolische Konflikt um und in der Stadt entfaltet. Insbesondere Bürgermeister Reuter habe sich mit der Hilfe zahlreicher Remigranten eingebracht und Berlin als „Vorposten der Freiheit“ vermarktet. Scotts integrierte Perspektive nahm – ganz im Sinne der Bemerkungen Jarauschs – die „Wirkmächtigkeit lokaler Stimmen“ in den Blick. Diverse Berlin-bezogene PR-Kampagnen untersuchte Krause im Vortrag auf drei Ebenen: der Verknüpfung des Freiheitsnarrativs mit den Autobiographien der Propagandisten, die Strategien, die den Berliner_innen den „Vorposten der Freiheit“ plausibel machen sollten und die Präsentation Berlins als „progressive Musterstadt“, die innerhalb der SPD als Argument für die Westbindung fungiert habe. Anhand von Hans Emil Hirschfeld zeigte Krause, wie sich bereits während des Krieges antifaschistische Migrantennetzwerke zu antitotalitären wandelten und Kontakte knüpften, die ihnen nach 1945 zu verantwortlichen Positionen in West-Berlin verhalfen. In diese Netzwerke war auch Willy Brandt eingebunden, der die eigene Biografie eng mit der Erzählung der Frontstadt Berlin verband und nicht zuletzt damit einen Popularitätsschub erhielt, der die SPD auch für Milieus außerhalb der Arbeiterschaft wählbar machte. Überhaupt legt Krause den Fokus stark auf die SPD, die vor der Neuen Ostpolitik aus dem Schöneberger Rathaus eine „neue Westpolitik“ betrieben und damit auch dem Godesberger Programm vorgegriffen habe. Damit habe sie, so Krause überzeugend, Berlin „als (das) alternativ(e) Labor deutscher Demokratisierung“ etabliert, wozu insbesondere das historische Phänomen des Antitotalitarismus beigetragen habe. Nicht zuletzt durch dieses hätten West-Berliner den Frontstadtmythos auf sich selbst angewendet und sich auf der Seite der Freiheit verortet.

Mit STEFANIE EISENHUTH (Potsdam), die ebenfalls Aspekte ihrer Promotionsschrift vortrug, blieb das Publikum in der Frontstadt West-Berlin. Hier erschien einst in einem Lexikon der alternativen Szene Berlins der satirischen Eintrag „Jubelberliner“. Das seien Berliner, die zu besonderen Anlässen, insbesondere Besuchen amerikanischer Präsidenten, „kameragerecht zum Jubeln antreten“ würden. An diesem kurzen Beispiel ließen sich für Eisenhuth bereits zentrale Punkte ableiten: Die besondere Bindung an die USA, die West-Berlin zugeschrieben wurde, eine gewisse Spaltung der West-Berliner Stadtgesellschaft und ein historischen Wandel weg von der kollektiven Selbstidenfikation als Frontstadtkämpfer für die westliche Welt. Auch in diesem Vortrag wurden somit systeminterne Konflikte – hier im Dreieck Senat, West-Alliierte und West-Berliner Bevölkerung – zentralisiert. Mit Bezug auf Gerd Koenen wurde gleich zu Beginn auf die wichtige Unterscheidung zwischen alteingesessenen, eher westgebundenen Berlinern und amerikakritischen Neuberlinern hingewiesen. Spätestens als im Zusammenhang mit Protesten gegen den Vietnamkrieg beide Seiten erfolgreich zu Großdemonstrationen aufriefen, kam es innerhalb der Bevölkerung zum offenen Dissens, in dessen Folge Demonstrierende rund um die Technische Universität etwa als „Unberliner“ bezeichnet wurden. Anders, und zwar zum eigenen Vorteil, nutzte der Berliner Senat die Anwesenheit der Amerikaner in der Stadt, als um 1980 das Stadterneuerungsprogramm mithilfe des Besatzungsrechts durchgesetzt wurde. Dadurch richtete sich der Unmut der Bevölkerung zumindest teilweise gegen die Amerikaner und nicht gegen den Senat. Gleichzeitig wurden zeitraubende Bürgerbeteiligungsverfahren vermieden. Gruppen der Bürgerbewegung, die in den 1980er-Jahren Kritik an diesem Vorgehen äußerten, wurden wiederum des Antiamerikanismus bezichtigt, was zumindest in der Altberliner Bevölkerung ein gewichtiger Vorwurf war. Der stadtinterne Gegensatz habe sich nicht zuletzt bei (Gegen-)Demonstrationen zu Staatsbesuchen deutlich gezeigt: Waren in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die Straßen Berlins während der Besuche von US-Präsidenten noch von „Jubelberlinern“ geprägt, so tauchten spätestens bei den Visiten Reagans en masse kapitalismuskritische „Antiberliner“ auf. Schichtübergreifend nahm allerdings letztlich in der gesamten Stadt die Sorge um Frieden und Sicherheit zu, was auch dazu führte, dass der „Frontstadtgeist“ ab den späten 1970er-Jahren nicht mehr die alten Mobilisierungseffekte erzielen konnte. Studentische Gruppen und die Umweltbewegung aber hätten den alten Mythos allerdings in der abgewandelten Form der „Friedensstadt“ mindestens bis zum Mauerfall am Leben gehalten.

Nach dem Aufenthalt im Westen Berlins führte HANNO HOCHMUTH (Potsdam) das Auditorium zumindest zeitweise in den Osten der Stadt. Hochmuth lenkte den Blick nämlich auf evangelische Pfarrer beiderseits der Mauer. Trotz des hohen Säkularisierungsgrades Berlins könne man über diese Gruppe die Handlungsmacht lokaler Akteur_innen im Kontext des Kalten Krieges besser verstehen. Zunächst zum Westen: Die Kreuzberger Kirchen avancierten in den 1970er-Jahren zu zentralen Akteurinnen in den Auseinandersetzungen über die – bereits oben angesprochenen – Sanierungspläne der Stadt Berlin. Vorausgegangen sei dem ein „diametraler Wandel des kirchlichen Selbstverständnisses“. Gegründet als „Trutzburgen“ im proletarisch geprägten geografischen Osten der Stadt, waren sie lange Fremdköper im Kiez gewesen. Stadtteilung und Kirchenaustritte sorgten zusätzlich nach 1945 für eine Schwächung der Gemeinden. Als Antwort darauf hätten Pfarrer wie Klaus Duntze die evangelische Kirche „im Geiste der Zivilgesellschaft“ und unter dem Einfluss der Ideen des amerikanischen „community developments“ neu erfunden und zu kritischen Begleitern der Stadterneuerung gemacht. Gleichzeitig öffneten sich Kirchen – auch durch bauliche Maßnahmen – etwa für Konzerte und wurden somit zu „Kiezkirchen“. Die Geschichte der Kirchen in Friedrichshain, im auch politischen Osten, verlief lange Zeit ähnlich wie die der Kreuzberger. Auch hier hätten nach dem Krieg die Gemeinden mit „Entkirchlichung und radikalen städtebaulichen Maßnahmen“ zu kämpfen gehabt. Und auch hier verstärkte man die (sozialdiakonische) Arbeit im „Kiez“ und bemühte sich insbesondere um unangepasste Jugendliche. Am weitesten ging dabei wohl Pfarrer Eppelmann mit der Einrichtung von „Musik-Gottesdiensten“, den sogenannten Blues-Messen. Diese neue Form der Kirchenöffentlichkeit habe letztlich zentralen Akteur_innen der Friedlichen Revolution Räume zur Vernetzung geboten. Zusammenfassend hätten sich Kirchen in beiden Bezirken nach dem Krieg am Rande der Gesellschaft befunden und sich aus dieser Position neu erfunden und zwar als Kritiker des Staates im Osten bzw. der Kommunen im Westen. Der Grad dieses Engagements sei dabei wesentlich bedingt von den konkreten Pfarrern gewesen. Gemein sei beiden kirchlichen Öffentlichkeiten, dass sie im Verlauf auch außerkirchliche Kreise erreichten und Einfluss auf Transformationsprozesse nahmen, ohne, dass dabei der Prozess der Entkirchlichung aufgehalten werden konnte oder grenzüberschreitende Kooperationen zustande kamen. Die durch den Mauerbau bedingte Teilung der Gemeinden sei außerdem bis heute spürbar: „Die Zeit der Trennung […] wog schwerer als die lange gemeinsame Kiezgeschichte.“

ANDREAS ETGES (München) wies in seinem Kommentar zunächst auf die zurückliegende West-Berlin- und die kommende Ost-Berlin-Ausstellung im Ephraim-Palais hin. Weitgehend überzeugt von den drei Vorträgen mahnte Etges, die Frage nach den sich wandelnden Handlungsspielräumen der Akteur_innen zu stellen. Er setzte außerdem hinter den Haupttitel der Sektion ein Fragezeichen und merkte an, dass der Kalte Krieg in Ost-Berlin, wenn überhaupt, nur sehr bedingt als Chance verstanden werden konnte. Außerdem müsse man zwischen Ereignissen unterschieden, die durch den Kalten Krieg bestimmt waren, und jenen, bei denen er nur den Hintergrund dieser Entwicklungen darstellte.

Die Sektion bewies eindrücklich, dass Großerzählungen nur limitiert zur genauen Erklärung lokaler Ereignisse herhalten können. In der Nahaufnahme werden die Entwicklungen schnell rhizomatisch, verflochten, unübersichtlich und eben dadurch interessant. Dem drohenden Chaos bei der Betrachtung wurde durch die, sicherlich geplanten, erfreulichen Synergien der Vorträge vorgebeugt. Letztlich zeigten die Vortragenden überzeugend, wie ‚glokale‘ Geschichtsschreibung auch in bereits gut erforschten Orten und Zeiten funktionieren kann. Mancherorts hätte man sich eine Einordnung in theoretische Debatten gewünscht, wobei diese Leerstelle hier zu Gunsten der Übersichtlichkeit und Kompaktheit der Vorträge durchaus zu verschmerzen war.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Hanno Hochmuth (Potsdam) / Konrad H. Jarausch (Chapel Hill)

Konrad H. Jarausch (Chapel Hill): Einführung

Scott Krause (Berlin): Propagandisten der Freiheit. Transatlantische Kampagnen zur Neudefinition West-Berlins im Kalten Krieg, 1941-1961

Stefanie Eisenhuth (Potsdam): Von der Frontstadt zur Friedensstadt? West-Berliner Deutungskämpfe in den 1970er und 1980er Jahren

Hanno Hochmuth (Potsdam): Kirche, Kiez und Kalter Krieg. Wie sich die evangelische Kirche im Zeichen des Systemkonflikts neu erfand

Andreas Etges (München): Kommentar

Anmerkung:
1 Ralf Schönball, Baubeginn am Checkpoint Charlie soll am 9. November 2019 sein, in: Tagesspiegel, 02.08.2018, https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlin-mitte-baubeginn-am-checkpoint-charlie-soll-am-9-november-2019-sein/22870850.html (11.10.2018).


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