HT 2018: Das spanische „Amerika-Monopol“ in der Frühen Neuzeit

HT 2018: Das spanische „Amerika-Monopol“ in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
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Von
Jutta Wimmler, Professur für Vergleichende Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Europa-Universität Viadrina

Die Vorstellung, dass sich der Überseehandel der Frühen Neuzeit innerhalb der Grenzen einzelner imperialer Räume abgespielt hat, wird bereits seit langem in Zweifel gezogen. Die im 19. und 20. Jahrhundert verbreitete Tendenz, die Geschichte englischer, holländischer, französischer oder spanischer „Kolonialräume“ zu schreiben, hat allzu oft einen realistischen Blick auf die alltäglichen Praktiken und die Logistik des Handels verstellt. Einer der Gründe für diese historiographische Tendenz ist allerdings darin zu finden, dass mit den (von den Nationalökonomen sogenannten) „merkantilistischen“ Wirtschaftstheorien der Frühen Neuzeit eine Ideologie solch abgeschlossener Systeme existierte. Dem Kontrast zwischen Theorie und Praxis widmete sich die hier vorgestellte Sektion am Beispiel des sogenannten „Amerika-Monopols“ Spaniens. Ausgehend von der Hypothese, dass die spanisch-amerikanischen Kolonien als offener Kommunikations- und Handelsraum zu verstehen sind, untersuchten die drei Vorträge die Handelspraxis „ausländischer“ Akteure innerhalb dieses de jure geschlossenen Systems. Anstatt dabei von einem Scheitern rechtlicher Regelungen auszugehen, konstatierten die drei Vortragenden eine Wechselwirkung zwischen Gesetz/Theorie und Praxis, die letztlich für beide Seiten von Vorteil war.

In seiner Einleitung stellte KLEMENS KAPS (Wien) knapp den Begriff des spanischen „Amerika-Monopols“ vor, das Kaps zufolge der Strukturierung und Aufrechterhaltung imperialer Herrschaft diente. Darunter seien gefallen: erstens die staatliche Kontrolle über die Ansiedelung von Menschen in den amerikanischen Kolonien, zweitens die Aufrechterhaltung kultureller Homogenität, drittens die Kanalisierung des amerikanischen Edelmetalls durch die spanischen Häfen Sevilla und Cádiz zum Zwecke der Besteuerung, viertens die Sicherstellung der Kommunikation zwischen Spanien und den Kolonien und schließlich fünftens das Ausschalten englischen und holländischen Einflusses. Die gesetzliche Schließung des spanisch-amerikanischen Wirtschaftsraumes ist Kaps zufolge als eine Reaktion auf die Existenz eines freien, durchlässigen Raumes zu verstehen. Dennoch sei der spanische Kolonialhandel immer auf externe Waren und Kapital angewiesen gewesen, weswegen gerade Punkt fünf – der Ausschluss „ausländischer“ Akteure vom Handel mit Spanisch-Amerika – in der Praxis nicht durchsetzbar gewesen sei. Da dies auch den Theoretikern und dem Gesetzgeber nicht entgangen sein wird, stellen die Vortragenden die berechtigte Frage: Wozu das Ganze?

Für den Handel Sevillas im 16. und 17. Jahrhundert zeigte EBERHARD CRAILSHEIM (Madrid) den rechtlichen Rahmen auf, in dem sich „Ausländer“ im spanisch-amerikanischen Raum bewegten. De jure sei deren Handlungsspielraum seit der Mitte des 16. Jahrhunderts stark eingeschränkt gewesen: Offiziell durften nur Untertanen der Krone von Kastilien mit Amerika handeln sowie in diesem Raum reisen. Selbst für bereits in Amerika lebende „Ausländer“ galten Crailsheim zufolge diese Handelsverbote; Untertanen, die „Ausländern“ bei der Umgehung dieses Verbots halfen – zum Beispiel indem sie als Strohmänner fungierten – drohten ebenfalls hohe Strafen. Dass dieser rechtliche Rahmen in der Praxis nie vollständig umgesetzt wurde, veranschaulichte Crailsheim anhand von Zitaten des Gelehrten Sancho de Moncada, der sich 1619 über die Dominanz der „Ausländer“ im spanischen Amerikahandel beschwerte. Dies habe nicht nur daran gelegen, dass das Verbotssystem durchaus Ausnahmen und Grauzonen kannte – etwa um einen anders nicht deckbaren Bedarf in den amerikanischen Kolonien zu befriedigen – , die man geschickt ausnutzen konnte. Der viel zentralere Punkt sei, dass sich ausländische Kaufleute den Zugang zu diesem Handel von der Krone erkaufen konnten, womit dieser zu einer wichtigen Einnahmequelle des spanischen Staates wurde. Wie Crailsheim zugespitzt formulierte: „Eine Umgehung des Monopols war also teils im Sinne der Kontrolleure“.

Doch auch eine Umgehung des Monopols bei gleichzeitiger Umgehung der Krone sei möglich gewesen, insbesondere im Rahmen des Schmuggelhandels. So sei etwa amerikanisches Silber im Hafen von Porto Belo entladen sowie ganze Schiffs-Cargos auf hoher See vor der Küste Portugals umgeladen worden. Außerdem illustrierte Crailsheim, dass sich – trotz der bereits genannten hohen Strafen für Untertanen der kastilischen Krone – immer Mittelsmänner für einen Handel über Dritte fanden, der durchaus größere Ausmaße annehmen konnte und vertraglich geregelt war. Crailsheims Fazit war daher, dass sowohl die Krone als auch einige ihrer Untertanen von der Beteiligung von „Ausländern“ am spanischen Amerikahandel – und damit von der Umgehung des Monopols – profitierten. Eine rigorose Durchsetzung desselben sei folglich in niemandes Interesse gewesen. Crailsheim zeigte durch seinen Vortrag, dass die Existenz der Regelung dennoch zentral war, um von ihr profitieren zu können: es habe sich um ein „bewusst durchlässiges System“ gehandelt.

MARTIN BIERSACK (München) zeigte in seinem Vortrag auf, dass dies auch im 18. Jahrhundert noch der Fall war. Während Crailsheim sich auf „ausländische“ Händler in Sevilla konzentrierte, betrachtete Biersack das Thema aus der Perspektive von Akteuren in Spanisch-Amerika. Damit griff er einen weiteren von Kaps in der Einleitung aufgeworfenen Punkt auf: die Frage der Besiedelung der Kolonien und die der „kulturellen Homogenität“. Zwar machte Biersack auf die aktive Migrationssteuerung durch Grenz- und Hafenkontrollen sowie das auch von Crailsheim angesprochene Mittel der Naturalisierung aufmerksam, doch der Großteil des Vortrags war den Ausweisungskampagnen gewidmet, das heißt speziellen Momenten, in denen eine Gruppe von bereits in den Kolonien ansässigen „Ausländern“ als gefährlich eingestuft und folglich aktiv ausgewiesen wurde. Solche Ausweisungskampagnen kamen, wie Biersack ausführte, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen während des gesamten 18. Jahrhunderts vor und seien in erster Linie gegen Kaufleute gerichtet gewesen, mit Ausnahme der klar politisch-ideologisch motivierten Kampagnen der Jahre 1783 und 1795.

Biersack hob hervor, dass die Identifikation als „Ausländer“ oftmals nicht eindeutig war und die Strategie der Camouflage bzw. sich als Spanier auszugeben nicht selten angewandt wurde, um der Ausweisung zu entgehen. Darüber hinaus hätten nicht-spanische Akteure auch die Flucht ergreifen oder sich verstecken, eine Ehe mit einer Spanierin eingehen sowie eine Naturalisierung beantragen können. Allein durch das Stellen eines solchen Antrags, so führte Biersack weiter aus, konnte man vorerst der Ausweisung entgehen. Schließlich lässt sich noch eine weitere Strategie beobachten, die wir auch in Crailsheims Vortrag bereits kennengelernt haben: „Bestechung“ bzw. die Zahlung von Geldern an Beamte. Zahlungen an die Krone zu demselben Zweck waren Biersack zufolge im 16. und 17. Jahrhundert üblich, wurden im 18. Jahrhundert aber nicht mehr eingesetzt. Im Vergleich mit der Situation in Spanien sei in diesem Fall aber noch der Kolonialverwaltung als Vermittlungsinstanz eine wichtige Rolle zugekommen, die Anweisungen aus dem Mutterland oftmals an die Verhältnisse anpasste. Biersack identifizierte schließlich die „quietud“ als zentrales Ordnungsprinzip der Frühen Neuzeit, das heißt eine Konfliktvermeidungsstrategie, die der Aufrechterhaltung der Herrschaft des Königs diente. Eine rigorose Umsetzung des theoretischen „Amerika-Monopols“ hätte demnach in der Praxis die Stabilität des Systems gefährdet und sei deshalb nicht im Sinne desselben gewesen.

Mit dem letzten Vortrag der Sektion brachte KLEMENS KAPS (Wien) die Sektion zurück nach Spanien, nun in das 18. Jahrhundert. Am Beispiel der Mailänder Kaufleute in Cádiz – wohin sich inzwischen das Handelshaus ‚Casa de la Contratación‘ und damit das Zentrum des spanischen Amerikahandels verlagert hatte – illustrierte Kaps, wie die informelle Partizipation von „Ausländern“ am spanisch-amerikanischen Handel möglich war. Gemeint war damit vornehmlich der Handel durch spanische Mittelsmänner. Die Mailänder seien hierfür ein spannendes Beispiel, da die Lombardei bis 1713 Teil des spanischen Reiches war und ihre Kaufleute bis dahin rechtlich in einer ähnlichen Position wie die Untertanen von Aragón waren, die ihrerseits seit 1713 nicht mehr zu den „Ausländern“ gehörten, sondern zu den „Inländern“. Während gerade die Mailänder Kaufleute auch nach dem Herrschaftswechsel von Madrid nach Wien vermutlich relativ leicht eine Naturalisierung hätten erwirken können, konnte Kaps nur vier Personen identifizieren, die diesen Schritt im Verlauf des 18. Jahrhunderts machten. Dass die meisten Mailänder Kaufleute sich gegen diesen Schritt entschieden, erklärte Kaps unter anderem damit, dass man dann der regulären spanischen Gerichtsbarkeit unterstanden hätte. Die informelle Partizipation am spanisch-amerikanischen Handel hätten die Kaufleute als lukrativer empfunden: Sie schlossen Kreditverträge mit spanischen Kaufleuten, die offiziell als Kreditgeber/Konsignanten auftraten. Faktisch wurden diese damit, so Kaps, Kommissionäre der ausländischen Kaufleute. Auch hier sei dies wiederum im Interesse sowohl der spanischen Krone als auch ihrer Untertanen gewesen, ohne solche Kaufleute hätte man den Bedarf der Kolonien nicht decken und die Finanzierung des Handels nicht bewerkstelligen können. Die vielfältigen Reformen des alten Monopolsystems im Laufe des 18. Jahrhunderts hatten Kaps zufolge ein deutliches Ziel: die Stärkung des Systems und die Etablierung einer intensiveren Kontrolle. Die insbesondere informelle Teilhabe von „Ausländern“ an diesem Monopolsystem sei jedoch konstant geblieben, da das System ohne diese gar nicht funktioniert hätte. Diese garantierte der Krone Kaps zufolge nicht nur eine ausreichende Versorgung mit Kapital und Waren, sondern erlaubte auch – zumindest teilweise – eine relativ hohe Kontrolle über die Warenströme.

Allen Vorträgen gemein war der Fokus auf Akteure, durch den die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaftstheorie/Gesetz und Handelspraxis deutlich wurde. Dies führte zu einer konstruktiven Fragerunde, in der die drei Vorträge als Gesamtheit angesprochen wurden: So wurde etwa die Frage nach indigenen Akteuren in Spanisch-Amerika gestellt, die zugegebenermaßen bei den Vorträgen nicht im Zentrum standen – auch weil die Rolle von „Indigenen“ in den Hafenstädten selbst weniger wichtig gewesen sei, als im Inland, wie Biersack ausführte. Kaps wusste wiederum zu berichten, dass die Beziehung zwischen „Ausländern“ und „Indigenen“ rechtlich zumindest nicht explizit geregelt war. Eine weitere Frage betraf die Sinnhaftigkeit der Verwendung des Terminus „Ausländer“, was allerdings von Kaps in der Einleitung durchaus kurz erläutert und auch von den anderen beiden Vortragenden genauer erklärt wurde: („Ausländer“ seien juristisch betrachtet alle, die keine Untertanen Kastiliens und später auch Aragons waren. Verwiesen wird dabei auf den in den spanischen Quellen verwendeten Begriff extranjeros. Man könnte allerdings diskutieren, ob dieser besser mit „Fremde“ übersetzt wäre – dies vor allem vor dem Hintergrund des heute politisch geladenen Ausländerbegriffs, gerade wenn von Ausweisungen die Rede ist. Dieser Assoziation könnte man allerdings durchaus etwas abgewinnen, zeigten die Vorträge doch das komplexe Verhältnis zwischen der „Unerwünschtheit“ von Ausländern und ihrer Notwendigkeit innerhalb des Systems auf.

Die Sektion schnitt einige aktuelle Themen der Frühneuzeit-Forschung an, von denen drei hervorstechen. Es wurde ein wichtiger Beitrag zur in den letzten Jahren wieder aufkommenden Merkantilismus-Debatte geleistet, in der man sich zunehmend von der Vorstellung einer statisch-restriktiven (und letztlich völlig unwirtschaftlichen) Wirtschaftspraxis verabschiedet hat. Die Feststellung, dass ein Abweichen von der Theorie und den rechtlichen Vorgaben durchaus im Sinne des Systems war, fügt sich dabei in zwei weitere Forschungstendenzen ein: Es lässt sich damit eine starke historiographische Tradition über die frühneuzeitlichen Seemächte in Frage stellen, wonach die (protestantischen) englischen und holländischen Räume dynamisch und offen, die (katholischen) spanischen und portugiesischen Räume statisch und geschlossen gewesen seien, womit deren „Erfolg“ oder „Scheitern“ erklärt wird; das katholische Frankreich nimmt innerhalb dieser Tradition meist eine ambivalente Position ein. Darüber hinaus schnitt die Sektion die Frage nach der Charakteristik und Genese frühneuzeitlicher Staatlichkeit an, die auch in anderen Sektionen des Historikertages Thema war. Insgesamt zeigten die Vorträge deutlich, dass es bei dem „Amerika-Monopol“ in erster Linie um die Aufrechterhaltung der Autorität des Königs ging – die einzelnen Punkte blieben jedoch verhandelbar und das System damit flexibel.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Martin Biersack (München) / Klemens Kaps (Wien)

Eberhard Crailsheim (Madrid): „Ein durchlässiges System? Flamen als >(il)legale< Amerikahändler im Goldenen Zeitalter Sevillas“

Martin Biersack (München): „Die Ausweisung ausländischer Kaufleute aus Spanisch-Amerika“

Klemens Kaps (Wien): „Wider das >Monopol<, aber im Sinn der wirtschaftlichen Logik? Mailänder Kaufleute im spanischen Transatlantikhandel im 18. Jahrhundert“


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