Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa

Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa

Organisatoren
Städtische Museen Zittau in Verbindung mit dem Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas Leipzig, der Geschichtskommission des Akademischen Koordinierungszentrums der Euroregion Neiße, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz, des Serbski institut (Sorbisches Institut) Bautzen und dem Stadtmuseum Bautzen
Ort
Bautzen
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.08.2002 - 01.09.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Alexander Schunka

Vom 28. August bis zum 1. September 2002 fand in Bautzen die internationale Tagung "Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa" statt. Diese Tatsache ist an sich schon bemerkenswert, scheint sich doch wenig an der häufig zitierten Aussage August Ludwig Schlözers geändert zu haben, der im 18. Jahrhundert feststellte, die Oberlausitz sei eine Terra incognita. Selbst für die Historikerzunft galt dies lange fast uneingeschränkt - wer sich heute mit der Geschichte der Oberlausitz beschäftigt, stellt fest, daß die neueste Forschungsliteratur oft einhundert Jahre alt ist (Norbert Kersken). Das wechselvolle Schicksal der Oberlausitz als böhmisches Nebenland, als habsburgisches Lehen unter sächsischer Verwaltung oder später aufgeteilt zwischen Preußen und Sachsen bzw. zwischen Polen und den DDR-Regierungsbezirken Cottbus und Dresden trug wenig zur Bekanntheit dieses Territoriums oder zu seiner historischen Erforschung bei. Daß die Oberlausitz dennoch in politischer, konfessioneller oder sozialer Hinsicht eine höchst eigenständige Entwicklung nahm und daß die Oberlausitzer Sechsstädte gerade in der Frühen Neuzeit zu kulturellen Zentren (Ost-)Mitteleuropas zählten, war außerhalb der Oberlausitz oft nur Eingeweihten bekannt.

Diesem Dilemma versuchten die Teilnehmer der hochkarätig besetzten Tagung entgegenzutreten, die sich mit der Geschichte der Oberlausitz in der Frühen Neuzeit beschäftigte. Sie stand in zeitlichem und organisatorischem Zusammenhang mit dem aufwendig inszenierten tausendjährigen Stadtjubiläum Bautzens und der Zittauer Ausstellung "Welt - Macht - Geist. Das Haus Habsburg und die Oberlausitz" (http://www.habsburg-ausstellung.de). Veranstaltet wurde die Tagung von den Städtischen Museen Zittau sowie von Joachim Bahlcke (Erfurt), dem Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats der Ausstellung und Herausgeber des Ausstellungskatalogs sowie einer jüngst erschienenen Geschichte der Oberlausitz 1, unter Mitwirkung der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig, der Geschichtskommission der Euroregion Neiße, der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz sowie dem Serbski Institut und dem Stadtmuseum in Bautzen.

Themen und Teilnehmerfeld bestachen durch eine wahrhaft internationale Ausrichtung. Diese Internationalität schlug sich in der Vielfalt der Beiträge nieder: Bereits im Eröffnungsvortrag breitete Robert J. W. Evans (Oxford) ein weites Panorama kultureller Beziehungen zwischen der Oberlausitz und dem Rest des frühneuzeitlichen Europa aus: Er verwies etwa auf die Ausstrahlungskraft der Ideen Böhmes oder Zinzendorfs, auf die intellektuellen Verbindungen eines Christian Weise oder Ehrenfried Walter von Tschirnhaus oder auf den erstmaligen Gebrauch des Begriffes "Counter-Reformation" in der englischen Übersetzung eines Buches des Oberlausitzer Historikers Pescheck im 19. Jahrhundert. Evans betonte die enge Verknüpfung der Oberlausitz mit Böhmen, die auch nach der endgültigen Übergabe des Territoriums an Kursachsen nicht etwa abriß, sondern sich erhielt, wenn nicht sogar verstärkte.
Das Verhältnis der Oberlausitz zu Böhmen und Schlesien und damit auch die komplizierte Beziehung zum Reich waren Themen der ersten Sektion der Tagung. Manfred Rudersdorf (Leipzig) unterstrich die Reichsferne der Oberlausitz als Nebenland eines habsburgischen Kronlandes, an der sich bis zur Einrichtung einer eigenen schlesisch-lausitzischen Kanzlei unter Kaiser Matthias kaum etwas änderte, und hob ferner die Einflüsse Böhmens im Hinblick auf die Rolle der oberlausitzischen Stände am Staatsbildungsprozeß hervor. Der Vortrag Matthias Webers (Oldenburg) versuchte strukturelle Ähnlichkeiten eines schlesischen und oberlausitzischen Landesbewußtseins aufzuzeigen, das sich nicht zuletzt aus Gemeinsamkeiten in der inneren Organisation und Untertanenverwaltung speiste. Lenka Bobková (Prag) beschäftigte sich mit der Rolle der Landvögte und der habsburgischen Einflußnahme bei der Besetzung dieses Amtes. Gerade unter Ferdinand I. schenkte man der Ämterbesetzung in der Oberlausitz hohe Aufmerksamkeit und bemühte sich um einen zentralen Zugriff, obgleich insgesamt der administrative Aufwand der Habsburger Verwaltung in ihrem Nebenland weitgehend von den Verhältnissen am Kaiserhof bestimmt war.

Die Vorträge und Diskussionsbeiträge kreisten letztlich meist um die Frage, wie sich in der Oberlausitz ein Landesbewußtsein ausprägen konnte, ohne daß es einen wirklich regierenden Landesherrn gegeben hat. Oftmals schien dabei das spezifisch Oberlausitzische an der verfassungspolitischen Entwicklung etwas in den Hintergrund zu rücken. In dieser Hinsicht ist Karlheinz Blaschke (Friedewald) zuzustimmen, der in seinem Vortrag die Bedeutung der Verfassungsgeschichte für die Erforschung der spezifisch-ständischen Strukturen der Oberlausitz unterstrich - in anderer Hinsicht freilich weniger, wenn Blaschke die Oberlausitz als ein Relikt darstellte, wo das Mittelalter erst nach 1800 geendet hätte. Die lebendige Diskussion machte gerade auf diesem Gebiet zahlreiche Forschungslücken deutlich. Zugleich aber wurde auf die innovativen Momente in der Entwicklung der Oberlausitz hingewiesen - etwa im Hinblick auf die politische Kommunikation -, wobei ein zu etatistischer Zugriff die Sicht eher verstellen als erhellen dürfte. Die konfessionelle Situation der Oberlausitz und damit Fragen nach notwendiger Koexistenz oder bikonfessioneller Toleranz standen im Zentrum der anschließenden Sektion. Alexander Koller (Rom) beschäftigte sich mit der eher geringen Bedeutung der beiden Lausitzen für die römische Kurie und kam auf der Basis der Nuntiaturberichte zum Ergebnis, daß Rom letztlich zur Sicherung des katholischen Bestandes in der Oberlausitz beitrug, der sich ab dem späten 16. Jahrhundert allerdings nur noch auf die beiden Zisterzienserinnenklöster Marienstern und Marienthal sowie auf das Domstift Bautzen mit ihren jeweiligen bikonfessionellen Grundherrschaften beschränkte. Den Bautzener Domdekan, apostolischen Administrator und Quasi-Bischof der Oberlausitz, Johann Leisentrit, nahm Siegfried Seifert (Bautzen) ins Visier und stellte diese wichtige Persönlichkeit als einen Mann des Ausgleichs und der Versöhnung zwischen den Konfessionen sowie andererseits als gewieften politischen Taktiker dar.
Zwei Vorträge widmeten sich dem Problemkreis der Immigration in die frühneuzeitliche Oberlausitz. Wulf Wäntig (Chemnitz) konfrontierte die konfessionell geprägte und die Forschung lange Zeit dominierende Sicht Christian Adolph Peschecks auf das Phänomen der sogenannten Böhmischen Exulanten mit der dörflichen Situation an der böhmisch-oberlausitzischen Grenze und der Aufnahmepolitik der Oberlausitzischen Behörden nach 1650. Alexander Schunka (München) zeigte, wie für das Selbstbewußtsein kleiner protestantischer Landstädte unter der Hoheit der katholischen Zisterzienserinnenklöster Marienstern und Marienthal die zielgerichtete Aufnahme von Immigranten zu einem politischen Emanzipationsfaktor wurde und sich die Zuwanderer als Verhandlungsmasse gegenüber der Herrschaft einsetzen ließen.

Hatten schon die beiden Vorträge zu Migrationsbewegungen die Durchlässigkeit von Grenzen und die überterritorialen Verbindungen der Oberlausitz unterstrichen, so wurde die Brückenfunktion dieses Raumes im Themenkomplex zu Kommunikation und kulturellen Beziehungen noch deutlicher. Klaus Garber (Osnabrück) plädierte für die Erforschung einer "Morphologie späthumanistischer Mentalität" in einem gemeinsamen ostmitteleuropäischen Kulturraum, die sich über die Rekonstruktion von Wissensordnungen und intellektuellen Milieus über Verwaltungsgrenzen hinweg erreichen lasse. Konkret zeigten sich diese Milieus etwa im Vortrag Joachim Bahlckes (Erfurt) über Einfluß und Ausstrahlung des Görlitzer Gymnasiums, das auf Grund seines überregionalen Einzugsbereichs zur Stärkung einer regionalen Identität der Oberlausitz beitrug. Den umgekehrten Weg schlug Norbert Kersken (Marburg) ein, der die Karrieren und Beziehungsgeflechte von Oberlausitzern in den Nachbarregionen untersuchte und dabei die Rolle der Universitäten, insbesondere Wittenbergs, als Vermittlungsbörse hervorhob. Diese frühneuzeitliche Mobilität und Internationalität der Oberlausitz und der Oberlausitzer unterstrich Ludger Udolph (Dresden) im Hinblick auf die Rekonstruktion tschechischer Bibliotheksbestände in der Christian-Weise-Bibliothek und die Bedeutung der Sechsstädte als Druckorte tschechischer Exulantenliteratur. Der Sorabist Gerald C. Stone (Oxford) thematisierte schließlich die Lebens- und Sprachverhältnisse der Oberlausitzer Sorben in der Frühen Neuzeit.
Ein wichtiger Exportartikel der Oberlausitz waren die Ideen des Görlitzer Schusters Jacob Böhme, der von Walter Schmitz (Dresden) in die Nachfolge der rudolfinischen Naturspekulation des Prager Hofes gestellt wurde, wodurch sich eine trans- bzw. akonfessionelle Wahrheit in der frühneuzeitlichen Konfessionslandschaft etablierte. Mit dem Im-und Export künstlerischer Ideen und der Anpassung zeitgenössischer Kunstformen an die Bedürfnisse der Oberlausitz befaßte sich Jan Harasimowicz (Wroclaw), während Markus Cerman (Wien) die Marktverflechtungen im Hinblick auf Warenverkehr und Gewerbe zwischen der Oberlausitz, Niederschlesien und Nordböhmen untersuchte. Die zentrale Rolle der Sechsstädte und insbesondere der Metropole Görlitz, die zuvor bereits als kulturelles und wirtschaftliches Drehkreuz mehrfach hervorgehoben worden war, stellte Lars Behrisch (Bielefeld) in den Mittelpunkt seines Vortrages zur städtischen Kriminaljustiz an der Wende zur Neuzeit und konstatierte, daß dort einem starken Stadtregiment eine relativ rückständige, instrumentalisierbare und schwache Justiz gegenüber stand. Die Referenten dieser sehr gelungenen Tagung, deren Beiträge in der Schriftenreihe der Sächsischen Akademie der Wissenschaften "Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte" im Druck erscheinen werden, unterstrichen die vielfältigen Beziehungen der Oberlausitz mit den Nachbarterritorien: Beziehungen, die sich vielleicht stärker nach Osten als nach Westen richteten. Es bedarf damit - auch dies ein Ergebnis der Tagung - weiterer internationaler Kooperation, um die noch bestehenden Forschungslücken auszufüllen. Deutlich wurde jedenfalls das Spannungsfeld zwischen oberlausitzischer politischer Beharrung einerseits und konfessioneller, sozialer oder intellektueller Vielfalt und Innovationskraft andererseits, die der Oberlausitz ihr spezifisches Gepräge gaben - als eigenständiger historischer Raum, der eine wichtige Brücke zwischen Ost und West bildete und mit dessen Zuordnung schon Schlözer seine Schwierigkeiten hatte.

1: Joachim Bahlcke - Volker Dudeck (Hg.): Welt - Macht - Geist. Das Haus Habsburg und die Oberlausitz 1526 - 1635. Katalog der gleichnamigen Ausstellung der Städtischen Museen Zittau, Görlitz - Zittau 2002; Joachim Bahlcke (Hg.): Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2001.


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