Vom drohenden Bürgerkrieg zum demokratischen Gewaltmonopol, 1918–1924. 5. Internationale Fachkonferenz

Vom drohenden Bürgerkrieg zum demokratischen Gewaltmonopol, 1918–1924. 5. Internationale Fachkonferenz

Organisatoren
Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Weimarer Republik e.V.
Ort
Weimar
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.02.2020 - 28.02.2020
Url der Konferenzwebsite
Von
Ronny Noak / Axel Mössinger, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die ersten Jahre der Weimarer Republik waren geprägt von einem steten Konflikt zwischen der Gewalt des Staates und (para-)militärischen Truppen. Reichswehr, Sicherheitspolizei, Einwohner- und Arbeiterwehren, Freikorps, SA, proletarische Hundertschaften und die Rote Ruhrarmee führten in den Jahren 1918–1924 bewaffnete und gewaltsame Kämpfe um die Errichtung, Verteidigung und Zerstörung der ersten deutschen Demokratie. Oft genug forderten diese Konflikte Tote, sodass es kurz nach dem Ersten Weltkrieg vielmals zu weiteren Opfern durch Waffengewalt kam.

Die Tagung der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Weimarer Republik e.V. widmete sich in diesem Jahr der Frage, inwiefern das Gewaltmonopol, das spätestens seit der Lehre von Georg Jellinek (neben Staatsgebiet und Staatsvolk) zu den wesensgebenden Elementen eines Staates gehört, in der jungen Weimarer Republik vorhanden war, in den ersten Jahren geschaffen oder unterminiert wurde. Eine der zentral debattierten und in den Diskussionen immer wieder aufgeworfenen Frage war dabei, ob die eingesetzte Gewalt gegenüber paramilitärischen Gruppen immer den Idealen der Republik diente – und insofern dem „Geist der Demokratie“ verpflichtet war.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, welch tiefe Zäsur das Jahr 1924 darstellte, denn neben der wirtschaftlichen Konsolidierung und dem Beginn der weithin bekannten „Goldenen Zwanziger Jahre“ lässt sich zeitgleich feststellen, dass die junge Demokratie erstmals umfassend akzeptiert und gefestigt war. Separationsbestrebungen der Länder waren eingehegt, das Republikschutzgesetz ermöglichte ein Vorgehen gegen die antidemokratischen Strömungen (auch wenn die Justiz in der Folge auf dem rechten Auge zu häufig blind blieb) und die Gewalterfahrungen des Weltkrieges (deren Bedeutung für die Nachkriegszeit immer wieder unter verschiedenen Akzentuierungen diskutiert wurden) verblassten. Wie es zu dieser Beruhigung und Konsolidierung kommen konnte und vor allem, dass diese bei all den vorherigen Herausforderungen keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war, zeigte die Konferenz eindringlich.

Einleitend wies MICHAEL DREYER (Jena) auf die Begriffsgeschichte der „Staatsgewalt“ hin. Ein Äquivalent ist in anderen Sprachen selten zu finden, wohingegen die deutsche Sprache keine Differenzierung zwischen „potestas“ und „violentia“ kennt. In der Ideengeschichte lässt sich der Begriff der Staatsgewalt seit dem späten Mittelalter finden. Bis heute gilt er als ein Kriterium für intakte Staaten. Sobald das Gewaltmonopol des Staates erodiert, scheint der Weg zum „failed state“ vorgezeichnet, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

In weiterer ideengeschichtlicher Perspektive schloss ANDREAS BRAUNE (Jena) an, der sich unter Bezugnahme auf die Studien von Norbert Elias der Thematik widmete. Elias‘ Ausführungen hatten die Anfangsjahre der ersten deutschen Demokratie zunächst als rudimentären Staat klassifiziert. Braune verwies allerdings auf die Zäsur 1924. Am Ende des Jahres lässt sich die Weimarer Republik als stabiler Staat mit einem staatlichen Gewaltmonopol einordnen. Außerstaatliche Akteure unterwanderten das staatliche Gewaltmonopol kaum mehr und die demokratische Kontrolle des Gewaltmonopol des Staates bestand.
Den Auftakt nach den einführenden Anmerkungen machte DIRK SCHUMANN (Göttingen). In seinem Vortrag gab er einen Überblick über die neuen Forschungsperspektiven auf die Umbruchjahre 1918/19 und der Frage nach der Brutalisierung der Gesellschaft, welche aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges resultierte. Dabei verwies Schumann auf die Unterscheidung zwischen Kriegserfahrungen und Erfahrungen über das Ende des Krieges. Letzteres hatte schließlich auch eine Wirkmacht an der „Heimatfront“ entfaltet. Empirisch lässt sich zudem ein Absinken der Zahl der leichten und schweren Körperverletzungen feststellen. Von einer allumfassenden Brutalisierung sei demnach kaum zu sprechen. Anschließend griff der Referent zudem einige Erkenntnisse der vergleichenden Forschung im europäischen Rahmen auf. Während sich bei den Siegermächten Frankreich und Großbritannien nach 1918 eine rasche „kulturelle Demobilisierung“ durchsetzte, zeigte sich gerade in Osteuropa eine „Kultur der Niederlage“, die sich stark von der Art der Niederlage und den Vorkriegszuständen speiste. Wie sich die Weimarer Republik in diese Rahmen einreiht, muss noch erforscht werden.

Einen ersten Ansatz dieser Einordnung unternahm KLAUS WEINHAUER (Bielefeld) anschließend. Für ihn waren in den Nachkriegsjahren nicht die Parteien, sondern soziale Bewegungen die bestimmenden Akteure. Anhand der Untersuchung lokaler Auseinandersetzungen in Hamburg legte der Referent dar, wie vor allem betriebsbasierte Akteure Einfluss nahmen. Erst im Herbst 1920 diffundierten die verschiedenen Bewegungen, verfestigen sich in Form von Parteien und Gewerkschaften und anerkannten das Gewaltmonopol des Staates. Damit wurde Gewalt als Bestandteil der Kommunikation und der sozialen Ordnung nicht länger wesensgebend. Kommunikation transformierte in neue Formen und Gremien.

MARTIN SABROW (Potsdam/Berlin) befasste sich anschließend mit den politischen Attentaten und den Attentätern in den ersten Jahren der Weimarer Demokratie. Explizit führte Sabrow hierfür die „Organisation Consul“ (OC) als Untersuchungsgegenstand ins Feld. Diese war in einem weiten Netz über das Reichsgebiet verstreut, wurde allerdings zentral geführt und war für die Attentate auf die exponierten Vertreter der Republik Walther Rathenau, Philipp Scheidemann und Matthias Erzberger verantwortlich. Der Referent verwies darauf, dass die „scheinbare Einhegung“ der OC den Blick auf ihren Anteil an der Zerstörung der Weimarer Demokratie oft verhindert habe. So blieb der „nationale Schweigekonsens“ über die rechtsterroristische OC auch nach 1945 in Takt, was es ihren Mitgliedern ermöglichte, Teil der bundesrepublikanischen Elite zu werden.

Einen Beleg für die fehlende demokratische Einstellung der Justiz zeigte INGO MÜLLER (Hamburg) mit dem exemplarischen (aber nicht singulären) Fall Paul Jorns. Dieser war an der Untersuchung der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beteiligt und hier vor allem für eine bewusst vertuschende und verschleiernde Ermittlungsarbeit verantwortlich. Trotz der bewussten Manipulation der Ermittlungsarbeit folgte Jorns‘ Aufstieg, der ihn schließlich 1925 bis zum Reichsanwalt brachte.

Während sich das Panel bis dahin vor allem der politischen Rechten zuwandte, untersuchte MIKE SCHMEITZNER (Dresden) die „Gewalt von links.“ Unter der Losung einer „zweiten Revolution“ wollte diese, nach den gescheiterten Räteexperimenten in Bremen, Leipzig und München, die Herrschaft der Bourgeoisie durch Gewaltandrohungen beenden. Anhand des Beispiels Max Hölz zeigte sich, Gewalt richtete sich vorrangig gegen Gebäude und arbeitete mit dem Kalkül der Drohung und Einschüchterung sowie mit Streiks und Demonstrationen, wohingegen politische Attentate seltener auf dem Aktionstableau der radikalen Linken standen. Aber selbst in den von der Reichswehr kaum besetzten Gebieten wie dem sächsischen Vogtland, gelang es der KPD nicht, ausreichend Unterstützung für eine Revolution gegen die Weimarer Republik zu sammeln. Mit der Konsolidierung der Weimarer Demokratie 1924 war auch die „Bürgerkriegsphase“ in der radikalen Linken zum Erliegen gekommen. Gescheiterte Aufstände und die Einsicht in die eigene Selbstüberschätzung verhinderten fortan weitere gewaltinduzierte Umsturzaktionen.

In seinem abendlichen Festvortrag führte MICHAEL GEYER (Chicago) einige Überlegungen zum Verhältnis von Gewalt und Demokratie aus. Dabei spann er den Bogen von der Weimarer Reichsverfassung (WRV) zur Verfassungswirklichkeit. Dass in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, schon verglichen mit dem Kaiserreich, ein Operieren vorbei am Volk nicht mehr möglich war, belegte Geyer anhand des Kapp-Putsches 1920. Dieser war schließlich durch einen Generalstreik weiter Teile der Bevölkerung vereitelt worden und so hatte das Volk seine Staatsgewalt ausgeübt. Weitere Überlegungen führte Geyer bezüglich der Transformationsgeschichte der Weimarer Demokratie an, die er unter der These bündelte, dass die Weimarer Republik zwar einen neuen demokratischen Herrschaftsvertrag, aber noch keinen demokratischen Gesellschaftsvertrag geschlossen habe.

Tag zwei wurde durch Besuch und Führung im Haus der Weimarer Republik – Forum für Demokratie in Weimar eröffnet. Das Haus der Weimarer Republik wurde unter Schirmherrschaft des Weimarer Republik e.V. und der Forschungsstelle Weimarer Republik 2019 eröffnet, um den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Werdegang von den ersten Anfängen der Republik bis zu ihrem Ende 1933 zu beleuchten und interessierten Besuchern Einsichten in das Geschehen und die politisch-historischen Abläufe zu geben.

Nachfolgend wurde der inhaltliche Abschnitt des Tages durch das Forum der Preisträger JOHANNES HITZEGRAD (Münster), ELIAS ANGELE (Bremen), CLAUDIUS KIENE (Berlin) und ELISABETH PILLER (Oslo) begonnen. Johannes Hitzegrad präsentierte seine Bachelor-Arbeit zum Thema „‚Einigkeit ist Ehrenpflicht?‘ Die Kommunalwahl in der Stadt Arnsberg 1919“ und wurde hierfür mit dem Matthias-Erzberger-Preis geehrt. Er betrachtete mittels lokaler zeitgenössischer Quellen den Übergang des politischen Systems vom Kaiserreich hin zur Republik auf kommunaler Ebene anhand der Stadtratswahlen 1919 in Arnsberg und konnte nachweisen, dass eine Ablösung der ehemaligen lokalen Herrschaftselite verknüpft mit einer massiven Steigerung der Wahlbeteiligung von Frauen und Arbeitern stattfand. Er schloss mit dem Fazit, dass in Arnsberg ein zügiger Übergang zum republikanischen System vollzogen, dieser aber nicht komplett durchgeführt wurde.
Elias Angele erhielt für seine Masterarbeit „‚Schützt die Revolution!‘ Die Stadtwehr in Bremen 1919–1921“ den Hugo-Preuß-Preis. Die Gründung der Bremer Stadtwehr war eine Reaktion auf die Ausrufung der Räterepublik in Bremen. Ziele der Stadtwehr waren sowohl die Wahrnehmung einer Ordnungsfunktion und gleichzeitig der Schutz der provisorischen Regierung Bremens, wobei bis zu 5.000 Personen gleichzeitig in der Stadtwehr aktiv waren – bei ca. 11.000 Angemeldeten. Dabei bildete sich die Stadtwehr insbesondere aus dem bürgerlichen Milieu aus Personen mit militärischer Erfahrung, während links eingestellte Bevölkerungsgruppen und Parteien von der Teilnahme an der Stadtwehr ausgeschlossen wurden. Die Bremer Stadtwehr wurde 1921 auf Basis des Versailler Vertrags und Druck der Entente aufgelöst und ihre Aufgaben der Polizei übertragen.

Claudius Kiene erhielt für die Masterarbeit „Der Zentrumspolitiker Carl Spiecker und die Herausforderung des Nationalsozialismus“ ebenfalls den Hugo-Preuß-Preis. Er beschäftigt sich mit dem Werdegang Spieckers in der Weimarer Republik, den Kiene als ambivalent bezeichnet: Einerseits ein republikanischer Lebenslauf, andererseits zwischen 1919 und 1920 Tätigkeiten in Oberschlesien und Kritik am Versailler Vertrag. Zudem Mitgliedschaft in der Zentrumspartei, Vorstandsmitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und unter Brüning Sonderbeauftragter des Reiches für die Bekämpfung des Nationalsozialismus – nachfolgend ging Spiecker ins Exil. Laut Kiene lasse sich am Lebenslauf Spieckers die Demokratiegeschichte Deutschlands von 1919 bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gut beobachten.

Elisabeth Piller beendete das Forum der Preisträger mit ihrer Dissertation „Re-Winning American Hearts and Minds – German Public Diplomacy and the United States, 1902–1937“, für die sie den Friedrich-Ebert-Preis überreicht bekam. Piller erläuterte hierzu, dass bereits vor Gründung der Weimarer Republik diplomatische Beziehungen bestanden, die aber mit Ende des Ersten Weltkrieges eine Neuausrichtung erfuhr: Ziel war es ab 1919 den stark geschädigten Ruf neu aufzubauen und auf die Vereinigten Staaten hinsichtlich einer möglichen Revision des Versailler Vertrages einzuwirken, da diese als Gläubiger der anderen Entente-Mitglieder großen Einfluss besaßen. Zum Erreichen dieser Ziele machte Piller mehrere Bereiche der Außenpolitik aus, die sich neben dem Aufbau von wirtschaftlichen Partnerschaften in Tourismuswerbung, akademischen Austausch und sogenannter Volkstumspolitik unterscheiden lassen und als integrale Bestandteile der Außenpolitik gelten können.

Die Konstituierung des republikanischen Gewaltmonopols wurde nachfolgend von WALTER MÜHLHAUSEN (Heidelberg/Darmstadt) und MARTIN PLATT (Bonn/Jena) beleuchtet. Mühlhausen betrachtete die Nutzung des Artikel 48 der WRV durch Reichspräsident Ebert, der diesen abseits der ursprünglichen Intention zur Lösung von Notsituationen auch für Sicherheit-, Wirtschafts- und Finanzpolitik anwendete und dabei die Kompetenz zur Anwendung des Artikels auf das Amt des Reichspräsidenten festlegte. Im Gegensatz zur späteren Anwendung des Artikel 48 durch Hindenburg wendete Ebert diesen aber zur Gefahrenabwehr für die Demokratie und nach Kapp-Putsch und Ruhrkrise zur Übertragung der zentralen Ordnungsmacht in die Hände der Zivilregierung an, wobei er allerdings Präzedenzfälle für Hindenburgs spätere Anwendung schuf.

Platt führte zur Re-Etablierung des Gewaltmonopols in der Weimarer Republik aus, dass es hier einerseits um die Sichtbarkeit beziehungsweise Herstellung staatlicher Macht im gesellschaftlichen Bereich ging und auch aus der Bevölkerung heraus das Bedürfnis existierte, die „Unordnung“ der Nachkriegszeit durch sichtbare Handlungen des Staates mittels Macht, Gewalt und Autorität beseitigt zu sehen. Integraler Bestandteil der Re-Etablierung war dabei zunächst die Integration des ehemals kaiserlichen Militärs in die Republik, wobei der Eingriff der Reichsregierung im Fall Bayern mit militärischen Mitteln dazu beitrug, diese Integration voranzutreiben und das Militär innerhalb der Bevölkerung als Ordnungsmacht zu legitimieren. Durch physische Handlungen im öffentlichen Raum sollte Gewaltanwendung als öffentlicher Vermittlungsakt dazu dienen, die staatliche Macht sowohl zu betonen als auch sichtbar zu machen.

Zu den Begriffen von Gewalt und Gegengewalt referierten FLORIAN SCHREINER (Bonn/Jena) und SEBASTIAN ELSBACH (Jena). Schreiners Augenmerk lag dabei auf der Gewalt von mitte-rechts in der Nachkriegszeit, insbesondere die Verknüpfung von Freikorps und bürgerlich-akademischen Milieu. Er stellte dar, wie eng die Universitäten (Studierende wie Lehrkörper) damals mit dem Militär verbunden waren, wobei er einerseits die Universitäten als militäraffin ausmachte. Akademiker waren in den Freikorps aktiv und als (para-)militärische Akteure im kaiserlichen Heer sowie in Freikorps überdurchschnittlich häufig vertreten. Dies sah Schreiner insbesondere in der Sozialstruktur der damaligen Universitäten gegeben, die durch hierarchische Strukturen, der Mitgliedschaft in Verbindungen und der sozialen Schicht von Akademikern bedingt eine hohe Affinität zum Militär bewirkte.

Elsbach (Friedrich-Ebert-Preisträger) betrachtete die Gewalterfahrungen bis 1924 und die Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Durch gewalttätige Übergriffe auf republikanische Versammlungen und politisch motivierte Morde, wobei die Todesopfer durch politische Gewalt erst 1922/1923 rückgängig waren, machten für republikanisch gesinnte Gruppen einen Akteur notwendig, der deren Veranstaltungen schützte. Als Reaktion wurde zunächst durch SPD-nahe Offiziere und Unteroffiziere der Reichswehr der Republikanische Führerbund 1919 gegründet, der aber am neuen Wehrgesetz scheiterte. Nachfolgend wurde dessen Grundstruktur für alle Bürger als Republikanischer Reichsbund geöffnet, mit dem Ziel, nicht nur die Demokratisierung des Militärs voranzutreiben, sondern diese auf die gesamte Gesellschaft auszuweiten. Es werden Aufgaben im Sicherheitsbereich, als Personen- und Saalschutz sowie als Hilfspolizei wahrgenommen. Elsbach sieht hier das Aufkommen von Ideen der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Kultur. 1924 wurde schließlich das Reichsbanner gegründet, das den Republikanischen Reichsbund schnell an Mitgliederzahl überholte und dessen Aufgaben wahrnahm.

Den Abschluss des Tages bildete der Hugo-Preuß-Preisträger MORITZ HERZOG-STAMM (Duisburg/Essen) mit seiner Analyse der preußischen Polizei(-reform) in der Zeit zwischen 1918 und 1924. Die preußische Polizei leistete mit Ende des Krieges weiterhin ihren Dienst, ohne aber am Gewaltmonopol beteiligt zu sein. Erste Ideen der Neuausrichtung und Reformierung kamen im März 1919 auf. Die Neubesetzung der oberen Beamtenebene mit Republikanern geschah aber als Folge des Kapp-Putsches. Auf Druck der Entente-Mitglieder fand schließlich eine Auflösung dieser und eine Neustrukturierung der preußischen Polizei statt, vor allem in den Bereichen der (auch wissenschaftlichen) Aus- und Weiterbildung, der Orientierung an der Polizeistruktur und -arbeit in den USA und Großbritannien und der Einführung der Schutzpolizei.

Den dritten Tag eröffnete der Vortrag von MARC BARTUSCHKA (Jena) und CHRISTIAN FALUDI (Weimar). Beide waren als Kuratoren für die Ausstellung „Gegenrevolution 1920. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 in Thüringen“, zu sehen im Stadtmuseum Weimar, verantwortlich. So führte Bartuschka zunächst den Ablauf des Kapp-Putsches und des sich anschießend formierenden Widerstandes für den Erhalt der Republik in Thüringen aus. Detailliert konnte der Vortragende dabei die Ereignisse auf Reichsebene mit den Vorgängen in Thüringen verknüpfen. Wie sich zeigte, liefen im Zuge des Kapp-Putsches lokale Konflikte beispielsweise zwischen Stadt und Land unter der neuen Konstellation zwischen Einwohner- und Arbeiterwehren sowie Reichswehr und Sicherheitspolizei weiter. Als Ergebnis des abgewehrten Kapp-Putsches lassen sich zwei Punkte festhalten. Zum einen hatte sich die Republik zunächst stabilisiert und fortan das Gewaltmonopol in den eigenen Händen konzentriert. Insbesondere in Thüringen hatten sich als Resultat aber auch die politischen Gräben vertieft, sodass gerade die Mitte-Parteien wie die DDP hier massiv an Stimmen verloren.

Im Stadtmuseum Weimar leitete Faludi anschließend eine kurzweilige Führung durch die Ausstellung. Dabei verwies er nicht nur auf die zusätzlichen lokalen Besonderheiten der Kapp-Putsch-Ereignisse in der Stadt Weimar und die Rezeptionsgeschichte des Putsches im Nationalsozialismus, der DDR und der Bundesrepublik. Zusätzlich konnte der Referent mit interessanten Anekdoten über die Ausstellungskonzeption und den Erwerb von Ausstellungsstücken aufwarten. So konnte das Bild eines meist lokal initiierten und dennoch reichsweit erfolgreichen Widerstandes gegen einen demokratiefeindlichen Putsch abgerundet werden.

Komplettiert wurde der regionale Blick durch den Vortrag von RAIMUND GRAFE (Erfurt/Leipzig). Dieser widmete sich der Reichsexekution gegen Sachsen und Thüringen 1923. Grafe verwies in seinem Vortrag auf die Reformvorhaben in den Bereichen Schule und Bildung, Kommunalverfassungen und zweitem Arbeitsmarkt, deren Umsetzung unter den SPD-geführten und unter Beteiligung der KPD zustande gekommenen Regierungen in Sachsen und Thüringen von 1921 bis 1923 angestoßen wurden. In Sachsen steht dabei der Name Erich Zeigner zusätzlich im Mittelpunkt, da dieser unter anderem häufig den Aufbau einer „Schwarzen Reichswehr“ angemahnt habe. Die Reichsexekution 1923 habe nun zum Ergebnis gehabt, dass aufgrund der Regierungsablösungen die Reformvorhaben, vor allem die Demokratisierung der Verwaltung, beendet worden seien. Darüber hinaus zeigte sich aber auch, dass die staatstragende SPD sowohl im Reich als auch in den Ländern geschwächt aus der Exekution hervorging, sich in Sachsen sogar spaltete. Dies wiederum erwies sich als schwere Hypothek für die junge Republik. Ob die Reichsexekution zudem den Weg einer gemäßigten Parlamentarisierung der KPD beendet habe, war Teil der sich anschließenden Diskussion.

Das abschließende Panel griff über die vor allem historische, politikwissenschaftliche und juristische Sichtweise hinaus. Mit STEPHAN RÖẞLER (Stuttgart) zeigte ein Kunsthistoriker anhand des Weimarer Märzgefallenen-Denkmals von Walter Gropius wie sowohl Gewalterfahrungen als auch demokratische Perspektiven Einzug in die Kunst der frühen 1920er-Jahre hielten. Zwar waren die Themen, denen sich die zeitgenössische Kunst gewidmet hatte, nicht neu. Aber die Darstellungsweise changierte zwischen Prominenz und weitergehender Verbreitung sowie der Auslotung der Grenzen des Zeigbaren. Herauszuheben ist aber sicherlich Gropius‘ Denkmal, dass sich sowohl als das erste demokratische Denkmal in Deutschland als auch als das womöglich erste abstrakte Denkmal der Welt bezeichnen lässt. Auch dieses doppelte Novum lässt sich als ein Ausdruck der besonderen Umbruchphase und der Rolle der Gewalt in den Jahren 1918–1924 werten.

Geschlossen wurde die Tagung schließlich von HELMUTH KIESEL (Heidelberg). Dieser widmete sich in einem breiten Panorama den Darstellungen von Gewalt in den Romanen der Weimarer Republik. Unterteilt in die Literatur der kriegsaffinen wie kriegskritischen/pazifistischen Literatur zeigte der Literaturwissenschaftler die omnipräsente und vor allem radikalisierte und brutalisierte Einführung der Gewalt in der Literatur. Während auf der einen Seite die Darstellung des erlösenden und rauschhaften Elementes der Gewaltausübung aufzufinden war, wurden auf der zweiten Seite vor allem die realen Konfliktlinien der Weimarer Republik zwischen Ideologien in die Literatur implementiert. So trug die Verarbeitung der Kriegserlebnisse im Rückblick teilweise auch zur aktuellen Auseinandersetzung in der Politik bei, was sich gerade an der retrospektiven Schilderung der 1930er-Jahre zeigt. Hier erlebte der (Anti-)Kriegsroman seine zweite Blütephase, gerade in jener Zeit, in der auch das Gewaltmonopol des Staates erneut zu erodieren schien. Somit kamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf das Tagungsthema mit einem ausblickhaften Abschluss zurück.

Konferenzübersicht:

Begrüßung & Einführung:
Michael Dreyer/Andreas Braune (Jena): Das Gewaltmonopol eines demokratischen Staates: Einige Vorüberlegungen

1. Sitzung: Gewalt in der Revolution und ihre Folgen

Dirk Schumann (Göttingen): „Brutalisierung“ und Militarisierung: neuere Perspektiven

Klaus Weinhauer (Bielefeld): Soziale Bewegungen und Gewalt in der Revolution

2. Sitzung: Gewalt gegen die Republik und ihre Verfolgung

Martin Sabrow (Potsdam/Berlin): Attentate und Attentäter

Ingo Müller (Hamburg): Militärgerichtsbarkeit oder zivile Gerichte? Zur strafrechtlichen Verfolgung politischer Gewalt, 1918–1924

Mike Schmeitzner (Dresden): Gewalt von links: Rechtfertigungen und Strategien von Linksradikalen bis zum „Deutschen Oktober“ 1923

3. Verleihung der Preise zur Erforschung der Geschichte, Politik und Kultur der Weimarer Republik

Festvortrag:
Michael Geyer (Chicago): « Il faut défendre la société » : Überlegungen zu Gewalt und Demokratie in der Weimarer Republik

Besuch und Führung im Haus der Weimarer Republik. Forum für Demokratie.

4. Sitzung: Forum der Preisträger/innen

Johannes Hitzegrad (Matthias-Erzberger-Preis): „Einigkeit ist Ehrenpflicht“? Die Kommunalwahl in der Stadt Arnsberg 1919

Elias Angele (Hugo-Preuß-Preis): „Schützt die Revolution!“ Die Stadtwehr in Bremen 1919–1921

Claudius Kiene (Hugo-Preuß-Preis): Der Zentrumspolitiker Carl Spiecker und die Herausforderung des Nationalsozialismus

Elisabeth Piller (Friedrich-Ebert-Preis): Re-Winning American Hearts and Minds – German Public Diplomacy and the United States, 1902–1937

5. Sitzung: Die Konstituierung des republikanischen Gewaltmonopols

Walter Mühlhausen (Heidelberg/Darmstadt): Reichspräsident und Ausnahmezustand. Friedrich Ebert und die Anwendung von Artikel 48

Martin Platt (Bonn/Jena): Die Re-Etablierung des Gewaltmonopols in der Weimarer Republik: Performative Gewalt und die Sichtbarmachung der Autorität des Staates

6. Sitzung: Gewalt und Gegengewalt
Florian Schreiner (Berlin/Jena): Gewalt von mitte-rechts: Freikorps und akademisch-bürgerliches Milieu im Nachkrieg

Sebastian Elsbach (Jena): Die Gewalterfahrungen bis 1924 und die Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold

7. Sitzung: Neuordnung der polizeilichen Gewalt

Moritz Herzog-Stamm (Duisburg-Essen): Ringen um Ordnung. Die preußische Polizei zwischen Ohnmacht und Reform unter dem Leitbild der Modernität (1918–1924)

8. Sitzung: „Gewaltregion“ Mitteldeutschland

Christian Faludi (Weimar) / Marc Bartuschka (Jena): Gegenrevolution 1920. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch in Thüringen

Raimund Grafe (Erfurt/Leipzig): Die Reichsexekutionen gegen Sachsen und Thüringen

Führung und Besuch der Ausstellung „Gegenrevolution 1920. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch in Thüringen“ im Stadtmuseum Weimar mit dem Kurator Christian Faludi

9. Sitzung: Gewaltverarbeitungen

Stephan Rößler (Stuttgart): Die Abstraktion von Gewalt. Walther Gropius´ Denkmal der Märzgefallenen von 1920

Helmuth Kiesel (Heidelberg): Entgrenzungen der Gewalt in der Literatur der Weimarer Republik


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