Digitalisierung Gemeinsam Gestalten – DIGE²

Digitalisierung Gemeinsam Gestalten – DIGE²

Organisatoren
Julian Happes, Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Politik- und Geschichtswissenschaft, Abteilung Geschichte; Julian Zimmermann (Universität Regensburg)
Ort
Freiburg / online
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.09.2020 - 18.09.2020
Url der Konferenzwebsite
Von
Marili Wollgarten / Theresa Werner, Institut für Politik- und Geschichtswissenschaft, Abteilung Geschichte, Pädagogische Hochschule Freiburg

Kaum ein Begriff prägt den derzeitigen bildungswissenschaftlichen Diskurs so wie jener der Digitalisierung. Sie ist als Herausforderung und Chance, als Arbeits- oder Forschungsfeld allgegenwärtig und scheint alle Bereiche von der Wirtschaft über die Politik bis zum Bildungssektor zu betreffen. Die Einschränkungen durch COVID-19 machen dies derzeit deutlicher denn je. Passend zu dieser Problemlage boten die Dozierenden Julian Happes (Freiburg) und Julian Zimmermann (Regensburg) im Wintersemsester 2019/2020 ein Projektseminar an der Pädagogischen Hochschule Freiburg an, das sich mit digitalen Formen historischer Bildungsarbeit und der Vernetzung mit in diesem Bereich tätigen AkteurInnen beschäftigte. Idee und Genese dieser Tagung entsprangen diesem Seminar. Die von Studierenden der Pädagogischen Hochschule Freiburg gemeinsam mit den Dozierenden organisierte und durchgeführte Online-Tagung eröffnete in vier Panels Diskussionsräume für AkteurInnen der schulischen, fachdidaktischen und öffentlichen Bereiche zum Schwerpunktthema der historischen Wissensvermittlung und förderte somit deren Vernetzung und Austausch. Der durch externe ExpertInnen ergänzte Fokus lag dabei auf Projekten rund um Freiburg im Breisgau.

In seinen einführend-begrüßenden Worten betonte FELIX HINZ (Freiburg) die Bedeutung der Zwischenmenschlichkeit des Lehrens und Lernens, die man auch in Zeiten digitaler Hochschullehre nicht gänzlich aus den Augen verlieren sollte. Doch gerade in der dauerhaften und nachhaltigen Vernetzung von in der aktuellen Lage entstandenen und entstehenden (digitalen) Projekten, Produkten und Erfahrungen, zu der auch die Tagung in einem kleinen Rahmen ihren Beitrag leiste, stecke großes Potential.

Den inhaltlichen Auftakt der Tagung lieferte PATRICK BRONNER (Freiburg) in seiner Keynote zr digitalen Bildung. Er kritisierte die konzeptlose Verwendung von mobilen Endgeräten an Schulen sowie die reine und nicht lehr-lern-fördernde Digitalisierung von Arbeitsblättern und Aufgabenheften für den Schulunterricht. Der soziale Aspekt des Lernens und die Beziehungsarbeit zwischen Lehrkräften und SchülerInnen, so Bronner, stehe für ihn weiterhin im Vordergrund. Digitale Endgeräte, Medien und Lehr-Lern-Konzepte sollten nicht als didaktisch unhinterfragter reiner Selbstzweck eingesetzt werden. Er forderte daher die sinnvolle Verwendung digitaler Medien als Hilfsmittel im jeweiligen Lernprozess in Verknüpfung mit traditionellen Lehr-Lern-Methoden.

KRISTOPHER MUCKEL (Aachen) präsentierte das an der RWTH Aachen angesiedelte Projekt „Schülerlabor goAIX! – historische Orte erforschen“. Mit Hilfe von Virtual-Reality-Exkursionen und VR-Brillen sollen darin außerschulische historische Wirkorte zum Schwerpunktthema Religion in und um Aachen erfahrbar gemacht werden. Das Angebot wird in enger Kooperation mit Studierenden der RWTH Aachen erarbeitet und richtet sich vorrangig an Schulklassen. Muckel betonte vor allem das in dem Begreifbarmachen von Veränderungen liegende Potenzial digitaler Lehr-Lern-Angebote für historische (Wirk-)Orte. Diese Wahrnehmung von Veränderung in der Zeit trage zur Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins bei.

Thematisch anknüpfend stellte ROLF MATHIS (Freiburg) die „Freiburger Zeitreise“-App vor, die im Rahmen des 900-jährigen Stadtjubiläums entwickelt wurde. Die App basiert technisch auf der Anwendung „Future History“, die es ermöglicht, rein digitale Stadtführungen ebenso wie Begleit- und Zusatzmaterial auf mobilen Endgeräten für analog durchgeführte Stadtführungen selbst zu gestalten und mit anderen zu teilen. Der didaktische Mehrwert einer solchen Applikation liege, so Mathis, in der Aufwertung historischer Orte durch zusätzliche Informationen mit Hilfe von Audio-, Text- und Bildelementen.

Die Gründerinnen der Geschichtswerkstatt der Lessing-Realschule Freiburg, ROSITA DIENST-DEMUTH und JESSICA MACK (beide Freiburg), stellten ihr Projekt „Sie waren so alt wie du“ vor. Darin recherchieren SchülerInnen zu Schicksalen jüdischer Kinder und deren Familien in der NS-Zeit. Eine ehemalige jüdische Schülerin der Lessing-Realschule, EVA COHN-MENDELSON (London), berichtete persönlich von ihrem Schicksal. Eindrücklich erzählte die Zeitzeugin von den Zuständen in der Schule und von ihrer Deportation. Dienst-Demuth und Mack betonten die Unerlässlichkeit des persönlichen Kontakts, aber auch die große und wachsende Bedeutung der Digitalisierung und digitaler Medien für Erinnerungskulturen und die (grenzüberschreitende) Vernetzung mit ZeitzeugInnen.

An diesen Vortrag thematisch anknüpfend gab GABRIELE VALESKA WILCZEK (Breisach), Bildungsreferentin des Blauen Hauses in Breisach, Einblicke in das Projekt „Spurensuche Gurs – 80 Jahre nach der Deportation der badischen Jüdinnen und Juden: Was erzählt uns Mickey Mouse aus dem Internierungslager Gurs am Rande der Pyrenäen?“. Exemplarisch präsentierte sie eine Bildergeschichte Horst Rosenthals, der während seiner Gefangenschaft im Internierungslager Gurs die dort verübten Gräueltaten grafisch festgehalten hat. Ziel des Projekts ist es, Formate zu entwickeln, mit deren Hilfe die Erinnerung an BadnerInnen jüdischen Glaubens wachgehalten werden kann. Auch bei diesem Vorhaben spielt die Digitalisierung, beispielsweise in Form von Videocasts, eine wichtige Rolle, auch im Sinne nachhaltiger und breitenzugänglicher Projekt- und Bildungsarbeit.

Der Medienpädagoge MATTHIAS BAUMANN (Freiburg) stellte das multimediale Projekt „Die ArchäologInnen der Zukunft“ zum 900-jährigen Stadtjubiläum Freiburgs vor. Das mit SchülerInnen des Deutsch-Französischen-Gymnasiums konzipierte Spiel kombiniert haptisch-analoge Elemente, wie bspw. ein Spielbrett, das mit einem Spatel von einer Gipsschicht befreit werden muss, mit animierten Kurzvideos, die über QR-Codes in einer App abgerufen werden können. Baumann hob hervor, dass gerade in dieser Verbindung aus analogen und digitalen Elementen besonderes didaktisches Potential liege.

ANGELIKA ZINSMAIER und TOBIAS JANOUSCHEK (beide Freiburg) vom archäologischen Museum Freiburg sprachen über eine interaktive App zur archäologischen Ausstellung „Tales & Identities“, die sie gemeinsam mit Jugendlichen aus dem Kulturlotsen-Team entwickelt haben und mit der man spielerisch in römische und keltische Lebenswelten eintauchen kann. Die digitale gamification der Ausstellungsinhalte biete Anreize für Kinder und Jugendliche, sich intensiver mit den Ausstellungsstücken zu befassen. Auch dieser Beitrag betonte das große Potenzial der Verbindung analoger Methoden mit digitalen Ansätzen und Ideen.

BIRGIT HEIDTKE (Freiburg) präsentierte das an der Katholischen Hochschule Freiburg angesiedelte Projekt „IDEA – Inklusives Digitales Erinnerungsarchiv – MigrantInnengeschichte als Teilhabe“. IDEA baut derzeit ein digitales Archiv auf, das MigrantInnen bundesweit die Möglichkeit geben soll, ihre eigene Migrationsgeschichte mittels Oral History zu erfassen, zu archivieren aber auch öffentlich sichtbar zu machen. Die Mischung aus persönlichem Kontakt und digitalen Formen der Archivierung und Vermittlung in der Erinnerungsarbeit sind zentral.

CHARLOTTE NEUBERT (Regensburg) warf einen Blick auf das Thema der Stadtgeschichte und ihre zeitgemäße Aufbereitung in digital-unterstützen Lehr-Lern-Settings. Sie skizzierte ein Projektseminar, das sie gemeinsam mit Julian Zimmermann im Sommersemester 2020 an der Universität Regensburg durchgeführt hatte. Die Studierenden konzipierten in dieser Lehrveranstaltung mittels der App „Future History“ digitale und für den Schuleinsatz didaktisierte Stadttouren. Durch diese entstünde die Möglichkeit, Dinge lebendig werden zu lassen, verschiedene Jahrhunderte in den Fokus zu setzen, an die Lebenswelt der SchülerInnen anzuknüpfen und dadurch außerschulische Lernorte einprägsam erlebbar zu machen.

Die Tagung brachte mit verschiedenen historisch intendierten und digital umgesetzten bzw. mit digitalen Medien arbeitenden Projekten eine Vielzahl spannender Beiträge zusammen. Gerade im Raum Freiburg zeigte sich, dass es viele Ideen, Erfahrungen und Projekte gibt, deren Vernetzung im lokalen Raum zu weiterführenden Ansätzen und synergetischen Arbeiten führen kann. Die verschiedenen Projekte stehen für die Innovationskraft der (hoch-)schulischen Bildungsarbeit im Freiburger Nahraum. Das Programm wurde durch die zusätzliche Expertise von FachdidaktikerInnen ergänzt. Es zeigte sich, dass auch im hochschulübergreifenden Arbeiten der Wunsch nach Vernetzung und Austausch von Erfahrungen besteht, sodass die Tagung auch hier zu neuen Zusammenschlüssen und weiterführenden Formen des Austausches führen wird. Gerade die durch die Corona-Pandemie ausgelöste prekäre Lage von Bildungsinstitutionen zeigt, wie wichtig der Austausch über Formen digitaler Bildungsarbeit ist, um die Weichen für eine digitale, moderne und krisenfestere Bildungsarbeit zu stellen. Die Tagung hat dazu sicherlich einen anregenden Beitrag geleistet.

Konferenzübersicht:

Felix Hinz (Pädagogische Hochschule Freiburg): Begrüßung

Keynote
Patrick Bronner (Friedrich-Gymnasium Freiburg): Digitale (Fern-)Bildung? Kompetenzorientierung statt Reproduktion!

Kristopher Muckel (RWTH Aachen): Schülerlabor goAIX! – historische Orte erforschen

Rolf Mathis (Future History, Freiburg): „Freiburg-Zeitreise“-App

Rosita Dienst-Demuth und Jessica Mack (beide Lessing Realschule Freiburg): „Sie waren so alt wie du“ – heutige Jugendliche recherchieren Schicksale jüdischer Kinder und ihrer Familien in der NS-Zeit

Gabriele Valeska Wilczek (Das Blaue Haus Breisach): Spurensuche Gurs – 80 Jahre nach der Deportation der badischen Jüdinnen und Juden: Was erzählt uns Mickey Mouse aus dem Internierungslager Gurs am Rande der Pyrenäen?

Matthias Baumann (Pädagogische Hochschule Freiburg): 900 Jahre jung. Die ArchäologInnen der Zukunft

Angelika Zinsmaier und Tobias Janouschek (beide Städtische Museen Freiburg): Projektvorstellung der App zur Jugendausstellung „Tales & Identities“ im Archäologischen Museum

Birgit Heidtke (Katholische Hochschule Freiburg): IDEA – Inklusives Digitales Erinnerungsarchiv – MigrantInnengeschichte als Teilhabe

Charlotte Neubert (Universität Regensburg): Stadtgeschichte 2.0. Eine digitale Annäherung an das mittelalterliche Regensburg