Ordnung und Gewalt. Wechselwirkungen zwischen Militär und Politik in der Neuzeit

Ordnung und Gewalt. Wechselwirkungen zwischen Militär und Politik in der Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Militärgeschichte e.V.; Wencke Meteling, Washington, D.C. ; Christoph Nübel, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Ort
digital (Potsdam)
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.03.2021 - 18.03.2021
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Von
Linus Birrel, Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der Vorsitzende des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V. (AKM), MARTIN CLAUSS (Chemnitz), eröffnete die Tagung, indem er auf die lange Geschichte der Wechselwirkungen zwischen Militär und Politik aufmerksam machte. Er verwies auf die Bedeutung der Bildsprache des Militärischen in der Selbstdarstellung von (meist männlichen) Politiker:innen und der Staatsrepräsentation von der Antike bis in die Moderne. Zwar nahm dieses Phänomen unter unterschiedlichen Bedingungen verschiedene Ausprägungen an, jedoch stellte die Verbindung von Militär und Politik aufgrund des heroisierenden Potentials des Militärischen einen Wesenskern vieler europäischer Gesellschaften dar, so Clauss. Lediglich moderne, postheroische Gesellschaften drückten in der Selbstdarstellung des politischen Personals eine klare Trennung der Bereiche Politik und Militär aus, nicht aber in ihrer Staatsrepräsentation.

In seinem Einführungsvortrag machte CHRISTOPH NÜBEL (Potsdam) auf aktuelle Fälle aufmerksam, in denen nationales Militär ganz offen Einfluss auf die Politik eines Staates nimmt (etwa in Myanmar oder Aserbaidschan), um anschließend auf die lange historische Tradition des Griffs von Militär(s) nach der politischen Macht zu verweisen. Daraus schlussfolgerte er, dass, wer Staatlichkeit verstehen wolle, das Militär studieren müsse und umgekehrt. Die Frage, weshalb sich Militär einer politischen Führung unterordnete oder aber diese mit Rückgriff auf die eigenen Machtressourcen beseitigte, müsse im Mittelpunkt einer politikgeschichtlich interessierten Militärgeschichte stehen. Denn staatliche Gesellschaftsordnungen seien stets um die Kontrolle militärischer Macht bemüht gewesen, welche die äußere Sicherheit des Staates garantieren sollte und gleichzeitig ein umstrittenes Mittel zur Herstellung innerer Ordnung darstellen konnte. Als ein Grundproblem des Tagungsthemas identifizierte Nübel die Terminologie. Die beiden Kategorien „Politik“ und „Militär“ würden häufig nicht klar definiert. Dies zeige sich beispielsweise in der gegenwärtig wieder aufscheinenden Debatte über einen deutschen „Sonderweg“ und in der Frage des normativen Verständnisses des „Primats der Politik“. „Politik“ und „Militär“ seien historisch bedeutsame, allerdings nicht immer leicht zu bestimmende Kategorien. Nübel sprach sich deshalb dafür aus, diese nicht als strikt getrennte, abgeschlossene Bereiche zu betrachten, sondern als interagierende, dynamische Sphären mit eigenen, immer wieder aber auch geteilten Funktions- und Handlungslogiken.

Im ersten Panel, das sich Fallbeispielen der Frühen Neuzeit widmete, zeigte CATHLEEN SARTI (Oxford) die Wechselwirkungen zwischen Militär und politischer Ordnung am Beispiel von Dänemark-Norwegen und Schweden auf. Sie betonte die Mannigfaltigkeit und Komplexität der Formen von Ordnung und Gewalt in den Konflikten des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts im Ostseeraum. Die beiden nordischen Königreiche Schweden und Dänemark-Norwegen gingen dabei unterschiedliche Wege. Die schwedische Militärorganisation fußte auf dem Indelningssystem, das Teile der wehrfähigen Männer des Königreichs wehrpflichtig machte und gleichzeitig eine Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktion erlaubte. Das dänische Militär war hingegen vom Rückgriff auf Söldnertruppen unter Führung dänischer Adeliger gekennzeichnet. Für das Verständnis ihres Untersuchungsgegenstands seien die Wechselwirkungen zwischen Kriegsereignissen, der Organisation von Militär und politischer Kultur wichtig. So habe Krieg beispielsweise für die jungen Herrscher Erik XIV. von Schweden und Frederik II. von Dänemark zugleich ein Mittel zur Legitimationsherstellung als auch eine Chance auf territoriale Expansion ihrer Herrschaften dargestellt. Der äußerst kostspielige Rückgriff auf Söldner von Seiten Dänemarks führte im Königreich Ende des 16. Jahrhunderts zu strukturellen Finanzreformen. Für die Beendigung des Nordischen Siebenjährigen Kriegs im Jahr 1570 spielte schließlich der Druck, den der Rat Frederiks II. aus finanziellen Erwägungen auf den König ausübte, eine bedeutende Rolle.

DIMITRIOS TIM NYENHUIS (Düsseldorf) betonte in seinem Vortrag zum Dreißigjährigen Krieg die mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen Ordung und Gewalt. Ihre Dynamik habe den Prozess einer Eskalation der Gewalt befördert, die von zeitgenössischen Beobachtern als Kontrollverlust gedeutet worden sei. Nyenhuis zufolge waren beispielsweise die zahlreichen bildlichen Darstellungen des Krieges als außer Kontrolle geratenes Monstrum Ausdruck eines Bedeutungsverlusts ziviler Ordnungssysteme. Für die historische Forschung sei das Narrativ des Kontrollverlusts politischer und militärischer Führung jedoch differenzierungsbedürftig. Forschungsleitend sei folglich die Unterscheidung von situativem, intentionellem und strukturellem Kontrollverlust, ein Schema, das der Vortragende den Forschungen Daniel Hohraths und Sönke Neitzels zu Gewaltentgrenzung und Kriegsgräueln entlehnte. Nyenhuis schlussfolgerte, dass nicht intentionelle, sondern strukturelle Gründe für situative Entgrenzungen des Krieges verantwortlich waren, die von Zeitgenossen häufig als völliger Kontrollverlust gedeutet wurden. Er zeigte, dass die zahllosen Beispiele situativen Kontrollverlusts der militärischen Führung unter anderem durch Kreditkaskaden hervorgerufen wurden, die durch das zeitgenössische Wesen der Kriegslogistik und -finanzierung entstanden. Diese Dynamik habe die Art der Kriegführung maßgeblich beeinflusst.

Im zweiten Panel, das sich dem Thema Militär und innerer Sicherheit widmete, verglich KATHARINA SCHMITTEN (Berlin) Militäreinsätze in Industriegebieten in Preußen und Großbritannien zwischen 1889 und 1912. In den Gesetzen und Vorschriften zum Einsatz von Militär im Inneren offenbarte sich ihr zufolge ein diametral entgegengesetztes Verhältnis von Politik und Militär in beiden Ländern. Zwar war der Einsatz von Soldaten zur Unterstützung von Polizeikräften in Ausnahmefällen jeweils üblich, jedoch kontrastierte die bedingungslose Unterordnung des britischen Militärs unter die politische Führung mit einer vergleichsweise weitgehenden Handlungsautonomie des Militärs in Preußen. Nicht zuletzt unterschied sich auch die Stellung des Militärs in beiden Gesellschaften merklich voneinander. Während der Dienst in der britischen Berufsarmee mit einem geringen Sozialprestige verbunden war, hatte der Wehrdienst in Preußen eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Schmitten betonte die strukturellen Unterschiede im Unterstellungsverhältnis der beiden Streitkräfte; im deutschen Kaiserreich unterstand das Militär unmittelbar der Kommandogewalt des Monarchen und konnte im Gegensatz zur britischen Armee kaum von Regierung und Parlament kontrolliert werden. Aus ihrer vergleichenden Betrachtung des Bergarbeiterstreiks in Südwales 1910/11 sowie des Bergarbeiterstreiks im März 1912 im Ruhrgebiet zog Schmitten den Schluss, dass der Einsatz von Soldaten als Ordnungskräfte zwar kurzfristig seinen streikbrechenden Zweck erfüllte, jedoch langfristig zur Verbitterung und Radikalisierung bedeutender Teile der Bevölkerung beitrug.

MARCUS BÖICK (Bochum) widmete sich den Wechselbeziehungen zwischen privaten Sicherheitsunternehmen, Militär und Staat in Deutschland mit einem Fokus auf den Jahren 1918, 1945 und 1990. Diese Zäsuren hatten die Auflösung von Streitkräften gemeinsam, wodurch zahlreiche Menschen, die als Soldaten umfangreiche Fähigkeiten organisierter Gewalt erworben hatten, in die zivile Sphäre zurückkehrten. In der anschließenden Phase der Erwerbslosigkeit waren sie potentiell mit der Frage konfrontiert, ob sie ihren Status als Gewaltexperten nicht privatwirtschaftlich ökonomisieren sollten. Seinen Untersuchungsgegenstand privater Sicherheitsakteure verortete Böick im zeithistorischen Feld von Sicherheitskulturen und Versicherheitlichung. Er sprach sich dafür aus, Sicherheitskulturen und -märkte jenseits linearer Verfalls- und Expansionserzählungen vom Gewaltmonopol zu betrachten. Mit Blick auf einen sogenannten Sicherheitskapitalismus könne die Vermarktung von Sicherheit untersucht und gefragt werden, inwiefern privat-kommerzielle Auffangbecken Übergänge für ehemalige Soldaten zwischen Militär und Zivilgesellschaft darstellten. Abschließend plädierte Böick dafür, Akteure dieses erweiterten, privaten Sicherheitsmilieus als Ausgangspunkt für Untersuchungen der dynamisch-diffusen Grenzziehungen zwischen den Kategorien „privatwirtschaftlich“ und „öffentlich-staatlich“ sowie innerer und äußerer Sicherheit zu nehmen.

Die Tagung beleuchtete mit weit gefächerten Beispielen die vielschichtige Verschränkung von Militär und Politik im neuzeitlichen Staat, und die Beiträge verwiesen auf die Komplexität der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Akteursgruppen im Kontext der Organisation und Kontrolle von Gewalt in Gesellschaften. Die diesen Wechselwirkungen innewohnende Dynamik stellt ein historisches Phänomen dar, dessen Untersuchung nicht zuletzt Erkenntnisse bereithält, die zum Verständnis von Staatlichkeit beitragen.

Konferenzübersicht:

Martin Clauss (Chemnitz): Grußwort des Vorsitzenden des AKM

Wencke Meteling (Washington, D.C.) und Christoph Nübel (Potsdam): Wechselwirkungen zwischen Militär und Politik. Zur Einführung

Panel I: Politik und Militär in Krieg und Nachkrieg: Fallbeispiele aus der Frühen Neuzeit

Leitung: Christoph Nübel (Potsdam)

Cathleen Sarti (Oxford): Wechselwirkungen zwischen Militär und politischer Ordnung. Dänemark-Norwegen und Schweden in den Kriegen des späten 16. Jahrhunderts

Dimitrios Tim Nyenhuis (Düsseldorf): Ordnung oder Gewalt? Situativer und intentioneller Kontrollverlust von Politik und Militär im Dreißigjährigen Krieg

Panel II: Militär und innere Sicherheit: Organisierte Gewalt zwischen Ver- und Entstaatlichung

Leitung: Wencke Meteling (Washington, D.C.)

Katharina Schmitten (Berlin): Soldaten als Ordnungskräfte? Militäreinsätze in britischen und deutschen Industrieregionen 1889-1912

Marcus Böick (Bochum): Ein professionelles Auffangbecken für Gewalt-Experten? Über Austausch- und Wechselbeziehungen zwischen Militär, Staat und privaten Sicherheitsunternehmen nach 1918, 1945 und 1990


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