Körper. Hegemonie. Ideal. Zur maskulinen Dimension des Heroischen

Körper. Hegemonie. Ideal. Zur maskulinen Dimension des Heroischen

Organisatoren
Vera Marstaller / Andreas Plackinger, SFB 948 „Helden, Heroisierungen, Heroismen“, Teilprojekt S3 „Maskulinität(en)“, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Ort
digital (Freiburg)
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.07.2021 - 09.07.2021
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Von
Clara Arnold, SFB 948 „Helden, Heroisierungen, Heroismen“, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Nur ein idealer Mann könne ein Held sein, und ein idealer Held sei immer ein Mann. Diese Ausgangsthese klingt so überzeugend und einleuchtend, dass sie vielleicht gerade aus diesem Grund noch einmal auf den Prüfstand kam. Dies war zumindest das Vorhaben und Angebot des Workshops.

In ihrer Einführung betonten Vera Marstaller und Andreas Plackinger sowohl die Notwendigkeit der Dekonstruktion des Verhältnisses von Männlichkeit und Heroisierung als auch die Wirksamkeit und Zumutung hegemonialer Männlichkeit für alle Geschlechter. Erst die Abweichung vom Typus des männlichen Helden sorge für die nötige Aufmerksamkeit von Maskulinität als normativem Heldenmuster. Einleitend vollzog Plackinger einen „Parforceritt", ausgehend vom abgeschlagenen Kopf der Medusa von Perseus (Antonio Canova) über das männliche Aktzeichen im Gemälde von Germain-Jean Drouais von 1785 sowie Batman und Superman als popkulturelle Idealbilder des Helden bis hin zum zeitgenössischen Körperkult einer österreichischen Fitnessstudio-Kette. Die darin im Zentrum stehende Physiologie des Mannes stärke die Naturalisierung des geschlechtlich markierten Körpers. Medusas Kopf ohne Körper könne in Canovas überlebensgroßer Skulptur aber gerade für die Reflexion des Konnexes von Maskulinität und Heldentum sorgen.

Die Rolle des Körpers im Hinblick auf Effekte von Binarisierung und Naturalisierung stand im Zentrum der ersten Sektion, die MATTHIAS BENSCH (Haltern) mit einem Blick auf Männlichkeitsentwürfe in der visuellen Kultur des Imperium Romanum eröffnete. Mithilfe von drei Fallbeispielen der römischen Äneas-Ikonographie konnte er zeigen, inwieweit darin unterschiedliche Männlich- und Weiblichkeitsmodelle ausgehandelt wurden. Dabei stärkte er die Position, dass heroische Männlichkeit erstens als Körperlichkeit, zweitens als Attraktivität für das weibliche Geschlecht und drittens als kraftvolle kriegerische Existenz erscheinen konnte. Neben dieser durchaus vielfältigen Darstellung müsse aber betont werden, dass Äneas nicht als „Orientale“ und damit „Fremder“, als der er als Trojaner hätte gelten können, gezeichnet wurde. Diese Herkunft wurde stets auf Dritte (Begleiterfiguren) in den Gemälden ausgelagert.

ULRICH PFISTERER (München) nahm sich nicht explizit unterschiedliche visuelle Darstellungen vor, sondern zeigte anhand der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Leone Leonis Aktstatue Karls V., wie die Inszenierung heroischer Männlichkeit gerade in ihrem Scheitern anschaulich analysiert werden kann. In der sehr aufwendig gearbeiteten Bronzestatue werde der männliche Körper durch seine Nacktheit, Potenz und Erotik heroisiert. Doch ein derart öffentlich präsentierter Herrscherkörper erregte außerhalb Italiens Aufsehen, und die Darbietung angesichts eines alternden Karl V. erschien unangemessen. Dieses Kippen der Wahrnehmung lasse die Karlsstatue, so Pfisterer, als „Höhe- und Umschlagepunkt“ heroischer Männlichkeit verstehen.

In ihrem Kommentar hob Anne Hemkendreis (Freiburg) auf einen vermittelnden Aspekt der beiden Vorträge ab. Ermöglichte gerade die Nacktheit der Karlsstatue im 16. Jahrhundert einen ästhetischen Dialog mit Heroendarstellungen liminaler Figuren in der Antike, scheiterte die Statue just an dieser Referenz. Zudem verwies Hemkendreis auf die Anschlussfähigkeit der ambiguen Darstellungen an weitere Forschung des SFB 948, die Körperlichkeit als Medialisierung und Inszenierung verstehe – Körper konstituierten sich demnach auch durch Heroisierungsprozesse.

Die Keynote hielt ANTHEA CALLEN (Nottingham), die mit ihrem Fokus auf Bathing Beaux eine kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem männlichen Körper beim Baden (als Reinigungs- und Erholungspraktik) bot und dabei zeigte, dass Wasser als gegendertes Medium nicht nur zwischen Klassen, sondern intersektional gedacht auch zwischen Klassen trennte. Callen konstatierte mit dem Aufkommen von Hygiene- und Körperreinigungsdiskursen im 19. Jahrhundert eine enge Verknüpfung der bildenden Künste mit einem männlich universellen Körper, der gesund, sauber, weiß und heterosexuell gedacht und über eine heroische Nacktheit repräsentiert war.

Die zweite Sektion über Hegemonie eröffnete SIMON WENDT (Frankfurt am Main), der anhand seines Fallbeispiels der „Daughters of the American Revolution“ in den USA die enge Verbindung von Heroismus, Nationalismus und Männlichkeit verdeutlichte. Anhand der Erinnerungspolitik der organisierten konservativen Frauen zeigte er auf, inwieweit diese durch die Verehrung männlicher Krieger an der Produktion und Perpetuierung hegemonialer Männlichkeit beteiligt waren. Diesen Zusammenschluss konservativer Frauen nutzte Wendt, um darauf hinzuweisen, inwieweit Frauen Komplizinnen hegemonialer Strukturen sein können und wie sie durchaus von der Geschlechterhierarchie profitierten.

NICOLA SPAKOWSKI (Freiburg) zeigte anhand von sozialistischen Heldinnen in China, dass zur Zeit des sozialistischen Aufbaus unter Mao Zedong Frauen wie selbstverständlich in „männliche Felder“ wie das Militär oder die Landwirtschaft eintraten. Auch wenn diese propagierte Gesellschaft der Gleichheit spätestens seit den 1980er-Jahren sowohl von Seiten des westlichen Feminismus (patriarchaler Sozialismus) als auch von der chinesischen Frauenbewegung kritisiert wurde (Zwang zur Anpassung an männliche Standards, Doppelbelastung), habe sich das Bild spätestens seit den 2000er-Jahren gänzlich verändert. Die Frauen seien nun zu Konsumentinnen und zum Objekt der Schönheitsindustrie geworden. Zum neoliberalen Rückschritt habe sowohl die Kritik an Frauen als maskulinisiert als auch die durch die demographische Krise ausgelöste Re-Traditionalisierung geführt. Als einen (politischen) way out zeigte Spakowski anhand der Geschichte von Mulan im Hinblick auf empowering und das Überqueren von Gendergrenzen, dass es eher um die Frage von agency als um Fragen von Geschlechtlichkeit gehen solle.

In ihrem Kommentar hob Vera Marstaller (Freiburg) auf den schmalen Grad einer Analyse ab, der sowohl einen offenen Blick für die Spezifika des jeweiligen Gegenstandes behalte als auch generelle Aussagen über die Verbindung zwischen Hegemonie, militarisierter Männlichkeit und Weiblichkeit ermögliche. Damit brachte sie ein grundlegenderes Unbehagen zum Ausdruck, das in der Geschlechterforschung unter dem Stichwort der Reifizierung verhandelt wird.

Die Sektion zum Ideal wurde von ANDREAS PLACKINGER (Freiburg) eröffnet. Er stellte Büsten des Bildhauers Philippe-Laurent Roland aus dem Jahr V der Republik (1796/97) ins Zentrum seiner Überlegungen, um an ihnen den heiklen Status des Helden innerhalb des Bürgertums der Französischen Revolution zu diskutieren. Als Reaktion darauf, so seine These, wurde die Büste aus der antiken Skulptur zum Repräsentationsmedium, und in ihrer Ausformung wurde darauf geachtet, eine mittlere Position zwischen Bürgerlichkeit und jugendlicher Körperlichkeit zu wählen. Die dargebotene Büste zeige, dass das körperliche Ideal Gesundheit, Stärke, Beweglichkeit und Wehrhaftigkeit als Männerbild (hier immer auch als Menschenbild gedacht) propagiert wurde.

OLMO GÖLZ (Freiburg) zeigte anhand von Propagandamaterial aus dem Iran, inwieweit Märtyrer als prototypische gegenhegemoniale Helden gelten können. Die Ausgestaltung des Märtyrers als antikoloniale Waffe der Schwachen konstatierte Gölz als Paradox, da der idealisierte männliche Märtyrer zugleich einen bewahrenden Effekt für eine patriarchale Geschlechterordnung habe. Dabei zeige sich einerseits die Stärke des Märtyrers erst in seinem Tod, andererseits erhielten die Frauen darüber die Funktion, Märtyrer zu erziehen, zu unterstützen, zu lieben und zu erinnern.

In seinem Kommentar forderte Andreas Urs Sommer (Freiburg) sowohl Plackinger als auch Gölz mit eigenen Fallbeispielen aus ihren Argumentationen heraus. Dabei kontrastierte er die Deutung der Büsten mit Abbildern auf Münzen aus den Jahren vor und nach der Französischen Revolution und verwies auf die aus seiner Sicht darin sichtbar werdenden Männlich- und Weiblichkeitsentwürfe der Zeit. Gölz hielt er einen christlichen Vergleichskontext entgegen, in dem selbst weibliche Märtyerinnen nichts an der Geschlechterhierarchie geändert hätten und hinterfragte dessen These des Paradoxes, dass der Märtyrer erst durch seine Schwäche stark sei und in seinem Widerstand zur Machterhaltung beitrage.

CORNELIA BRINK (Freiburg) sortierte in ihrem Abschlusskommentar Herausforderungen interdisziplinärer Begegnungen der letzten beiden Tage und hielt Aspekte fest, die sie als Augenöffner für die weitere Arbeit des Teilprojektes betrachtet. Das Besondere sei nicht nur, dass das in den vergangenen Tagen dargebotene Material aus einem rund zweitausendjährigen Zeitraum stamme, sondern auch einen großen geographischen Raum umfasse. Dieser wurde immer größer, je aktueller die Fallbeispiele wurden, so Brink. Als große Klammer markierte sie die Beobachtung, dass Heldentum stets in politischen Kontexten untersucht wurde, nämlich im Zuge von Herrschaft, Krieg und Revolution, von Propaganda im Iran und in China, in Demokratien und im Sozialismus. Neben den Aspekten von Körperlichkeit, Sexualität und Relationalität betonte Brink den Kontext- und Bedeutungswechsel als spannende Anschlusspunkte für die Frage nach Verbindungen von „Maskulinität(en)“ und Heldenvorstellungen. Sie schloss mit ihrer Irritation über den leeren Sockel: Der nie realisierte Plan des Abgeordneten Armand-Guy Kersaint im Rat des Départements Paris war es, Pavillons aufstellen zu lassen, in denen die Stelle eines Denkmals zwar markiert sei, aber leer bleibe. Dieser Ausgangspunkt des Vortrags von Andreas Plackinger sei ein imaginäres Symbol für in Heldenvorstellungen wiederholt zu findende Suchbewegungen, wie man/Mann sein sollte. Im Anschluss daran war Gelegenheit, sowohl über den männlichen Körper als abwesende Anwesenheit zu sprechen, als auch über das, was sein könnte – etwa die Sichtbarmachung oft unsichtbar bleibender anderer Geschlechtermöglichkeiten als der binären.

Möglicherweise wurden im Workshop mehr Fragen gestellt als beantwortet. Aber das war, so die Organisator:innen, auch das Ziel der Veranstaltung. Scheinen sich die Koordinaten des Zusammenhangs von „Männlichkeit(en)“ und dem Heroischen auf den ersten Blick recht deutlich abzuzeichnen, sollten die gewählten Begriffe des Körpers, der Hegemonie und des Ideals durch archäologische, kunsthistorische und geschichtswissenschaftliche Beiträge hinterfragt und durch Fallstudien aus unterschiedlichen Ländern irritiert werden. Auch wenn die meisten Beiträge am Material relativ klar und deutlich Position zu den heroischen Männlich- und Weiblichkeitskonstruktionen bezogen, war das – und das dürfte wenig überraschen ¬– in den durchaus auch kontrovers geführten Auseinandersetzungen über die Begriffswahl, das passende Analyseraster und die allgemeineren Schlussfolgerungen deutlich schwieriger.

Daher sollen zwei Aspekte exemplarisch genannt werden, die in Rückfragen und Diskussionen und damit an verschiedenen Stellen des Workshops immer wieder zur Sprache kamen. Zum einen ging es darum, welches heuristische Begriffswerkzeug es braucht, um das Verhältnis von „Männlichkeit(en)“ und Heroismus in den Blick zu nehmen, inwieweit dafür das Konzept der hegemonialen Männlichkeit in Anschluss an Raewyn Connell herhalten kann und worin Gefahren einer Reifizierung von Geschlecht liegen können. Dabei wurden am Material mehrmals unterschiedliche Interpretationen von Geschlechtlichkeit diskutiert, auf die der jeweilige Kontext des Materials stets entscheidenden Einfluss hatte. Zugleich lag immer auch ein Augenmerk auf der Verschränkung von Geschlecht mit Fragen von sozialer Klasse, aber auch Fragen der Markierung von Herkunft und rassifizierenden Zuschreibungen. Eine andere Frage war, welche weitergehenden Befunde sich über die konkrete Lebensrealität der sogenannten „Heldenmacher“ im jeweiligen Untersuchungs(zeit)raum feststellen lassen und welche Aussagekraft Propagandamaterial und Beispiele aus der visuellen Kultur bei Zuschreibungsprozessen von Heldenfiguren (Konstruktions- und Rezeptionsseite) haben können. Damit wurde auch noch eine viel grundlegendere Frage berührt, nämlich die nach der aufschließenden Kraft des Heroischen zum Verständnis von Geschichte und Gegenwart.

Diese Vielzahl an Perspektiven und offenen Fragen mag der Tatsache geschuldet sein, dass antikes und zeitgenössisches Material, aber auch ganz unterschiedliche Disziplinen und Sehgewohnheiten aufeinandertrafen. Das ist schließlich auch die große Kunst und Stärke einer gemeinsamen Praxis historisch arbeitender „Heldenforschung“. In seiner Befragung grundlegender Begriffe stellte der Workshop einen gelungenen Auftakt in die nun beginnende Arbeitsphase des Teilprojektes zum Verhältnis von Heldentum und „Männlichkeit(en)“ dar. Man darf gespannt sein, welche Schwerpunkte die künftigen Workshops legen und welche Entscheidungen dabei bereits in die ein oder andere Richtung getroffen sein werden.

Konferenzübersicht:

Körper. Binarisierung/Naturalisierung
Moderation: Andreas Plackinger

Matthias Bensch (Haltern): Überlegungen zu heroischen Maskulinitäten in der visuellen Kultur des Imperium Romanum

Ulrich Pfisterer (München): Die Grenzen des heroischen Ideals? Das Scheitern von Leone Leonis Statue Karls V.

Anne Hemkendreis (Freiburg): Kommentar

Keynote

Anthea Callen (Nottingham): Bathing Beaux: Hygiene, Aquatics and Desire c. 1830-1910

Hegemonie. Hegemonic Masculinity und maskulinisierte Weiblichkeit
Moderation: Olmo Gölz

Simon Wendt (Frankfurt am Main): Female Nationalists, Heroism, and Hegemonic Masculinity in the United States around 1900

Nicola Spakowski (Freiburg): Women Heroines in Socialist China

Vera Marstaller (Freiburg): Kommentar

Ideal. Zwischen Norm und Exzeptionalität
Moderation: Joachim Grage

Andreas Plackinger (Freiburg): The Citoyen as a (potential) Hero. Male Portrait Busts in Revolutionary France

Olmo Gölz (Freiburg): Haunted by the Martyrs of the Past. Idealized Masculinities and the Social Power of Sacrifice

Andreas Urs Sommer (Freiburg): Kommentar

Synthese
Moderation: Vera Marstaller

Cornelia Brink (Freiburg): Abschlusskommentar