Der preußische Hof in Europa. Modelle, Akteure, Wahrnehmungen (1786–1918) – eine internationale Tagung in vergleichender Perspektive

Der preußische Hof in Europa. Modelle, Akteure, Wahrnehmungen (1786–1918) – eine internationale Tagung in vergleichender Perspektive

Organisatoren
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften; Forschungsprojekt: Anpassungsstrategien der späten mitteleuropäischen Monarchie am preußischen Beispiel 1786–1918
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2021 - 02.10.2021
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Von
Daniel Benedikt Stienen, Bayerische Akademie der Wissenschaften

Die Monarchien des 19. Jahrhunderts haben in den vergangenen Jahren wieder vermehrt die Aufmerksamkeit der Geschichtsforschung auf sich gezogen. Für das deutsche Beispiel heißt das: Einst galt es als retardierendes Herrschaftssystem verpönt, das, da es nicht wie seine europäischen Nachbarn den Weg der Parlamentarisierung gehen wollte, unvermeidlich dem Untergang geweiht war. In jüngster Zeit hebt die Forschung hingegen die Überlebensfähigkeit dieser Institution in Deutschland und Europa hervor. Martin Kirsch spricht von einer „erstaunliche[n] Anpassungsfähigkeit“1 der europäischen Monarchen, Dieter Langewiesche von der „Selbstbehauptung durch Wandel“2 und Volker Sellin beschreibt die Suche nach einer „zeitgemäße[n] Weiterentwicklung“.3 Einen ähnlichen Weg beschreitet das an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelte Editionsprojekt „Anpassungsstrategien der späten mitteleuropäischen Monarchie am preußischen Beispiel 1786–1918“, das im Oktober 2021 auf einer internationalen Fachtagung erste Forschungsergebnisse präsentierte.

Ein zentrales Themenfeld der Tagung stellte die symbolische Kommunikation des Hofes und seine Funktion und Leistungsfähigkeit als Integrationsmotor dar. In seinem Eröffnungsvortrag charakterisierte WOLFGANG NEUGEBAUER (Berlin) anhand des preußischen Falls den Hof als eine „Emotionsagentur“, die sich zu einem gesteigerten Emotionsbedarf einer Gesellschaft zu verhalten hatte, die sich in einer durch Wegbrechen alter Gewissheiten gekennzeichneten Moderne auf die Suche nach Orientierungsmöglichkeiten begab. Orden, Ratstitel, Uniformen, Hoffeste und vieles andere mehr seien demnach als differenziertes System einer „elementaren bipolaren emotionalen Kommunikation“ anzusehen, mit der die Monarchie den neuen Anforderungen gerecht zu werden suchte und gleichzeitig in Zeiten von Konstitutionalismus, Säkularisierung, Industrialisierung und Nationalismus einen Funktionswandel vollzog.

Den ambivalenten Charakter dieser Integrationsbemühungen veranschaulichte ANNA DIETRICH (Berlin) am Beispiel des preußischen Krönungs- und Ordensfestes. 1810 ins Leben gerufen, diente die alljährliche Einladung von Neudekorierten in das Berliner Schloss dazu, durch gegenseitige Loyalitätsstiftung staatstreues Verhalten zu fördern und auch ausdrücklich auf sozial nicht privilegierte Bevölkerungsschichten integrativ zu wirken. Gerade letzteres wurde in der medialen Berichterstattung honoriert, indem konservative und liberale Medien den „demokratischen“ Charakter des Festes würdigten. Doch besaß der Inklusionsmechanismus Grenzen: Immer wieder lehnten Personen die ihnen zugedachten Ehrungen ab, weil sie sich in dem ausdifferenzierten System unterschiedlicher Orden mit zahlreichen Abstufungen eine höhere Auszeichnung versprochen hatten. In ihrer Enttäuschung erschien ihnen der Verzicht attraktiver als die Annahme einer als minderwertig angesehenen Dekoration.

Eine andere Form symbolischer Kommunikation untersuchte ULRIKE MARLOW (Berlin/München) am Beispiel von Bittschriften, die zwischen 1854 und 1898 von Untertanen an Kaiserin Elisabeth von Österreich gerichtet wurden. Sie kamen aus allen Teilen der Monarchie, vorrangig jedoch aus dem Erzherzogtum Österreich bzw. nach 1867 aus der cisleithanischen Reichshälfte. Bei der Bewilligungsquote fällt auf: Je weiter der Bittsteller vom Wiener Zentrum entfernt war, desto geringer waren seine Erfolgschancen. Für Ungarn bzw. die transleithanische Reichshälfte ist die Ablehnungsquote signifikant erhöht, was die Referentin auf das ungarische Engagement in der Revolution von 1848 zurückführte, das seitens des Herrscherhauses noch Jahrzehnte später mit dem Verdacht mangelnder Loyalität gestraft wurde. Indem jedoch drei Viertel aller Gesuche positiv beschieden wurden, sei Elisabeth die moralisch integrierende Inszenierung als Landesmutter gelungen.

Ein weiteres Anliegen der Tagung war, das Verhältnis von Monarchie und Moderne zu bestimmen. QUENTIN DELUERMOZ (Paris) exemplifizierte anhand Napoleons III. den Hof als Instrument einer „spezifischen Moderne“, der einen transnationalen Knotenpunkt in einer sich globalisierenden Welt darstellte und durch die Erfindung und Verankerung von Tradition als Teil aktiver „Emotionspolitik“ Brücken zwischen Moderne und Vormoderne schlug.

MARTIN KOHLRAUSCH (Leuven) widmete sich dem Verhältnis von Monarchen zu modernen Massenmedien. Bildmedien gewannen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als politisches Kommunikationsmittel. Monarchen nahmen Anteil an den modernen Aufmerksamkeitsökonomien, indem sie die Exklusivität ihres Daseins als etwas Spektakuläres in Szene setzen ließen, was gerade die neuen Medien gut zu transportieren vermochten. Insofern sei im medienaffinen Kaiser Wilhelm II. mehr als bislang von der Forschung berücksichtigt ein Fall europäischer Normalität anzusehen. Doch barg solche Medienaffinität unkalkulierbare Nebenwirkungen: Nicht nur formten die Medien die politische Kommunikation aktiv mit, wobei sie anderen, teils entgegengesetzten Interessen und Funktionslogiken unterworfen waren. Auch trivialisierten die Medien durch ihre Berichterstattung die Monarchie, indem die Abbildung des Monarchen in Konkurrenz mit anderen Medienereignissen trat, die um die Gunst des Publikums buhlten.

Dass monarchische Prachtentfaltung von den Zeitgenossen stets in eine Kosten-Nutzen-Relation gestellt wurde und der Kostenaufwand desintegrative Wirkungen besitzen konnte, klang an zahlreichen Stellen an. FABIAN PERSSON (Växjö/Kalmar) zeigte am schwedischen Beispiel, wie jede Erhöhung der königlichen Zivilliste von spöttischen Karikaturen und kritischen Debatten im zustimmungspflichtigen Parlament begleitet wurde. Zwar sank zwischen 1779 und 1920 nicht nur der Anteil der für den Hof aufgewendeten Summen verglichen mit den gesamten Staatsausgaben von 16,7 auf 0,2 Prozent und war, wie ein Seitenblick auf Frankreich, Großbritannien und deutsche Fürstentümer gestattete, im europäischen Vergleich überhaupt gering. Doch trug die repetitive Darstellung der Monarchen als konsumtive Bittsteller dazu bei, antimonarchische Affekte zu befeuern.

Den Finanzbedarf der Prinzenhöfe im Vergleich mit dem Königshof zeigte ANNELIE GROSSE (Berlin) am preußischen Beispiel auf. Der Monarch besaß als Familienoberhaupt eine Versorgungspflicht gegenüber den Familienangehörigen, er errichtete und schloss Prinzenhöfe und kümmerte sich um die Apanagen. Zudem wies er Prinzen Residenzen zu und kümmerte sich um die Erstausstattung. Somit war der prinzliche Hofstaatsetat eng an die Apanage gekoppelt, deren Höhe von der Familiennähe zum Monarchen, vom Alter und vom Familienstand abhing. Anhand verschiedener Monarchen und Prinzen veranschaulichte die Referentin die Ausgabenentwicklung und zeigte, dass Prinzen wohlberaten waren, weitere Einnahmequellen zu erschließen, um eine relative finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Im Ergebnis können aus finanzhistorischer Perspektive Prinzenhöfe nicht als „Minitaturen“ der Königshöfe angesehen werden, wie in der Forschung zuweilen geschehen, da letztere sehr viel weitergehende Repräsentationsfunktionen wahrnahmen, die sich in Höhe und Gliederung der Hofausgaben niederschlugen.

Den Prinzen in Person der Thronfolger widmete sich auch FRANK LORENZ MÜLLER (St. Andrews), der drei Aspekte hervorhob: Den Verlust „harter“ Macht versuchten die Dynastien durch den Erwerb von „soft power“ zu kompensieren. Durch Reisen traten nahbare Prinzen mit Untertanen vor Ort in Kontakt und verbanden das Zentrum mit der Peripherie. Als Ausweis öffentlicher Tugendhaftigkeit inszenierten sie sich als Sinnbilder von Wohltätigkeit und familiärer Fürsorge, förderten Technik, Bildung und manches mehr. Aufgebaut zu „celebrities“, umhaucht von Glamour und Spektakel, steigerten sie die Sichtbarkeit der monarchischen Familie. Ein zweites zentrales Element bestand in der öffentlich inszenierten Erziehung der Prinzen. Durch sie wurde die Tüchtigkeit der angehenden Monarchen dokumentiert und ein Leistungsversprechen an die Zukunft abgegeben. Ein dritter Punkt bestand in der verfassungsrechtlichen Einbindung des Thronfolgers. Viele Verfassungen sahen etwa vor, dass der Thronfolger Mitglied des Parlaments (Erste Kammer) ist, wo sich manch ein Prinz, der die Rolle ernstnahm, Anerkennung erarbeiten konnte. Das Resultat eines Mehrgenerationenprozesses war die „Versanftigung“ des monarchischen Systems. Durch den erfolgreichen Funktionswandel gelang es den konstitutionellen Monarchien, sich eine Zustimmungsmehrheit zu bewahren, bis ihnen die vernichtende Niederlage im Ersten Weltkrieg die Legitimationsgrundlage entzog.

Ein weiteres Themenfeld bildete die Organisation des Hofes und des Zugangs zu ihm durch die sozial exklusive Gruppe des Adels. MAXIMILIAN VISSERS (Amberg) zeigte mit Max IV./I. Joseph von Bayern einen reformeifrigen Monarchen. Bei seiner Thronbesteigung 1799 leitete er in dem hoch verschuldeten Land Reformen ein (Ära Montgelas), unter anderem mit dem Ziel, Hof-, Staats- und Militärverwaltung zu entflechten. Die Besetzung Bayerns durch französische Truppen veranlasste den Monarchen in den Jahren nach 1802 zu einer Neuordnung des Finanzwesens. Max Joseph begann bei sich selbst, indem er demonstrativ den Hofetat kürzte. Indes stiegen 1806 die Hofausgaben durch die Aufwertung Bayerns zum Königreich, und die Hoforganisation differenzierte sich weiter aus. Zugleich kam es zu einer Professionalisierung: Hofämter wurden nach fachlicher Expertise vergeben. Gleichwohl blieben oberste Hofämter fest in adeliger Hand. Allen Reformversuchen zum Trotz hinterließ Max Joseph das Land mit höheren Schulden als er es vorgefunden hatte. Regelmäßig verstieß der König gegen das selbstauferlegte Spargebot zugunsten von Familienangehörigen, Günstlingen, aber auch Bedürftigen. Bei der „Neuerfindung“ der bayerischen Monarchie, so Vissers’ Ergebnis, fiel dem königlichen Hofstaat eine zentrale Rolle zu. Durch eine aktive Personalpolitik (die Verleihung der Kämmererwürde spielte als Akt der Integration eine zentrale Rolle) gelang es, alte und neue Eliten zusammenzubringen. Die Besetzung von Hofstellen blieb im Sinne sozialer Exklusivität gleichwohl frühneuzeitlichen Gepflogenheiten verhaftet.

ANJA BITTNER (Berlin) zeigte, dass auch in Preußen der Hofdienst bis zum Ende der Monarchie eine exklusive Domäne des Adels blieb. Wie in Bayern diente die Verleihung der Kammerherrenwürde der politisch-symbolischen Integration und verpflichtenden Bindung an das Herrscherhaus. Standen in der regionalen Verteilung der Verleihungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch Brandenburg und Schlesien mit weitem Abstand an der Spitze, so ist für den weiteren zeitlichen Verlauf ein relativer Bedeutungsverlust zugunsten der übrigen Provinzen zu beobachten, was auf eine gezielte Einbindung der neugewonnenen Landesteile schließen lässt, etwa auch des polnischen Adels. Da die obersten Hofbeamten das öffentlich sichtbare Personal des Hofes darstellten, während mittlere und niedere Beamte im Hintergrund blieben, waren sie das Aushängeschild des Hofes; für die Wahrnehmung ihrer Repräsentativfunktion war die soziale Exklusivität der Beamten integral.

Ganz anders stellte sich die Situation am neu geschaffenen italienischen Königshof dar. Wie THOMAS KROLL (Jena) zeigte, waren die Salons des römischen Adels wesentlich exklusiver. Hinzu kam, dass sich der italienische Hof seit seinem Umzug nach Rom in einer verhängnisvollen Konkurrenz zum Hof des Papstes befand, in der das schlicht-militärische Zeremoniell der Savoyer notwendigerweise unterliegen musste. Nichtsdestotrotz kam es zu einem Ausbau des Hofes, der ab den 1870er-Jahren eine moderne Prachtentfaltung erlebte, die er insbesondere Königin Margarethe zu verdanken hatte. Der Zutritt zum Hof war keineswegs ein exklusives Privileg des alten, erblichen Adels, sondern sozial offen. Mit rund 400 Bediensteten nahm sich der Hof überdies im europäischen Vergleich recht bescheiden aus. Zudem gelang es dem Parlament, mehr und mehr Kontrolle über den Hof und die Ernennung seiner Beamten zu gewinnen. Der Anspruch, zu Hoffesten eingeladen zu werden, entwickelte sich unter Beamten allmählich zu einer Selbstverständlichkeit, was schon einmal zur Einlegung einer formalen Beschwerde führte, wenn ein Kollege vorgezogen wurde.

Dass der Hof sowohl Hort der Tradition als auch Akteur der Modernisierung war, zeigte TINO SCHÖLZ (Berlin) am japanischen Beispiel. Bis in das 19. Jahrhundert im Schatten der Shogune zur Bedeutungslosigkeit verdammt, erlebte das Kaisertum mit der Meiji-Restauration 1867/68 einen ungeahnten Aufschwung, der mit einem radikalen sozioökonomischen Transformationsprozess der sich auflösenden traditionellen Standesgesellschaft zusammenfiel. Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts war geprägt von umfassenden Modernisierungen, so der Trennung von Hof und Regierung, der Reform der Verwaltung und Reorganisation nach dem Leistungsprinzip und dem Erlass einer Verfassung nach preußischem Vorbild. Als Oberhaupt der Dynastie, konstitutioneller Monarch und Oberkommandierender der Streitkräfte, aber auch als Oberpriester des Shinto, Hüter der traditionellen Künste, Herr über die Zeitrechnung, Repräsentant der Nation und Katalysator der Modernisierung übte der Kaiser eine Fülle an Funktionen aus, wobei die Tradition als integrale Legitimationsressource der Modernisierung diente. Residenzausbau, Paraden in der Hauptstadt und eine rege Reisetätigkeit dienten Repräsentationszwecken, um die Existenz des Tenno im Bewusstsein der japanischen Bevölkerung zu verankern und durch die wechselseitige Sichtbarkeit die Integration beider Teile in die sich herausbildende japanische Nation zu gewährleisten.

Dem Umbau bestehender Schlösserlandschaften als monarchisches Projekt widmete sich CHRISTOPH MARTIN VOGTHERR (Potsdam). Am Beispiel Louis-Philippes I. von Frankreich und Friedrich Wilhelms IV. von Preußen erläuterte er die Verschränkung künstlerisch-ästhetischer mit politischen Programmatiken. Louis-Philippe inszenierte Schloss Versailles und den Tuilerien-Palast als authentische Geschichtsorte. Im Vordergrund der zu öffentlich zugänglichen Museen bzw. Gemäldegalerien umfunktionierten Gebäude stand die Konstruktion einer tausendjährigen französischen Geschichte, in der dem Volk ein zentraler Ort als historische Triebkraft zugewiesen wurde. Ziel des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe war, der französischen Nation nach den turbulenten Jahren der Revolution, der Napoleon-Ära und der Restaurationsphase ein Versöhnungsangebot zu machen. Anders Friedrich Wilhelm: Zwar wurde auch der Park von Sanssouci (keineswegs vollständig) geöffnet, um den Besucher die Aura des Ahn- und Schlossbauherrn Friedrichs II. spüren zu lassen. Doch dienten die Parkanlage und sein Schlossensemble primär als Rückzugs- und Erbauungsort gegen die Verflachungen des modernen Industriezeitalters. Nicht die Nation, sondern der große Vorfahr auf dem Thron wurde hier als einsamer Macher und genialer Schöpfer Preußens in Szene gesetzt. Nicht das Volk, allein der Herrscher konstituierte Preußen. In ihren unterschiedlichen Botschaften stand die Baupolitik somit zugleich spiegelbildlich für die Herrschaftsverständnisse beider Könige.

Begleitet wurde die Konferenz von methodischen Reflexionen des historischen Untersuchungsgegenstands. ALOYS WINTERLING (Berlin) historisierte Norbert Elias’ Studie „Die höfische Gesellschaft“ (1933/1969)4 und zeigte, wie er den französischen Sonderfall zum europäischen Normalfall deklarierte und damit den Blick auf alternative Formen höfischer Strukturen und höfischer Kommunikation verstellte. Gleichwohl stelle das Werk noch immer eine Herausforderung für die Geschichtswissenschaft dar und gelte zurecht weiterhin als Klassiker der Hofforschung. An anderer Stelle plädierten RONALD G. ASCH (Freiburg) und JEROEN DUINDAM (Leiden) in ihren Vorträgen einstimmig für eine „Sozialgeschichte des Politischen“, um die vorherrschenden kulturhistorischen Fragestellungen produktiv zu ergänzen.

Die Konferenz, deren Ergebnisse in einem Tagungsband publiziert werden sollen, ist Ausweis einer vitalen europäischen Monarchieforschung, die sowohl lokale, transnationale als auch globale Perspektiven einnimmt, um ihren Gegenstand zu beleuchten. Im Vordergrund standen Integrationsleistungen des monarchischen Ordnungsarrangements, doch wurde an verschiedenen Stellen auch der Sand offenbar, der das Getriebe der höfischen Inklusionsmaschinerie zum Stottern brachte. Den dadurch entstandenen Störgeräuschen werden zukünftige Forschungen weitere Aufmerksamkeit schenken können, um der Gefahr einer allzu harmonisierenden Darstellung des höfischen Inklusionskosmos zu begegnen. Allgegenwärtig waren auf der Tagung komparatistische Überlegungen, nicht nur durch die thematische Gruppierung von Einzelfallstudien in den einzelnen Sektionen, sondern auch weil einzelne Referate den Vergleich von drei oder mehr Ländern nicht scheuten. Der Vergleich erwies sich mithin als „die schärfste Waffe des Historikers“ (Paolo Grossi), um den europäischen Normalfall von länderspezifischen Charakteristika zu scheiden. Daran wird anzuknüpfen sein.

Konferenzübersicht:

Monika Wienfort (Berlin): Begrüßung

Wolfgang Neugebauer (Berlin): Monarchie in der Moderne. Preußen als Beispiel?

Sektion 1: Motive und Konjunkturen der Hofgeschichtsschreibung
Moderation: Monika Wienfort (Berlin)

Aloys Winterling (Berlin): Hof und Monarchie nach Elias

Jeroen Duindam (Leiden): Revolution, Umgestaltung, Kontinuität? Frühneuzeitliche Fragen zum postrevolutionären Königshof

Ronald G. Asch (Freiburg): Der Hof als Macht- und Kommunikationszentrum des Ancien Régime im Lichte der neueren Forschung

Abendvortrag
Moderation: Ulrike Höroldt (Berlin)

Christoph Martin Vogtherr (Potsdam): Historische Konstruktion und Denkmalpflege in Zeiten der Revolutionen. Louis-Philippe in Versailles und Friedrich Wilhelm IV. in Potsdam – ein Vergleich

Sektion 2: Quantitäten – Qualitäten – Akteure
Moderation: Frank-Lothar Kroll (Chemnitz)

Annelie Große (Berlin): Umfang und Verteilung der preußischen Hofausgaben im 19. Jahrhundert. Königshof und Prinzenhöfe im Vergleich

Maximilian Vissers (Amberg): „Wir bleiben die Alten“. Die Ordnung des bayerischen Hofes unter Max IV./I. Joseph (1799/1806–1825). Institution, Personal, Außendarstellung

Fabian Persson (Växjö/Kalmar): The King’s New Clothes? The Swedish Court and its Finances in the 19th Century

Ulrike Marlow (Berlin/München): „Eure Kaiserliche, Königliche, Apostolische Majestät“. Bittschriften an Kaiserin Elisabeth von Österreich (1854–1898)

Sektion 3: Hofformate und Verfahren
Moderation: Wolfgang Neugebauer (Berlin)

Frank Lorenz Müller (St. Andrews): „Der Königssohn gewinnt ihr Vertrauen und ihre Zuneigung“. Thronfolger und der Erwerb der „sanften Macht“ im 19. Jahrhundert

Quentin Deluermoz (Paris): The Imperial Court of Napoleon III and Recent Historiography

Martin Kohlrausch (Leuven): Der Hof Wilhelms II. als öffentliche Politik. Das Beispiel Preußen im deutschen und europäischen Kontext

Sektion 4: Offenheit und Exklusivität
Moderation: Bärbel Holtz (Berlin)

Anja Bittner (Berlin): Adel am preußischen Hof – eine Erfolgsgeschichte?

Anna Dietrich (Berlin): Kontinuität und Wandel des Preußischen Krönungs- und Ordensfestes

Thomas Kroll (Jena): Adel, Hof und Monarchie in Italien (1861–1914)

Tino Schölz (Berlin): Hort der Traditionen und Instrument der Modernisierung. Monarchie und Hof im Japan der Meiji-Zeit (1868–1912)

Anmerkungen:
1 Martin Kirsch, Die Funktionalisierung des Monarchen im 19. Jahrhundert im europäischen Vergleich, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, http://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1419 (09.10.2021).
2 Dieter Langewiesche, Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2013, S. 6.
3 Volker Sellin, Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011, S. 9.
4 Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, Neuwied 1969.