Forum: Corona-Lektüre - Valeska Huber über M. Harrison

Von
Valeska Huber, Friedrich-Meinecke-Institut, FU Berlin

Mark Harrison, Contagion: How Commerce has spread Disease, Yale 2013.

Die Gefahr der überregionalen Ausbreitung ansteckender Krankheiten ist ein Thema, das Globalisierungsprozesse in verschiedenen Epochen begleitete. Seine Persistenz zeigt, dass es für keine Epoche hilfreich ist, globale Verknüpfungen allein unter ökonomischen Gesichtspunkten als Entstehung weltumspannender Märkte zu verstehen. Die Ausbildung moderner Kommunikationsmittel und die imperiale Expansion ging mit der Entwicklung eines „globalen Markts für Bakterien“, wie es der Frühneuzeithistoriker Emmanuel Le Roy Ladurie bereits 1973 formulierte, einher. Im Feld der Globalgeschichte sind daher in den letzten Jahrzehnten verschiedene exzellente Werke zu Epidemien und ihren Auswirkungen entstanden. So beschäftigen sich Globalhistoriker aus kulturhistorischer Perspektive mit Ansteckung und Isolationsmaßnahmen. Andere beleuchten die Entstehung internationaler Organisationen und zeigen, dass die Geschichte des Internationalismus mit der Mobilität von Mikroben und Viren und ihrer Kontrolle durch Quarantäne oder Überwachung eng verbunden ist. Diese unterschiedlichen Ansätze verdeutlichen, dass das Dilemma der Chancen und Gefahren intensivierter Mobilität und damit einhergehend die Spannung zwischen Öffnungs- und Schließungsprozessen immer Teil der Geschichte globaler Verknüpfungen war.

Mark Harrisons 2013 erschienenes Buch Contagion: How Commerce Has Spread Disease illustriert diese Verwobenheit von Öffnungs- und Schließungsprozessen in exemplarischer Weise. Im 14. Jahrhundert beginnend und bis ins 21. Jahrhundert reichend verbindet das Buch eine chronologische Struktur mit einem Überblick über zentrale Epidemien wie Gelbfieber, Pest und Cholera, Tier- und Pflanzenkrankheiten wie der Rinderpest und den großen epidemischen Wellen seit den 1990er-Jahren (BSE, SARS, H5N1 (Vogelgrippe) und H1N1 (Schweinegrippe)). In der eleganten Verknüpfung globaler Zusammenhänge und lokaler Fallstudien demonstriert Mark Harrison Globalgeschichte „at its best“. So beschreibt er den Fall des Schiffs Eclair, das nach der Rückkehr aus Sierra Leone 1845 vor der britischen Küste mit einem Ausbruch von Gelbfieber an Bord in Quarantäne gehalten wurde sowie die globalen Pressereaktionen auf das Ereignis.

In der Relektüre 2020 erscheint nicht nur das Beispiel eines Schiffs, das nicht landen darf, gespenstisch vertraut, sondern man entnimmt mit Interesse, dass auch historisch gesehen in der Reaktion auf epidemische Krankheiten Wirtschaft, Wissenschaft und Politik besonders intensiv aufeinanderprallen. Viele der in Harrisons Buch beschriebenen Krankheiten wurden durch weltweiten Handel verbreitet, führten zu wissenschaftlichen Konflikten, z.B. zwischen Kontagionisten und Antikontagionisten, und zu Handelsembargos in Bezug auf Tiere und Pflanzen. Auch wenn das Buch Handel prominent im Titel trägt, rückt es die Rolle und Entscheidungskraft staatlicher, imperialer und internationaler Politik in den Vordergrund.

Auf allgemeiner Ebene zeigt das Buch anhand einer Vielzahl von Beispielen, dass es wenig hilfreich erscheint, unsere derzeitige Erfahrung als Beginn einer Deglobalisierungsphase zu deuten, sondern dass epidemische Krankheiten in diesem Zusammenhang eher als Symbol der in zunehmendem Maße verwobenen Welt mit all ihren Widersprüchen zu sehen sind.

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