Die Mitgliederversammlung des Arbeitskreises Außereuropäische Geschichte (AAG) des VHD hat nach langjährigen intensiven Diskussionen auf dem 52. Historikertag 2018 in Münster den Arbeitskreis (AK) umbenannt in „Arbeitskreis für Weltregionale und Globale Geschichte (AKWGG)“.1 Damit definiert er sich nicht mehr in Abgrenzung zu Europa – eine Position, die bei der Gründung des AAG 1980 aus diversen, auch forschungspolitischen Gründen als notwendig erachtet wurde. Im Rückblick führte diese Entscheidung, verbunden nicht zuletzt mit Dietmar Rothermund, zu einer Erfolgsgeschichte: Die Kenntnisse von sowie die Sensibilität gegenüber den außereuropäischen Area Histories sind in der Öffentlichkeit, in Forschung und Lehre deutlich gewachsen, die Fachdebatten erfahren durch ihre Positionen eine große Bereicherung. Die jeweiligen Regionalexpertisen, Sprachkenntnisse und das gemeinsame Forschen mit Kolleg/innen in den Regionen wurden sichtlich gestärkt.
Auch wenn zahlreiche Kolleg/innen eine weitere Aufwertung des Außer-Europäischen nicht zuletzt für das Geschichtslehramt für unverzichtbar halten, soll mit der Umbenennung nicht mehr primär die dichotomische Teilung Europa und der Rest im Vordergrund stehen. Wenn jedoch das verbindende Element eines „Außen“ oder „Außer“ wegfällt, stellt sich mit dem neuen Namen die Frage nach dem Profil des AK. Im Vorfeld und auch noch nach der Umbenennung wurde diese Frage intensiv auf Workshops, Historikertagen und in einem H-Soz-Kult-Forum diskutiert.2
Im Anschluss an diese Selbstverständigung soll der AKWGG in Zukunft eine Gesprächsplattform vor allem für folgende drei Bereiche bieten.
1. Weiterhin: Außereuropäische Geschichte
Zunächst soll der AK angesichts der großen Erfolge der letzten Jahrzehnte bei einer immer noch stark auf (West-)Europa ausgerichteten Forschungslandschaft auch weiterhin ein Forum für außereuropäisch verortete historische Forschung bieten. Arbeiten zur Besiedlungsgeschichte des Ohio Valley sollen hier genauso diskutiert werden wie translokale Verbindungsgeschichten über den Indischen Ozean.
2. Weltregionale Geschichte
Hinzu kommt nun ein Fokus, der die Reflektion sowohl über den Gegenstand wie über den eigenen Standpunkt zur Geschichte und Geschichtswissenschaft als solche herausfordert. „Weltregionen“ sind keine fixen Entitäten, sondern von bestimmten raum-zeitlichen Positionen aus festgelegte Gegenstände. „Europa“, das bisher meist nach dem Motto „the West and the Rest“ über oder außerhalb des Konzepts „Weltregion“ gedacht wurde, erhält den Status als eine (durchaus auch besondere) Weltregion. Der AK lädt mit der Umbenennung also auch Kolleg/innen zur Diskussion ein, die zur „Weltregion Europa“ arbeiten. Neben der räumlichen Neu-Ausrichtung rückt mit der Umbenennung die Historisierung der (kolonialen) Machtverhältnisse zwischen den Regionen in den Fokus: Die Machtposition Europas (bzw. des „Westens“) in der Welt wird durch die Historisierung zur erklärungsbedürftigen Forschungsfrage. Mit diesem neuen Fokus geht zudem eine Dezentrierung einer westlich geprägten Wissenschaftstradition einher, wie sie beispielsweise Dipesh Chakrabarty angeregt hat.3 Anstelle eines dichotomisierenden „Außer-Europa“ tritt ein weltregionales Gesprächsangebot.
3. Globale Geschichte
Auf dem Weg zur Umbenennung debattierte der AK nicht nur das Verhältnis zur Europa-, sondern auch das zur Globalgeschichte intensiv: „Manche Area-Historikerinnen und Historiker sehen ihr Fachgebiet langfristig in der Globalgeschichte aufgehen. Andere aber sehen sich umgekehrt als notwendige Ergänzung oder sogar Herausforderung für Letztere“4, hieß es im Editorial zum oben erwähnten H-Soz-Kult-Forum. Grundlegende Gemeinsamkeiten von weltregionaler und globaler Geschichtsschreibung bestehen bei der Infragestellung der Fokussierung auf Nationalgeschichtsschreibung und von Europa als universellem Bezugspunkt. Es gibt aber auch viele Unterschiede, sie hängen nicht zuletzt mit den Geschichten der weltregionalen und der Globalgeschichtsschreibung zusammen: Bei der Etablierung der Area Studies im 19. und 20. Jahrhundert in Europa und in den USA ging es primär um die Erarbeitung und Bereitstellung von spezifischem Wissen über Regionen insbesondere des Globalen Südens. Das damit einhergehende Othering provozierte kritisch-reflexive Auseinandersetzungen, die bis heute prägend sind für die (historischen) Area Studies. Im Unterschied dazu setzte sich die Globalgeschichtsschreibung insbesondere mit vermehrt als globalisiert wahrgenommen Zusammenhängen auseinander. Um dem damit gestiegenen Risiko von neuen (Euro-)Zentrismen und Universalisierungen entgegenzuwirken, gilt es nicht zuletzt die lokale und regionale Vielfalt und Vielfältigkeit in Forschung, Lehre und Sprachvermittlung sowie beim Forschen mit Kolleg/innen in aller Welt auszubauen.
Die Mitgliederversammlung hat sich mit der Umbenennung zum Arbeitskreis für Weltregionale und Globale Geschichte dafür entschieden, die genannten Spannungsverhältnisse aufzugreifen, um sie für weitere kritische Diskussionen fruchtbar zu machen. Insofern ist dieser Text auch nicht als Abschluss der Debatte zu verstehen. Die Umbenennung markiert vielmehr einen Zwischenschritt und soll einen Rahmen bieten für weitere Beiträge, sei es im AKWGG oder in diesem Forum: Was bedeutet weltregionale Geschichtsschreibung? Welche Potentiale ergeben sich aus der mit der Umbenennung einhergehenden Neu-Fokussierung, nicht zuletzt für die Untersuchung von (kolonialen) Machtbeziehungen? Was bedeutet es, Europa als Weltregion zu denken, welches Europa? Wird Europa nach einigen europäisch(-westlich)en Jahrhunderten wieder zu einer Weltregion wie andere auch? Was ist europäisch an Europa in einer „globalisierten“ Welt, was außer-europäisch oder auch außer-afrikanisch? Von welchen raum-zeitlichen Standpunkten aus schreiben wir mit welchen Ressourcen welche „globalen“ Geschichten?
Kommen Sie mit Ihrem Beitrag gern auf den AKWGG und/oder die H-Soz-Kult-Redaktion zu.5
Anmerkungen:
1 Dieser Beitrag ist ähnlicher Form bereits im VHD-Journal 8 (2019), S. 73-75 erschienen.
2 Vgl. mit weiteren Literaturhinweisen: Diskussionsforum: „Außereuropäische Geschichte“, „Globalgeschichte“, „Geschichte der Weltregionen“? Neue Herausforderungen und Perspektiven, in: H-Soz-Kult, 07.11.2017, http://www.hsozkult.de/text/id/texte-4325 (15.10.2019); Geschichte(n) der Zukunft - Außereuropäische Herausforderungen, 09.10.2015 Bayreuth, in: H-Soz-Kult, 24.09.2015, http://www.hsozkult.de/event/id/termine-28931 (15.10.2019); Sebastian Jobs, Tagungsbericht: Geschichte(n) über Räume und Zeiten. Translokale Perspektiven auf globale RaumZeiten, 26.-27.04.2018 Gotha, in: H-Soz-Kult, 04.09.2018, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7846 (15.10.2019); Benjamin Steiner, Tagungsbericht: HT 2018: Geschichte translokal: Spaltungen in der Raumzeit überdenken, 25.-28.09.2018 Münster, in: H-Soz-Kult, 20.10.2018, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7900 (15.10.2019).
3 Dipesh Chakrabarty, Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton 2000.
4 Sebastian Dorsch u.a., Editorial, in: Diskussionsforum: „Außereuropäische Geschichte“.
5https://www.historikerverband.de//arbeitsgruppen/ag-weltregionale-und-globale-geschichte.html (15.10.2019).