Dass die Covid-19 Pandemie seit dem Frühjahr 2020 zu einem bislang ungebrochenen Digitalisierungsschub in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen geführt hat, ist unstrittig. Dies gilt auch für wissenschaftliche Kommunikationsprozesse, deren Wandel sich rapide beschleunigt hat. Die digitale Transformation beeinflusst schon lange nahezu alle Bereiche des wissenschaftlichen Alltags. In der gegenwärtigen Ausgestaltung wirklich neu ist aber die Virtualisierung der Kommunikation, die „Zoomifizierung“ der Wissenschaft: Die universitäre Lehre, die Kommunikation über Forschungsvorhaben und -ergebnisse in Forschungskolloquien und kleinen Workshops ebenso wie auf großen internationalen Fachtagungen, die akademische Selbstverwaltung in Gremiensitzungen, Begutachtungen, Promotions- und Habilitationskolloquien fanden in den vergangenen gut zwei Jahren sehr häufig virtuell statt. Die Verlagerung des wissenschaftlichen Alltags ins virtuell angebundene „Home Office“ ist nicht neu, hat aber eine andere Qualität angenommen, und wird auch nach einem Ende der Covid-Krise nicht einfach wieder verschwinden. Die Auswirkungen dieser Transformation auf Wissenschaftskommunikation und letztlich Wissenschaft selbst müssen aus unserer Sicht in ihren Konsequenzen und Facetten reflektiert werden.
Die Verlagerung in virtuelle Räume verändert – in durchaus komplexer und uneinheitlicher Weise – den Charakter der für die wissenschaftliche Forschung, Lehre und Selbstverwaltung unverzichtbaren kommunikativen Situationen und der sie ermöglichenden Strukturen. Wissenschaftliches Arbeiten, Wissenschaft als Beruf und individuelle berufliche Verläufe sind verknüpft mit den kommunikativen Bedingungen von Wissenschaft. Für die Wissenschaft als soziales Gefüge, für die Universität als Erfahrungsraum ist Kommunikation zentral, die zahlreiche Aspekte des Alltags wissenschaftlichen Arbeitens durchdringt und nicht zuletzt die persönliche Erfüllung und Zufriedenheit prägt. Kommunikation im virtuellen Raum unterscheidet sich vom Austausch in „Präsenz“, und hybride Formate bringen wiederum eine eigene Dynamik mit sich. Welche Bedeutung kommt diesem Austausch letztlich für die Erfüllung der Ziele von Universität und Wissenschaft zu? Wenn wir über die Zukunft des (geistes)wissenschaftlichen Arbeitens „nach der Pandemie“ nachdenken, dann tun wir deshalb gut daran, die Auswirkungen der Virtualisierung von wissenschaftlicher Kommunikation zu reflektieren.
Anfang 2022 haben wir Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen und Positionen in unserem Fach eingeladen, über die Auswirkungen der Virtualisierung der wissenschaftlichen Kommunikation auf ihr Arbeiten nachzudenken – und was sich daraus für die zukünftige Ausgestaltung (geistes)wissenschaftlichen Arbeitens ableiten lässt. Welche Implikationen und Konsequenzen bringt die Virtualisierung für die Geschichtswissenschaften mit ihrem diskursiven, streitbaren Charakter mit sich? Wie wir miteinander über unsere Forschungen sprechen, wer an diesem Austausch teilnehmen kann, was auf diese Gespräche folgt – all dies wird von den Formen und Formaten der Fachkommunikation geprägt. Dabei sind die Folgen eines so komplexen Wandels keineswegs eindeutig oder für alle Akteur:innen in den Folgen ähnlich. Virtualisierung verändert die Parameter von Partizipation. Wer kann tatsächlich am Gespräch über laufende Forschungen teilhaben? Welche Rolle spielen hierbei die geographische Verortung von Forschenden (durchaus in globaler Perspektive), Faktoren wie Familienstand, Geschlecht, Alter oder Disability, die institutionelle Zugehörigkeit von Forschenden, ihre Karrierestadien oder der Status in den Hierarchien des wissenschaftlichen Systems? Wie verändert sich der Gehalt von Internationalisierung in den Geschichtswissenschaften, und hat dies Konsequenzen für Erwartungen von Drittmittelgebern, wissenschaftlichen Institutionen und Gutachter:innen? Wie verändert sich die Dynamik der (formellen und informellen) Netzwerkbildung, wenn beispielsweise Forschende aus allen Teilen der Welt regelmäßiger, niedrigschwelliger und mit deutlich geringeren Kosten mündlich kommunizieren können – gleichzeitig aber die Chance glücklicher Zufallsbegegnungen, des informellen vertrauensvollen Gesprächs für viele rarer wird, nicht zuletzt weil sozialer Austausch fehlt? Welche Veränderungen im wissenschaftlichen Habitus, in der Performanz von Wissenschaftler:innen kann die Virtualisierung mit sich bringen? Das alles sollte zumindest bewusstgemacht werden, denn das soziale Gefüge des wissenschaftlichen Systems in all seinen Ausprägungen bleibt nicht ohne Einfluss auf die personelle Zusammensetzung, die relevanten Faktoren für Ausschluss und Zugehörigkeit, die institutionelle Kultur, die Vorgaben für Forschungsfinanzierungen und letztlich die Schwerpunkte und Ergebnisse der Forschung.
Auch die Anforderungen an institutionelle Akteure verändern sich durch virtuelle Fachkommunikation. Wer hostet die Datenflut der mittlerweile zahlreichen Videomitschnitte und sorgt für ihre Langzeitarchivierung? Und wie verändert sich eventuell der Status von wissenschaftlichen Vorträgen, wenn sie dauerhaft und potenziell öffentlich online abrufbar sind? Wer kontrolliert den Zugang zu entsprechenden Aufzeichnungen und prägt damit auch die Grenzziehung von Öffentlichkeiten? Welche neuen Aufgaben erwachsen für Universitäten und andere wissenschaftlichen Arbeitgeber im Hinblick auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen von wissenschaftlicher Kommunikation, und die universitäre Lehre ist hier ausdrücklich mit gemeint? Auch in diese Richtungen sollten wir die Konsequenzen der „Zoomifizierung“ weiterdenken.
Das Gespräch über die Zukunft des wissenschaftlichen Arbeitens in den Geisteswissenschaften und die Bedingungen von wissenschaftlicher Erkenntnis und Exzellenz muss, so unsere Position, die Reflexion über wissenschaftliche Kommunikation mit beinhalten. Die Pandemie gibt uns die Möglichkeit, über die Chancen, Risiken und strukturellen Rahmungen von virtueller Kommunikation und ihrem Verhältnis zu Präsenzaustausch zu reflektieren. Wir danken den Kolleginnen und Kollegen, die bereits Beiträge eingereicht haben. Für weitere Themenvorschläge sind wir in der Redaktion von H-Soz-Kult selbstverständlich offen.