Beiträge zur Vorgeschichte der Denkmalpflege
Bei diesem als CD-ROM vervielfältigten Buch handelt es sich gleichsam um die
durchgesehene und leicht ergänzte Zweitauflage der unter dem gleichen Titel
1956 maschinenschriftlich vorgelegten Leipziger Dissertation von Wolfgang
Götz, die damals noch den Untertitel trug: "Die Entwicklung der Denkmalpflege
in Deutschland vor 1800".
Inhalt der CD-Rom ist schlicht und einfach die Textdatei des Buchs im
PDF-Format (der Acrobate-Reader 3.01 ist beigefügt), das ja (leider) auch im
Internet mehr und mehr Anhänger findet. Die technische Ausstattung genügt in
keiner Weise den an eine solche CD-ROM zu stellenden Ansprüchen. Zwar darf
der Text auszugsweise kopiert und gedruckt werden, doch wurden Seitenverweise,
Verweise auf die Endnoten und den umfangreichen Beleganhang sowie auf das
Literaturverzeichnis nicht als Verknüpfungen realisiert. Die Benutzung der
CD-ROM erfordert also ein ständiges Hin- und Herspringen, was eigentlich
unzumutbar ist. Hinzu kommt, dass die Seitenzahlen der PDF-Datei (insgesamt
202 Seiten) nicht identisch mit den Buchseiten (XIII, 189 S.) sind und
natürlich auch nicht mit den Seitenzahlen der maschinenschriftlichen Fassung
von 1956 (ich zitiere im folgenden die Buchseiten von 1999).
Ein Vorwort von Georg Mörsch erläutert die Vorgeschichte der vorliegenden,
von Brigitt Sigel und Frank Neumann redigierten Publikation, mit der die
Arbeit in den "Prozess der wissenschaftlichen Diskussion um Denkmal und
Denkmalpflege" gestellt werden soll. In diesem Vorwort wären auch einige
pietätvolle Sätze über den zuletzt in Saarbrücken Kunstgeschichte
lehrenden Autor, Professor Wolfgang Götz (1923-1996), und sein Lebenswerk am
Platz gewesen. Götz selbst, der sich im Saarland auch für die praktische
Denkmalpflege sehr engagiert hat, steuerte ein 1994 datiertes Vorwort bei, in
dem er über die seinerzeitige Entstehung der Arbeit unter erschwerten
Bedingungen in der DDR 1 und seine Bedenken angesichts des an ihn
herangetragenen Wunsches nach einer Wiederveröffentlichung der nur in
schlecht lesbaren Exemplaren kursierenden Arbeit Rechenschaft ablegt. Die
beigegebene Bibliographie von Wolfgang Götz bis 1994 dokumentiert, dass er
dem in der Dissertation behandelten Thema bis zuletzt treu blieb. Überaus
bedauerlich ist, dass die zum Thema vom Autor gesammelten Abbildungen keine
Aufnahme in die CD-ROM gefunden haben. Zur Redaktion der Arbeit ist noch
anzumerken, dass der Wortlaut der 647 Belege im Anhang offenbar nicht
überprüft wurde.
Die Arbeit von Götz gilt zu Recht als material- und gedankenreiches
Grundlagenwerk, und ihre "Neuauflage" ist daher nur zu begrüßen. Es ging
Götz nicht nur um frühere analoge Beispiele zu moderner Denkmalpflege, deren
Entstehung ja gemeinhin in das 19. Jahrhundert verlegt wird, sondern "ganz
allgemein um das Verhältnis der historischen Epoche zu ihrem kulturellen Erbe
auf Grund der ihnen immanenten historischen Bedingungen" (S. 7). Denkmalpflege
definierte er als "die schöpferische Auseinandersetzung mit einem
überkommenen Bestand, den es einzugliedern gilt in das jeweils gegenwärtige
Leben durch bewusste Erhaltung, Wiederherstellung oder Ergänzung unter
Beibehaltung seiner charakteristischen Eigenschaften" (S. 7). Noch heute
beeindruckt die Weite des Blickwinkels, der Ägypten und die Antike ebenso
erfasst wie die italienische Renaissance und die Zeit der Französischen
Revolution um 1800. Bewundernswert ist die Materialfülle, die überzeugend
das gängige Vorurteil, vor 1800 habe es so etwas wie Denkmalpflege nicht
gegeben, widerlegt. Indem Götz immer wieder auf den historischen Kontext der
Baumassnahmen verweist, gewinnen seine Studien neue Attraktivität für einen
kulturwissenschaftlichen Ansatz, der es unternimmt, ästhetische Phänomene
vor dem Horizont einer vormodernen "Erinnerungskultur" zu lesen 2. Aus
Anlass der bekannten "Echtergotik" formuliert Götz beispielsweise
programmatisch: "Stilwiederaufnahme und Historisieren sind auch für das
frühe 17. Jahrhundert nicht isolierte kunstgeschichtliche Erscheinungen,
sondern sie fügen sich ein in jenen gesamthistorischen Zusammenhang, aus dem
auch die Denkmalpflege der Zeit erwächst" (S. 44).
Auf den Schultern von Götz, der seine Überlegungen in methodisch
ausgerichteten Aufsätzen zum vormodernen "Historismus" weitergeführt hat,
ruhen auch die jüngsten Ausführungen vom Michael Schmidt zur Denkmalpflege
im 16. und 17. Jahrhundert im Rahmen seiner kunsthistorischen Eichstätter
Dissertation über architektonische "Historizität" 3 - gemeint sind damit
historisierende bzw. archaisierende Rückgriffe, für die sich in der
Kunstgeschichte der Begriff "retrospektive Tendenzen" quasi etabliert hat 4.
In der Renaissance vollzieht sich nicht nur die Wiederentdeckung der antiken
Kunst, es kommt nördlich der Alpen auch zu einer verstärkten Aufmerksamkeit
für die Denkmäler des eigenen Altertums. Die Verschränkung der
retrospektiven, auf Bewahrung und "Denkmalpflege" abzielenden Dimension der
Erinnerung und der prospektiven, am ewigen Nachruhm ("fama") orientierten
Dimension, vermag paradigmatisch das "Gedechtnus"-Projekt Kaiser Maximilians
I. in den Jahren nach 1500 zu demonstrieren. Dieser ließ sich von der antiken
Erinnerungskultur inspirieren, als er Reiterdenkmal, Mausoleum und
Triumphbogen revitalisieren wollte 5. Maximilians nicht zuletzt genealogisch
motivierten antiquarischen Interessen ordnen sich ein in die Anfänge und
Vorläufer jener breiten Bewegung, die man als "Antiquarianismus" zu
bezeichnen pflegt und die wesentliches zur Ausformung der modernen
Geschichtswissenschaft beigetragen hat 6. Um nur noch ein weiteres Beispiel
herauszugreifen: Die Kunsthistorikerin Ulrike Götz hat für den Freisinger
Fürstbischof Eckher (1696-1727) die Achtung der "antiquitas" als eines der
Leitmotive seiner Bautätigkeit herausarbeiten können. Bauliche
Traditionspflege und gelehrte Forschung über das 1000jährige Freising
griffen dabei Hand in Hand. Eine Beschreibung von 1724 sagt über die
Domvorhalle explizit, sie sei "zur Gedechtnus der antiquitet" in ihrem Zustand
belassen worden 7. Es bedarf also in jedem Fall einer interdisziplinären
Zusammenschau von Texten, Bildern und Monumenten, will man die
zeitgenössischen Bemühungen um Bewahrung und Stiftung von Erinnerung zum
Sprechen bringen.
Wer sich für die Geschichte von Denkmalpflege und Denkmalschutz 8
interessiert, kommt um die Lektüre der Götzschen "Beiträge", die nunmehr
sehr viel bequemer zugänglich sind, nicht herum. Doch auch die Forschung zur
vormodernen Erinnerungskultur und zum Geschichtsverständnis in Mittelalter
und früher Neuzeit kann von dem ausgebreiteten Material und den nach wie vor
anregenden Überlegungen von Götz nur profitieren.
Anmerkungen:
1 Wenigstens anmerkungsweise erwähnt sei, dass Götz mit seiner
Dissertation (von den Gutachtern als "sehr gut" bewertet) Opfer der
stalinistischen Wissenschaftspolitik wurde, wie aus dem Nachruf von Gerald
Wiemers (in: Universität Leipzig H. 2/3, April 1996, S. 24-25) hervorgeht
(freundlicher Hinweis des Universitätsarchivs Saarbrücken). Nachdem Götz
und sein Doktorvater Heinz Ladendorf 1958 die DDR aufgrund der Schikanen der
SED verlassen hatten, wurde beiden "Republikflüchtigen" wenig später am
12.3.1958 durch die Philosophische Fakultät der Doktortitel entzogen, ein
Beschluss, der erst 1990 aufgehoben wurde.
2 Vgl. Klaus Graf, Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst vom 14.
bis zum 16. Jahrhundert. Kritische Überlegungen aus der Perspektive des
Historikers, in: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im
Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner, hrsg. von Andrea Löther u.a.,
München 1996, S. 389-420.
3 Michael Schmidt, reverentia und magnificentia. Historizität in der
Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis 17.
Jahrhundert, Regensburg 1999.
4 Eine regelmäßig aktualisierte Online-Bibliographie zu diesem Thema
bietet der Rezensent unter:
http://www.uni-koblenz.de/~graf/retro.htm
5 Vgl. jüngst Thomas H. von der Dunk, Das Deutsche Denkmal. Eine Geschichte
in Bronze und Stein vom Hochmittelalter bis zum Barock, Köln/Weimar/Wien
1999, S. 239.
6 Vgl. Wolfgang Weber, Zur Bedeutung des Antiquarianismus für die
Entwicklung der modernen Geschichtswissenschaft, in: Geschichtsdiskurs Bd. 2:
Anfänge modernen historischen Denkens, Frankfurt a. M. 1994, S. 120-135 und
die weiteren Beiträge ebenda von Henning Wrede und Wolfgang Ernst.
7 Ulrike Götz, Kunst in Freising unter Fürstbischof Johann Franz Eckher
1696-1727. Ausdrucksformen geistlicher Herrschaft, München/Zürich 1992,
besonders S. 242-278. Zitat: S. 249.
8 Hingewiesen sei auf die sorgfältige juristische Arbeit von Felix Hammer,
Die geschichtliche Entwicklung des Denkmalrechts in Deutschland, Tübingen
1995.