Katholische Kirchen sind mit ihrem reichen Schmuck nicht nur interessante Kunstwerke. Sie stellen auch ein Bildprogramm dar, das über den bloßen Kunstgenuss hinaus theologische Aussagen enthält. Kirchen kann man daher nicht nur betrachten und besichtigen, man kann sie auch „lesen“. Das freilich setzt eine besondere Literalität voraus, ein Verstehen der mitunter komplexen Bildersprache und Ikonografie. Die Fähigkeit, eine Kirche zu lesen, aber schwindet mit dem Nachlassen religiöser Praxis und Erziehung mehr und mehr. Es besteht die Gefahr, dass viele, vor allem jüngere Menschen die sakrale Bildersprache nicht mehr verstehen und ihr ähnlich vertraut gegenüber stehen wie einem buddhistischen Tempel. An diesem Punkt setzt die zu besprechende CD-ROM ein.
Sie ist ein Projekt der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Ihr Thema ist die reich ausgestattete Rokoko-Basilika der Benediktiner-Abtei Ottobeuren. Dabei wird die Kirche in vier Dimensionen erschlossen: theologisch, historisch, kunstgeschichtlich und praktisch. Der gesamte Kirchenraum wurde mit 200 Einstiegspunkten (HotSpots) versehen, die einen Zugriff auf die einzelnen Kunstwerke ermöglichen.
Die CD-ROM bietet rund 500 Bilder und 1.300 Seiten Text, der von 60 Autoren (vom Professor bis zum Studenten) verfasst wurde. Nach dem Einlegen der CD-ROM wird bei Bedarf Quick-Time installiert, um Filmsequenzen anschauen zu können. Man kann diesen Schritt auch überspringen und ohne zusätzliche Installationen die übrigen Inhalte betrachten. Ausgangspunkt für die Arbeit mit der CD-ROM ist ein ansprechend gestalteter Menü-Bildschirm. Der Punkt „Suche“ ermöglicht eine Volltextsuche, darüber hinaus kann man Stichworte als „Motive“, „Themen“ oder „Hintergründe“ aus einer Liste auswählen. Über den Punkt „Grundriss“ kann man gezielt einzelne Regionen in der Kirche ansteuern und von dort aus durch Verweise weiterkommen. Die einzelnen Punkte/Kunstwerke werden jeweils auf einem übersichtlichen Bildschirm präsentiert. Dabei ist auf der linken Seite stets eine Abbildung zu finden, die per Mausklick vergrößert werden kann. Unter der Abbildung hat der Leser die Wahl zwischen den Buttons „Kunst“, „Glaube“, „Geschichte“ und „Praxis“. Die entsprechenden Inhalte erscheinen dann auf der rechten Bildschirmhälfte. Leider stehen nicht bei allen Darstellungen alle vier Aspekte zur Auswahl. Bei jedem Kunstwerk kann man sich auch den Standort auf dem Grundriss anzeigen lassen und von dort weitere Punkte ansteuern. Links und Literaturhinweise vermittelt der Button „Siehe auch“. Es besteht durchgängig die Möglichkeit, sich unbekannte Begriffe durch ein Glossar erklären zu lassen, das als kleines Fenster eingeblendet wird. Insgesamt sind Aufbau und Funktionen leicht zu erfassen. Nach wenigen Minuten fühlt man sich heimisch und kann sich auf Entdeckungsreise durch die Ottobeurener Basilika begeben.
Im Rahmen einer kurzen Rezension können unmöglich alle Artikel inhaltlich gewürdigt werden. Beispielhaft seien zwei Beiträge herausgegriffen, nämlich der Heilige Joseph, viel verehrter Heiliger, und der Hochaltar als Herzstück der Kirche. Deshalb soll der Hl. Joseph als Beispiel dienen. Wenn man als Einstieg „Altar des Joseph“ wählt, erhält man eine schöne Abbildung, die sich vergrößern lässt, und einen ausführlichen, namentlich gezeichneten Erläuterungstext. Die verschiedenen Aspekte wie Kunst oder Glaube werden als Button nicht angeboten. Verlinkungen gibt es im Text und unter dem Button „Siehe auch“. Ein eigener Link zum Heiligen selbst ist nicht ersichtlich. Man muss hier schon auf die Idee kommen, den Link „Altarstatue“ anzuklicken. Dann erst erhält man die gewünschten Informationen. Es ist aber auch möglich, gezielt nach „Joseph“ zu suchen, wobei die Indizierung die abweichende Schreibweise „Josef“ korrekt verarbeitet. Der Bildschirm „Altarstatue“ oder besser „Heiliger Joseph“ bietet eine Fülle von Informationen zu allen vier Aspekten. In der Rubrik „Siehe auch“ finden sich zudem Literaturhinweise. Diese können allerdings nicht befriedigen. So fehlen Standardwerke der Josefologie ebenso, wie präzisere Angaben zu den zitierten Lexika. Allein der Hinweise auf das Lexikon des Mittelalters Band 5 ist doch etwas dürftig. Zum Vergleich: bei den „Engeln“ werden immerhin einzelne Lemmata zitiert, etwa das zur Angelologie von Karl Rahner im Lexikon für Theologie und Kirche. Unklar bleibt hier aber, warum die zweite und nicht die aktuelle dritte Auflage angeführt wird. Für den Hl. Joseph hätte sich übrigens das mehrbändige Marienlexikon als Nachschlagewerk angeboten, ein zwar frommes, doch sehr solides Werk mit vielen, gerade für die (Volks-)Frömmigkeit relevanten Literaturnachweisen.
Die inhaltliche Qualität der CD-ROM lässt sich besonders gut am Thema des Hochaltars festmachen. Ist der Altar als Herzstück der Kirche doch zugleich Schnitt- und Kulminationspunkt aller theologischen, historischen und künstlerischen Aspekte. Auf der CD-ROM lässt sich der Hochaltar sehr leicht über den Grundriss auf dem Startbildschirm finden. Allerdings wird hier nur das Bildprogramm des Altarbildes erläutert, einen Hinweis zu seiner liturgischen Funktion findet man zunächst nicht. Hier muss man die „Suche“ bemühen. Schnell findet man den Einstieg über „Themen“ unter dem Punkt „Altar“. Alle vier Aspekte werden bedient, allerdings sind die Beiträge hier nicht namentlich gezeichnet, im Unterschied zu den Beiträgen über den Heiligen Joseph. Unter dem Punkt „Glaube“ wird ein sehr spezielles Kapitel der kirchlichen Zeitgeschichte berührt, nämlich die traditionalistische Kritik an der im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils durchgeführten Liturgiereform. Der Leser erfährt hier Einzelheiten über die unerlaubten Bischofsweihen von Erzbischof Marcel Lefebvre und die nach dieser schismatischen Handlung gegründete Priesterbruderschaft St. Petrus mit Sitz in Wigratzbad. Im Zusammenhang mit den hinter diesen Vorgängen steckenden theologischen Fragen wird auch der Mahl- und Opfercharakter der Messfeier diskutiert. Spätestens hier kann ein Durchschnittsleser nicht mehr folgen. Nun zeigt es sich, inwieweit die CD-ROM eine interaktive Hilfestellung bietet. Im Glossar wird man enttäuscht. Unter dem Stichwort „Eucharistiefeier“ muss wohl ein Verweisungsfehler vorliegen, denn es finden sich nur verwirrende Begriffserklärungen ohne Bezug zum Thema versammelt. Geht man auf den „Suche“-Button der Hauptseite kann man sowohl in der Kategorie „Motive“, als auch in der Kategorie „Hintergründe“ einen Hinweis zur Eucharistie finden. Der Hinweis bei „Motive“ führt zu einem Fresko über ein Hostienwunder, der Hinweis bei „Hintergrund“ zu einer theologischen Erklärung, hier wieder namentlich gezeichnet. Diese liest sich allerdings wie aus einem Fachlehrbuch. Es darf bezweifelt werden, ob derartige Erläuterungen dem Ziel der CD-ROM gerecht werden, auch kirchenfernen Menschen einen fachlich fundierten Zugang zur künstlerischen und theologischen Botschaft des Sakralbaus zu bieten. Man fragt sich, was vor allem der Exkurs über den Traditionalismus mit der Basilika in Ottobeuren zu tun hat. Viel sinnvoller wäre es gewesen, die einzelnen Ausstattungsstücke des Altars näher zu erklären, etwa die prächtigen, nicht zu übersehenden Kanontafeln. Diesen Begriff freilich sucht man auf der CD-ROM vergeblich.
Insgesamt ist die vorliegende CD-ROM zwiespältig zu beurteilen. Die technische Umsetzung ist überzeugend. Dennoch dürfen darüber die inhaltlichen Mängel nicht übersehen werden. Die Herausgeber hätten die Artikel stärker vereinheitlichen sollen, vor allem mit Blick auf die dort gebotene Informationstiefe. In ihrer vorliegenden Form hinterlässt die CD-ROM den Eindruck eines unverbindlichen Infotainments anstatt einer soliden, didaktisch gut durchdachten Information. Die Uneinheitlichkeit in den Literaturangaben ist demgegenüber nur eine lässliche Sünde. Die CD-ROM will Beispiel und Muster sein, nach dem auch andere Kirchen erschlossen werden sollen. Man kann dazu nur ermuntern! Herauskommen kann eine völlig neue Dimension von Kirchenführer. Allerdings, und das sei deutlich gesagt, muss bei solchen Projekten größere Sorgfalt auf die Auswahl und Präsentation der Inhalte verwandt werden.