Deutsch-Französische Herbstuniversität "Eine Anthropologie der Emotionen: Epistemologische Fragen"

Deutsch-Französische Herbstuniversität "Eine Anthropologie der Emotionen: Epistemologische Fragen"

Veranstalter
Prof. Dr. Denis Laborde, CNRS – EHESS, UMR Passages - Institut ARI, Bayonne & Dr. Karsten Lichau, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin (Deutsch-Französische Hochschule (DFH) / Université franco-allemande (UFA), Université d’automne / Herbstschule)
Ausrichter
Deutsch-Französische Hochschule (DFH) / Université franco-allemande (UFA), Université d’automne / Herbstschule
Veranstaltungsort
Institut ARI (CNRS-EHESS), Cité des Arts, 3 avenue Jean Darrigrand, F-64100 Bayonne, Pays Basque, France
PLZ
64100
Ort
Bayonne
Land
France
Vom - Bis
04.10.2021 - 09.10.2021
Deadline
09.09.2021
Von
Karola Rockmann, Forschungsbereich Geschichte der Gefühle, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin

Diese deutsch-französische Herbstschule widmet sich der Untersuchung der sozialen Dimension musikalischer Emotionen. Sie richtet sich an Studierende im Master, Doktorand*innen und PostDocs. Im Zentrum steht dabei die gemeinsame Beschäftigung mit Studien, die sich mit Situationen der Herstellung von Gefühlen auseinandersetzen. Die Teilnahme ist offen für alle Richtungen der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Deutsch-Französische Herbstuniversität "Eine Anthropologie der Emotionen: Epistemologische Fragen"

1. ZIEL
Diese deutsch-französische Herbstschule widmet sich der Untersuchung der sozialen Dimension musikalischer Emotionen. Sie richtet sich an Studierende im Master, Doktorand*innen und PostDocs. Im Zentrum steht dabei die gemeinsame Beschäftigung mit Studien, die sich mit Situationen der Herstellung von Gefühlen auseinandersetzen. Die Teilnahme ist offen für alle Richtungen der Geistes- und Sozialwissenschaften.

2. THEMA
Für gewöhnlich erleben und interpretieren wir Gefühle, und insbesondere musikalische Gefühle, als Ausgangspunkt einer Mobilisierung, die willkürlichen Regeln folgt, so als ob unser Organismus und seine Umwelt eine eigenständige Verhandlung führen, an der wir nicht beteiligt sind.
Jede Emotion ist aber immer auch ein Prozess. Zwar braucht sie einen Auslöser, doch die Gefühlsbewegung bringt immer auch eine Veränderung mit sich, die sowohl den Organismus als auch seine Umwelt affiziert. Das führt zu Überraschung, Wut, Freude, …
Diese emotionale Transaktion beschäftigt sozial- und geisteswissenschaftliche Forscher*innen, die sich mit dem Austausch zwischen Organismus und Umwelt beschäftigen, und dabei den Konstruktcharakter unserer Gefühlsregungen untersuchen. Noch immer ist die Frage, ob Angst, Wut oder Freude universelle Gefühle sind, ungelöst und heiß diskutiert. Es lässt sich aber kaum bestreiten, dass wir lernen, Emotionen wahrzunehmen, zu identifizieren, zu qualifizieren und zu interpretieren. Die menschliche Fähigkeit, Gefühle zu erleben, ist „phylogenetisch determiniert und kulturell determinierend“ (Dan Sperber). Das Wort der interpretierenden Wissenschaften ist also von Gewicht, wenn es um Gefühle geht: Im Zentrum dieser Herbstuniversität sollen daher die unterschiedlichen epistemologischen Perspektiven dieser Wissenschaften stehen.

3. EINE PLURIDISZIPLINÄRE PERSPEKTIVE
In der philosophischen Genealogie des Orients gilt Plato für gewöhnlich als Ausgangspunkt eines Nachdenkens über die Verbindung von Musik, Emotion und Politik: Die mathematischen Relationen, denen die musikalischen Harmonien folgen, sind reines Abbild der Harmonie der Sterne. Die Musik ermöglicht es daher auch, die menschliche Seele in Harmonie mit dem Makrokosmos zu gestalten. Die musikalische Betätigung wird so zum Werkzeug, das diese Harmonie in das soziale und politische Leben überführt. Ist die Seele ihr eigentlicher Bestimmungort, so ist das Ohr ihr Eintrittstor. Das Ohr soll daher im Zentrum der von der Herbstuniversität unternommenen Auseinandersetzung mit den sozialwissenschaftlichen Epistemologien stehen, die Phänomenen der emotionalen Mobilisation und ihrer Einschreibung ins Soziale nachgehen (Ernest Jones, 1914; Guy Rosolato, 1993).
Anregungen aus der Anthropologie sowie den Neuro- und Kognitionswissenschaften waren von entscheidender Bedeutung für neue theoretische und epistemologische Ansätze der jüngeren Gefühlsgeschichte, die die performativen Aspekte emotionalen Erlebens betonen (William Reddy, 2001), und dabei mit gängigen Annahmen brechen, wonach Gefühle auf weitgehend passive Reaktionen reduziert werden. Vielmehr werden Emotionen als eigene Wissensform gewürdigt, als eine Art der Weltaneignung, eine Verhaltensweise mit eigener Handlungslogik. Zugleich organisieren Gefühle Erfahrungen jeglicher Art – ja, sie sind notwendig, um ‚eine Erfahrung zu machen“ (John Dewey (1894, 1895)).
Dieses Wissen hat zu einer Umkehr der Perspektive geführt: Die ‚Scripts‘, denen Emotionen folgen, tragen nicht (nur) die Handschrift der Biologie, sondern folgen als „emotionale Praktiken“ (Monique Scheer, 2012) kulturell und sozial ausgearbeiteten Normen, Werten und oftmals komplizierten Handlungszusammenhängen, die kinästhetische, physiologische, kognitive, sprachliche und sinnliche Phänomene umfassen und miteinander verbinden. Umgekehrt wirken Gefühle aber auch auf diese gesellschaftlichen Kontexte und Strukturen zurück: Emotionen haben ebenso eine Geschichte, wie sie Geschichte machen.
Zu den Fragen und Problemen, denen die Projektvorschläge nachgehen könnten, zählen unter anderen: Wie können wir verhindern, dass historische oder ethnologische Forschungen die emotionale Wirkung von „Klanghandlungen“ (Daniel Morat, 2014) unhinterfragt voraussetzen und dadurch übersehen – oder überhören –, dass die emotionale Wirkung von Musik (und anderen Sounds) zwar unbedingt erwartet wird, sich oft aber nicht wie gewünscht entfaltet oder gar vollständig ausbleibt? Wie lassen sich die historische und kulturelle Vielfalt von Gefühlen, ihr je nach situativem, kulturellem, sozialem, politischem oder biographischem Kontext unterschiedliches Erleben und Erfahren angemessen verstehen (Louis Quéré, 2018)? Im Anschluss an Barbara Rosenweins Arbeit über die „emotionalen Gemeinschaften“ (2001) haben die Geschichtswissenschaft zu verstehen versucht, wie sich kulturelle Formen von Gefühlen stabilisieren. Wie lässt sich zeigen, ob ein Gefühl über die Zeiten hinweg gleich geblieben ist?
Diese Frage weist uns auf die epistemologische Form hin, die wir unserem Wissen zu geben versuchen. Emotionale Erfahrungen werden erst möglich durch die Vertrautheit mit sozialen Referenzrahmen, die wir um den Preis der sozialen Anpassung unseres Verhaltens erworben haben. Das festzustellen, macht die Erforschung von „Gefühlsgeschichte“ durch die historisch sich verändernden kulturellen Formen erst möglich (Ute Frevert), und so auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte akustischer Gefühle. Wohnt Gefühlen das Potential inne, Sinneswahrnehmungen, Praktiken und Ereignisse zu einer sozialen Erfahrung zu vereinigen, dann stellt sich die Frage, ab wann sich ein Gefühl als kollektiv verstehen lässt (Louis Quéré, Laurence Kaufmann). Auch die Philosophie hat ihre Aufmerksamkeit auf diese Formen der Indexikalisierung und die Möglichkeit eines „Wörterbuchs der Gefühlsbewegungen“ gerichtet, etwa indem sie nach der affektiven Dimension von Anerkennungs- und Demütigungserfahrungen gefragt hat (Gloria Origgi).
Begreift man Gefühle als kulturelle Formen, dann stellt sich die Frage nach dem Erlernen von Gefühlen: Arbeiten des Forschungsbereichs „Geschichte der Gefühle“ am Berliner Max-Planck-Institut haben jüngst auf die besondere Bedeutung hingewiesen, die der Imagination und Erinnerung von Gefühlen durch ihre mediale Darstellung für das face-to-face-Erleben von Emotionen zukommt (Margrit Pernau), sowie auf die Gestaltung (das „templating“) von Gefühlen im Zusammenhang mit politischen Institutionen (Politische Machtzentren, die Schule, die Armee, Kultureinrichtungen, die Medien). Die Herbstuniversität nimmt dabei unterschiedliche Niveaus in den Blick, auf denen sich das Erleben und Erlernen von Gefühlen vollzieht: Inwieweit ermöglich das Niveau des Privaten, der Intimität, Gefühlsnormen und -standards in Frage zu stellen, wie sie etwa der Diagnose mentaler Gesundheit zugrundeliegen (Tamara Turner)? Zugleich soll der andere Pol der Untersuchungsskala zur Sprache kommen, etwa die Mobilisierung von Gefühlen in politischen Massenveranstaltungen (Juliane Brauer), oder anlässlich von ostentativ zur Schau gestellten musikalischen Gefühlen, die etwa bei Großevents wie den Konzerten André Rieus und seines Johann Strauss Orchesters als emotionale Katalysatoren eingesetzt werden (Denis Laborde). Was die Filmkunst betrifft, so erlaubt das Werk Jean-Luc Godards Aufschlüsse über die Antizipation von Gefühlsbewegungen (Clara Pacquet).
In ihrem Schlussvortrag zeigt die Musikethnologin Ingrid Monson (Harvard University), wie Emotionen ein Faktor der Kreativität werden können, insbesondere in Situationen musikalischer Improvisation. Die Veranstaltung findet gemeinsam mit dem Festival Haizebegi statt: www.haizebegi.eu.

4. PÄDAGOGISCHES TEAM
Veranstalter
- Prof. Dr. Denis Laborde, Anhropologe, EHESS (Paris), CNRS (UMR Passages – Institut ARI, Bayonne)
- Dr. Karsten Lichau, Historiker, Max Planck Institut für Bildungsforschung, Berlin

Vortragende
- Prof. Dr. Sylvie Berthoz, Neurowissenschaftlerin, Inserm [angefragt]
- Prof. Dr. Dr. h.c. Ute Frevert, Historikerin, Direktorin des Forschungsbereichs „Geschichte der Gefühle“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
- Prof. Dr. Gloria Origgi, Philosophin, CNRS, Institut Jean Nicod, Paris
- Dr. Clara Pacquet, Philosophin, Institut ARI & Ecole Supérieure d’Art Pays Basque
- Prof. Dr. Louis Quéré, Soziologe, CNRS, CEMS-EHESS, Paris
- Dr. Tamara Turner, Anthropologin, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

in Zusammenarbeit mit dem Festival Haizebegi und der Gruppe MusiKautisme – www.haizebegi.eu

5. BEWERBUNG
Bewerbungen sollten folgende Texte enthalten:
- Kurzes CV
- Eine Darstellung des Master-/Promotions- oder Postdoc-Projekts
- Einen Vorschlag für eine Präsentation auf der Herbstschule (max. 2 Seiten), die mit dem Thema zusammenhängt

- Die Bewerbung ist per mail zu richten an denis.laborde@ehess.fr / lichau@mpib-berlin.mpg.de
- Einsendeschluss: Mittwoch, 9. September 2021 / Auswahl: Donnerstag, 10. September 2021

Programm

PROGRAMM UND ABLAUF
Die Herbstuniversität findet vom 4. bis 9. Oktober 2021 im ARI-Institut (CNRS-EHESS), Cité des Arts, 3 avenue Jean Darrigrand, F-64100 Bayonne, Baskenland, Frankreich, statt.

Die Kandidat*innen reichen eine Projektskizze von maximal 2 Seiten ein und teilen mit, ob sie sich für Gruppe A oder Gruppe B bewerben.
Gruppe A (8 Studierende). Nach Einreichung der Bewerbung werden 8 Projekte ausgewählt. Jeder Teilnehmerin arbeitet seinen Projektvorschlag aus zu einem ca. 10-seitigen Text, der auf einer gemeinsamen virtuellen Arbeitsplattform digital geteilt wird.
Gruppe B (8 Studierende) Während der Herbstschule werden die Texte der Gruppe A von 8 anderen Kandidat*innen kommentiert (Gruppe B).
Wer möchte, kann einen wissenschaftlichen Artikel für die Cahiers scientiques du festival de Haizebegi einreichen.

SONDERVERANSTALTUNG
Freitag, 8 Oktober 2021, 18.00h – 22.00h
Festival Haizebegi
Bayonne, Auditorium de la Cité des Arts

Film 1
"Aztarnak I", von Gonzalo Amilburu, Paula Olaz, les Demandeurs d’asile du CADA Bayonne und den Studierenden von Vector Grafico (Saint-Sébastien) (Haizebegi, 2021, 10 min.), in Gegenwart der Autoren

Film 2
"Silence", von Pat Collins, (Irland – Deutschland, 2012, 82 min.), in Gegenwart des Regisseurs
Die Veranstaltung wird moderiert von Denis Laborde und Karsten Lichau

Eoghan lebt in Berlin. Er ist Klangjäger. Zum ersten Mal seit 15 Jahren kehrt er zurück in seine Heimat Irland. Er hat einen Auftrag: Orte zu entdecken, die frei von künstlichen Klängen und Geräuschen sind, und dort die „Natur aufzunehmen“. Seine Suche führt ihn weit weg von Dörfern und Städten, in die entlegenen Gegenden Irlands. Im Laufe seiner Reise, die Züge einer Initiation annimmt, wird er gegen seinen Willen in eine Reihe von Begegnungen hineingezogen, die seine Aufmerksamkeit nach und nach von der Natur ablenken und ihn zu jenem anderen Schweigen hinführen – dem unerreichbaren seiner eigenen Geschichte: Was habe ich verlassen, um mein Leben aufzubauen? Einflüsse der Folklore aufnehmend, und gestützt auf zahlreiche Archivquellen, führt uns Silence ins Herz der poetischen Landschaften eines schweigenden Irland, betörend und verstörend, bis hin zu den Aran-Inseln, wo das Hören auf die Natur zur Selbsterkundung wird.

Kontakt

denis.laborde@ehess.fr
lichau@mpib-berlin.mpg.de

https://www.mpib-berlin.mpg.de/forschung/forschungsbereiche/geschichte-der-gefuehle/konferenzen
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Französisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung