Bildtaktiken - Visuelle Subversion zwischen Spiel und Widerstand

Bildtaktiken - Visuelle Subversion zwischen Spiel und Widerstand

Veranstalter
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Veranstaltungsort
Augusteerhalle
Gefördert durch
Fritz Thyssen Stiftung
PLZ
38304
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.2021 - 24.09.2021
Von
Hole Rößler, Abteilung Forschungsplanung und Forschungsprojekte, Herzog August Bibliothek

Mit Bildtaktiken handeln Menschen mit und durch Bilder, die nicht von ihnen selbst gemacht sind. Bildtaktiken richten die Macht und Autorität von Bildern auf ein neues Ziel. Die Tagung befasst sich mit dezidiert nicht-künstlerischen Praktiken einer eigensinnigen und oft kreativen Aneignung, mit denen sich Menschen gegen die seit der Frühen Neuzeit stetig wachsende Aufdringlichkeit von Bildern zur Wehr setzen.

Bildtaktiken - Visuelle Subversion zwischen Spiel und Widerstand

Bei Protesten gegen den G7-Gipfel im französischen Biarritz im August 2019 trugen Dutzende von DemonstrantInnen Exemplare des offiziellen Staatsporträts von Präsident Emmanuel Macron vor siBei Protesten gegen den G7-Gipfel im französischen Biarritz im August 2019 trugen Dutzende von DemonstrantInnen Exemplare des offiziellen Staatsporträts von Präsident Emmanuel Macron vor sich her, die in den Wochen zuvor aus verschiedenen Rathäusern des Landes gestohlen worden waren. Sie hielten dabei das Bildnis mit dem Kopf nach unten, womit in unmissverständlicher Weise ihre Unzufriedenheit mit der Person und der Politik des Präsidenten zum Ausdruck kam. Wohl nur wenigen Beteiligten wird dabei bewusst gewesen sein, dass sie sich auf diese Weise einer Bildpraxis bedienten, mit der bereits im Mittelalter Personen diffamiert werden sollten. Im Unterschied zu den historischen Darstellungen kopfüber gehängter Delinquenten waren diese Bilder jedoch nicht eigens gefertigt worden. Stattdessen griffen die AktivistInnen auf die für öffentliche Einrichtungen und Behörden Frankreichs produzierte Fotografie zurück, wodurch das Medium der politischen Repräsentation und Autorisierung in seiner symbolischen Funktion zugleich bestätigt und verkehrt wurde.

Die geschilderte Protestform gehört zu einer Gruppe von Praktiken, mit denen die intendierte Aussage von Bildwerken unterlaufen, ihre ästhetische Wirkung und sozio-politische Funktion auf alternative Ziele ausgerichtet werden soll. Ihrer weiten Verbreitung zum Trotz ist diesen Praktiken weder seitens der Kunstgeschichte, der Bildwissenschaft und visual culture studies, noch seitens der Kultur- und Sozialgeschichte bislang eine größere Aufmerksamkeit zuteil geworden.

Im Zentrum der Tagung stehen Praktiken, mit denen Menschen mit und durch Bilder handeln, die nicht von ihnen selbst gemacht sind, Praktiken, mit denen sie auf das Eindringen der Bilder in ihr Lebensumfeld reagieren und mit denen die dem Bild zugeschriebene ‚Macht‘ oder Autorität auf ein neues Ziel gerichtet wird. Den heuristischen Rahmen bildet das im Anschluss an die praxeologische Theorie von Michel de Certeau entwickelte Konzept der ‚Bildtaktiken‘, das auf der Tagung in seiner Brauchbarkeit für die kulturhistorische Analyse erprobt werden soll. Dieses Konzept geht davon aus, dass auch Bilder nicht einfach ‚wirken‘, sondern Gegenstand vielfältiger Praktiken der Rezeption sind, die mitunter die intendierten Funktionen und Ziele der Bilder verfehlen, unterlaufen oder manipulieren.

Das Konzept ‚Bildtaktik‘ bezeichnet in diesem Sinne dezidiert nicht-künstlerische Praktiken einer eigensinnigen und kreativen Aneignung, die sich insbesondere auf bzw. gegen Bilder mit im weitesten Sinne politischen Intentionen richten, die Bildern eine (neue) politische Absicht geben oder mit denen sich Menschen – mitunter in spöttischer Weise – gegen die seit der Frühen Neuzeit stetig wachsende „Aufdringlichkeit von Bildern“ (Jörg Jochen Berns) zur Wehr setzen. Bildtaktiken sind mithin aufzufassen als widerständige, teils spielerische, teils subversive und delegitimierende Reaktionen auf Strategien des Bildeinsatzes im öffentlichen Raum und in den Räumen medialer Öffentlichkeit. Für eine sozialhistorisch orientierte Erforschung visueller Kultur ist dabei von Interesse, in welcher Weise Bildtaktiken sich die „Unkontrollierbarkeit von Repräsentationen“ (W. J. T. Mitchell) zunutze machen und damit auch Auskunft über die Bild- und Medienkompetenz der Akteure geben.

Die ursprünglich für den November 2020 geplante und angekündigte Tagung soll ein Problemfeld umreißen, das aufgrund der gesellschaftlichen Verbreitung bildtaktischen Handelns in seiner kulturellen Dynamik kaum zu überschätzen ist. In diesem Rahmen sind bestehende Ansätze zu Bildrezeption und Bildpragmatik einer kritischen Revision zu unterziehen. Eine dezidiert interdisziplinäre, transepochale und komparatistische Herangehensweise soll dabei ermöglichen, historische Persistenz und Partikularität von Bildtaktiken herauszuarbeiten.

Eine Teilnahme an der Tagung ist online möglich. Interessierte melden sich bitte unter hole.roessler@hab.de.

Programm

Mittwoch, 22.09.2021

13.00–13.30 Uhr / Hole Rößler (Wolfenbüttel): Begrüßung. Widerspenstige Bild(n)er – Einführung ins Tagungsthema

Sektion 1: Stören und verwandeln

13.30–14.15 Uhr / Fabian Stroth (Freiburg): Zur Aporie bildlicher Negativität. Die produktiven Störungen byzantinischer Mosaikböden Jordaniens

14.15–14.30 Uhr Pause

14.30–15.15 Uhr / Amalie Hänsch (Hamburg): Kritzelei, Kommentar, Kritik. Zur Bildrezeption früher Lutherbildnisse

15.15–16.00 Uhr / Thibault Cardon (Caen): L᾽iconographie numismatique: entre relectures et détournements (XIVe-XXe siècles) (online)

16.00–16.15 Uhr Pause

16.15–17.00 Uhr / Tobias Ertl (Fribourg): Produktiver Vandalismus. Asger Jorns modifizierte Malerei

17.00–17.45 Uhr / Axel Philipps (Hannover): Nachträglich veränderte Wahlplakate. Aus einer soziologischen Perspektive interpretiert

17.45–18.00 Uhr Pause

18.00–19.00 Uhr / Abendvortrag
Gerd Schwerhoff (Dresden): Blasphemische und blasphemierte Bilder. Konstellationen der Herabsetzung von der Antike bis zur Gegenwart

Donnerstag, 23.09.2021

Sektion 2: Kommentieren und interpretieren

09.30–10.15 Uhr / Patrizia Carmassi (Wolfenbüttel): Menschenbilder in Handschriften des Mittelalters zwischen Obsession und Subversion. Phänomene am Rande

10.15–10.30 Uhr Pause

10.30–11.15 Uhr / Pierre Smolarski (Wuppertal): Adbusting. Rhetorische Bildtaktiken im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit

11.15–12.00 Uhr / Lea Hagedorn (Dresden): Die Karikatur: ‚Sprachrohr des gemeinen Volkes‘? Eine bürgerliche Bildtaktik des 18. Jahrhunderts

12.00–14.00 Uhr Mittagspause

Sektion 3: Aneignen und persiflieren

14.30–15.15 Uhr / Stefan Hartmann (Augsburg): „Not legal tender“. Protestnoten – Tausch- versus Mehrwert (online)

15.15–15.30 Uhr Pause

15.30–16.15 Uhr / René Smolarski (Erfurt): Die Post als Waffe. Bildtaktik und Bildstrategie auf Postwertzeichen

16.15–17.00 Uhr / Wolfgang Brückle (Luzern): Retusche, Unterwerfung des Apparats, Deep Fake. Bildtaktiken in Fotografie und Postfotografie

Freitag, 24.09.2021

Sektion 4: Deformieren und vernichten

09.30–10.15 Uhr / Ralf von den Hoff (Freiburg): Im Tode gleich? Bildpraxis und Bildtaktik im Umgang mit Grabmälern im antiken Griechenland

10.15–10.30 Uhr Pause

10.30–11.15 Uhr / Beatrice Radden Keefe (Zürich): Erasing Comedy: The Replacement Drawings in MS Vat. lat. 3305

11.15–12.00 Uhr / Jana Graul (Rom): Neid und Ignoranz mit Schlagstöcken. Künstlerischer Ikonoklasmus in der Frühen Neuzeit

12.00–12.15 Uhr Pause

12.15–13.00 Uhr / Thomas Rahn (Berlin): Bildzerstörungsbilder. Vom Bildersturm bis „Jeff Koons must die!!!“

13.00–13.15 Uhr / Verabschiedung – Tagungsende

Kontakt

E-Mail: hole.roessler@hab.de

https://www.hab.de/forschungsschwerpunkt-historische-bildkulturen/