Familie und Krieg. Erfahrung, Fürsorge und Leitbilder von der Antike bis in die Gegenwart

Familie und Krieg. Erfahrung, Fürsorge und Leitbilder von der Antike bis in die Gegenwart

Veranstalter
Alexander Denzler (Eichstätt-Ingolstadt), Andreas Hartmann (Augsburg), Kathrin Kiefer (Koblenz-Landau), Markus Raasch (Mainz), Michael Mayer (Tutzing)
Veranstaltungsort
Akademie für Politische Bildung Tutzing
PLZ
82327
Ort
Tutzing
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2021 - 07.11.2021
Deadline
27.10.2021
Von
Markus Raasch, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Tagung beschäftigt sich aus historischer Perspektive mit dem hochaktuellen Thema "Familie und Krieg" und schlägt dabei einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.

Familie und Krieg. Erfahrung, Fürsorge und Leitbilder von der Antike bis in die Gegenwart

Was macht der Krieg mit den Menschen? Wie verändert und prägt er Gesellschaften? Unsere Tagung möchte ausloten, was aus historischer Perspektive zur Beantwortung solch hochaktueller Fragen beigetragen werden kann. Seit Anbeginn der Menschheit bildet die Familie – verstanden als (Lebens-)Gemeinschaft aus einem Elternpaar bzw. einem Elternteil und mindestens einem Kind – die kleinste und elementarste Einheit eines Sozialsystems. Sie umfasst den intimsten Raum menschlichen Miteinanders und vermag wesentliche Aufgaben für ihre Mitglieder zu leisten. Zugleich ist sie fundamental für das Funktionieren einer Gemeinschaft und daher von enormer politischer Bedeutung. Sie beschreibt prägenden Lebensalltag, ist eminenter Adressat obrigkeitlichen Handelns und fortwährender Gegenstand gesellschaftlicher Diskurse. Die Auswirkungen von Kriegen auf Gesellschaften lassen sich entsprechend im Spiegel der Familie in besonderer Dichte und Anschaulichkeit untersuchen. Die historische Forschung hat diesem Umstand allerdings bisher unzureichend Rechnung getragen. Über „Kriegskinder“ ist beispielsweise mittlerweile viel, über Familien im Krieg deutlich weniger geschrieben worden. Grundsätzlich stehen sich zwei Deutungsangebote gegenüber: Auf der einen Seite werden Krisenerscheinungen, d.h. „the disruptive effects of the war“ (Catherine Rollet) herausgestellt, auf der anderen Seite stehen lebensweltlich interessierte Arbeiten, die für Kriegszeiten „the strength and resilience of family life“ (Susan Goodman) akzentuieren. Eine Ausdifferenzierung dieser Großdeutungen durch transnationale oder gar epochenübergreifende Perspektiven ist bisher allenfalls im Ansatz versucht worden. Eine systematische Untersuchung des Verhältnisses Familie und Krieg von der Antike bis in die Gegenwart existiert nicht.

Hier wollen wir einen Aufschlag machen. Mit den Mitteln einer kulturwissenschaftlich sensiblen Sozialgeschichte sollen drei Fragenkomplexe bearbeitet werden. Zum ersten interessiert das Feld von Fürsorge und Kontrolle: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Rekrutierungspraxis und Familienverhältnissen? Welche Vorgaben macht ein politisches Gemeinwesen seinen Soldaten in Bezug auf Ehe und Familie, welche Angebote hält es bereit? Inwiefern lässt es Soldaten und ihren Familien im Krieg Unterstützung zuteilwerden? Aus welchen Gründen, in welchen Formen, mit welchen Absichten und mit welchem Erfolg geschieht dies? Inwiefern ist zwischen obrigkeitlicher und nicht-obrigkeitlicher Hilfe zu unterscheiden? Was kennzeichnet insbesondere den Bereich der Witwen- und Waisenversorgung? Zum zweiten steht der Bereich Leitbilder und Propaganda im Fokus: Was kennzeichnet das normative Reden und Schweigen in Sachen Familie und Krieg? Welche Interessen spielen dabei eine Rolle? Welche Imaginationen werden von wem zu welchem Zweck kolportiert, inwiefern bestehen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Friedenszeiten? Welche Rolle nimmt der Krieg in Geschlechterkonstruktionen ein? Welche Bedeutung haben Familien für die geistige Kriegsführung und welche propagandistische Rolle wird ihnen aus welchen Gründen zugewiesen? Zum dritten geht es um das Thema Alltag und Erfahrung: Wie erleben Familien den Krieg? Welche sozialen, religiösen, generationellen und geschlechtsbezogenen Differenzierungen kommen dabei zum Tragen? Welchem Wandel unterliegen Eltern-Kind- und Geschwisterbeziehungen? Inwieweit partizipieren Familien am Kriegsgeschehen? Wie gehen sie mit Trennung und Verlust um? Was bergen die „langen Schatten des Krieges“ (Elisabeth Domansky/Jutta de Jong)? Welche wirtschaftlichen und demografischen Auswirkungen, welche psychohistorischen Erbschaften und transgenerationalen Folgen bringt der Krieg mit sich?

Die Tagung nimmt alle Arten von Krieg, der sich allgemein als „Extremform militärischer Gewalt zwischen mindestens zwei politischen Gruppen“ (Sven Chojnacki) fassen lässt, in den Blick (zwischenstaatliche Auseinandersetzung, Bürgerkrieg, asymmetrischer Krieg, frozen conflict etc.). Sie ist ausdrücklich zeitübergreifend angelegt, wobei Kontinuitätslinien ebenso wie Ungleichzeitigkeiten und Brüche betrachtet werden sollen. Sie sieht sich grenzübergreifenden Sichtweisen verpflichtet, beleuchtet internationale Zusammenhänge und sucht den Austausch mit anderen Wissenschaftsdisziplinen. Die Aktualität des Themas Familie und Krieg soll auf diese Weise verfremdet, kontextualisiert und aus historischem Blickwinkel nuanciert diskutiert werden.

Programm

FREITAG, 5. NOVEMBER 2021

14:00 Uhr Begrüßung und Einführung
14:30 Uhr James Marten (Marquette University, Milwaukee): Tragedy and Opportunity. The Study of Children and Families in Wartime

Sektion I: Fürsorge und Kontrolle

15:15 Uhr Oliver Stoll (Universität Passau): „Gruppenbild mit Dame“ oder: Familienleben trotz Eheverbot. Militärfamilien in den Militär- und Garnisonsgesellschaften der Limeszonen des Imperium Romanum während des 1. bis 3. Jh. n.Chr.

16:00 Uhr Kaffeepause

16:30 Uhr Stefan Kroll (Universität Rostock): Zwischen Heimat und Tross. Soldatenfamilien in den Kriegen des 18. Jahrhunderts

Silke Fehlemann (Universität Dresden/Düsseldorf): Hinterbliebene Familien des Ersten Weltkrieges zwischen sozialer Fürsorge und Erinnerungskultur

18:00 Uhr Abendessen

19:30 Uhr Rolf-Ulrich Kunze (Universität Karlsruhe): Familienpolitik im Nationalsozialismus und ihre Deutung durch die Familienzeitgeschichte

SAMSTAG, 6. NOVEMBER 2021

Sektion II: Leitbilder und Propaganda

9:00 Uhr Andreas Hartmann (Universität Augsburg): Familie in Kriegsparainesen und Leichenreden der griechischen Polis

Marion Meyer (Universität Wien): Kriegerabschied im antiken Athen

10:20 Uhr Kaffeepause

10:40 Uhr Marian Füssel (Universität Göttingen): Zusammenhalt und Spaltung. Familien im Siebenjährigen Krieg

Bérénice Zunino-Lecoq (Centre Marc Bloch, Berlin): Propaganda, Kinder und Familie im Ersten Weltkrieg

12:00 Uhr Mittagessen

14:00 Uhr Ross F. Collins (North Dakota State University, Fargo): The militarization of American children during the Second World War

Sektion III: Alltag und Erfahrung

14:45 Uhr Christoph Schubert (Universität Erlangen-Nürnberg): Sagunt, Alesia, Jerusalem. Das Leiden der Zivilbevölkerung im antiken Belagerungskrieg

15:30 Uhr Kaffeepause

15:45 Uhr Claudia Jarzebowski (Universität Bonn): Familienpraktiken und kriegsgefangene Kinder in frühneuzeitlichen Kriegen

16:45 Uhr Podiumsdiskussion: Familie und Krieg. Perspektiven des 21. Jahrhunderts

Patrick Windschügl, Arbeiterwohlfahrt Rheinland
Samer Tannous, freier Autor, Hochschullehrer und Syrienflüchtling
Jan Jessen, Journalist und Reporter für die NRZ
Barbara Halstenberg, freie Journalistin, Autorin und Chefredakteurin eines Hochschulmagazins
Carola Bamberg, Sozialreferat der Stadt München
Moderation: Yellah Niehaves und Markus Raasch (Universität Mainz)

18:30 Uhr Abendessen

SONNTAG, 7. NOVEMBER 2021

9:00 Uhr Kathrin Kiefer/Markus Raasch (Universität Koblenz-Landau/Universität Mainz): Familienbeziehungen in den beiden Weltkriegen

Paula Kumerics/Linda Doreen Wentland (Universität Mainz): Familienbeziehungen und kindliches Angstempfinden im Zweiten Weltkrieg. Studentische Perspektiven auf den Nutzen von „Oral History“

Annette Neder (Universität Koblenz-Landau): Kriegserfahrung und Familienleben. Emotionen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg

10:30 Uhr Kaffeepause

10:45 Uhr Michael Roper (University of Essex): Meeting in No Man’s Land. Motives for remembrance among British and German descendants

Abschlussgespräch

12:00 Uhr Mittagessen und Tagungsende

Kontakt

Tagungssekretariat:
Simone Zschiegner
E-Mail: s.zschiegner@apb-tutzing.de
Um Anmeldung bis zum 27. Oktober 2021 wird gebeten.

https://www.apb-tutzing.de/
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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