Sozialgeschichte der Bildung

Sozialgeschichte der Bildung

Veranstalter
Archiv für Sozialgeschichte (Friedrich-Ebert-Stiftung)
Ausrichter
Friedrich-Ebert-Stiftung
Veranstaltungsort
Godesberger Allee 149
PLZ
53175
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.10.2021 - 29.10.2021
Deadline
27.10.2021
Von
Philipp Kufferath, Friedrich-Ebert-Stiftung

Sozialgeschichte der Bildung

Auf der jährlichen Tagung des Archivs für Sozialgeschichte (AfS), die von der Friedrich-Ebert-Stiftung als Online-Format veranstaltet wird, werden Beitragsideen in 15-minütigen Präsentationen vorgestellt, um Fragen und Forschungsperspektiven für das Rahmenthema von AfS 62 (2022) zu entwickeln.

The Social History of Bildung through Formation and Education

At the conference of the Archiv für Sozialgeschichte (AfS), which is organised by the Friedrich-Ebert-Stiftung as an online format, ideas for contributions will be presented in 15-minute presentations in order to develop questions and research perspectives for the topic of AfS 62 (2022).

Sozialgeschichte der Bildung

„Bildung“ ist ein ebenso zentraler wie schillernder Begriff der Gegenwart. Sie wird als eine wichtige ökonomische und nationale Ressource verstanden, durch Lehrpläne und Abschlüsse garantiert und formalisiert, aber auch als ein Prozess zur Persönlichkeitsbildung und zur Aneignung von Wissen und Kompetenzen angesehen. Häufig werden ihr hohe Ziele zugeschrieben, soll sie doch entscheidend dazu beitragen, gesellschaftliche Missstände zu beseitigen und eine gerechtere und harmonischere Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Der „Index der menschlichen Entwicklung“ der Vereinten Nationen benennt die Bildungsdauer daher neben der Lebenserwartung und dem Einkommen als zentrales Kriterium für Wohlstand. Zugleich kann „Bildung“ in dynamischen Gesellschaften als stetige Aufforderung zur (Weiter-)Qualifikation und Eigenverantwortung erfahren werden. „Lebenslanges Lernen“ kann dabei positiv als Bereicherung erlebt, aber auch mit Leistungsdruck, Auslese und Situationen des Scheiterns in Verbindung gebracht werden.

Was genau „Bildung“ ist, welche gesellschaftliche Bedeutung ihr zukommt und wie sie politisch gestaltet werden soll, ist dabei umstritten. „Bildung“ stellt ein sehr deutsches Reizwort dar, das oftmals eine Verständigung darüber erschwert, worüber überhaupt gestritten wird. Die Verworrenheit der aktuellen, von sozialwissenschaftlicher Expertise dominierten Debatten lässt eine erneute historische Beschäftigung mit Fragen der Bildung lohnend erscheinen, um mit einer historischen Tiefenschärfe Abstand zu gewinnen und dabei die Sicht auf aktuelle Debatten zu schärfen. Vor diesem Hintergrund will das Archiv für Sozialgeschichte die Rolle von Bildung im historischen Wandel der vergangenen beiden Jahrhunderte neu vermessen. Welche Rolle spielte Bildung in den gesellschaftlichen und politischen Transformationen der vergangenen beiden Jahrhunderte? Wie gestalteten soziale Bewegungen und politische Regime Bildung aus? Welche Errungenschaften, aber auch welche Widersprüche und Probleme zogen Bildungsreformen nach sich?

The Social History of Bildung through Formation and Education

„Bildung“ is an equally pivotal and ambiguous concept of the present age. In its German understanding, the term denotes the inner formation of the self as well as formal education. For the sake of brevity, the English term education can stand here for the manifold connotations of the German concept. Education is an important economic and national resource, guaranteed and formalised by curricula and educational qualifications. Yet, at the same time, it is also understood as a process of personality formation and of acquiring both knowledge and competencies. Education is often charged with a higher purpose, expected to contribute to resolve dysfunctional tendencies in society and to realise a more just and harmonious social order. Thus, the Human Development Index, created by the United Nations, identifies the length of the time spent in formal education together with life expectancy and income as a key parameter for the affluence of a society. In modern dynamic societies, education can be perceived as a constant challenge to add even further qualifications and rely on personal responsibility. The notion of „lifelong learning“ can be experienced positively, as a form of personal enrichment, yet it can also be associated with the pressure to perform, with tough selection criteria and with situations of personal failure.

How education and its social relevance must be understood and how political processes should shape its form, however, is highly contested. In German public discourse, „Bildung“ is a highly emotive buzzword, one that often hinders agreement on the issues that are contested rather than enabling debate. Current discussions on notions of education are dominated by the expertise of social scientists, and the often muddled state of these discussions makes it a worthwhile endeavour to step back and look at them from the depth of historical processes. Against this backdrop, the Archiv für Sozialgeschichte aims to reassess the role of education in the longue duree of historical change during the last two centuries. What was the role played by education and formation in the social and political transformations of the nineteenth and twentieth centuries? How did social movements and political regimes shape the process of education? What were the achievements, but also the inherent contradictions and problems of educational reforms?

Programm

DONNERSTAG, 28. OKTOBER 2021

10:00 Uhr Anja Kruke / Philipp Kufferath (Bonn): Begrüßung und Einführung in die Tagung

Till Kössler (Halle an der Saale): „‚Bildung‘ als sozial- und kulturgeschichtliches Forschungsfeld“

10.30–12.00 Uhr / Moderation: Dietmar Süß (Augsburg)

Daniel Gerster (Hamburg): „Charakter-Bildung: ein bürgerliches Konzept sozialer Distinktion und seine ambivalente Geschichte. Ein deutsch-britischer Vergleich“

Thomas Adam (Arkansas): „Der Beitrag von Bildungsgebühren und Stipendien zur Bewahrung der sozialen Exklusivität in Einrichtungen der höheren Bildung in Deutschland und den USA im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“

Gabi Wüthrich (Zürich): „‚weder auf Reichthum noch auf Armuth sehen‘. Elementarschulzugang im Gebiet der frühindustrialisierten Nordostschweiz“

13.00–14.30 Uhr / Moderation: Meik Woyke (Hamburg)

Anja Grabuschnig (Graz), Lisbeth Matzer (München): „Bildung zwischen Ökonomisierung und sozialpolitischem Auftrag: Gesellschaftliche Ungleichheit als Herausforderung der Erwachsenenbildung (1945–1990)“

Benno Nietzel (Bielefeld): „Qualifizierung für die Marktwirtschaft: Berufliche Weiterbildung, Arbeitsmarktpolitik und deutsch-deutsche Transformation nach der Wiedervereinigung“

Pierre Schmuck (Freiburg im Breisgau): „Politische Bildung und Weimarer Demokratie. Die Reichszentrale für Heimatdienst und Volkshochschulen 1918–1933“

15.00–16.00 Uhr / Moderation: Thomas Kroll (Jena)

János Ugrai / Márkus Keller (Budapest): „Bildungsreform, Autonomie, Kirchen und Professionalisierung – Die professionelle Autonomie der Lehrer höherer Schulen in Ungarn im 19. Jahrhundert“

Memtimin Semet (Frankfurt an der Oder): „‚Study Abroad‘ in the Long 19th Century: Modernization, War, and Higher Education in Global Context“

FREITAG, 29. OKTOBER 2021

9.00–10.30 Uhr / Moderation: Friedrich Lenger (Gießen)

Andrea De Vincenti / Norbert Grube / Andreas Hoffmann-Ocon (Zürich): „Lehrer:innenbildung und soziale Bewegungen in Zürich. Wissensverflechtungen und Alltagspraktiken in Konflikten um Bildungsreformen 1950–1980“

Sandra Funck (Göttingen): „Aneignungen des Bildungsbegriffs durch Jugendliche in den 1960er- und 1970er-Jahren

Phillip Wagner (Halle an der Saale): „Egalisierung von Teilhabe? Sozialliberale Bildungsreformen und die Gesellschaftsgeschichte der Demokratie im Westdeutschland der 1960er- bis 1980er-Jahre“

11.00–12.00 Uhr / Moderation: Kirsten Heinsohn (Hamburg)

Sylvia Kesper-Biermann (Hamburg): „Emanzipation, Verständigung, Integration. Sprachbildung für ‚Gastarbeiter:innen‘ in der Bundesrepublik (1974–1990)“

Stephanie Zloch (Dresden): „Auf Integrationskurs? Konkurrierende Bildungskonzeptionen und third spaces im Einwanderungsland Deutschland von den 1960er- bis zu den 1980er-Jahren“

13.00–14.00 Uhr / Moderation: Anja Kruke (Bonn)

Sandra Wenk (Halle an der Saale): „Die Bildung der ‚Bildungsfernen‘. Hauptschüler:innen als Zielgruppe von Schul- und Gesellschaftsreformen in der Bildungsreformära der 1960er- und 1970er-Jahre und den PISA-Debatten um 2000“

Rainer Bölling (Düsseldorf): „Bildung als Humankapital? Die OECD als ‚graue Eminenz‘ der Bildungspolitik“

14.30–15.30 Uhr / Moderation: Till Kössler (Halle an der Saale)

Stefanie Coché / Stephan Monissen (Gießen) / Sophia Egbert (Köln): „Akkreditierung + Finanzierung = Verwissenschaftlichung? Evangelikale Bildungskonzeptionen und -praktiken in den USA nach 1945 am Beispiel der Life Sciences und der Psychologie“

Franziska Rehlinghaus (Göttingen): „Die ‚vierte Säule des Bildungssystems‘ und die Logik des Markts. Weiterbildung als Zukunftsversprechen und Verteilungsproblem in den 1970er-Jahren“

15.30–16.00 Uhr: Abschlussdiskussion

Kontakt

Philipp Kufferath
E-Mail: afs@fes.de

https://www.fes.de/afs/termine