Epidemie und Emotion. Geschichtswissenschaftliche und transdisziplinäre Perspektiven

Epidemie und Emotion. Geschichtswissenschaftliche und transdisziplinäre Perspektiven

Veranstalter
Verein für Sozialgeschichte der Medizin / Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck / Forschungszentrum Medical Humanities der Universität Innsbruck / Department für Psychotherapiewissenschaft der Sigmund Freud PrivatUniversität Linz
Veranstaltungsort
Sigmund Freud PrivatUniversität Linz, Adalbert-Stifter-Platz 2, 4020 Linz
PLZ
4020
Ort
Linz
Land
Austria
Vom - Bis
23.06.2022 - 25.06.2022
Deadline
31.12.2021
Von
Marina Hilber, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Epidemie und Emotion. Geschichtswissenschaftliche und transdisziplinäre Perspektiven

Die Jahrestagung 2022 des Vereins für Sozialgeschichte der Medizin, die vom 23.bis 25. Juni 2022 an der Sigmund Freud Privat-Universität Linz stattfinden wird, widmet sich dem Spannungsfeld von Epidemie und Emotion.

Epidemics and emotions. Historical and transdisciplinary perspectives

The 2022 annual conference of the Association for the Social History of Medicine, which will take place from 23–25 June 2022 at the Sigmund Freud Private University Linz, is dedicated to the interdependencies of epidemics and emotions.

Epidemie und Emotion. Geschichtswissenschaftliche und transdisziplinäre Perspektiven

Die vergangenen zwei Jahre waren wie kaum eine Periode seit 100 Jahren von der kollektiven Erfahrung einer Pandemie und ihren vielfältigen Folgen und Begleiterscheinungen geprägt. Je länger dieser „Ausnahmezustand“ andauert, desto deutlicher zeigt sich für viele Beobachter:innen die hohe Relevanz emotionaler Aspekte bei gesellschaftlichen Gesundheitskrisen, wie sie Epidemien darstellen. Enge Interdependenzen von sozio-kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen auf kollektiver Ebene einerseits sowie psychischen und somatischen Prozessen auf individueller Ebene andererseits wurden und werden u.a. von Psychotherapie und Psychologie, von Gesundheits- und Emotionssoziologie, von Sozialisations- und Bildungsforschung sowie von den Medical Humanities herausgearbeitet; in historischer Ausrichtung ist in diesem Forschungsfeld, neben der Mentalitäts- und Emotionsgeschichte, auch die Sozialgeschichte der Medizin aktiv. Multi- und transdisziplinären Herangehensweisen kommt bei allen diesen Ansätzen hohe Relevanz zu, für die spezifische Fragestellung der mannigfaltigen Konnexe von Epidemie und Emotion erscheinen sie geradezu unerlässlich.

Die Verbindung der beiden Begriffe Emotion und Epidemie lässt zuallererst wohl an jene massiven kollektiven „Gefühlsausbrüche“ von Furcht und Verzweiflung denken, welche das unerwartete Auftreten einer hochinfektiösen und hochletalen Epidemie auslöst. Derartige „Seuchenpaniken“ sind der Historiographie seit langem bekannt, waren doch solche gesellschaftlichen Ausnahmezustände seit Beginn der Schriftlichkeit immer wieder Anlass für betroffene Menschen, hierüber Aufzeichnungen anzufertigen. Zweifellos ist längst noch nicht die Gesamtheit der historischen Quellen dieser Art der Geschichtsforschung bekannt bzw. eröffnen sich durch die Fokussierung auf die Emotionalität der Narrative auch neue Lesarten bekannter Quellenbestände.

Die Zusammenhänge von epidemischem Geschehen und Affektivität reichen aber weit darüber hinaus: Das mit gefürchteten „Seuchen“ oftmals verbundene Massensterben hinterließ eine Vielzahl von Menschen mit Traumatisierungen – aufgrund eigener Erkrankung und Todesgefährdung ebenso wie wegen des Verlustes von Familienangehörigen und anderen nahestehenden Menschen, oftmals verbunden mit der quälenden Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit. Gleichermaßen regelmäßig traten und treten im Zuge von Epidemien aber auch mentale Abwehrmechanismen auf, die darin bestehen, dass auf diese Gefährdung bezogene Denkinhalte, und damit verbunden auch negative Gefühlslagen, wie sie von derartigen Krisen an sich induziert werden, individuell-mental und kommunikativ-sozial nicht „zugelassen“ werden: Es kommt zur Verdrängung des Erlebten, ja zur Verleugnung dieser bedrohlichen Teile der Realität, anstelle realistischer Auseinandersetzung mit der Gefährdung.

Nicht selten wird das unbewusst weiter vorhandene Bedrohungsgefühl dann re-interpretiert und anderen Ursachen zugeschrieben, insbesondere personalisierten „Schuldigen“, welche dann auch als Objekte der Projektion eigener negativer Affekte dienen können. So erwachsen aus an sich schon gefährlichen Epidemien vielfach zusätzliche, wesentlich durch die menschliche Affektivität bedingte negative Konsequenzen sozialer Spannungen. Analoges gilt für sachlich grundsätzlich adäquate Maßnahmen zur Bekämpfung epidemischer Gefährdungen: Auch diese ziehen, gerade wenn es sich um die Einschränkung sozialer Kontakte zur Infektionsvermeidung handelt, regelmäßig erhebliche negative Folgen nach sich, auf der Ebene des alltäglichen Handelns, speziell im wirtschaftlichen Bereich, ebenso wie im sozialen Kontext. Derartige Maßnahmen zur Seuchenprävention wurden und werden daher geradezu regelhaft sehr kontrovers diskutiert, wie die aktuelle Situation, aber auch die Geschichte der Epidemien zeigen kann. Emotionale Aspekte von Epidemien sind dabei vielgestaltig. Erwähnt seien hier auch die mit konkreten Krankheitserscheinungen verbundenen Schmerzens-, aber auch Ekel-Erfahrungen und der Umstand, dass es offenbar so etwas wie einen „epidemiologischen“ oder „immunologischen“ Ethnozentrismus zu geben scheint, welcher vor allem in den Anfangsphasen eines Seuchenzuges in noch nicht unmittelbar betroffenen Regionen bzw. Gruppen dazu beiträgt, dass viele Menschen die heraufziehende Gefahr verdrängen und Präventionsmaßnahmen nicht rechtzeitig ergriffen werden. Gleichermaßen weisen auch adäquatere Reaktionsformen auf Epidemien wesentlich emotionsbezogene Komponenten auf, das gilt für traditionelles „Gottvertrauen“ ebenso wie für typisch „moderne“ Strategien zur Krisenintervention und Resilienzsteigerung. Von besonderer Bedeutung waren und sind wirksame Methoden emotionaler Selbstregulation dabei für jene Menschen, die – sei es innerhalb persönlicher Beziehungen, sei es berufsbedingt – auch in Zeiten einer Epidemie Sorge für andere tragen, also Care-Arbeit leisten – was die Bedeutung gender- und altersspezifischer Differenzierungen für einschlägige Untersuchungen herausstreicht.

Wir freuen uns über Vortragseinreichungen zu den skizzierten, aber auch zu hier unerwähnt gebliebenen Aspekten des Tagungsthemas „Epidemie und Emotion“.

Derzeit sind folgende thematische Schwerpunkte geplant:

- Kollektivierte Emotion – Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in Zeiten von epidemischer Gefährdung

- Individuelle Krankheitserfahrung zwischen Traumatisierung und Resilienz

- Emotion und Pflege/Care

- Emotion und Geschlecht

Im Rahmen einer öffentlichen Keynote-Lecture wird Bettina Hitzer (Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin) zum Thema „Pandemiegefühle. Nutzen und Grenzen einer emotionshistorischen Perspektive“ sprechen.

Bitte senden Sie Vorschläge für Einzelvorträge mit Abstracts im Umfang von ca. 2.000–4.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) bis zum 31.12.2021 an: Elisabeth.Dietrich@uibk.ac.at.

Tagungssprachen: Deutsch und Englisch.

Die eingehenden Vorschläge werden vom Organisationsteam gemeinsam mit dem Vereinsvorstand und den Kooperationspartner:innen der Tagung diskutiert und alle Einreicher:innen bis Ende Jänner 2022 über eine Annahme oder Absage informiert.

Die Tagungsgebühr für alle Teilnehmer:innen beträgt 100,00 EUR und deckt anfallende Kosten für Tagungsunterlagen, Führungen sowie Getränke und Imbisse in den Kaffeepausen ab. Studierende und Personen mit geringem Einkommen können bei der Tagungsleitung einen reduzierten Beitrag von 50,00 EUR beantragen.

Die Referent:innen werden im Anschluss an die Tagung eingeladen, eine schriftliche Fassung ihres Vortrags zur Veröffentlichung in einem themenspezifischen Band der vom Verein für Sozialgeschichte der Medizin herausgegebenen Zeitschrift „Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin“ einzureichen. Die Zeitschrift ist durch peer-review qualitätskontrolliert und erscheint jährlich im Print sowie, als Open-Access-Journal, online.

Für die Veranstalter:

Marcel Chahrour
Elisabeth Dietrich-Daum
Marina Hilber
Carlos Watzka
(Organisationsteam)

Epidemics and emotions. Historical and transdisciplinary perspectives

Like hardly any other period in the last 100 years, the past two years have been marked by the collective experience of a pandemic and its manifold consequences. The longer this „state of emergency“ lasts, the more clearly the high relevance of emotional aspects in social health crises, such as epidemics, becomes apparent. Close interdependencies between socio-cultural, political and economic processes at the collective level on the one hand, and psychological and somatic processes at the individual level on the other, have been and are being addressed by psychotherapy and psychology, by the sociology of health and emotion, by socialization and education research, and by the medical humanities. From a historical perspective, the history of mentality and emotion as well as the social history of medicine are active in this field of research. Multi- and transdisciplinary approaches appear to be indispensable for the specific question of the manifold connections between epidemics and emotion.

First and foremost, the images of massive collective „emotional outbursts“ of fear and despair that are triggered by the unexpected occurrence of a highly infectious and highly lethal epidemic come into mind. Such „epidemic panics“ have been known to historiography for a long time: such exceptional social conditions have repeatedly been recorded by those affected. Undoubtedly, so far not all of the historical sources of this kind are known to historical research, and the focus on the emotionality of the narratives also opens up new readings of known source material.

However, the connections between epidemic events and affectivity go far beyond: the mass deaths often associated with dreaded epidemics left a large number of people traumatized – due to their own illness and the risk of death as well as due to the loss of family members and friends, often associated with the agonizing experience of their own helplessness. Equally, however, mental defence mechanisms have occurred in the course of epidemics, consisting in the fact that thoughts related to this danger, are not „allowed“ individually-mentally and communicatively-socially: The result is the repression of the experience, even the denial of the threatening parts of reality, instead of a realistic confrontation with the danger. The unconsciously persisting sense of threat is then often reinterpreted and attributed to other causes, in particular personalized „culprits“, who can then also serve as objects for the projection of one's own negative affects. In this way, epidemics that are dangerous in themselves often give rise to additional negative consequences of social tensions.

The same applies to fundamentally appropriate measures taken to combat epidemic threats: they regularly entail considerable negative consequences at the level of everyday activities, especially in the economic sphere, as well as in the social context, especially when it comes to restricting social contacts in order to prevent infection. Such measures to prevent epidemics have therefore been the subject of highly controversial discussions, as the current situation but also the history of epidemics can show. Emotional aspects of epidemics are manifold. The experiences of pain and disgust associated with concrete symptoms of disease should also be mentioned, as well as the fact that there appears to be something like an „epidemiological“ or „immunological“ ethnocentrism, which, especially in the initial phases of an epidemic in regions or groups not yet directly affected, contributes to the fact that many people suppress the approaching danger and preventive measures are not taken in time. Similarly, more adequate forms of response to epidemics also have essentially emotion-related components; this applies to religious faith as well as to typically "modern" strategies for crisis intervention and resilience enhancement. Effective methods of emotional self-regulation were and are of particular importance for those people who – be it within personal relationships or due to their occupation – also take care of others in times of an epidemic, i.e. who perform care work – which underlines the importance of gender- and age-specific differentiations for relevant studies.

We welcome submissions of papers on the aspects of the conference topic outlined above, but also on related aspects.

The following topics are currently prioritized:

- Collectivized emotion – society, politics and economy in times of epidemic threat

- Individual experience of illness between traumatization and resilience

- Emotion and care

- Emotion and gender

In the context of a public keynote lecture Bettina Hitzer (Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin) will speak about „Pandemiegefühle. Nutzen und Grenzen einer emotionshistorischen Perspektive“.

Please send proposals for individual presentations with abstracts of approximately 2,000–4,000 characters (including spaces) by Dec. 31, 2021 to: Elisabeth.Dietrich@uibk.ac.at.

Conference languages: German and English.

The incoming proposals will be discussed by the organizing team together with the board and the cooperation partners and all speakers will be informed about acceptance or rejection by the end of January 2022.

The conference fee for all participants is 100,00 EUR and covers the costs for conference documents, guided tours as well as drinks and snacks during the coffee breaks. Students and persons with low income can apply for a reduced fee of 50,00 EUR.

Following the conference, speakers will be invited to submit a written version of their presentation for publication in a special issue of the journal „Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin“. The journal is peer-reviewed and published annually in print and open access.

Marcel Chahrour, Elisabeth Dietrich-Daum, Marina Hilber, Carlos Watzka
(Organizing Team).

Kontakt

Elisabeth Dietrich-Daum
Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie
Universität Innsbruck
E-Mail: elisabeth.dietrich@uibk.ac.at

http://www.sozialgeschichte-medizin.org/wp_verein/
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Veröffentlicht am
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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