Technik im Nationalsozialismus

Technik im Nationalsozialismus

Veranstalter
Gesellschaft für Technikgeschichte (GTG) und KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Veranstaltungsort
KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
PLZ
99734
Ort
Nordhausen
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.05.2022 - 22.05.2022
Deadline
15.01.2022
Von
Karsten Uhl, KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Die Jahrestagung der Gesellschaft für Technikgeschichte (GTG) möchte im Mai 2022 neue Forschungsansätze zum Thema „Technik im Nationalsozialismus“ zusammenführen und weitergehende Perspektiven entwickeln. Das Themenspektrum ist weit angelegt: Es reicht von High Tech bis zur Technik im Alltag.

Technik im Nationalsozialismus

Die methodische Weiterentwicklung der Technikgeschichte in den letzten 30 Jahren verspricht neue Forschungsergebnisse für das Thema „Technik im Nationalsozialismus“. In den 1980er- und 1990er-Jahren gab es unter anderem intensive fachwissenschaftliche und öffentliche Debatten um die Selbstmobilisierung von Ingenieur*innen und anderen Expert:innen im NS, über die These des Reactionary Modernism (Jeffrey Herf), Ersatzstoffe oder auch generell über die vermeintliche Modernität des Nationalsozialismus. Grundsätzlich bereits erforschte Themenbereiche haben in den letzten Jahren wichtige Impulse durch Fragestellungen aus der Körper- und Geschlechtergeschichte sowie durch die Perspektive der Techniknutzer:innen erhalten. Für die Tagung sind zudem Beiträge, die den Blick transnational erweitern ebenso erwünscht wie globalgeschichtliche Perspektiven. Diese Perspektivierung wird auch der Eröffnungsvortrag von Tiago Saraiva (Drexel University) vornehmen: A global perspective on fascism and technology. Generell können die Ansätze der Technikgeschichte dazu beitragen, die allgemeine Geschichte des Nationalsozialismus voranzubringen: Die Frage der Technik war zentral für die Machbarkeitsfantasien und die damit verknüpften Verbrechen der Nationalsozialisten.

Die Gesellschaft für Technikgeschichte bittet um die Einsendung von Abstract (max. 400 Worte) und CV (max. eine Seite). Es sind Vorschläge für Einzelvorträge (20 min) oder ganze Sektionen (3-4 Beiträge) gewünscht. Die Jahrestagung wird vom 20. bis 22. Mai 2022 in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora stattfinden. Der historische Ort hat selbst einen direkten Bezug zum Thema: Das KZ Mittelbau-Dora steht für die wahnwitzigen Technikvisionen, die das NS-Regime in der Endphase des Krieges entwickelte und in mörderischer Zwangsarbeit für die Rüstungsproduktion umsetzen wollte. Vorschläge von Tagungsbeiträgen (dt. oder engl.) sind bis zum 15. Januar 2022 erbeten an: gtg2022@dora.de

Mögliche Themen sind:

- Alternative Versionen der Moderne
Ein Blick auf Technik- und Fortschrittsdiskurse im 20. Jahrhundert zeigt, inwieweit sich der Nationalsozialismus als einer von verschiedenen Entwürfen einer alternativen Moderne verstehen lässt. In diesem Sinne lässt sich produktiv an Jeffrey Herfs Studie zum Reactionary Modernism anschließen, ohne jedoch normativ liberale Fortschrittserzählungen fortzuschreiben. In diesem Kontext werden beispielsweise häufig völkische Science-Fiction-Bestseller übersehen, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Visionen technischen Fortschritts mit einem aggressiven Nationalismus verbanden.

- Technisierte Arbeit in der NS-„Volksgemeinschaft“
Die Vorstellung und Praxis einer völkischen Leistungsgemeinschaft war stark von Techno-Ideologien geprägt: Automatisierungsvisionen, Vorstellungen von einer vermeintlich spezifisch deutschen Qualitätsarbeit und rassistische Konzepte von Zwangsarbeit erzeugten zusammen Verheißungen der Ungleichheit. Gerade dieser Aspekt der Ungleichheit in einer vermeintlichen Leistungsgemeinschaft trug – auch über 1945 hinaus – nicht unerheblich zur Attraktivität des Nationalsozialismus bei. Welche Rolle spielten konkrete Technologien oder auch generelle Vorstellungen von Technik und Fortschritt samt ihrer symbolischen Aufladung in diesem Zusammenhang?

- Abgelehnte Technik
Welche (langfristigen) Folgen hatte die Ablehnung bestimmter Techniken durch das NS-Regime? Die Spannbreite der Ablehnung reichte dabei von der Beendigung moderner Reformvorhaben (z.B. Frankfurter Küche) bis zur gezielten Vernachlässigung von Investitionen (z.B. Straßenbahnen). Interessant wäre die Untersuchung von konkreten Beispielen im Nationalsozialismus und den beiden deutschen Nachkriegsstaaten: Wurden nach 1945 Kontinuitäten aus der Weimarer Republik wieder aufgegriffen oder war der Bruch durch den Nationalsozialismus endgültig?

- Natur-Technik-Verhältnis im Nationalsozialismus
Die wissenschaftlich-technische Vermessung und Optimierung von Lebewesen (Nutztieren und Pflanzen) wurde jüngst von Tiago Saraiva (Fascist Pigs) untersucht. Insbesondere an profanen Beispielen wie Nutzwäldern, Kanälen oder Flussbegradigungen können neue Erkenntnisse zum Natur-Technik-Verhältnis im Nationalsozialismus gewonnen werden, die über die Frage How green were the Nazis hinausgehen.

- Krieg und Technik
Jenseits von David Edgertons bekanntem Beispiel, dass im Zweiten Weltkrieg Pferde das wichtigste Transportmittel waren, sind Untersuchungen des konkreten Verhältnisses von alten und neuen Technologien im Krieg wünschenswert. In Bezug auf die deutschen Massenverbrechen blendet das Schlagwort des industriellen Massenmordes das komplizierte Verhältnis von archaischen und modernen Techniken aus, die diese Verbrechen erst ermöglichten. In diesem Kontext verdient auch die Logistik als oft übersehene Schlüsseltechnologie der Deportationen und des Massenmords eine verstärkte Aufmerksamkeit.

- Widerstand und Technik
Insbesondere im besetzten Europa musste der Widerstand gegen die Nationalsozialisten – oft mit einfachen Mitteln – subversive technologische Netzwerke aufbauen. Die Funktionsweisen dieser Kommunikationstechnologien und Formen der Nachrichtentechnik sind noch weitgehend unerforscht. Generelle Untersuchungen zu den technischen Möglichkeiten der Widerstandsbewegungen versprechen neue Erkenntnisse zur Frage der Sabotage. In welchem Umfang war Sabotage unter welchen konkreten Bedingungen überhaupt möglich? Welche Techniken wurden dafür eingesetzt?

- Techniktransfer in den globalen Süden nach 1945
Wohin gingen Techniktransfers nach 1945? Sehr bekannt sind die Beispiele der USA und der UdSSR. In den letzten Jahren gab es erste Untersuchungen zum Techniktransfer und zu den fortgesetzten Karrieren von NS-Ingenieuren und -Wissenschaftlern im globalen Süden. So wurden beispielsweise Indien, Ägypten oder Argentinien in den Blick genommen. Neben dem bisherigen Fokus auf Raketen-, Flugzeug- und Kerntechnologie wäre eine Erweiterung auf alltägliche Formen der Technik wie z.B. Chemie und Infrastruktur wünschenswert.

- NS-Technik in der Erinnerungskultur
Museen und historische Gedenkorte stehen oft vor dem Problem, wie mit der negativen Anziehungskraft nationalsozialistischer Technik umzugehen ist: Die meisten Besucher:innen beurteilen den Nationalsozialismus als ethisch verwerflich, dennoch zeigen sich beim Besuch nicht wenige beeindruckt von technischen Artefakten. Dieses Problem tritt beispielsweise beim Tagungsort, der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, auf. Aber auch in kulturhistorischen Museen besteht diesbezüglich das Problem der Banalisierung: Ausstellungen über das Alltagsleben im Nationalsozialismus laufen immer Gefahr, verharmlosend rezipiert zu werden. Welche Strategien können Ausstellungsmacher:innen in diesem Kontext entwickeln? Welche Rolle spielt dabei jenseits von Museen die Erinnerungskultur an die NS-Zeit?

Unabhängig von diesen Themen wird eine Session mit etwa vier Beiträgen von Nachwuchswissenschaftler:innen aus dem gesamten Bereich der Technikgeschichte in die GTG-Jahrestagung 2022 integriert werden. Für dieses Nachwuchsforum erscheint in Kürze ein gesonderter Call for Papers.

Kontakt

gtg2022@dora.de

https://www.dora.de
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