Isst Du noch oder genießt Du schon? Identitäten und Praktiken der Ernährung gestern und heute

Isst Du noch oder genießt Du schon? Identitäten und Praktiken der Ernährung gestern und heute

Veranstalter
Louise Atkinson (EA 4223 CEREG, Université Paris Nanterre), Theresa Ehret (Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/UR 3400 ARCHE, Université de Strasbourg), Claire Milon (UR 3400 ARCHE, Université de Strasbourg), Max Thomé (UMR 7044 ARCHIMèDe, Université de Strasbourg/Abt. Alte Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)
Veranstaltungsort
MISHA (Maison interuniversitaire des sciences de l'Homme), Université de Strasbourg
Gefördert durch
GIRAF-IFFD (Deutsch-französischer Verein für Nachwuchswissenschaftler*innen in den Geisteswissenschaften), CIERA (Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne), Eucor - The European Campus
PLZ
67083
Ort
Strasbourg
Land
France
Vom - Bis
16.06.2022 - 16.06.2022
Deadline
20.02.2022
Von
Theresa Ehret, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Im Rahmen der interdisziplinären deutsch-französischen Nachwuchstagung sollen innovative Forschungsprojekte in den Food Studies vorgestellt werden. Welche Faktoren bestimmen das Ess- und Trinkverhalten von Individuen und Gesellschaften in verschiedenen Epochen oder auch in Literatur und Medien? Im Zentrum der Reflexion steht dabei das Spannungsfeld zweier grundlegender Konzepte zur Deutung von Essen: Nahrungsaufnahme verstanden als reiner Lebenserhalt oder Essen als Akt des Genießens.

Isst Du noch oder genießt Du schon? Identitäten und Praktiken der Ernährung gestern und heute

Welche Faktoren bestimmen unser Ess- und Trinkverhalten? Ausgehend von den Arbeiten der britischen Anthropologin Audrey Richards fragen die Geistes- und Sozialwissenschaften, welche Bedeutung der Ernährung in sozialen und kulturellen Interaktionen unserer Gesellschaften zukommt. Die unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen haben hierzu verschiedene Herangehensweisen entwickelt. Seit der Jahrtausendwende hat der aus der englischsprachigen Forschung stammende Ansatz der Food Studies dem Forschungsfeld eine neue Dynamik verliehen. Interdisziplinäre Methoden und Perspektiven prägen seither das Feld und bieten die Chance, die deutsche und französische Forschung miteinander in einen Dialog treten zu lassen. Vor dem Hintergrund dieser Dynamik sollen im Rahmen der deutsch-französischen interdisziplinären Nachwuchstagung zwei grundlegende Konzepte zur Deutung von Essen und deren Verhältnis zueinander diskutiert werden: Nahrungsaufnahme verstanden als reiner Lebenserhalt oder Essen als Akt des Genießens.

Die deutsch-französische Tagung richtet sich an junge Forschende in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die zu Fragen der Ernährung arbeiten. Im Rahmen der Tagung soll das Verhältnis der beiden genannten Deutungsmuster von Essen analysiert werden. Sind diese beiden Extreme unvereinbare Gegensätze? Oder versteckt sich hinter der offenbar eindeutigen Dichotomie nicht doch ein komplexeres Verhältnis? Diese Fragen sollen im Laufe des Workshops diskutiert werden.

Essen als reiner Lebenserhalt kann als der Verzehr der minimalen Nahrungsmenge definiert werden, die für die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse notwendig ist. Obwohl diese Definition auf den ersten Blick unstrittig erscheint, ist das Konzept des reinen Lebenserhalts keineswegs statisch, sondern war im Laufe der Jahrhunderte historischem Wandel unterworfen. Jede Epoche und jede soziale Gruppe kennt andere Grundnahrungsmittel. Heute lehnt bspw. die glutenfreie Bewegung den Verzehr von Weizenmehl ab, das über Jahrtausende hinweg das Grundnahrungsmittel schlechthin war. Beschäftigt man sich mit Ernährungspraktiken unter dem Gesichtspunkt des reinen Lebenserhalts, so stellt sich also die Frage, welche Nahrungsmittel als lebensnotwendig gelten. Davon ausgehend lässt sich auch fragen, wie bestimmte Lebensmittel bewertet und welche wohltuenden bzw. schädlichen Auswirkungen auf Körper und Geist ihnen zugeschrieben werden. Außerdem stellen alternative Ernährungsweisen wie Vegetarismus oder Veganismus vorherrschende Vorstellungen der Grundbedürfnisse des menschlichen Körpers in Frage.

Dem Aspekt grundlegender Versorgung steht das Konzept des Genusses gegenüber. Ernährungspraktiken werden häufig auf das Kriterium ihres Nutzens reduziert, wobei dieser wirtschaftlicher, politischer oder sozialer Natur sein kann. Über den Nutzen hinaus kann Essen aber auch über biochemische und neurologische Prozesse zu einer großen Befriedigung und anderen positiven Empfindungen führen. Doch auch dieser Moment des Genießens ist sozial konstruiert. Die Akteure nehmen die Normen, Symbole und Werte in sich auf, die mit dem verzehrten Lebensmittel verbunden werden, und das Genießen eines Lebensmittels muss auch zuerst erlernt werden.

Zuletzt ist auch nach dem Verhältnis von reiner Nahrungsaufnahme und Genuss in der Askese, in der Orthorexie oder auch in der Anorexie zu fragen. Es geht dabei um Praktiken des Nicht-Essens bzw. des Verzichts auf ein oder mehrere Lebensmittel, die von der Gesellschaft eigentlich als lebensnotwendig betrachtet werden.

Das Ziel des Workshops ist es, dem Konzept des Genusses wieder mehr Bedeutung bei der geisteswissenschaftlichen Betrachtung von Ernährungspraktiken zu geben. Der dialektische
Bezug zur Nahrungsaufnahme als reinem Lebenserhalt ist nicht nur eine epistemologische Notwendigkeit, sondern soll auch einen konstruktiven, interdisziplinären und grenzüberschreitenden Dialog in den Geisteswissenschaften anstoßen.
Geplant ist eine Publikation der ausgewählten Beiträge.

Einen Beitrag einreichen - Termine und Formalia:
Die Tagung wird am 16. Juni 2022 an der Universität Straßburg stattfinden. Die Arbeitssprachen sind Französisch und Deutsch. Die zumindest passive Beherrschung beider Sprachen wird vorausgesetzt.
Jeder Beitrag soll 20 Minuten dauern und wird vor der Diskussion (15-20 Minuten) kurz in der jeweils anderen Sprache zusammengefasst.
Der Abstract kann in deutscher oder französischer Sprache verfasst werden und soll folgende Elemente enthalten:
- Name und Vorname, Forschungsinstitut und dienstliche Email-Adresse
- Vorstellung des Vorhabens im Umfang von 1500 bis 2000 Zeichen (Leerzeichen inkl.)
- Auswahlbibliographie
- 5 bis 10 Schlagwörter
Das Dokument soll als Worddatei eingereicht werden und ist folgendermaßen zu benennen: NACHNAME-cfp-jde2022
Bitte senden Sie Ihren Abstract bis zum 20. Februar 2022 an folgende Adresse: jde2022.alimentation@gmail.com

Zeitplan:
- 20. Februar 2022: Abgabefrist für den Abstract
- Anfang März 2022: Auswahl und Benachrichtigung der akzeptierten Beiträge
- 22. Mai 2022: Abgabe des Beitrags zur Vorbereitung der Übersetzung und der geplanten Publikation (falls nötig kann der Artikel nach der Tagung noch abgeändert werden)
- 16. Juni 2022: Tagung

Wissenschaftliches Gremium:
Dr. Anne Dupuy (Maîtresse de conférences, Soziologie, Université Jean Jaurès de Toulouse)
Dr. Céline Largier-Vié (Maîtresse de conférences, Germanistik, Université Sorbonne Nouvelle - Paris 3)
Prof. Dr. Christine Ott (Professorin, Romanistik, Goethe-Universität Frankfurt)
Dr. Véronique Pitchon (Directrice de recherches CNRS, Université de Strasbourg)
Prof. Dr. Konrad Vössing (Professor, Alte Geschichte, Rheinische
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)

Kontakt

jde2022.alimentation@gmail.com

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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung