Die internationale Konferenz findet anlässlich des 430. Geburtstags von Comenius, des 140. Jahrestages der deutsch-tschechischen Teilung der Karl-Ferdinands Universität in Prag und des 130. Jahrestages der Gründung des Comenius-Museums statt.
Veranstalter:
- Nationales Pädagogisches Comenius Museum und Bibliothek Prag
- Philosophische Fakultät Karlsuniversität Prag
- Historisches Institut Akademie der Wissenschaften Prag
- Masaryk Universität Brno
- Universita di Foggia
- Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
- Technische Universität Dresden
Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts in Europa war geprägt von der Nationalstaatenbildung und der Herausbildung einer Bürgergesellschaft. Die Prozesse der Modernisierung, Urbanisierung, Industrialisierung und Kapitalisierung basierten auf dem rasanten Voranschreiten von Wissenschaft und Technik und waren begleitet von dem Glauben an den Fortschritt. Erziehung, Unterricht und Pädagogik als deren Reflexionsinstanz profitierten von diesem Fortschrittsglauben und wurden diesem auch dienstbar. Das Ergebnis war eine Expansion der Erziehungswissenschaft und ihrer Praxisfelder (schulische und außerschulische Erziehung, Berufs- und Erwachsenenbildung / Volksbildung, Sozialpädagogik und Soziale Arbeit etc.), so dass bezüglich des 19. / 20. Jahrhunderts von einer umfassenden Pädagogisierungstendenz mit teilweise gravierenden Auswirkungen auf den Alltag, die sozio-kulturelle Umwelt und das Selbstverständnis der Menschen gesprochen werden kann. Mitunter wirkten Pädagogik und Erziehungswissenschaft als Instrument und Legitimationsbasis politischer Projekte und Instrumentalisierungen. Die `moderne´ Erziehungswissenschaft hat Kinder, Jugendliche und Erwachsene beobachtet, beschrieben, vermessen, theoretisch abstrahiert und definiert und damit die Erkenntnistheorien und Diskurse bestimmt, in denen der Mensch „gelesen“ werden und „existieren“ konnten. All dies geschah nicht zuletzt als "Dienst“ an der nationalen Aufgabe und sozialen Zielsetzungen.
Dieser Optimismus und Machbarkeitsglaube wurde historisch durch den Zweiten Weltkrieg erschüttert und wissenschaftlich / epistemologisch durch konstruktivistische und (post-) strukturalistische Ansätze gebrochen. Dies hatte Auswirkungen auf die Sicht des Subjekts, Prozesse der Subjektivierung bzw. Identitätsbildung und Phänomene der Macht sowie deren Wechselwirkung bzw. gegenseitige Bedingtheit. Dies führte zu einem Deutungsverlust überbrachter positivistischer ebenso wie idealistisch-geisteswissenschaftlicher Theoreme der Erziehungswissenschaft bzw. Pädagogik und zu einer Stärkung konstruktivistischer, pragmatistischer, phänomenologischer und später poststrukturalistischer Theorien und Zugänge.
Die Konferenz stellt das Konzept Pädagogisierung und Identität ins Zentrum und fragt nach dem Verhältnis von erziehungswissenschaftlichen Theorieentwicklungen, Prozessen der Institutionalisierung und Professionalisierung und ihren Auswirkungen auf die individuellen und professionellen Identitäten der beteiligten und adressierten Akteure. Eine zentrale Fragestellung bezieht sich auf die Rolle von Akteuren, Institutionen und Organisationen der Erziehung, Bildung und Wissenschaft für individuelle und berufliche Identitätsbildungs- und Sozialisationsprozesse seit den Anfängen der modernen Disziplinbildung und der Etablierung des Fachs Erziehungswissenschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Neben akademisch-universitären Entwicklungen hervorzuheben gilt es dabei auch die Rolle von Einrichtungen, Bibliotheken etc. der Lehrerbildung, Sozial- und Sonderpädagogik und von Fachverbänden. (Zu denken ist in diesem Zusammenhang neben der Presse, Fachbuchreihen und ähnlichen Medien auch an Ereignisse wie Landes- und Weltausstellungen, Kongresse, pädagogische „Pilgerreisen“ etc.).
Uns interessieren auch die Veränderungen im Rahmen der sogenannten zweiten Professionalisierungswelle in den 1970er- und 1980er-Jahren in einer geteilten Welt – sowohl im Hinblick auf die Möglichkeiten der freien Entfaltung in den westlichen Staaten und Gesellschaften als auch in Staaten unter kommunistischer Herrschaft. Welche Bedeutung kam der „Pädagogik“ und der „pädagogischen Aufgabe“ in totalitären Gesellschaften zu? Nicht zuletzt möchten wir auch zur Debatte stellen, welche Auswirkungen (etwa im Sinn des Zugewinns oder des Verlusts von Freiheit und Autonomie) Globalisierung und Digitalisierung auf die Gestaltung Identitätsbildung und Professionalisierung im Kontext von Schule, Universität, Beruf und Arbeit mit sich bringen.
Konferenzziele:
Besonders erwünscht sind Beiträge zu den folgenden Fragestellungen und Themen:
- In welcher Weise bestimmen Erziehungswissenschaft, Institutionen und Medien der Bildung und Bildungsvermittlung, sozial-, sonder-, berufs- und andere pädagogische Einrichtungen und Maßnahmen Prozesse der Identitätsbildung, der Professionalisierung und (professionellen) Identifikation? Welche Rolle spielen jene mit Blick auf die Kristallisation kollektiver Identitäten im Rahmen der sozialen und kulturellen Integration / Desintegration?
- Mit welchen Mitteln (Praktiken, Medien, Programmen etc.) trieben und treiben pädagogische Akteure (Personen, Institutionen, Organisationen, Verbände, Kollektive und Interessengruppen) die Bildung (post-)moderner individueller wie auch kollektiver Identitäten voran oder verhindern dies?
- Wie wird die Identität und berufspädagogische Identifikation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Bedingungen demokratischer respektive totalitärer Herrschaft pädagogisch transformiert?
- Wie spezifisch wird die Identität und berufspädagogische Identifikation unter den aktuellen Bedingungen der Digitalisierung pädagogisch transformiert?
- Welche pädagogischen Akteure (oft vergessene "Außenseiter") an der Transformation moderner / postmoderner individueller und beruflicher Identität interessiert waren / sind und teilgenommen haben / teilnehmen? Wie sie von der Fachwelt und der breiteren Gesellschaft wahrgenommen (akzeptiert/ abgelehnt) wurden / werden?
Tagungsort und Konferenzdatum: 23.06. bis 24.06.2022; Nationales Pädagogisches Comenius Museum und Bibliothek Prag - Valdštejnská 20, Prag 1. Die Tagung wird als Präsenzveranstaltung geplant und lediglich, wenn die Umstände dies nicht zulassen, digital durchgeführt.
Beitragsdauer:
- maximal 25 Minuten
- Konferenzsprachen: Englisch, Deutsch, Tschechisch
- Abstracts im Umfang von maximal 1.800 Zeichen werden erbeten bis 14.02.2022 an: tomas.kasper@tul.cz
- die Rückmeldungen bezüglich Bewertung / Auswahl der vorgeschlagenen Beiträge sowie weitere Informationen zur Konferenz werden bis zum 1.4.2022 gegeben
- geplant ist die Veröffentlichung einer Fachpublikation oder die Veröffentlichung von Beiträgen in der pädagogischen Fachzeitschrift Historia Scholastica (nach erfolgreichem Begutachtungsverfahren)