Bewegung – Organisation – Ideologie. Sportliche Mobilisierung in Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert

Bewegung – Organisation – Ideologie. Sportliche Mobilisierung in Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert

Veranstalter
Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München
PLZ
81379
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.01.2022 -
Von
Angela Ilic, Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München

Bewegung – Organisation – Ideologie. Sportliche Mobilisierung in Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert

Auch im südlichen Europa verbreiteten sich im 19./20. Jahrhundert unterschiedliche Formen der körperlichen Bewegung, etwa der Leibesübungen, des Turnens und des Vereinssports. Grundlagen für diese parallele Entwicklungen waren ein aus der Aufklärung resultierendes neues Verständnis von Körperlichkeit sowie vom Verhältnis von Mensch und Natur, ein wachsendes politisches Bewusstsein und verschiedene Ansätze hin zur sportlichen Betätigung ...

Movement – Organization – Ideology. Mobilization through Sport in Southeast Europe in the 19th and 20th Centuries

The increased popularity of various forms of physical movement could also be observed in Southeast Europe during the 19th and 20th centuries, such as physical exercise, gymnastics and organized sports. The basis for these parallel developments included a new understanding of physicality resulting from the Enlightenment and of the relationship between humans and nature, a growing political awareness, various approaches to sporting activity (from national-mobilizing in the sense of Jahn's gymnastics movement or the widespread “Sokol” groups among the Slavs up to internationalist-socialist) and a new understanding of leisure time, which in the middle-class milieu was derived from changed working hours and a new concept of consumption.

Bewegung – Organisation – Ideologie. Sportliche Mobilisierung in Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert

Auch im südlichen Europa verbreiteten sich im 19./20. Jahrhundert unterschiedliche Formen der körperlichen Bewegung, etwa der Leibesübungen, des Turnens und des Vereinssports. Grundlagen für diese parallele Entwicklungen waren ein aus der Aufklärung resultierendes neues Verständnis von Körperlichkeit sowie vom Verhältnis von Mensch und Natur, ein wachsendes politisches Bewusstsein, verschiedene Ansätze hin zur sportlichen Betätigung (von national-mobilisierenden im Sinne der Jahnschen Turnerbewegung oder der bei den Slawen verbreiteten „Sokol“-Gruppen bis hin zu internationalistisch-sozialistischen) und ein neues Verständnis von Freizeit, das sich im bürgerlichen Milieu aus gewandelten Arbeitszeiten und einem neuen Konsumbegriff ableiteten. Im 19. Jahrhundert schuf das Bürgertum verbandliche Strukturen, die Freizeit und Bewegung in der freien Natur ermöglichten, etwa in den verbreiteten Wandervereinen, die vor allem Gebirgslandschaften durch infrastrukturelle Maßnahmen erschlossen und dabei mentale Abgrenzungen vornahmen.

Bis zum Ersten Weltkrieg vollzog sich im Bereich des Sports und der körperlichen Bewegung eine soziale Ausweitung, indem immer breitere Gesellschaftsschichten angesprochen und integriert wurden, andererseits eine Diversifizierung, indem immer neue Sportarten popularisiert wurden. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich die Rolle des Sports und der körperlichen Bewegung als Vehikel ethnischer, nationaler und sozialer Aspirationen beobachten, die als solche medial kommuniziert und von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. In der Zwischenkriegszeit bestanden sowohl Tendenzen hin zu einer uniformierenden und letztlich sogar paramilitärischen Auffassung vom Sport als auch vielfältige Formen der transnationalen Kooperation, etwa durch interethnische Vereinsaktivitäten oder die Mitwirkung nationaler Minderheiten in den nationalen olympischen Teams. Die totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts implizierten eine ideologische Vereinnahmung von Sport und Bewegung.

Die Anfänge der Befassung mit der Sportgeschichte Südosteuropas liegen häufig in einer selbstbezogenen Chronistik einzelner Vereine, Städte, Teams oder nationaler Sportentwicklungen, die noch nicht methodisch reflektiert, überwiegend faktografisch und wenig anschlussfähig an die allgemeine Historiografie ist.1 Erst in den letzten Jahrzehnten lassen sich neue Initiativen feststellen, verstärkt durch ein kulturwissenschaftlich geprägtes Verständnis von Geschichte und das Interesse an dem Zusammenhang von Sport und Nationalismus (etwa am Beispiel der Fußball-Forschung oder dem gewachsenen Interesse an Jugendbewegungen).2

Für den geplanten Band sind vor allem Querschnitt- und Längsschnittstudien von Interesse. Im Fokus steht dabei als gemeinsamer Nenner die Trias von Bewegung, Organisation und Ideologie. Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf Vereine und Bewegungen gelegt werden, die sich als „deutsch“ verstanden bzw. (zumindest zeitweise) deutschsprachig waren, aber auch auf deren Interaktionen mit Vereinen und Bewegungen von Vertretern anderer Ethnien und Sprachgruppen sowie mögliche Veränderungen ihres Selbstverständnisses. Besonders willkommen sind vergleichende und nationenübergreifende Untersuchungen.

In der Publikation sollen unter anderem folgende Fragen erörtert werden:
- Auf welche Weise trugen Sportvereine zur politischen, sozialen und ethnischen/nationalen Mobilisierung bei?
- Welche intraregionalen Verbindungen existierten in Südosteuropa zwischen sportlichen Vereinen und Verbänden unterschiedlicher Ethnien? Wie können zum Beispiel die jüdische Turnbewegung und jüdische Sportvereine darin verortet werden?
- Wie war die sportliche Aktivität in ein breiteres gesellschaftspolitisches Engagement eingebunden, wenn man etwa an die Förderung von naturwissenschaftlichen, historischen und volkskundlichen Forschungen durch die Wandervereine oder auch durch Individuen bzw. deren Mitwirkung an Naturschutz und Förderung des Fremdenverkehrs denkt?
- Welche Selbst- und Fremdbilder der sportlich ausgerichteten Vereine finden sich in unterschiedlichen Medien wie Zeitschriften, Plakaten, Fotografien, Filmen und literarischen Verarbeitungen? Welche Vorstellungen von Körperlichkeit traten dabei zutage? Welche Gesellschaftsentwürfe wurden entwickelt – vor allem: welche Teile der Gesellschaft wurden akzeptiert, welche möglicherweise ausgegrenzt (Stichworte: „Arierparagraphen“ der deutschen Turnvereine, konkurrierende Gesellschaftsentwürfe und nationale Selbstbilder)?
- Welche Sportarten hatten die Funktion einer Breitenaktivität (etwa Wandern, Fußball), welche blieben elitäre Betätigungen bestimmter Gesellschaftsschichten? In welchen lokalen, regionalen oder nationalen Kontexten konnten bestimmte Vereine das Potenzial entfalten, als Anknüpfungspunkte für transnationale Aktivitäten zu fungieren bzw. eine ethnische Exklusivität zu propagieren?
- Wie lässt sich der Sport in der historischen Topografie und im Stadtbild verorten? Welche Formen des Umgangs mit den materiellen Hinterlassenschaften der Sportgeschichte (z. B. Turnhallen, Sportplätze) lassen sich eruieren? Welchen Stellenwert hat die Sportgeschichte in der Erinnerung einzelner Städte, Regionen und sozialer Kollektive?

Abstracts als WORD-Dateien mit einem Umfang von max. 500 Wörtern werden erbeten bis spätestens 31.1.2022 an Dr. Angela Ilic (ilic@ikgs.de). Nach einer positiven Rückmeldung (die bis 15.2.2022 erfolgt) sollten die fertigen Beiträge mit einem Umfang von ca. 30.000 Zeichen bis spätestens 1.6.2022 eingereicht werden.
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1 Vgl. etwa Nicolae Postolache: Istoria sportului în România. Date cronologice [Die Geschichte des Sports in Rumänien. Chronologische Daten]. București 1995; Alexe Nicu (Hg.): Enciclopedia educației fizice și sportului din România [Enzyklopädie der Leibeserziehung und des Sports in Rumänien]. 4 Bände. București 2002.
2 Vgl. etwa John Hughson, Fiona Skillen (Hgg.): Football in Southeastern Europe. From Ethnic Homogenization to Reconciliation. Abingdon 2014; Dario Brentin, Dejan Zec (Hgg.): Sport in Socialist Yugoslavia. Abingdon 2020; Andrew Hodges: Fan Activism, Protest and Politics. Ultras in Post-Socialist Croatia. London 2020; Claudia Selheim, Barbara Stambolis (Hgg.): Aufbruch der Jugend. Deutsche Jugendbewegung zwischen Selbstbestimmung und Verführung. Nürnberg 2013. Katalog zur Ausstellung „Aufbruch der Jugend“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 6. September 2013 – 19. Januar 2014.

Movement – Organization – Ideology. Mobilization through Sport in Southeast Europe in the 19th and 20th Centuries

The increased popularity of various forms of physical movement could also be observed in Southeast Europe during the 19th and 20th centuries, such as physical exercise, gymnastics and organized sports. The basis for these parallel developments included a new understanding of physicality resulting from the Enlightenment and of the relationship between humans and nature, a growing political awareness, various approaches to sporting activity (from national-mobilizing in the sense of Jahn's gymnastics movement or the widespread “Sokol” groups among the Slavs up to internationalist-socialist) and a new understanding of leisure time, which in the middle-class milieu was derived from changed working hours and a new concept of consumption. In the 19th century, the middle class created associational structures that enabled leisure and exercise in the great outdoors, for example through the widespread hiking clubs, which mainly researched and mapped mountain landscapes through infrastructural measures, which in turn contributed to creating symbolic boundaries.

Up until the First World War, a social expansion in the field of sport and physical activity took place, into which ever broader social classes were addressed and integrated. On the other hand, a diversification occurred, which led to more and more new types of sport being popularized. As early as the second half of the 19th century, the role of sport and physical activity as vehicles for ethnic, national and social aspirations could be observed, which were communicated in the media and perceived by the public as such. In the interwar period, there were both tendencies towards a uniforming and ultimately even paramilitary conception of sport as well as diverse forms of transnational cooperation, for example through interethnic club activities or the inclusion of representatives of national minorities in the national Olympic teams. The totalitarian regimes of the 20th century implied an ideological appropriation of sport and exercise.

The beginnings of sport historiography in Southeast Europe often lie in self-related chronicles of individual clubs, cities, teams or national sports developments that have not yet been methodically reflected, are predominantly factographic and have little to do with general historiography.1 It has only been in the last few decades that new initiatives have emerged, reinforced by an understanding of history shaped by cultural studies and an interest in the connection between sport and nationalism (such as using the example of soccer research or the growing interest in youth movements).2

Cross-sectional and longitudinal studies are of particular interest for the planned volume. The focus is on the triad of movement, organization, and ideology as a common denominator. Special emphasis should be placed on associations and movements that understood themselves as "German" or were (at least temporarily) German-speaking, but also on their interactions with associations and movements or representatives of other ethnic and language groups as well as possible changes in their self-image over time. Comparative and cross-national / transnational studies are particularly welcome.

The following questions should be addressed:
- How did sports clubs contribute to political, social and ethnic / national mobilization?
- Which intra-regional connections existed between sports clubs and associations of different ethnic groups in Southeastern Europe? For example, how can the Jewish gymnastics movement and Jewish sports clubs be located within this matrix?
- How was sports activity integrated into a broader socio-political framework, considering for example the promotion of scientific, historical and folkloric research by the hiking clubs or also by individuals, or their participation in nature conservation and the promotion of tourism?
- Which self-images and external images of the sports-oriented clubs can be found in different media such as magazines, posters, photographs, films and literature? What notions of physicality did these highlight? Which concepts of society were developed – above all: which members / strata of society were accepted, which were excluded (keywords: the "Aryan paragraphs" of German gymnastics clubs, competing concepts of society and national self-images)?
- Which forms of sport had the function of being a popular activity (e. g. hiking, soccer), which remained elitist activities, pursued only by certain social classes? In which local, regional or national contexts could certain associations develop the potential to act as points of contact for transnational activities or to promote ethnic exclusivity?
- How can sport be located within historical topographies and in cityscapes? What forms of dealing with the material legacies of sports history (e. g. gyms, sports fields) can be observed? How important is the history of sports in the memory of individual cities, regions and social collectives?

Abstracts in Microsoft WORD with a maximum length of 500 words are requested to be sent to Dr. Angela Ilić (ilic@ikgs.de) by January 31, 2022. Following positive feedback (by February 15, 2022), the full contributions with a length of approx. 30,000 characters should be submitted by June 1, 2022 at the latest.
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1 See e. g. Nicolae Postolache: Istoria sportului în România. Date cronologice [The History of Sports in Romania: Chronological Data]. București 1995; Alexe Nicu (ed.): Enciclopedia educației fizice și sportului din România [The Encyclopedia of Physical Education and Sports in Romania]. 4 Vols. București 2002.
2 See e. g. John Hughson, Fiona Skillen (eds.): Football in Southeastern Europe. From Ethnic Homogenization to Reconciliation. Abingdon 2014; Dario Brentin, Dejan Zec (eds.): Sport in Socialist Yugoslavia. Abingdon 2020; Andrew Hodges: Fan Activism, Protest and Politics. Ultras in Post-Socialist Croatia. London 2020; Claudia Selheim, Barbara Stambolis (Hgg.): Aufbruch der Jugend. Deutsche Jugendbewegung zwischen Selbstbestimmung und Verführung. Nürnberg 2013. Katalog zur Ausstellung „Aufbruch der Jugend“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 6. September 2013 – 19. Januar 2014 [The Dawn of Youth. German Youth Movement between Self-Determination and Enticement. Nürnberg 2013. Catalog of the Exhibition “The Dawn of Youth” at the Germanisches Nationalmuseum in Nuremberg, September 6, 2013 – January 19, 2014].

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