Religion und Politik in Europa und der Europäischen Union: Immer noch das "Christliche Abendland"?

Religion und Politik in Europa und der Europäischen Union: Immer noch das "Christliche Abendland"?

Veranstalter
AK Politik und Religion (DVPW) (Bildungszentrum Kloster Banz)
Ausrichter
Bildungszentrum Kloster Banz
PLZ
96231
Ort
Bad Staffelstein
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2022 - 05.10.2022
Deadline
21.02.2022
Von
Oliver Hidalgo, Institut für Politikwissenschaft, Universität Regensburg

CfP für die Tagung des AK Politik und Religion (DVPW) am 4. und 5. Oktober 2022 in Kloster Banz.

Wir erbeten bis zum 21.02.2022 Abstracts (ca. 500 Wörter) zu folgenden Themen:

- ideen- und begriffsgeschichtliche Beiträge zum historischen Narrativ des „christlichen Abendlands“ bzw. die christdemokratischen Fundamente Europas
- normativ-theoretische Beiträge zur Rolle von Religion in der europäischen Öffentlichkeit
- Fallstudien zur politischen Mobilisierung religiöser Prinzipien und Akteure

Religion und Politik in Europa und der Europäischen Union: Immer noch das "Christliche Abendland"?

Dieser Tagung des AK Politik und Religion (DVPW) liegt die Frage zugrunde, welchen Einfluss religiöse Prinzipien und deren Inanspruchnahme durch politische Akteure in den europäischen Demokratien und im zunehmend konflikthaften Verhältnis von Nationalstaaten und Europäischer Union entfalten. Seit der Zurückweisung des Gottesbezugs in den Diskussionen zur (letztlich gescheiterten) Europäischen Verfassung schien das Thema Religion für die Europäische Union allenfalls in der Frage der Aufnahme von Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (wie vor allem der Türkei) eine Rolle zu spielen. Die Analyse der Beziehungslinien zwischen Religion und Europa hat jedoch durch aktuelle, teilweise dramatische politische Entwicklungen neue Brisanz erhalten.

In mindestens einem zentralen Politikfeld der EU, der Migrations- und Flüchtlingspolitik, haben sich neue Konfliktlinien gebildet, in denen kollektive Identitäten und normative Prinzipien von verschiedenen Akteuren religiös begründet werden, gleichwohl aber zu oft diametral entgegengesetzten politischen Positionen führen. Auf der einen Seite berufen sich rechtspopulistische Parteien in der Mobilisierung gegen (muslimische) Immigrant:innen auf die Bewahrung des kulturell-christlichen Erbes. Auf der anderen Seite kritisieren selbst konservative religiöse Akteure die wachsenden Abschottung Europas gegenüber internationalen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen mit dem Bezug auf christliche Werte. Im katholisch geprägten Italien provozierte diese Konstellation sogar eine scharfe Polemik der rechtspopulistischen Lega gegen die Amtskirche.

Gegenwärtig dient die Berufung auf das „christliche Abendland“ Europa-skeptischen Parteien und Regierungen zur Frontstellung gegen die Europäische Union. Die damit verbundene national-religiöse Mobilisierung hat in Ländern wie Polen zu einer politischen Zuspitzung und sogar zur Frage nach einem möglichen Ausscheiden („Polexit“) aus der EU geführt. Gleichzeitig kontrastiert diese aktuelle Entwicklung auffällig mit den Anfängen der Europäischen Integration, die sich wesentlichen Einflüssen aus dem politisch-religiösen Sektor wie der Identitätskonstruktion des „christlichen Abendlandes“ verdankt. Dieser Tagung geht es um den Wandel der Bedeutung von Religion in der Entwicklung der Europäischen Union.

Seitdem konstruktivistische Ansätze die Aufmerksamkeit auf Ideen, Ideologien und Identitäten als Grundlage der europäischen Integration gerichtet haben, ist auch eine neue Debatte über die Rolle der Religion für die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft entstanden. Es ist bereits darauf verwiesen worden, dass die meisten europäischen Gründerväter wie Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi oder Robert Schuman in einem einflussreichen Netzwerk katholischer Christdemokraten miteinander verbunden waren. Zudem ist der katholische Supranationalismus neben dem europäischen Liberalismus als eine der beiden prägenden Europa-bezogenen Ideologien bezeichnet worden. Zuletzt haben einige ideengeschichtliche Studien die These nahegelegt, dass die Konzeption des „christlichen Abendlandes“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit zwar ein „politischer Kampfbegriff“ im Ost-West Konflikt war, gleichzeitig aber auch ein alternatives oder ergänzendes Identitätsangebot bot, das der Vorstellung einer nationalen Einheit die Idee einer europäischen Gemeinschaft hinzufügte.

Unsere Tagung fragt daher, auf welch unterschiedliche Weise politische Akteure zu verschiedenen Zeiten religiöse Prinzipien und Identitäten in wesentlichen Politikfeldern und zur Unterstützung oder Ablehnung der europäischen Integration bzw. der EU genutzt haben. Handelt es sich jeweils um handlungsleitende Überzeugungen oder eine instrumentelle Inanspruchnahme? Carlo Accetti hat unlängst sogar die provokante These vertreten, dass sich die politische Ordnung der Europäische Union nur schwerlich in die gängigen Kategorien von Regierungsformen einordnen lässt, aber auffallende Ähnlichkeiten zu Kernelementen christdemokratischen Denkens wie Subsidiarität, Konkordanzdemokratie und sozialer Marktwirtschaft besitzt. In Auseinandersetzung mit dieser These soll gefragt werden, was genau die „Verbindungsglieder“ zwischen Religion und Politik sind und wie sich etwa der vielfach behauptete Einfluss der katholischen Soziallehre und des Prinzips der Subsidiarität auf die Europa-Politik darstellen und nachweisen lässt.

Ausgehend von Jürgen Habermas’ These der postsäkularen Gesellschaft soll ebenso beleuchtet werden, welche normativen und identitätsbildenden Prinzipien in religiösen Traditionen vorhanden sind, die sich im Spannungsverhältnis von Nationalstaat und supranationalen Institutionen politisch wirksam aktualisieren lassen. Die Frage nach der Rolle von Religion in der europäischen Integration betrifft in besonderer Weise die Bildung einer europäischen Identität. Die Unterscheidung zwischen einem pragmatischen, kulturell-religiösen und normbezogenen europäischen Selbstverständnis hat sich diesbezüglich etabliert. Die Tagung will erörtern, warum normative und kulturell-religiöse Politikbegründungen häufig in einem Widerstreit stehen und ob sich Verbindungen zwischen den verschiedenen Identitätsbezügen darstellen lassen, „wenn Gerechtigkeitsprinzipien in das dichtere Geflecht kultureller Wertorientierungen Eingang finden“. Darüber hinaus geht es darum, Identitätsbildungen wie ein „säkulares Kulturchristentum“ zu erklären, die sich letztlich aus einem religiösen Bezugsrahmen lösen. Zuletzt ist auch die Abgrenzung zur Vorstellung eines christlichen Abendlandes in und außerhalb Europas von Interesse.

Mit dem vorliegenden CfP erbeten wir aussagekräftige Abstracts (ca. 500 Wörter), die insbesondere die folgenden Themen und Fragestellungen adressieren:

- ideen- und begriffsgeschichtliche Beiträge, die das historische Narrativ des „christlichen Abendlands“ bzw. die christdemokratischen Fundamente Europas rekonstruieren und analysieren
- normativ-theoretische Beiträge zur (ambivalenten) Rolle von Religion in der europäischen Öffentlichkeit
- einschlägige Fallstudien zur politischen Mobilisierung religiöser Prinzipien und Identitäten bzw. zu den relevanten Positionen religiöser und politischer Akteure.

Die Tagung bietet Raum für interdisziplinären Austausch (Politikwissenschaft, Geschichte, Religionswissenschaft und -soziologie) und kontroverse Diskussionen. Dies schließt die Frage ein, ob die Ausbildung einer europäischen Identität ohne kulturell-religiöse Bezüge prinzipiell möglich ist oder ein Verzicht dieses Feld den Gegnern der europäischen Integration überlässt.

Die Abstracts sind bis zum 21.02.2022 einzureichen bei jörg.baudner@uni-osnabrueck.de und/oder oliver.hidalgo@politik.uni-regensburg.de. Die Konferenzsprache ist Englisch und Deutsch.

Für die Tagung fallen keine Unterkunfts- und Verpflegungskosten oder Teilnahmegebühren an. Reisekosten sollen mithilfe eines Drittmittelantrags eingeworben werden.

Kontakt

E-Mail: jörg.baudner@uni-osnabrueck.de
E-Mail: oliver.hidalgo@politik.uni-regensburg.de

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung