Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen

Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen

Veranstalter
Nina Gallion (Historisches Seminar, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz), Christian Hoffarth (Historisches Seminar, Christian-Albrecht-Universität zu Kiel), Florian Kehm (Historisches Seminar, Johannes-Gutenberg Universität Mainz)
PLZ
55122
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.03.2023 - 01.04.2023
Deadline
24.04.2022
Von
Florian Tobias Kehm, Spätmittelalterliche Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Der Themenkomplex Körper, Geschlecht und Materialität nimmt eine große Rolle in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen ein und wird in der geisteswissenschaftlichen Forschung vor allem als Grenzmarker zwischen dem ‚Eigenen‘ und dem ‚Anderen‘ verstanden. Im Rahmen der Tagung soll diese in der Forschung vorherrschende Sicht aufgegriffen und reevaluiert werden.

Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen

Vormoderne Zeugnisse, die Kontakte einander fremder Kulturen schildern, bieten große Interpretationsspielräume und können daher nicht ohne weitere Prüfung beim Wort genommen werden. Diese Einsicht ist in der geschichts-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung seit Langem etabliert. Unter dem Einfluss konstruktivistischer und postkolonialistischer Anschauungen hat man mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reisetexten aber sogar bisweilen eine Aussagekraft hinsichtlich der Räume, Kulturen und Menschen, von denen sie zu künden vorgeben, beinahe völlig abgesprochen. Dementsprechend hat es sich durchgesetzt, vormoderne Reiseberichte und Länderbeschreibungen in erster Linie nicht als Quellen für das in ihnen Beschriebene, sondern vielmehr für die epistemologischen und ideologischen Zustände ihrer Herkunftskulturen zu lesen. Das ‚Andere‘ erscheint durch diese Linse ganz hauptsächlich als Konstruktion zur Abgrenzung und Identifikation des ‚Eigenen‘. Als vorrangige Aufgabe der Forschung gilt demnach die Analyse der Mechanismen, mittels derer das ‚Eigene‘ und das ‚Andere‘ in den Texten konstruiert werden.

So berechtigt dieser Ansatz in einigen Fällen erscheinen mag, hat er doch auch die Konsequenz, dass die Erfahrungen und Beobachtungen, mithin das tatsächliche Erleben gereister Individuen weit in den Hintergrund gerückt sind. Dies betrifft vor allem Felder, an denen sich die kulturwissenschaftliche Dekonstruktion stets mit besonderem Nachdruck abgearbeitet hat. Körper, Geschlecht und Materialität nehmen in Reiseberichten und (proto-)ethnographischen Darstellungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit naturgemäß eine große Rolle ein und werden in der Forschung weithin als zentrale Bausteine für das Bild des ‚Anderen‘ sowie als Grenzmarker zwischen ‚Anderem‘ und ‚Eigenem‘ verstanden. Dass sie als Motive von Reiseberichten und verwandten Texten diese Funktionen tatsächlich vielfach erfüllen, ist kaum in Zweifel zu ziehen. Dennoch drängt sich die Frage auf, ob durch die Dominanz dieser Perspektive der Blick auf die in den Quellen womöglich doch enthaltenen historisch wertvollen Informationen verstellt wird.

Die Tagung „Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen“ will es sich angesichts dieser Ausgangslage zur Aufgabe machen, das Verhältnis der unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten auszuloten und den Wert ihrer sich ergänzenden, nicht aber sich ausschließenden Erkenntnisebenen herauszustellen. Fernab konstruktivistischer Vorurteile wie auch überholter positivistischer Auffassungen untersucht die Tagung gezielt die Themenfelder Körper, Geschlecht und Materialität und legt ihr Augenmerk insbesondere auf die Frage, welche Aussagen mittelalterliche und frühneuzeitliche Reiseberichte und Länderbeschreibungen zu diesen bereithalten. Vormoderne Quellen zu den Kontakten einander fremder Kulturen sollen also in Hinblick auf Aspekte des Physischen neu vermessen werden.

Die hieraus resultierenden Fragenkomplexe, die eine Diskussion und Ergründung der historischen Zeugnisse wie auch der Inhalte und Praktiken ihrer Interpretation ermöglichen, sind zahlreich. Sie betreffen unter anderem
- den Stellenwert von Körperlichkeit, Geschlecht und Materialität für den Entschluss und die Planungen, Kulturkontakte aufzunehmen, für die Bewegung durch fremde (Kultur-)Räume, für die Wahrnehmung des ‚Anderen‘, für das Gelingen oder Misslingen von Kulturkontakten und für die Dokumentation des Erlebten,
- die Rolle von Körperlichkeit, Geschlecht und Materialität für das (Nicht-)Verstehen fremder Kulturen,
- die Wechselwirkungen von Körperlichkeit, Geschlecht und Materialität in den Berichten und Beschreibungen,
- das Verhältnis von intentionaler Konstruktion und Beobachtung in Bezug auf Körperlichkeit, Geschlecht und Materialität,
- die Entstehung von Bedeutung durch die Heranziehung von Körperlichkeit, Geschlecht und Materialität in den Darstellungen.

Selbstverständlich stellen die genannten Aspekte lediglich Vorschläge aus einem weiten Spektrum dar. Für die Tagung sind Themenvorschläge aus den historischen Disziplinen, aber auch interdisziplinäre Zugänge willkommen.

Interessierte senden bitte ein Vortragsabstract von maximal einer DIN A4-Seite zusammen mit einem kurzen akademischen Lebenslauf bis zum 24. April 2022 an:
Florian Kehm (fkehm@uni-mainz.de).

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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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