Vom "Geistbuch" zur "Geniekartei": Geschichtsschreibung zwischen George-Kreis und Führerhauptquartier

Vom "Geistbuch" zur "Geniekartei": Geschichtsschreibung zwischen George-Kreis und Führerhauptquartier

Organizer
Dr. Thomas Gruber (Postdoctoral Fellow, I Tatti/Harvard University, Florenz); Jannis Wagner, M.A. (Promotionsstudent, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder); Dr. Matthias Weichelt (Chefredakteur „Sinn und Form“/Akademie der Künste, Berlin)
Venue
Burg Lauenstein
Funded by
Hans-Böckler-Stiftung, Oberfrankenstiftung, Felix-Hartlaub-Gesellschaft, Bayerische Schlösserverwaltung
ZIP
96337
Location
Ludwigsstadt
Country
Germany
From - Until
25.03.2022 - 27.03.2022
Deadline
24.03.2022
By
Thomas Gruber

Angeregt durch Neuerscheinungen zum Historiker Ernst H. Kantorowicz (1895-1963) und dem frühverstorbenen Schriftsteller Felix Hartlaub (1913-45) einerseits sowie Archivfunde zu zentralen Quellen (wie Hitlers sog. Tischgesprächen) und Kontinuitätslinien (zwischen Geschichtsschreibung des „George-Kreises“ und einem historiographischen Großprojekt des OKW) andererseits diskutiert die Tagung den Stellenwert von Geschichtsbildern und Geschichtsschreibung in Weimarer Republik und Nationalsozialismus.

Vom "Geistbuch" zur "Geniekartei": Geschichtsschreibung zwischen George-Kreis und Führerhauptquartier

Als Kultobjekt der „heroischen Moderne“ (Kittsteiner) ist der „Große Mann“, der Geschichte „macht“, intensiv diskutiert worden. Die Frage nach Höhepunkt und Diskreditierung dieses ideologischen Konzepts soll auf der Lauensteiner Tagung anhand der Kontrastierung von Lebensweg, Denkentwicklung und Rezeption der Geschichtsschreiber Ernst H. Kantorowicz (1895-1963) und Felix Hartlaub (1913-45) in den 1930er und 1940er Jahren neu gestellt werden.

Beide hatten die Gestalt des überlebensgroßen Mannes, wie sie die Geistbücher des George-Kreises prägte, zum Gegenstand eines Buches gemacht – Kantorowicz in seiner epochalen Biografie Kaiser Friedrichs II. (1927), Hartlaub in seiner Doktorarbeit über Don Juan d’Austria beim George-Schüler Walter Elze (1939). Beiden wurde eben dieses Konzept zunehmend fragwürdig, wenngleich auf unterschiedlichen, teils gegenläufigen und zeitversetzten Wegen: Beschleunigte die Oxforder Erfahrung Kantorowicz‘ Entwicklung zur unheroischen, themenorientierten Geschichtsschreibung in „gelehrter Anachorese“, suchte Hartlaub angesichts seines Kriegsdienstes am „Großen Mann“ (Abt. Kriegstagebuch des OKW) die Auseinandersetzung im Medium der Literatur. Was die Freiheit der Fußnote dem einen, wurde künstlerische Übersteigerung dem anderen.

Verschärft wurde die bereits biographisch angelegte Spannung zwischen Wissenschaftlichkeit und Literarizität von Geschichtsschreibung durch ein Projekt des Führerhauptquartiers. Hier sollte eine von der Heroik der Geistbücher inspirierte Führergeschichte des Weltkriegs entstehen. Ihr arbeitete ebenso Hartlaub zu wie dessen Vorgesetzter: Percy Ernst Schramm, Ex-„Warburgianer“ und Kantorowicz‘ Heidelberger Freund, der seinerseits das Hitlerbild im Nachkriegsdeutschland durch seine Spiegel-Serie, die redaktionellen Interventionen bei Tischgesprächen und Kriegstagebuch und seine Schüler (u.a. A. Hillgruber) mitprägte.

Neue Funde zur vieldiskutierten Rezeption von Kantorowicz‘ Friedrichbuch, wie zu den kaum erforschten historiographischen Ambitionen des OKW bilden den Ausgangspunkt des Workshops. Dank der Fokussierung auf die Personen Kantorowicz, Hartlaub und Schramm können literaturintensive Themen wie das Nachleben des George-Kreises oder der „Große Mann“ präzise befragt und aktualisiert werden. Es geht um gegenseitige Befruchtung und um Übertragungswege von Ideen, um Vorstellungen von Geschichte und von der eigenen Rolle in ihr, sowie um ideologische Neupositionierungen und Umgruppierungen in Freundeskreisen unter politischem Druck. Fundierung und Infragestellung von „Gestalt“ und „Genie“, des „Dämonischen“ und der „Vorsehung“ müssen diskutiert werden – ebenso wie ihr verzerrtes Echo nach dem „Untergang“. Auch Italien soll dabei die gebührende Rolle zukommen: als Imaginations- und Erfahrungsraum zwischen Mussolini-Kult und Gundolf-Rezeption, zwischen lebenswendendem Kunsterleben und jener Realität des Exils, die einem Teil der alten Kreise nur eine „Zuflucht auf Widerruf“ (Voigt) bot.

Wenige Orte symbolisieren die Pole dieser historiographischen Entwicklung besser als die Burg Lauenstein im oberfränkischen Ludwigsstadt: Einst Veranstaltungsort der „Lauensteiner Tagungen“, bei denen u.a. Max Weber 1917 zur Zukunft Deutschlands nach dem 1. Weltkrieg sprach, war sie später Verbannungsort von Abwehrchef Wilhelm Canaris, der vor seiner Hinrichtung im KZ Flossenbürg im April 1945 Kantorowicz‘ Biografie des Stauferkaisers las.

Aufgrund der pandemiebedingten Vorschriften sowie der räumlichen Gegebenheiten des Tagungsorts bitten wir um Verständnis, dass eine Teilnahme nur bei Einhaltung der 2G+-Regeln und nach vorheriger Anmeldung (unter: lauenstein2022@web.de) möglich ist.

Programm

Freitag, 25.3.2022

(Sektion1: Größe & Männlichkeit: zu einem problematischen Paradigma in der Geschichtsschreibung)

15.30-16.15
Die Bildung der männlich-heroischen Gestalt. „Geistbücher“ des George-Kreises in der Performanz
Prof. Dr. Carola Groppe (Hamburg)

16.15-17.00
Der Grosse Mann zwischen Dämon und Genie
Prof. Dr. Ernst Osterkamp (Berlin)

17.00-17.45
Friedrich Wolters: Vom „Colbert“ zur „Geistesgeschichte“. Schriften einer „Zwischengattung“
Prof. Dr. Bertram Schefold (Frankfurt a. M.)

Samstag, 26.3.2022

(Sektion 2: Historiker ohne Meister: Arbeiten am Großen Mann nach George)

9.00-9.45
Krise und Verunsicherung in den deutschen Geisteswissenschaften nach dem Ersten Weltkrieg am Beispiel Heidelbergs
Prof. Dr. Christian Jansen (Trier)

9.45-10.30
Der Große Mann als Knabe. Ernst H. Kantorowicz liest Helmut Küppers ungedrucktes Geistbuch
Dr. Maik Bozza (Stuttgart)

10.30-11.15
Rettungsversuche. Karl Reinhardts „Sophokles“ (1933)
Prof. Dr. Thomas Meyer (München)

11.30-12.15
Walter Elze und der Große Friedrich
Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum (Tübingen)

12.15-13.00
„Keine großen Männer, Helden, Schlachten, Fürsten!“ Felix Hartlaub, Max Kommerell und die Suche nach dem Ausweg
Dr. Matthias Weichelt (Berlin)

(Sektion 3: Vor dem Heldendienst: Felix Hartlaub zwischen Mussolinikult und Italienerlebnis, Werk und Wirkung)

14.00-14.45
Auf den Spuren von Gundolfs Caesar. Die italienische Rezeption zwischen Tomasi di Lampedusa und Benito Mussolini
Dr. Giulia Iannucci (Rom)

14.45-15.30
Karl Wolfskehl über Täter, Staat und Einzelwesen. Betrachtungsweisen der Figur Mussolinis
Dr. Caroline Jessen (Leipzig)

15.30-16.15
Von Größe ohne Glanz. Felix Hartlaubs literarische Konzeptionen des Widerstands gegen den „Heldenkult“ in den Schwellensituationen 1933/34 und 1939
PD Dr. Harald Tausch (Giessen)

16.15-17.30
Ernst Kantorowicz als Geschichtsschreiber – von heute aus gesehen
Dr. Simon Strauß (Frankfurt a. M.)

Sonntag, 27.3.2022

(Sektion 4: „Hitlers Thukydides“, oder: das OKW will Geschichte schreiben)

9.15-10.00
Der Künstler als Feldherr: Hitlers Selbstverständnis als militärischer Oberbefehlshaber und die Verwandlungen im Amt
Prof. Dr. Ulrich Schlie (Bonn)

10.00-10.45
Der einzige wirkliche Gelehrte auf der Dienststelle: Felix Hartlaub und sein vergessener Kollege Ottokar Menzel (1912-1945)
Prof. Dr. Martina Hartmann (München)

(Sektion 5: Die Genie-Kartei: Selbst- und Fremdstilisierung Hitlers)

11.00-11.45
Hitler und die großen Männer der Geschichte: Vor- und Selbstbilder eines Diktators
Prof. Dr. Thomas Weber (Aberdeen)

11.45-12.30
„Genius der Geschichte“: Walter Scherff, das „geheime Hauptbuch Hitlers“ und Felix Hartlaub
Jannis Wagner (Frankfurt/Oder)

12.30-13.15 Uhr
Der große Kaiser und die Falken: eine deutsch-italienische Geschichte des 20. Juli
Dr. Thomas Gruber (Florenz)

Contact (announcement)

lauenstein2022@web.de

Editors Information
Published on
Contributor