Ariadne 79: Revolution 1848/49 - eine Demokratisierung auch der Geschlechterverhältnisse?

Revolution 1848/49 - eine Demokratisierung auch der Geschlechterverhältnisse? Die Rolle von Männern und Frauen in einer politischen Umbruchzeit

Organizer
AddF - Archiv der deutschen Frauenbewegung
ZIP
34127
Location
Kassel
Country
Germany
From - Until
04.04.2022 - 09.05.2022
By
Kerstin Wolff, Bibliothek und Studienzentrum, AddF - Archiv der deutschen Frauenbewegung. Forschungsinstitut und Dokumentationszentrum

Im Jahr 2023 ist es wieder so weit. Die deutsche Öffentlichkeit begeht das 175. Jubiläum der Revolution. Dieses erneute Gedenken wollen wir nutzen, um Forschungen zu den Geschlechterverhältnissen mit denen zur Revolution und Demokratieentwicklung zu verknüpfen und damit aufzuzeigen, wie die Revolution und unternommene Demokratisierungsversuche die damalige bürgerliche Geschlechterordnung und die deutsche Politik und Gesellschaft geprägt hat.

Revolution 1848/49 - eine Demokratisierung auch der Geschlechterverhältnisse? Die Rolle von Männern und Frauen in einer politischen Umbruchzeit

Vor 25 Jahren, 1998 erschien das 33. Heft der Ariadne unter dem Titel „Eine ‚ächt weibliche Emancipation‘. Die Diskussion der Geschlechterbeziehungen um 1848.“ Das Heft reihte sich damals in die Publikationen zum 150sten Jubiläum der Revolution von 1848/49 ein und richtete den Blick auf die Geschlechterverhältnisse in der Revolution. Mit diesem Thema hatte sich die Ariadne einem Forschungsfeld zugewandt, welches innerhalb des Archivs der deutschen Frauenbewegung eine große Rolle spielte, steht doch diese Revolution auch für den Beginn der Frauenbewegung in Deutschland. Unter anderem die 1848er Revolutionärin Louise Otto-Peters, die 1863 den ADF in Leipzig aus der Taufe heben sollte, steht für eine personelle Kontinuität, die sich auch durch die immer wieder aufgerufenen Bezugspunkte der Frauenbewegung auf die Revolution ergänzen lassen. 1998 bei Erscheinen des Heftes stand noch nicht fest – so Susanne Asche in ihrem Artikel –, „ob und wie das Geschlechterverhältnis der Revolutionsjahre innerhalb dieses Gedenkens thematisiert und diskutiert wird“.1 Auch die von Sylvia Paletschek formulierte Einschätzung, dass es eine „Herausforderung für die Revolutionsforschung“ bleiben würde, „ihre Fragestellungen auf geschlechtsspezifische Implikationen hin zu untersuchen, ebenso wie es auch Aufgabe der spezifischen Frauenforschung sein sollte, die Ergebnisse der neueren Revolutionsforschung in ihre Aufgabenstellung zu integrieren“, wurde zum 150sten Jubiläum der Revolution noch nicht vollständig umgesetzt.2 Das damalige Jubiläum hatte für die Vormärz- und Revolutionsforschung eine wichtige Funktion. So war es seit Anfang der 1990er Jahre zunehmend gelungen, durch den Einsatz multiperspektivischer Zugriffe auch die Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49 neu zu betrachten und dabei der konstatierten „Problemfülle“ und „Komplexität von 1848“ gerecht zu werden.3 Nicht zuletzt aufgrund der Beschäftigung mit den unterschiedlichen Akteur*innen und diversen Politikfeldern der Revolution und dem vielfältigen Jubiläumsgedenken Ende der 1990er Jahre konnte die Revolutionsforschung und Revolutionshistoriographie substantielle Erkenntnisfortschritte erzielen.4 Mittlerweile ist die Forschung jedoch schon wieder fast zum Erliegen gekommen, so dass erneut ein riesiger Bedarf an fundierten Erträgen unter veränderten Vorzeichen besteht.

Was wissen wir heute über die Männer und Frauen, Einzelkämpfer, Geschwister, Gesinnungsgenossen, Ehegatten und Lebenspartner, die zu den bedeutendsten Vordenkerinnen fortschrittlichen Gedankengutes und zu den herausragenden Protagonistinnen der Freiheits-, Demokratie-, Revolutions- und Frauenbewegung in Deutschland und Europa im frühen und mittleren 19. Jahrhundert gehörten?5 Was wissen wir von den Achtundvierzigerinnen Friedrich „Fritz“ und Mathilde Franziska Anneke, Louise Aston, Robert und Eugenie „Jenny“ Blum, Louise Dittmar, Bodo und Claire von Glümer, Georg und Emma Herwegh, Gottfried und Johanna Kinkel, Fanny Lewald und Adolf Stahr, Malwida von Meysenbug, Louise Otto-Peters, Gustav und Amalie Struve, Wilhelm Adolph und Gabriele von Trützschler, Jakob Venedey und Henriette Obermüller-Venedey oder Franz Heinrich Zitz und Kathinka Zitz-Halein? Wie konnte es dazu kommen, dass sich diese Persönlichkeiten – neben anderen wie Friedrich List oder Philipp Jakob Siebenpfeiffer – in den Jahrzehnten zwischen Metternich’scher Restauration und bismarckscher Reichsgründung auf öffentlich-politischer Ebene für Freiheit, Demokratie, Einheit, soziale Gerechtigkeit, die Menschen- und Bürgerrechte, den Rechts- und Verfassungsstaat, ein Parlament und eine Republik einsetzten, auf geschlechtlicher Ebene moderne Formen weiblicher Selbstbestimmung und des ehelichen und familiären Zusammenlebens propagierten und größtenteils auch praktizierten und trotzdem lange Zeit vergessen blieben und nicht im nationalen Gedächtnis der Deutschen verankert waren? Was jene politisch engagierten Männer und Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts miteinander verband, das war ihr stets bekundeter Wille zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und die daran gekoppelte, bei den Paaren oftmals gemeinsam ausgeführte Aktion, konkret gesprochen: Als Vorkämpferinnen für eine zukünftige politische, sozioökonomische und kulturelle Demokratisierung und Modernisierung und eine geschlechtliche Emanzipation in Deutschland zu wirken. Daneben waren sie zumeist bürgerlicher Herkunft und teilten überwiegend eine demokratisch-republikanische oder frühsozialistische Grundhaltung.

Im Jahr 2023 ist es wieder so weit. Diesmal begeht die deutsche Öffentlichkeit das 175. Jubiläum der Revolution, und dieses erneute Gedenken wollen wir nutzen, um den bereits angesprochenen Fragen nachzugehen und dieses bedeutsame Forschungsfeld zu aktualisieren. Dabei bietet sich auch die Gelegenheit, die Forschungen zu den Geschlechterverhältnissen mit denen zur Revolution und Demokratieentwicklung zu verknüpfen und damit aufzuzeigen, wie die Revolution und unternommene Demokratisierungsversuche, aber auch der Einsatz der verschiedenen Akteur*innen und die damalige bürgerliche Geschlechterordnung die deutsche Politik und Gesellschaft geprägt haben und dies in Teilen bis heute noch tun.

Für die Ariadne 79, die 2023 zum Jubiläum erscheinen wird, suchen wir daher Beiträge, in denen ausgewählte, revolutionär aktive Frauen und Männer und ihre Lebensgeschichten vorgestellt werden. Konkret sind wir interessiert an ihren Zielvorstellungen, Staats- und Gesellschaftsentwürfen, den Formen ihres zivilgesellschaftlichen und feministischen Engagements, ihrer politischen Wirksamkeit und ihrer Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft vor, während und nach der Revolution von 1848/49. Willkommen sind aber genauso Beiträge, die sich mit Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit oder differenzfeministischen Herangehensweisen in der Revolution auseinandersetzen. Es sind aber auch folgende Fragestellungen denkbar:
- Ist der Revolutionsbegriff für das Engagement von Frauen angemessen, oder erschwert er durch seine männliche Konnotation eine angemessene Untersuchung weiblichen Handelns?
- Welche Felder weiblichen Handelns zur Zeit der Revolution können untersucht werden?
- Wie genau bedingen sich Revolutions- und Frauenbewegung, welche Bezüge werden zwischen diesen beiden politischen und sozialen Bewegungen hergestellt, und wie erinnert sich die spätere Frauenbewegung an die Revolution?
- Gibt es einen Stadt-Land-Unterschied auch bei den Aktionen von Frauen?
- Wie sieht es mit weiblichen Gegenstimmen zur Revolution aus?
- Welche Handlungsmöglichkeiten bietet das polar gedachte Geschlechtermodell innerhalb der Revolution, und welche verhindert es?
- Konnten die Vorstellungen einer Reform des biedermeierlichen Familienidylls und Privatlebens mit den Konzepten einer revolutionären Politik verknüpft sein und, wenn ja, wie?
- Inwiefern wichen bestimmte Frauen und ihre Lebenspartner durch ihre Forderungen und die von ihnen vorgelebte Praxis von den zeitgenössischen Normen und Konventionen ab?
- Wie agieren revolutionäre, demokratisch gesinnte Ehepaare – wie antidemokratische? Wie und in welchen Bereichen wurden im Falle demokratischer Paare die politischen und gesellschaftlichen Emanzipationsziele von beiden Partnern vertreten und umgesetzt?
- Blieb das Feld der Politik, seine programmatische Ausgestaltung, öffentliche Artikulation und Organisierung gerade bei der Mehrheit der liberalen und konservativen Revolutionäre eine männliche Domäne, denen sich letztlich weibliche Emanzipationswünsche unterzuordnen hatten?
- Kennen wir schon alle Vordenkerinnen und Wegbereiterinnen von Freiheit, Demokratie und Emanzipation, alle führenden weiblichen Aktivistinnen der Revolution und ihre Handlungsfelder?
- Welches Männerbild wird von den Revolutionären und Revolutionärinnen inszeniert? Unterscheidet sich dieses vom Bild des Mannes als Politiker in der Paulskirche?
- Wie denken Revolutionäre über die politisch aktiven Frauen, wie diese über die Revolutionäre?
- Gibt es unterschiedliche Männlichkeitskonzeptionen, die demokratische Revolutionäre und ihre Gegner voneinander trennen?
- Gibt es „die“ Revolutionärin, und wie wird diese in das bürgerliche Geschlechtermodell integriert? Und wie ist das beim Revolutionär?

Das Jahrbuch „Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte“ wird vom Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) in Kassel herausgegeben. Im Zentrum der Publikation stehen als Ausgangspunkt immer die Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts und die mit diesen Bewegungen verbundenen Ideen, Theorien und Praxen.

Wir freuen uns auf entsprechende Artikelvorschläge. Die einzelnen Beiträge haben i. d. R. einen Umfang von ca. 38.000 Zeichen, d. h. ca. 10-12 Manuskriptseiten. In Ausnahmefällen (zum Beispiel für einen einleitenden Artikel) kann von dieser Maßgabe abgesehen werden – die genaue Zeichenzahl wird zusammen mit der Redaktionsentscheidung bekannt gegeben. Redaktionsschluss ist der 15. Oktober 2022, das Heft erscheint im Mai 2023. Wenn Sie Interesse an der Abfassung eines Artikels haben, reichen Sie bitte bis zum 1. Mai 2022 ein aussagekräftiges Exposé (1-1,5 Seiten) an das Redaktionsteam ein. Da sich die genaue inhaltliche Gestaltung nach den eingehenden Exposés richtet, reichen Sie bitte auch Aufsatzideen ein, die am Rande des Themas zu liegen scheinen.

Sie können sich auch gern direkt mit uns in Verbindung setzen, wir stehen Ihnen für weitere Informationen jederzeit zur Verfügung.

Ariadne-Redaktionsteam
Birgit Bublies-Godau, M.A., Institut für soziale Bewegungen/ Lehrstuhl für Sozialgeschichte und soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum, zugleich: Mitglied des Vorstandes der Gesellschaft Forum Vormärz Forschung e.V. in Bielefeld, birgit.bublies-godau@rub.de und
Dr. Kerstin Wolff, Archiv der deutschen Frauenbewegung, wolff@addf-kassel.de.

Anmerkungen:
1 Susanne Asche: Frauen ohne Furcht und Nadel? Geschlechterverhältnisse in der Revolution von 1848/49, in: Ariadne 33 / 1998, S. 10.
2 Sylvia Paletschek: Frauen im Umbruch. Untersuchungen zu Frauen im Umfeld der deutschen Revolution von 1848/49, in: Frauengeschichte gesucht – gefunden?, hrsg. von Beate Fieseler und Birgit Schulze, Köln/Weimar/Wien 1991, S. 60.
3 Z.B.: Dieter Langewiesche: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849, 2. Aufl., München 1989, S. 171; Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt/ M. 1985, S. 223; Heinrich Hauß: „Die Komplexität von 1848“, in: Badische Heimat 77 / 1997, H. 3, S. 331-333.
4 Zum Stand der Revolutionsforschung und Revolutionshistoriographie zur Zeit des Jubiläums vgl. u.a. (Auswahl): Birgit Bublies-Godau: „Von der Revolution zu den Revolutionen“ - Zur 150. Wiederkehr der Revolution von 1848/49 in Deutschland und Europa. Eine Zwischenbilanz zum Forschungsstand und zu den aktuellen Forschungstendenzen, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 11 / 1999, S. 219-256; Manfred Gailus: Bürgerliche Revolution? Deutsche Revolution? Europäische Revolution? Neuerscheinungen und Forschungstrends im Zeichen des 150jährigen Jubiläums der Revolution von 1848/49, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 / 1999, H. 7, S. 623-636; Rüdiger Hachtmann: 150 Jahre Revolution von 1848: Festschriften und Forschungsbeiträge. Zwei Teile, in: Archiv für Sozialgeschichte 39 / 1999, S. 447-493 u. 40 / 2000, S. 337-401.
5 Beispiele für geschlechterhistorische Revolutionsstudien sind u.a.: Die Achtundvierziger. Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49, hrsg. von Sabine Freitag, München 1998; Birgit Bublies-Godau: Geliebte, Gatten und Gefährten. Selbstverständnis und politisches Handeln von Ehepaaren in der deutschen Revolution von 1848/49, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49 / 1998, H. 5/6, S. 282-296; Marion Freund: „Mag der Thron in Flammen glühn!“ Schriftstellerinnen und die Revolution von 1848/49, Königstein 2004; Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49, hrsg. von Carola Lipp, Baden-Baden 1986

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