PATCH
A file or set of files that fixes bugs in a game after its release.
After applying a patch, a game is considered patched.
(Thomas/Orland/Steinberg 2007, S. 49).
Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, daß die Geschichte der Computer- und Videospiele, die bisher vornehmlich aus dem Umfeld des Journalismus, privaten Sammlungswesens und enthusiastischen Fantums hervorgegangen ist, einer dringenden Revision bedarf. Diese erste Phase der Geschichtsschreibung, die sogenannte ›Ära der Chroniken‹ (Huhtamo), hat viele Schriften hervorgebracht, die zwar grundlegende Daten und Dokumente in sich versammeln, aber eben auch von autobiografischer Anekdotik, nostalgischer Verklärung und technologischem Determinismus geprägt sind. Dagegen gilt es nun kritische Interpretation und Analyse, Kontextualisierung und methodisches Vorgehen stark zu machen (Vgl. Huhtamo 2007).
Vor diesem Hintergrund haben Henry Lowood und Raiford Guins mit ihrem 2016 erschienenen ›kritischen Lexikon‹, das die Reihe ›Game Histories‹ bei der MIT Press begründete, die Notwendigkeit angemahnt, an der mängelbehafteten Geschichtsschreibung der »video games« ein ›Debugging‹ durchzuführen. Das Bild des ›Debugging‹ – das Öffnen der Maschine der Vergangenheit und Gegenwart, um eben jenes Insekt aus ihren Innereien zu entfernen, die das Verfassen kritischer Spielegeschichte blockiert – entlehnen sie dabei aus der Computergeschichte selbst (Vgl. Lowood/Guins 2016, S. XIII-XX, hier XV; Raymond 1991, S. 82-84). Ihr Lexikon ist, wie die Herausgeber betonen, nicht als Enzyklopädie gesicherten historischen Wissens angelegt – auch aus Mangel an entsprechenden Studien. Vielmehr sei es ein disziplinär und methodologisch vielfältiger Versuch, Missverständnisse auszuräumen und so eine grundlegende Terminologie bereit zu stellen – wohl wissend, dass dies nur der Anfang einer besseren Geschichtsschreibung sein könne (Vgl. Lowood/Guins 2016, S. XV-XVII).
In diesem Geiste bedient sich der Titel dieses Symposiums eines verwandten Bildes: dem des ›Patches‹ (von engl. ›to patch‹ = flicken, ausbessern), eines (aufgesetzten) Flickens oder Aufnähers, der Löcher oder Risse verschließt, Fehler ausbessert oder auch nur dekorative Zwecke erfüllt. Im Kontext der Softwaretechnologie spricht man entsprechend von einer genau definierten Sammlung an Veränderungen, die durch Einfügung an einem existierenden Programm vorgenommen werden. Dabei legt der Begriff ›Patch‹ allerdings nicht fest, worin diese Veränderungen genau bestehen: So werden meist eine oder mehrere Dateien durch eine neue Version ersetzt, um existierende Fehler im Programm zu beheben (›Bugfix‹), Sicherheitslücken zu schließen, Datenbestände zu ergänzen oder zu aktualisieren, die Funktionalität und Bedienbarkeit zu verbessern oder auch die Leistung zu optimieren. ›Patches‹ machen somit vor allem kleinere Reparaturen, Korrekturen oder Anpassungen möglich, auch ohne Vorliegen des ursprünglichen Quell-Codes oder das erneute Kompilieren des gesamten Programms. Obwohl die meisten Patches von den ursprünglichen Herstellern einer Software bereit gestellt werden, stammen sie gelegentlich auch von Dritten, um etwa die Betreuung und Pflege einer nicht länger vertriebenen Software aufrecht zu erhalten, Einschränkungen oder Sperren in einer Software zu umgehen (›Crack‹) oder auch Softwareinhalte in einer Weise zu modifizieren, die vom Hersteller nicht vorgesehen ist (Vgl. Raymond 1991, S. 275f.). Und während das ›Debugging‹ eher auf Fehlfunktionen in den Prozessen und Verfahren der Geschichtsschreibung zielt, kann ein Patch zugleich auch dringend notwendige Daten nachliefern. Doch warum braucht es einen solchen ›Patch‹?
Die Geschichte der Computer- und Videospiele hat bisher nicht nur durch methodische Probleme auf sich aufmerksam gemacht. Ihre Erforschung ist bisher beinahe ausschließlich durch eine US-amerikanische Perspektive bestimmt, die vor allem die Produktion und Rezeption von Spielen auf dem amerikanischen Kontinent und ggf. in Japan zum Thema macht und diese zugleich – von ihrer heutigen Warte aus gesehen – als letztlich unabwendbare wirtschaftliche Erfolgsgeschichte erzählt. Während diese Geschichte als Teil einer größeren Erzählung durchaus von Relevanz sein mag, ist sie mit Blick auf den Rest der Welt notgedrungen unvollständig, wo sich doch eine große Zahl regionaler und nationaler Spielkulturen entwickelt hat. Oft unabhängig von Ländergrenzen und technischen Limitationen hat man sich Spiele aktiv zu eigen gemacht, hat sie den lokalen politischen und kulturellen Rahmenbedingungen angepasst, hat sie kopiert, nachgeahmt und als Ausgangspunkt für die eigene produktive Tätigkeit begriffen. Diese unzähligen regionalen und transnationalen historischen Spielekulturen laufen Gefahr, für immer vergessen zu werden.
Erfreulicherweise ist in den vergangenen Jahren die inter- und transnationale Geschichtsschreibung der Computer- und Videospiele in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. So war etwa die dritte internationale ›History of Games‹-Konferenz (21.-24. Oktober 2020) den ›Transnational game histories‹ gewidmet, organisiert durch ein Komitee aus aller Welt (https://www.history-of-games.com). Darüber hinaus ist jüngst eine ganze Reihe aufschlussreicher Studien erschienen, die sich mit der Geschichte einzelner Regionen oder Nationen befasst, darunter Großbritannien (Kirkpatrick 2015; Gazzard 2016-2018; Wade 2016), Frankreich (Blanchet/Montagnon 2020; Breem/Krywicki 2020), die Niederlande (Lenting 2019) oder auch die historische Tschechoslowakei (ČSSR) (Švelch 2018). Diese Untersuchungen tragen nicht nur den Besonderheiten einzelner nationaler Spielkulturen in ihren historischen Kontexten Rechnung, sondern auch ihren vielfältigen Verflechtungen innerhalb Europas und der Welt.
Angesichts der zunehmenden Zahl an Stimmen, die in der Geschichte der Computer- und Videospiele zu hören ist, stellt sich somit die Frage, ob diese neue Erzählung nicht notwendigerweise ein Flickwerk sein muss – ein ›Patchwork‹, das sich auch als bewusste Gegengeschichte zu den bisher dominierenden teleologischen Narrativen versteht. In diesem Sinne braucht es gar ein umfassendes ›Patch Management‹, um die vielfältigen Erkenntnisse zusammenzutragen, abzugleichen und schließlich zu einer Weltgeschichte digitaler Spiele zu gelangen. In diesem Flickenteppich der Vielsprachigkeit und Vielstimmigkeit ist es aber um die Geschichtsschreibung in den deutschsprachigen Ländern bis jetzt eigentümlich still. Nimmt man mit Tristan Donovans ›Replay‹ von 2010 eines der wenigen Bücher zur Hand, das sich überhaupt an einer internationalen Perspektive versucht, bezeichnenderweise das Buch eines britischen Journalisten, so findet z.B. die ›deutsche‹ Geschichte der Spieleentwicklung auf nicht mal ganz zwei Seiten statt; die Schweiz und Österreich finden nicht einmal Erwähnung (Vgl. Donovan 2010, S. 131f.).
Es gilt also nicht nur, ein bisher fehlendes Stück in der ›History of Games‹ zu ergänzen, sondern zugleich jene Nahtstellen und gemeinsamen Muster wahrzunehmen, die schließlich das dichte Gewebe einer europäischen Geschichte der Computer- und Videospiele ausmachen. Die Projektgruppe (P) Österreich (At), Schweiz (CH) und Deutschland (D) soll in diesem Rahmen helfen, bestehende Untersuchungen und ihre Ergebnisse zu konsolidieren, den Austausch zwischen Forschenden anzuregen sowie die interdisziplinäre und transnationale Zusammenarbeit zu koordinieren. Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen sowohl die Inhalte als auch die Methoden einer Geschichte digitaler Spiele. Sie knüpft damit an jene ersten Schritte an, die bereits in der Erforschung der österreichischen und schweizerischen Computer- und Videospiele in den 1980er und 1990er Jahren gegangen worden sind (Vgl. SUBOTRON 2021; Pfister/Rochat 2021).
Das Symposium zur Frühgeschichte der Computerspiele in der Schweiz, Österreich und Deutschland bildet einen ersten Flicken für diese Geschichte, in dem Ansinnen, fortan mit einer aktualisierten und verbesserten – einer PAtCH’D – Version weiterarbeiten zu können. Wie in der Welt der Software auch, bleibt allerdings zu erwarten, dass wohl weitere folgen werden.
LITERATUR
Blanchet, Alexis/Guillaume Montagnon (2020): Une Histoire du jeu vidéo en France. 1960-1991: Des labos aux chambres d’ados. Houdan.
Breem, Yves/Boris Krywicki (2020): Presse Start. 40 ans de magazines de jeux vidéo en France Taschenbuch. Montreuil.
Donovan, Tristan (2010): Replay. The History of Video Games. Foreword by Richard Garriott. East Sussex.
Gazzard, Alison (2016): Now the Chips Are Down. The BBC Micro. Cambridge/MA, London.
Gazzard, Alison (2016-2018): Re-program, re-play, rewind. An alternative history of computer game creation in 1980s Britain. (online: http://britishgamehistory.com, 1.5.2022) London.
Huhtamo, Erkki (2007): Neues Spiel, neues Glück. Eine Archäologie des elektronischen Spiels. Übersetzt von Gabriele Werbeck. In: Pias, Claus/Christian Holtorf (Hg.): Escape! Computerspiele als Kulturtechnik. (= Schriften des deutschen Hygiene-Musuems Dresden, Bd. 6) Köln, Weimar, Wien. S. 15-43.
Kirkpatrick, Graeme (2015): The Formation of Gaming Culture. UK Gaming Magazines, 1981–1995. London.
Lenting, Tom (2019): Gamegeschiedenis van Nederland, 1978-2018. (= Karel van Mander Academy, reeks voor visueel erfgoed; 1) Steenwijk.
Lowood, Henry/Raiford Guins (2016) (Hg.): Debugging Game History. A Critical Lexicon. Cambridge/MA, London.
Pfister, Eugen/Yannick Rochat (2021): Von einer frühen Videospielgeschichte in Österreich und der Schweiz: Ein Vergleich. In: Spiel-Kultur-Wissenschaften, 26.04.2021 (online: http://spielkult.hypotheses.org/2898, 1.5.2022).
Raymond, Eric (1991) (Hg.): The New Hacker’s Dictionary. Foreword and cartoons by Guy L. Steele Jr. Cambridge/MA, London.
SUBOTRON online arcademy (2021): DACH Game History: Preservation of Cultural Heritage, 30. April 2021. Präsentationen und Diskussion mit Melanie Fritsch, Eugen Pfister, Yannick Rochat, Tobias Winnerling. Audiomitschnitt. (online: https://subotron.com/veranstaltung/heritage/, 1.5.2022) Wien.
Thomas, David/Kyle Orland/Scott Steinberg (2007): The Videogame Style Guide and Reference Manual. The IGJA and Games Press Present. Milton Keynes.
Švelch, Jaroslav (2018): Gaming the Iron Curtain. How Teenagers and Amateurs in Communist Czechoslovakia Claimed the Medium of Computer Games. Cambridge/MA, London.
Wade, Alex (2016): Playback. A Genealogy of 1980s British Videogames. New York/NY, London u.a.