Die Zeit des Bürgerkriegs in England stellt für die Heraus-bildung des modernen politischen Denkens wie auch der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Institutionen selbst eine der prägendsten Entwicklungsphasen dar.
Rückblickend hatte Thomas Hobbes gegen Ende seines Lebens die revolutionären Ereignisse in den Jahren zwischen 1640 und 1660 als „Höhepunkt der Zeit“ gewertet. Diese Einschätzung wurde lange Zeit auch von der Forschung – mit je unterschiedlichen Begründungen und Bewertungen – weitgehend geteilt. Die Jahre nach 1640 galten als „eine der großen Wasserscheiden“ in der politischen, sozialen und ökonomischen Entwicklung Englands (G. N. Clark), aber auch weit darüber hinaus. So sprach Lawrence Stone von ihr als der „ersten ‚Großen Revolution‘ der Weltgeschichte“ und einem „Ereignis von fundamentaler Bedeutung in der Entwicklung der westlichen Zivilisation“.
Die zeitgenössische politische und verfassungsrechtliche Krise der Stuart-Monarchie, die mit tiefgreifenden Krisenprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft, Kirche und Religion verbunden war, führte zu Auseinandersetzungen, die eine Vielzahl neuer Ideen und Strömungen politischen und sozialen Denkens hervorbrachten. Unter diesen Bedingungen wurden im Rahmen einer zentralisierten, seit 1641 von der Zensur befreiten Öffentlichkeit erstmals offen die Grundlagen der politischen und sozialen Ordnung thematisiert und zum Gegenstand politischen Handelns gemacht. Diese Dynamik führte zur Herausbildung neuer politischer und sozialer Ansprüche und Forderungen, die ein historisch einzigartiges „Reservoir an sozial-philosophischen und politisch-juristischen Ideen“ hervorbrachte (H. Klenner), das nach Ansicht vieler Forschenden weit ins 18. und 19. Jahrhundert und bis in die Gegenwart voraus- weist – oder vorauszuweisen scheint.
Angesichts dessen ist das Interesse an diesen Entwicklungen und den hier entstehenden politischen und sozialen Theorien und Ideen jedoch vergleichsweise gering aus- geprägt. Dies gilt sowohl in den öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten im deutschsprachigen Raum allgemein als auch speziell in der politikwissenschaftlichen, sozialphilosophischen und ideengeschichtlichen Forschung. Die Tagung soll diesem Defizit entgegenwirken und sich mit folgenden thematischen Schwerpunkten befassen:
- Eine aktuelle Bestandsaufnahme von konkurrierenden Begründungen von politischer Ordnung und Gesellschaft im Zeitalter der englischen Revolution, wobei der Fokus auf den Jahren zwischen 1640 und 1653 liegen soll. Hier standen Vertreter einer royalistischen Prärogative den Positionen einer vom Parlament getragenen Opposition gegenüber, vertraten radikale politisch- religiöse Gruppen, die Levellers und Diggers neue politische und soziale Schichten und Interessen, wurden moderne naturrechtliche und vertragstheoretische Positionen entwickelt und wurde der antike und klassische Republikanismus neu angeeignet und wirkmächtig auf die neuen Verhältnisse angewandt.
- Präsentation und Diskussion der Ergebnisse der Forschungen, die in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen das politisch-soziale Denken in der Englischen Revolution neu beleuchtet oder das Potenzial haben, diese neu zu deuten.
- Diskussion neuer theoretischer und methodischer Ansätze zur Analyse und Interpretation politischer Ideen – etwa der Ideen- und Diskursgeschichte, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Global- oder Kulturgeschichte – im Lichte der Frage, ob sie zu einem neuen Verständnis des politischen Denkens in der englischen Revolution führen, das sich von den bisher dominierenden Sichtweisen unterscheidet.
Auf der Tagung soll ein neuer Anlauf unternommen wer- den, die politischen, sozialen und ökonomischen Konfliktfelder in England in der Mitte des 17. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Herausbildung des modernen politischen und sozialen Denkens ins Blickfeld politiktheoretischer und ideengeschichtlicher Forschung zu rücken.