Die altertumswissenschaftliche Geschlechterforschung ist inzwischen auch im deutschsprachigen Raum fest etabliert, wie etliche einführende Werke und Kompendien veranschaulichen, die in den letzten Jahren erschienen sind (z.B. Scheer 2011; Hartmann 2021; Schnegg 2021). Sie geben einen Überblick über die Vielfalt der Themen, der Zugänge, der Methoden und der Formen altertumswissenschaftlicher Geschlechterforschung.
Die sitten- und kulturgeschichtlichen Abhandlungen über ‚die Frau‘ in ‚der Antike‘ in der Tradition des 19. und 20. Jahrhunderts sind längst überwunden: neben einer dezidierten Frauengeschichte, die die Differenzierung und Konstruktion unterschiedlicher Formen von Weiblichkeit oder die Biographien einzelner Frauen in den Mittelpunkt stellt, hat sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Konstruktionen von Männlichkeit etabliert. Hinzu kommen Arbeiten, die Geschlecht weniger zum Thema machen und es vielmehr als Analysekategorie nutzen und so eine kritische Perspektive in so verschiedene Bereiche wie die Wirtschafts-, die Religions-, die Medizin-, die Körper-, die Rechts- und die Politikgeschichte einbringen. Auf diese Weise trägt die altertumswissenschaftliche Geschlechterforschung dazu bei, neue Fragen an den antiken Befund zu richten. Wie sie beantwortet werden können, soll Gegenstand des geplanten Workshops in Wuppertal sein.
Das als Forschungswerkstatt konzipierte Treffen bringt Nachwuchsforscher:innen aus den verschiedenen altertumswissenschaftlichen Disziplinen zusammen, und ermöglicht ihnen einen intensiven interdisziplinären Austausch über die Voraussetzungen und die Zugänge, die Arbeits- und Verfahrensweisen sowie ihre Erfahrungen bei der Erforschung von Geschlecht in der Antike.
Eine möglichst breite fachliche, theoretische und methodische Ausrichtung der Beiträge ist erwünscht. Der Fokus liegt auf dem griechisch-römischen Kulturkreis, ist aber nicht darauf begrenzt. Die Präsentationen können einerseits vom antiken Material und den in den Altertumswissenschaften gängigen Methoden ausgehen und exemplarisch antiken Geschlechterverhältnissen nachgehen, um so beispielsweise:
- Reflexionen darüber anzuregen, welche Folgen und Potentiale eine quellenspezifische (bspw. numismatische, epigraphische oder papyrologische) Ausrichtung des wissenschaftlichen Arbeitens für die Auseinandersetzung mit Geschlecht in der Antike hat
- den jeweils spezifischen Beitrag philologischen, archäologischen, kunsthistorischen oder historischen Arbeitens aufzuzeigen
- verschiedene Vorgehensweisen anhand des konkreten empirischen Materials zu erproben und so zur Diskussion über die anzuwendenden Methoden anzuregen
Andererseits ist es ebenso denkbar und wünschenswert, ein theoretisches Konzept aus der Geschlechterforschung vorzustellen und anhand des antiken Materials herauszuarbeiten, ob und wie die Anwendung solcher Ansätze zu neuartigen Erkenntnissen über die antiken Verhältnisse führt.
Der Workshop findet im Gästehaus der Bergischen Universität Wuppertal statt und wird überwiegend aus Mitteln des Gleichstellungspreises 2018 für Steffi Grundmann finanziert.
Vorschläge für 20-minütige Präsentationen (Abstract von max. 600 Wörtern und Kurzbiografie) können bis zum 03. Juli 2022 über atwsgender@uni-wuppertal.de eingereicht werden. Der Workshop soll ganz im Wortsinne einen Raum bieten, in dem die verschiedenen Ansätze, Deutungen und ihr Potential für die altertumswissenschaftliche Geschlechterforschung kritisch und differenziert diskutiert werden können. ‚Werkstattberichte‘ aus dem Forschungsalltag sind insofern ebenso willkommen wie Problemaufrisse zur Umsetzbarkeit und zum konkreten Vorgehen bei der Erforschung antiker Geschlechterverhältnisse. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.
Literatur:
Elke Hartmann, Frauen in der Antike. Weibliche Lebenswelten von Sappho bis Theodora, 2. Auflage München 2021.
Kordula Schnegg, Antike Geschlechterdebatten. Die soziale Verortung der Frauen und Männer in der griechisch-römischen Antike, Tübingen 2021.
Tanja Susanne Scheer, Griechische Geschlechtergeschichte, München 2011 (EGRA 11).