Rechtsextremismus nach 1945

Rechtsextremismus nach 1945

Veranstalter
Archiv für Sozialgeschichte (Friedrich-Ebert-Stiftung)
Ausrichter
Friedrich-Ebert-Stiftung
PLZ
10785
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.09.2022 - 30.09.2022
Deadline
30.06.2022
Von
Philipp Kufferath, Friedrich-Ebert-Stiftung

Rechtsextremismus nach 1945

Tagung des Archivs für Sozialgeschichte in Vorbereitung auf Band 63 (2023).

Right-Wing Extremism Since 1945

Conference in preparation for Archiv für Sozialgeschichte 63 (2023)

Rechtsextremismus nach 1945

In der Diskussion um rechtspopulistische und rechtsextreme Politik und Aktivitäten wird die historische Kontinuität rechtsextremen Denkens und Handelns wenig thematisiert. Das rechtsextreme Milieu wird häufig als etwas Fremdes und außerhalb der Gesellschaft und ihrer grundlegenden politischen Kultur Stehendes verstanden. Noch augenfälliger galt dies für die DDR, die aus dem Antifaschismus ihre politische Legitimation bezog. Zugleich zeigt sich in den aktuellen Wahlkämpfen in Europa immer deutlicher, dass ein erhebliches Stimmenreservoir für rechtsextreme, nationalistische Parteien gibt. Diese oft populistischen Bewegungen lediglich als „Betriebsunfälle“ zu interpretieren, verkennt die vielfältigen historischen Kontinuitäten im rechtsextremen Milieu ebenso wie soziale Brüche und ideologische Neuausrichtungen.

Eine Gesellschaftsgeschichte des Rechtsextremismus zu entwerfen, mit einem vergleichenden Blick auf Entwicklungen in Europa, ist daher ein lohnender Ansatz, um diese politische Bewegung stärker zu kontextualisieren und vor allem zu historisieren. Eine solcher Ansatz fragt nicht nur nach den Entwicklungen und Hintergründen des politisch marginalisierten rechtsextremen Milieus, sondern auch nach tieferliegenden Einstellungen und vor allem nach gesellschaftlichen Bedeutungen und Funktionen des Rechtsextremismus. Dabei wird auch erkennbar, dass bereits der Begriff viele unterschiedliche Aufladungen hatte. War Rechtsextremismus in den 1950er-Jahren das Gleiche wie heute? Wer entwarf Zuschreibungen, wie wurden Kategorien und Kriterien definiert? In welchem Verhältnis standen Fremd- und Selbstzuschreibungen? Nicht zuletzt ist an dieser Stelle auch zu analysieren, welche Rolle Beobachter politischer Bewegungen für die Begriffsverständnisse spielten.

Hinsichtlich der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus sind staatlich-institutionelle und politische Ausführungs- und Entscheidungsgruppen ebenso bedeutsam wie zivilgesellschaftliche Akteure, Gruppen ehemals Verfolgter oder von rassistischer Gewalt und Diskriminierung Betroffener. Wer beteiligte sich am gesellschaftlichen Diskurs über Rechtsextremismus, welchen Deutungen dominierten und welche wurden ausgegrenzt? Welche Funktionen nahm der Rechtsextremismus im politischen Selbstverständigungsdiskurs Deutschlands ein – auch jenseits der deutsch-deutschen Auseinandersetzung? Wie wurde er beobachtet und eingeordnet? Dies ließe sich beispielsweise im Kontext von Wahlen näher analysieren, deren Ergebnisse auch die Konjunkturen der Beobachtung und Erforschung mitbestimmten. Hier sind vielfache Verschiebungen und Erweiterungen im historischen Verlauf zu beobachten. Zudem internationalisierten sich Rechtsextremismus und Rechtspopulismus nach 1945 und vernetzten sich überdies transnational.

Ausgehend von diesen Fragen will das Archiv für Sozialgeschichte die historische Genese, Wandlungen, Bedeutungen und gesellschaftliche Funktionen von Rechtsextremismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert erkunden. Dazu sind Beiträge zum Rahmenthema gewünscht, die sich an folgenden Aspekten orientieren können:

Sozial- und Gesellschaftsgeschichte
Ein dezidiert sozialhistorischer Blick auf das Phänomen Rechtsextremismus soll Beiträge zu einer gesellschaftshistorischen Analyse ermöglichen: Wer waren die Träger rechtsextremer Politik oder rechtspopulistischer Aktionen? Lassen sich historische Veränderungen im rechtsextremen Milieu seit 1945 feststellen und welche Ursachen können dafür genannt werden? Gab und gibt es überhaupt so etwas wie ein „Milieu“ oder ist der Rechtsextremismus mit anderen Kategorien besser zu erfassen? Wie lassen sich Selbstbeschreibungen und Produkte des Rechtsextremismus für die wissenschaftliche Analyse nutzen? Trifft die geläufige Annahme zu, dass der Rechtsextremismus vor allem in spezifischen sozialen Verhältnissen Zuspruch findet? Inwiefern lassen sich dazu aus zeithistorischen empirischen Studien Schlüsse ziehen? Und wie finanzierte sich der politische und terroristische Rechtsextremismus? Hier wären Untersuchungen zu unternehmerischen bzw. wirtschaftlichen Verflechtungen und deren Bedeutung für die Weiterentwicklung in Richtung einer Professionalisierung und Internationalisierung wünschenswert ebenso wie Analysen der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation des Rechtsextremismus.

Europa und Nordamerika
Eine räumliche, hier vorrangig europäische und nordamerikanische Perspektive einzunehmen, erscheint uns notwendig, um nationale „Sonderheiten“ ebenso herauszuarbeiten wie übereinstimmende rechtsextreme Haltungen und Politiken: Auf welchen nationalen Traditionen und Kontinuitäten bauten rechtsextreme Politiken nach 1945 auf? Wo wurden aber auch Brüche sichtbar oder gar notwendig, um gesellschaftliche Zustimmung zu erreichen? Welche Rolle spielten Vorstellungen von Europa und europäischer Zusammenarbeit? Welche Formen von Rechtsextremismus entstanden in West- und in Osteuropa? Welche Formen transnationaler rechtsextremer Zusammenarbeit sind zu beobachten, etwa hinsichtlich rechtsterroristischer Strategien?

Vergleich
Rechtsextremismus baut historisch auf verschiedenen nationalen Kulturen auf, weist aber auch übernationale Merkmale im Denken und in Politikstilen auf: Wie lassen sich systematische Vergleiche, etwa mit Blick auf Trägergruppen oder Aktivitäten, durchführen? Wie steht es mit Quellen zur Geschichte des Rechtsextremismus in Europa? Ist es sinnvoll, historische Vergleiche zwischen rechtsextremen Politiken in unterschiedlichen Kontinenten zu ziehen?

Reaktionen
Im gesellschaftlichen Diskurs über Rechtsextremismus spielen Gegner:innen, Justiz, Polizei sowie andere Akteure eine zentrale Rolle. Sie bestimmen mit, wer wann und warum als rechtsextrem eingeschätzt wird: Wie reagierten staatliche Organe und Zivilgesellschaft in Europa auf rechtsextreme Aktivitäten? Wie wurde überhaupt Wissen über Rechtextremismus generiert, mit welchen Folgen? Was galt wann als rechtsextrem? Welche Gruppen traten gegen rechtsextreme Politik und Haltungen auf; mit welchen Mitteln? In welcher Form organisierten sich von rechtsextremer Gewalt und Hetze betroffene Bevölkerungsgruppen und Einzelpersonen? Lässt sich ein Zusammenhang zwischen Auseinandersetzungen mit Faschismus und Nationalsozialismus und Konjunkturen des Rechtsextremismus erkennen?

Auf einer Tagung, die am 29/30. September 2022 von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin ausgerichtet wird, möchten wir Beitragsideen, Themenangebote und gemeinsame Fragen des hier skizzierten Rahmenthemas der Zeitschrift Archiv für Sozialgeschichte 63 (2023) entwickeln. Wir laden alle Interessierten ein, uns bis zum 30. Juni 2022 Vorschläge einzureichen (E-Mail an afs@fes.de). Sie sollten 3.000 Zeichen nicht überschreiten und können, ebenso wie die Vorträge auf der Tagung und die späteren Texte für den Band, auf Deutsch oder Englisch verfasst werden. Die anschließend von der Redaktion für den Band ausgewählten Beiträge im Umfang von etwa 60.000 Zeichen müssen bis zum 31. Januar 2023 fertiggestellt werden.

Right-Wing Extremism Since 1945

Discussions of right-wing populist and extremist politics and activities tend to pay little attention to the historic continuity of far-right thought and action. The far-right milieu is often considered as something alien, standing apart from society and its fundamental political culture. This tendency was even more pronounced in the GDR, which derived its political legitimacy from anti-fascism. Yet recent electoral campaigns across Europe reveal ever more clearly that there is a considerable pool of votes from which far-right, nationalist parties may draw. To shrug off these often populist movements as mere accidents in the normal operation of democratic politics is to ignore both the manifold historical continuities within the far-right milieu as well as its social ruptures and ideological realignments.
In order better to contextualise and above all to historicise this political movement, a worthwhile approach is therefore to work towards a social history of right-wing extremism in a comparative perspective taking in developments across Europe. Such an approach not only enquires into the origins of a politically marginalised far-right milieu and the developments within it. It also seeks to explore the deep-seated attitudes underlying right-wing extremism and, above all, its social meanings and functions. One conclusion we may anticipate at this point is that the connotations of concept itself have differed widely over time. Was right-wing extremism in the 1950s the same thing it is today? Who set the terms, and how were categories and criteria defined? What relationship obtained between self-descriptions and descriptions by others? This is the place to ask not least what part the observers of political movements had to play in shaping our understanding of key concepts.
In terms of society’s confrontation with right-wing extremism, the executive and decision-making organs of the state and its institutions are as significant as civil society actors, associations of former victims of persecution or of people threatened by racist violence and discrimination. Who participated in society’s discourse on right-wing extremism, what were the dominant interpretations and which were marginalised? What functions did right-wing extremism serve in the discourse of Germany’s political self-understanding – even beyond the confrontation between the two German states? How was it observed and categorised? This might, for instance, be analysed more closely in the context of elections, the outcomes of which had a strong effect on research trends, with multiple shifts and expansions observable over the course of recent history. An additional factor to be considered is the internationalisation of right-wing extremism and populism since 1945 and the transnational networks in which its organisations and protagonists operate.
With these observations in mind, Archiv für Sozialgeschichte is looking to explore the historical genesis of far-right extremism in the second half of the twentieth century and in the twenty-first century – along with its transformations, meanings and social
functions. Within this framework, we invite contributions which may choose to consider the following aspects:

Social history
Taking a decidedly social-historical perspective on the phenomenon of right-wing extremism will contribute to its understanding in the context of the wider history of society. Who were the principal supporters of far-right politics or right-populist schemes? Can historical shifts within the far-right milieu since 1945 be observed, and how might we account for them? Is there even such a thing as a far-right »milieu« or might other categories prove more helpful? How can the self-descriptions and products of right-wing extremism be made useful for scholarly analysis? Does the common assumption hold true whereby right-wing extremism draws its support above all from specific social circumstances? Can this claim be substantiated with reference to empirical research in contemporary history? And from where did far-right politics and terrorism draw their funding? In this regard, we would encourage both studies of links to the world of business and commerce, and its significance in encouraging professionalisation and internationalisation, and analyses of the self-organisation of right-wing extremism within civil society.

Europe and North America
It strikes us as necessary to adopt a specific spatial perspective – defined here as encompassing Europe and North America – if we are to identify national peculiarities as well as common far-right attitudes and politics. What national traditions and continuities could far-right politics build on after 1945? Where can we identify ruptures – and were they necessary to gaining societal support? What part was played by ideas of Europe and European cooperation? What forms of right-wing extremism emerged in western and eastern Europe, respectively? What forms of transnational far-right cooperation are observable – with regard, for instance, to the strategies of far-right terrorism?

Comparison
In a historical perspective, right-wing extremism builds on various national traditions while also displaying certain supranational features in its thought and political styles. How, then, can we make systematic comparisons – in terms, for instance, of supporters, sponsors or activities? What are the sources on which historians of right-wing extremism in Europe may draw? Does it make sense to draw comparisons between forms of far-right politics in different continents?

Responses
A key part in society’s discourse on right-wing extremism is played by its opponents, by the police, the legal system and other actors. They contribute to determining who is to be considered far-right – and when and why. How did the organs of state and civil society in Europe respond to far-right activities? How was awareness of right-wing extremism generated, and with what consequences? What was considered far-right and when? What were the groups that took a stand against far-right politics and attitudes, and what means did they choose? How did individuals and social groups threatened by far-right agitation and violence organise, and in what form? is there an observable correlation between waves of reckoning with National Socialism and fascism on the one hand and the fortunes of right-wing extremism on the other?
We hope to explore proposals and discuss further questions at a conference hosted by the Friedrich Ebert Stiftung in Berlin on 29-30 September 2022, in preparation for an issue of the journal Archiv für Sozialgeschichte (vol. 63, 2023) dedicated to this general topic. We invite all interested researchers to submit their proposals by 30 June 2022 (by email to afs[at]fes.de). Proposals should not exceed 3,000 characters and may – like the finished texts – be written in German or English. The proposals chosen by the editors for inclusion in the projected issue should be developed as articles of approximately 60,000 characters, to be completed no later than 31 January 2023.

Kontakt

Dr. Philipp Kufferath
E-Mail: afs@fes.de
Tel.: +49 228 883-8057

https://www.fes.de/afs/cfp
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Englisch, Deutsch
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