Luft ist als ein „elementares Medium“ (Durham Peters 2015) in Zeiten von Klimadiskussionen und Fragen nach wissenschaftlicher Evidenz verstärkt in die Aufmerksamkeit von (bild-)historischen und medienwissenschaftlichen Auseinandersetzungen gerückt. Dabei ist Luft gerade jenes Medium, das zwar zum einen ubiquitär vorhanden, zum anderen aber auch immer unsichtbar ist. Dass Mediendiskurse immer mit der Frage nach Sichtbarkeit(en) – und damit im Kern bildhistorischen Diskursen – verbunden sind, spiegelt sich in Medium Luft exemplarisch.
Klima und Klimawandel werden nicht nur durch Medien erst sicht- und vermittelbar, sondern durch diese auch produziert, indem Daten gesammelt, aufgearbeitet und dargestellt werden (Schneider 2018). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Klimawandel kein reales Phänomen ist, sondern dass das Wissen um ihn technisch und visuell generiert und dadurch geformt ist. Medien leisten dabei grundsätzlich eine Übersetzungsarbeit. So dienen z.B. Tabellen, Grafiken und Bilder, aber auch Apparate wie Mikroskope und Sensoren zum einen der Messung und zum anderen der Sichtbarmachung von Phänomenen wie z.B. Feinstaub – der selbst wiederum die Luft als dessen Trägerin sichtbar macht. Luftverschmutzung kann zunächst unsichtbar sein und muss oft selbst erst durch Sensortechniken und im weitesten Sinne durch eine Datafizierung sichtbargemacht werden (z.B. Under the Dome, R: Chai Jing, China 2015).
Ferner lässt sich mit der Luft Anschluss an einen weiteren aktuellen Diskurs nehmen, der in verschiedenen Ausprägungen vom Umweltlichwerden der Medien (u.a. Hörl/Burton 2017), einem „mediocene“ (Engell/Siegert 2018) oder von „medianatures“ (Parikka 2012) spricht. Die Idee, dass Medien Umwelten bilden, wird hier umgekehrt: Umwelten selbst können Medien darstellen (Durham Peters 2015). Angestoßen von der Auseinandersetzung mit dem Anthropozän liegt somit die unhintergehbare Verwobenheit vermeintlicher „Natur“ und Technik auf der Hand.
Insbesondere die Luft kann hierbei einen Ansatzpunkt bieten: Ist sie doch spätestens seit dem sogenannten Anthropozän längst nicht mehr eine „reine“ Natur. Während die „Arbeit der Reinigung“ der Moderne(n) von Bruno Latour kritisiert wird, so scheint diese jedoch im Bereich der Naturmedien dringend geboten. Die „Arbeit der Hybridisierung“, die innerhalb der Kunst/Geschichte auch unter Verflechtungsgeschichte oder Entangled History betrieben wird, sieht sich im Kontext der Naturmedien wie Wasser und Luft mit einem Reinheitsdiskurs konfrontiert, mit dem sie sich schwerlich vereinbaren lässt. Die Luft und der Luftraum sind zum einen technisch(-militärisch) durchdrungen (z.B. durch WLAN, Radiowellen, Sensortechniken, Drohnen) und zum anderen durch Smog, Feinstaub und Radioaktivität zu einem „verunreinigten“ Medium geworden. Daran schließt die Frage an, auf welche Weise die Luft und ihre Verschmutzung politischen und historischen Wandlungen unterliegen (Mirzoeff 2014).
Als dasjenige Element, das medientheoretische Annahmen exemplifiziert, die von einer Ubiquität bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit ausgehen, soll die Luft den Ausgangspunkt für einen Workshop darstellen, der sich den Fragen der visuellen und historischen Fixierung eines genuin ephemeren Gegenstandes widmet. Im Workshop sollen die lebensspendenden und produktiven Eigenschaften der Luft, als Trägerin von Sauerstoff, Samen, aber auch des Schalls ebenso behandelt werden, wie diejenigen Phänomene, in denen Luft als destruktives Trägermedium von potentiellen Gefahren oder gar Katastrophen auftritt, sei es in Form von Stürmen, Smog, Tränengas (Feigenbaum 2017) oder im Rahmen der COVID-19-Pandemie als Ort viraler Ansteckung.
Der Workshop soll die Diskussion um die Geschichtlichkeit der Medien einerseits und die Medialität der Geschichte andererseits verbinden. Dabei sollen bildwissenschaftliche Fragen nach Un/Sichtbarkeiten um die historischen Fragen danach, welchen zeitlichen und epistemischen Konjunkturen sie unterliegen, erweitert werden. Wie können genuin ephemere und unsichtbare Phänomene historisiert und visualisiert werden? Welche Medien und Akteure sind an diesen Prozessen beteiligt? Welche Brüche ergeben sich durch Medienwechsel?
Wenn die Sichtbarkeit des Mediums nicht gegeben ist, muss gefragt werden, wie Luft sonst erfahrbar gemacht wird und welche anderen Sinne an diesen Erfahrungen beteiligt sind. In diesem Sinne soll auch nach Anknüpfungspunkten an eine „History of Experience“ oder „History of Senses“ und nach einer möglichen Theoretisierung derselben gefragt werden. Das Wechsel- und Spannungsverhältnis von Medien und Geschichte soll dabei ernst genommen werden und somit nicht nur nach einer Geschichte der Medien gefragt, sondern auch eine Geschichtstheorie unter neuen Medienbedingungen erprobt werden. Was bedeutet es für eine Geschichtstheorie, wenn sie nicht mehr nur ausgehend von letztlich relativ gut fassbaren Medien, wie z.B. dem Buch oder dem Radio, gedacht werden muss, sondern ausgehend von einem elementaren, ubiquitären Medium, der Luft – einer genuinen Umwelt.
Für die Beiträge ist eine Länge von 20 Minuten vorgesehen. Im Anschluss ist je eine 40-minütige Diskussion geplant. Wir bitten bis zum 30.8. um Abstracts mit einer Länge von max. 350 Wörtern und einer kurzen biografischen Notiz an eva-maria.gillich@uni-bielefeld.de und maja-lisa.mueller@uni-bielefeld.de.Die Veranstaltung ist unter Vorbehalt der geltenden COVID-19-Bestimmungen in Präsenz geplant.