Der historische Vergleich. Erkenntnisgewinn und Kampfzone

Der historische Vergleich. Erkenntnisgewinn und Kampfzone

Veranstalter
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte
Veranstaltungsort
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
PLZ
1010
Ort
Wien
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
06.10.2022 - 07.10.2022
Von
Johannes Feichtinger, Institut für Kulturwissenschaften, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Was leistet der historische Vergleich? Welche Vergleiche sind legitim? Welche sind gesellschaftlich tabuisiert? Und warum? Der Vergleich zählt zu den Grundoperationen der Produktion von Wissen über Vergangenheit und Gegenwart. In den Geistes- Sozial- und Kulturwissenschaften ist das Ziehen von Vergleichen ein methodisches Werkzeug, sei es implizit oder – wie in der Komparatistik – explizit. Erst durch Vergleiche wird es möglich, Ereignisse und Prozesse in ihre Kontexte einzuordnen.

Der historische Vergleich. Erkenntnisgewinn und Kampfzone

Was leistet der historische Vergleich? Welche Vergleiche sind legitim? Welche sind gesellschaftlich tabuisiert? Und warum? Der Vergleich zählt zu den Grundoperationen der Produktion von Wissen über Vergangenheit und Gegenwart. In den Geistes- Sozial- und Kulturwissenschaften ist das Ziehen von Vergleichen ein methodisches Werkzeug, sei es implizit oder – wie in der Komparatistik – explizit. Erst durch Vergleiche wird es möglich, Ereignisse und Prozesse in ihre Kontexte einzuordnen.

Gegenwärtig hat der historische Vergleich erneut Konjunktur. Im Ukraine-Krieg wird ein ganzes Register an Vergleichsargumenten aufgerufen und deren Legitimität kritisch diskutiert. Mit dem Begriff der „Entnazifizierung“ versucht die russische Führung den Angriffskrieg zu rechtfertigen; die europäischen Maßnahmen gegen Russland werden u.a. mit dem Scheitern der Appeasement-Politik gegenüber der aggressiven Expansion des NS-Staates begründet. An der Frage der Zulässigkeit bzw. Angemessenheit des historischen Vergleichs zwischen NS- und Kolonialverbrechen, zwischen der Shoah und anderen Genoziden entzündete sich der so genannte Historikerstreit 2.0. Die Frage des Vergleichs von Antisemitismus und Rassismus und der Legitimität von Kritik am israelischen Staat spaltet derzeit die Antisemitismus-Forschung. Die Verwendung von „Judensternen“ auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen stößt auf internationale Empörung.

Die Funktion des historischen Vergleichs als Konfliktgenerator zeigt sich bereits in vergangenen Kontroversen um die Beurteilung der Vergangenheit – etwa beim Historikerstreit 1986 über die Vergleichbarkeit von nationalsozialistischen und stalinistischen Verbrechen. Erstmals wurde dabei auch die Frage nach den Grenzen und der Zulässigkeit von historischen Vergleichen diskutiert. Aber bereits zuvor wurden geschichtspolitische Auseinandersetzungen auf der Grundlage von Vergleichen geführt: in der Zeit des Kalten Kriegs bildete die Kontroverse um Faschismus- und Totalitarismustheorie die historische Grundierung der ideologischen Lager. In Österreich wird nach wie vor um den faschistischen Charakter der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur gestritten – vor dem Hintergrund des Vergleichs mit anderen diktatorischen Regimen.

In der Konferenz Der historische Vergleich. Erkenntnisgewinn und Kampfzone wird der Vergleich als wissenschaftliche Methode und als geschichtspolitisches Argument diskutiert. Ziel ist es, die wissenschaftliche Praxis des Vergleichens explizit zu machen und die strategische Funktion von Vergleichen in geschichtspolitischen Debatten kritisch zu durchleuchten.

Konzept: Johannes Feichtinger, Ljiljana Radonić, Heidemarie Uhl
Organisation: Caroline Hofer, Heidemarie Uhl
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte

Programm

Donnerstag, 06. Oktober 2022

14:00–14:30 Uhr Einführung
Johannes Feichtinger, Ljiljana Radonić, Heidemarie Uhl

14:30–16:00 Uhr Keynote lectures
Moderation: Ljiljana Radonić (Wien)

Martin Sabrow (Potsdam): Der historische Vergleich als (geschichts)politisches Argument

Willibald Steinmetz (Bielefeld): Empörende Vergleiche - Überlegungen zur Typologie und Geschichte (1500–2022)

16:00–16:30 Uhr Kaffeepause

16:30–17:30 Uhr
Moderation: Franz L. Fillafer (Wien)

Dorothee Kimmich (Tübingen): Ähnlichkeiten vergleichen? Überlegungen zur Struktur kulturwissenschaftlicher Vergleiche

Nicole Immler (Utrecht): Ein relationaler Ansatz für historisches Unrecht. Lehren aus Transitional Justice für Debatten unter Historiker:innen

17:30–18:00 Uhr Kaffeepause

18:00 Uhr Abendvortrag
Moderation: Johannes Feichtinger (Wien)

Joachim von Puttkamer (Jena): „Wie 1939“. Historische Vergleiche im Ukrainekrieg

Freitag, 07. Oktober 2022

09:30–11:00 Uhr
Moderation: Éva Kovács (Wien)

Heidemarie Uhl (Wien): Compared to what? Vom erstem Historikerstreit zum Historikerstreit 2.0

Patrick Siegele (Dornbirn/Wien), Moritz Wein (Wien): Beispiele aus der pädagogischen Praxis: Aktuelle Vergleichsdiskurse innerhalb der IHRA und die Verflechtung und Multiperspektivität in Lernmaterialien von „erinnern.at“

Ljiljana Radonić (Wien): Konkurrierende Erinnerungen und Opferhierarchien im östlichen Europa

11:00–11:30 Uhr Kaffeepause

11:30–12:30 Uhr
Moderation: Heidemarie Uhl (Wien)

Claus Leggewie (Gießen): „Das kann man nicht vergleichen“. Vom Nutzen und Nachteil der Geschichte für die Zeitdiagnose

Stefan Benedik (Wien), Lukas Pletz (Graz): Innenpolitikgeschichte kuratorisch entisolieren. Vergleich als ein Weg aus geschichtspolitischen Sackgassen

12:30–14:00 Uhr Mittagspause

14:00–15:30 Uhr
Moderation: Jana Osterkamp (München)

Oto Luthar (Ljubljana): Pigs Head vs TITO. The Symbolic Narrative of Historical Negation and Resistance

Markus Wurzer (Halle): Italiani, brava gente? Vergleich als geschichtspolitisches Argument im republikanischen Italien

Vanessa Tautter (Brighton/Wien): Widersprüchliche Erinnerungen an historische Gewalt: Familiengeschichte(n), politische Mobilisierung und ‚offizielles‘ Gedenken in Österreich und Nordirland – Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs

15:30–16:00 Uhr Kaffeepause

16:00–17:30 Uhr
Moderation: Peter Becker (Wien)

Maciej Górny (Warschau): Was darf verglichen werden? Kulturen der Niederlage auf beiden Seiten des Atlantiks

Steffen Höhne (Weimar): Abgrenzung per Vergleich? Die multikonfessionelle und -linguale Bukowina zwischen 1774/75 und 1940

Franz L. Fillafer (Wien), Pieter M. Judson (Florenz): The Habsburg Monarchy Among the Empires. The Urgency of Comparison

Kontakt

Caroline Hofer, ÖAW

https://www.oeaw.ac.at/ikt/veranstaltungen/veranstaltungsdetails/jahreskonferenz-2022
Redaktion
Veröffentlicht am