Umsiedlung und die Ordnung des Raumes. Bevölkerungsverschiebungen in landeshistorischer und vergleichender Perspektive

Umsiedlung und die Ordnung des Raumes. Bevölkerungsverschiebungen in landeshistorischer und vergleichender Perspektive

Veranstalter
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale)
Veranstaltungsort
Hörsaal des Landesmuseums für Vorgeschichte, Richard-Wagner-Straße 9
PLZ
06114
Ort
Halle (Saale)
Land
Deutschland
Findet statt
Hybrid
Vom - Bis
01.11.2022 - 02.11.2022
Deadline
28.10.2022
Von
Justus Vesting, Institut für Landesgeschichte, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Als geplante und organisierte Verschiebung von Bevölkerung will der Workshop Umsiedlung als Quellenbegriff aus verschiedenen Forschungsperspektiven beleuchten: Aushandlung von Legitimität und Illegitimität, Praktiken des Umsiedelns, Raumkonfigurationen und gesellschaftliche Differenz sowie Erinnerung und Vermittlung von Umsiedlung.

Umsiedlung und die Ordnung des Raumes. Bevölkerungsverschiebungen in landeshistorischer und vergleichender Perspektive

Umsiedlung als die geplante und organisierte Verschiebung von Bevölkerung stand bislang vor allem hinsichtlich der Dimensionen staatlichen Gewalthandels, insbesondere mit Blick auf den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg, gelegentlich hinsichtlich der Umsiedlungen an der innerdeutschen Grenze, im Mittelpunkt geschichtswissenschaftlicher Forschung. Gleichzeitig verweisen jüngere Studien zur Geschichte der Raumplanung und Raumordnung auf die ideologische Überdeterminiertheit dieses sozialtechnologischen Schlüsselbegriffs seit den 1920er-Jahren. Die Praktiken und der Vollzug der Umsiedlung finden dabei weniger Aufmerksamkeit. Gemein ist beiden Ansätzen darüber hinaus, dass sie sich auf Umsiedlung als staatlich organisiertes Zwangs- und Gewalthandeln konzentrieren; privatwirtschaftliche organisierte Umsiedlung im Kontext der Anwendung von Großtechnologien (Kernkraftwerke, Braunkohlenbergbau, Autobahnbau) aber wenig Beachtung schenken. Im Rahmen des Workshops soll angesichts des 70. Jahrestages des Beginns der „Aktion Grenze“ (in Thüringen „Aktion Ungeziefer“) erstmals vergleichend, landeshistorisch und systemübergreifend nach Umsiedlung gefragt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die folgenden Komplexe:

1. Aushandlung von Legitimität und Illegitimität von Umsiedlung: Welche Formen von Umsiedlung galten wann und warum als legitim, wann als illegitim? Welche Strategien der Skandalisierung und Kriminalisierung; welche Formen der Rechtfertigung und Begründung lassen sich identifizieren? Inwieweit wurden über den Begriff der Umsiedlung einerseits die staatliche Verfügungsmacht über Individuen, andererseits der staatliche Zugriff auf den Raum verhandelt?

2. Wiedergutmachung, Entschädigung und Erinnerung: Welche Vergangenheitspolitiken konzentrierten sich auf den Begriff und das Phänomen der Umsiedlung, welche Opfergruppen konstituierten sich mithilfe welcher Strategien? Wie erfolgt die juristische, wie die historische und wie die gesellschaftlich-kulturelle Aufarbeitung? Welche Blindstellen und Opferkonkurrenzen entwickelten sich daraus?

3. Praktiken des Umsiedelns: Wie wurde versucht, Bevölkerung zum Verlassen eines Gebietes zu bewegen? Welche Formen der Gewalt und welche Formen der (gelenkten) Freiwilligkeit lassen sich identifizieren? Wie unterschieden sich staatliche und privatwirtschaftliche Umsiedlungspraktiken? Inwieweit eröffneten sich Handlungsspielräume und welche Rolle spielte der Eigensinn der Umzusiedelnden?

4. Raumkonfigurationen, Bevölkerungswissen und Differenz: Inwieweit basierte Umsiedlung auf einem Ensemble an Techniken zur Herstellung des Wissens über Raum wie z.B. Eigentumskataster, Fragebögen, Landesvermessung etc.? Inwiefern wurden über Begriffe und Umsiedlungspraktiken immer auch die Identität und die Zukunft von Raum ausgehandelt? Inwieweit stellte Umsiedlung einen Modus der Generierung von und des Umgangs mit gesellschaftlicher Differenz seit dem späten 19. Jahrhundert dar?

Angestrebt wird, Umsiedlung nicht als Analyse-, sondern als Quellenbegriff zu behandeln und zu untersuchen, wie im kleinsten Raum regionale, nationale und internationale Auseinandersetzung zusammenfielen und so zu Kristallisationspunkten für grundsätzliche Widersprüche des 20. Jahrhunderts avancierten. Der Workshop leistet so einen Beitrag zur Erforschung des Verhältnisses von Raum, Bevölkerung, Ökonomie und Staat seit dem späten 19. Jahrhundert.

Die Tagungsteilnahme ist kostenfrei, aber das Platzkontingent ist begrenzt. Deshalb bitten wir um eine Anmeldung per E-Mail an landesgeschichte@lda.stk.sachsen-anhalt.de bis zum 28. Oktober 2022. Zu beachten sind die zu dieser Zeit gültigen gesetzlichen Regelungen zur Einschränkung des Infektionsgeschehens. Eine digitale Teilnahme an dem Workshop ist ebenfalls möglich.

Programm

01. November 2022

12:30–13:00 Uhr
Jan Kellershohn (Halle): Begrüßung und Einführung

13:00–15:00 Uhr Panel I: Bevölkerungsverschiebung und Ökonomie
Moderation: Judith Schmidt (Bonn)

Marko Kreutzmann (Jena): Herrschaftliche Willkür oder Soziale Politik? Diskurse und Praktiken der Umsiedlung von Dorfgemeinschaften in Thüringen im 19. Jahrhundert

Jan Kellershohn (Halle): Im Schatten der Bagger. Im Schatten der Bagger. Mikropolitische Handlungsspielräume bei bergbaubedingten Umsiedlungen im mitteldeutschen Braunkohlenrevier, 1930er- bis 1950er-Jahre

Christoph Strupp (Hamburg): „Kein Geld und keinen Sand! Wir bleiben auf unserem Land!“ Die Auseinandersetzungen um die Erweiterung des Hamburger Hafens in den siebziger und achtziger Jahren

15:30–17:30 Uhr Panel II: Bevölkerungsverschiebung und Ethnizität
Moderation: Andrej Stephan (Halle)

Krisztina Kaltenecker (Budapest): Kontinuitäten und Diskontinuitäten bei der Umsiedlung und Raum-Ordnung in Ungarn und Hessen 1939–1954. Ethno-Management und Social Engineering am Beispiel der Ungarndeutschen

Sarah Maya Vercruysse (Luxemburg): The Umsiedlung of Families of Luxembourgish Recruits during the Nazi Occupation (1942–1945)

Philipp Kröger (Siegen): Ethnopolitische Technologien – Statistik, Passsysteme und Karteien als Instrumente der Bevölkerungspolitik im Ersten und Zweiten Weltkrieg

18:00–20:00 Uhr Abendvortrag
Sina Steglich (London): Sein als Siedeln oder Unterwegs-Sein? Im/Mobilität und Um/Welt menschlicher Soziabilität
Moderation: Jan Kellershohn (Halle)

02. November 2022

09:00–11:30 Uhr Panel III: Bevölkerungsverschiebung und Politik
Moderation: Johanna Keller (Halle)

Anke Geier (Suhl): „Aktion Oberhof“: Vertreibungen aus Oberhof 1950/51 als Blaupause der Zwangsumsiedlungen an der innerdeutschen Grenze

Justus Vesting (Halle): Umsiedlung als Bedrohungskommunikation. Zwangsmigration und Rückkehr 1952 in der Harzgemeinde Stapelburg

Daniel Ziemer (Berlin): Vertreibung, Flucht, (Zwangs-)Umsiedlung? Zur Semantik von Zwangsmigration in der Public History

12:00–12:30 Uhr Abschlussdiskussion
Moderation: Jan Kellershohn und Justus Vesting

Kontakt

Abteilung Institut für Landesgeschichte
LDA Sachsen-Anhalt
Dr. Jan Kellershohn
Tel.: +49 345 2939-796

Justus Vesting, M.A.
Tel.: +49 345 2939-793
E-Mail: landesgeschichte@lda.stk.sachsen-anhalt.de

https://archlsa.de/institut-fuer-landesgeschichte.html