Welche Bedeutung haben Emotionen für die Ausgestaltung kriegerischer Konflikte und der in ihnen zum Tragen kommenden Gewaltpraktiken? Diese Frage hat die militärgeschichtliche Forschung lange Zeit nur wenig interessiert. Erst durch ihre Öffnung für kulturgeschichtliche und anthropologische Fragestellungen hat sie den Wechselwirkungen zwischen Krieg und Emotionen eine erhöhte Relevanz zugeschrieben. Seither gab es in Anlehnung an John Keegans Forschungen1, der die Perspektive der einzelnen, direkt am kriegerischen Geschehen beteiligten Kombattanten in den Blick nahm, immer wieder Ansätze, die Gefühlswelten historischer Akteure in Gewaltgeschehen zu ergründen. Hierzu zählen beispielsweise Arbeiten, die, Jonathan Shays Studien zum PTSD-Syndrom2 folgend, Nachweise darüber zu erbringen versuchen, dass Krieger vormoderner militärischer Auseinandersetzungen ähnlichen Emotionen ausgesetzt gewesen sind wie Soldaten moderner Kriege.
Doch Zugriffe dieser Art greifen in mehrfacher Hinsicht zu kurz. Nicht nur widersprechen sie dem aktuellen Forschungskonsens, dass die Erfahrung und der Ausdruck von Emotionen ebenso wie die Ausübung und das Erleiden von Gewalt grundsätzlich einer kulturellen und historischen Bedingtheit unterliegen. Vielmehr scheint das Problem auch darin zu liegen, dass sie von einer grundsätzlichen Zugänglichkeit der „tatsächlich“ von den Akteuren erfahrenen Emotionen ausgehen. Aber trifft diese Annahme zu? Oder sollten wir unser Augenmerk eher darauf richten, die in den überlieferten Quellen vorgenommenen Darstellungsweisen von Emotionen historisch zu kontextualisieren und politisch-militärische Strategien, die mit Emotionen arbeiteten, freizulegen?
Mit diesem Workshop verfolgen wir mithin ein doppeltes Ziel: Einerseits wollen wir die Bedeutung ausloten, die Emotionen für die Dynamiken des Kriegsgeschehens in den Narrativen der Quellen zugeschrieben werden. Andererseits wollen wir danach fragen, wie Emotionen als gezielte Strategie der Kriegführung eingesetzt wurden.
Wie wurden plötzliche Überraschungsangriffe, langwährende Belagerungen, Verstümmelungen von lebenden und toten Körpern sowie andere Formen exzessiver Gewalt dazu genutzt, um eine (emotionale) Überrumpelung, allmähliche Zermürbung oder Abschreckung der Gegner zu erzielen? Wie haben sich diese Praktiken dabei auf die Gefühlswelt der beteiligten historischen Akteure ausgewirkt? Oder sind die in unseren Quellen vorhandenen Erzählmuster in erster Linie topischen Charakters, die Gegner zu diffamieren oder die eigene Niederlage zu exkulpieren suchten? Daran anknüpfend stellen sich Fragen nach der Bedeutung von Emotionen für das nachträgliche kollektive Bewältigen und Erinnern von Gewalthandlungen. Erlittenes wie auch begangenes exzessives Gewalthandeln konnte gesellschaftlich wie politisch auf ganz unterschiedlichen Wegen verarbeitet werden. Schließlich ist danach zu fragen, ob und inwiefern die Art und Weise, wie Emotionen in den Quellen thematisiert und dargestellt wurden, bestimmten stilistischen und ästhetischen Vorstellungen unterlagen und wie sich diese im Laufe der Zeit wandelten.
Der geplante Workshop richtet sich an Promovierende und Postdocs aus den vormodernen Epochen und benachbarten Disziplinen. Wir begrüßen sowohl Fallstudien als auch konzeptionelle Beiträge, die sich mit einem der folgenden Aspekte oder verwandten Themen beschäftigen:
- Attribuierung und Tabuisierung von Emotionen: Welche Differenzierungen zwischen verschiedenen Akteuren und verschiedenen Personengruppen werden vorgenommen? Inwieweit werden deren Emotionen dabei als legitim oder illegitim dargestellt?
- Emotionen als Form der Bewältigung von Kriegserfahrungen: Wie wird mit Siegen oder Niederlagen umgegangen? Wie wird exzessive Gewalt auf Täter- und Opferseite erinnert?
- Narrative Darstellung von Emotionen im Krieg: Welche Emotionen vor, während und nach den militärischen Auseinandersetzungen werden den beteiligten Akteuren in der zeitgenössischen Historiographie, Literatur und Kunst zugeschrieben – und aus welchen Gründen?
- Ästhetische Diskurse zur Darstellung von Emotionen im Krieg: Welche Strategien der historiographischen, literarischen und künstlerischen Thematisierung von Emotionen werden aus welchen Gründen verfolgt? Welche Debatten über Ästhetik und Nutzen der Darstellung werden dabei geführt?
- Emotionen als Ressource: Inwieweit werden Emotionen als gezielte Strategie der Kriegführung eingesetzt? Welche Funktionen erfüllen Emotionen für die Initiierung und Aufrechterhaltung der Kampfbereitschaft?
Bitte reichen Sie bis zum 15. November 2022 Vorschläge im Umfang von max. 300 Wörtern für 20-minütige deutsch- oder englischsprachige Beiträge bei Franziska Quaas (franziska.quaas@uni-hamburg.de) und Theresia Raum (theresia.raum@uni-hamburg.de) ein. Eine Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten ist (vorbehaltlich der Mittelbewilligung) vorgesehen. Zudem ist eine Publikation der Tagungsbeiträge geplant.
Anmerkungen:
1 John Keegan: The Face of Battle, London 1976; vgl. Philip Sabin: The Face of the Roman Battle, Journal of Roman Studies 90 (2000), S. 1–17.
2 Jonathan Shay: Achilles in Vietnam. Combat Trauma and the Undoing of Character, New York 1995; vgl. Stefan Chrissanthos: Aeneas in Iraq. Comparing the Roman and Modern Battle Experience. In: Michael B. Cosmopoulos (Hrsg.): Experiencing War. Trauma and Society in Greece and Today, Chicago 2007, S. 225–257; vgl. Aislinn Melchior: Caesar in Vietnam: Did Roman Soldiers Suffer From Post-Traumatic Stress Disorder? Greece & Rome 58 (2011), S. 209–223; vgl. Lawrence A. Trittle: From Melos to My Lai. War and survival, London 2000.