Frauenbewegungen und Wissensformationen – politische und epistemische Praktiken

Frauenbewegungen und Wissensformationen – politische und epistemische Praktiken

Organizer
Johanna Gehmacher/Dietlind Hüchtker, Universität Wien
ZIP
1090
Location
Wien
Country
Austria
Takes place
In Attendance
From - Until
27.10.2022 -
Deadline
15.12.2022
By
Dietlind Hüchtker, Fakultätszentrum für transdisziplinäre historisch-kulturwissenschaftliche Studien, Universität Wien

Frauenbewegungen und Wissensformationen – politische und epistemische Praktiken

In dem OeZG-Band sollen Wissensformationen und Politik am Beispiel von Frauenbewegungen und Feminismen im 19. und 20. Jahrhundert untersucht werden.

Women’s Movements and Formations of Knowledge – Political and Epistemic

The OeZG issue on the entanglements between political strategies and epistemic interconnections plans to combine and reassess earlier approaches to knowledge formations and politics by concentrating on the case of women’s movements and feminisms in the 19th and 20th centuries.

Frauenbewegungen und Wissensformationen – politische und epistemische Praktiken

Der Begriff Feminismus tritt im späten 20. Jahrhundert als vielverwendete Chiffre sowohl für ein politisches Programm als auch für eine Wissensformation in Erscheinung. Das hat seine Wurzeln nicht zuletzt in der dynamischen Verbindung zwischen den in den 1970er und 1980er Jahren aufkommenden Frauenbewegungen und der Etablierung von Frauen- und Geschlechterforschung als wissenschaftlicher Disziplin. Auf die ebenso produktive wie konfliktträchtige Beziehung haben bereits eine Reihe von Forscher:innen in diesem Feld hingewiesen. Die enge Verflechtung von politischen und epistemischen Praktiken ist allerdings historisch nicht neu, sondern lässt sich bereits für jene Frauenbewegungen unterschiedlicher politischer Orientierung zeigen, die im späten 19. Jahrhundert sowohl in vielen Industriestaaten als auch in einer Reihe von Ländern des globalen Südens aufblühten und in der Folge vielerorts beträchtliche öffentliche Wahrnehmung erlangten. Deren Protagonistinnen betrachteten die Generierung und Zirkulation differenzierter Wissensbestände (u.a. über die Lebenssituationen von Frauen unterschiedlicher Klassen, über geschlechterdifferenzierendes Recht, aber auch über Bewegungen in verschiedenen Ländern) als bedeutendes Mittel ihres politischen Kampfes.

Die für den Feminismus der 1970er und 1980er Jahre beschriebene Spannung zwischen politischen Zielsetzungen einer Bewegung und akademischen Geltungsansprüchen einer Wissensformation lässt sich daher, auch wenn Wissen aufgrund des Ausschlusses von Frauen aus der Academia mehrheitlich außerhalb von Universitäten generiert wurde, in ähnlicher Weise für Frauenbewegungen um 1900 nachweisen. Die Konstituierung und Lancierung unterschiedlicher sozialer und politischer Fragen ist damit in Frauenbewegungen und Feminismen seit dem späten 19. Jahrhundert von (konflikthaften) Dynamiken zwischen politischen Forderungen und Wissenspraktiken getragen. Auch die Selbsthistorisierung wird in diesem Zusammenhang nicht selten zu einem strategischen Mittel in der Auseinandersetzung um Positionen, Strategien und Geltungsansprüche.

Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik wird seit langem am Beispiel unterschiedlicher Bewegungen geforscht. Und doch werden in den Analysen bislang häufig diachrone, auf die jeweiligen Nationalgeschichten ausgerichtete Narrative der Befreiung und Professionalisierung entworfen, in denen die politischen Strukturen und Ereignisse vor allem als Rahmenerzählungen fungieren. Damit besteht nicht nur die Gefahr des methodischen Nationalismus, es überwiegen auf diese Weise auch teleologische, immanente Erzählungen, während synchrone und transnationale Zusammenhänge fehlen. Verflechtungen zwischen politischen Strategien und Strategien der Wissensgenerierung werden zwar immer wieder benannt, selten aber zum zentralen Untersuchungsgegenstand gemacht. Worin genau die Zusammenhänge zwischen Geschichte, Wissen und Wissenschaft bestanden und bestehen, inwiefern politische sich in wissenschaftlichen und wissenschaftliche in politischen Konjunkturen spiegeln, welche epistemischen Zusammenhänge in welchen Räumen produziert wurden, lohnt daher ein neuerliches, genaues Hinsehen.

In dem geplanten OeZG- Band zur Verflechtung von politischen Strategien und epistemischen Zusammenhängen sollen bisherige Forschungsansätze zu Wissensformationen und Politik am Beispiel von Frauenbewegungen und Feminismen im 19. und 20. Jahrhundert zusammengeführt werden. Anhand von exemplarischen Studien, die auch transnationale, imperiale und koloniale Kontexte berücksichtigen, sollen unterschiedliche Praktiken der Generierung von Wissen in ihren synchronen und grenzüberschreitenden Bezügen untersucht werden. Der Blick auf Frauenbewegungen wird es dabei ermöglichen, synchrone und diachrone Perspektiven zu verbinden und den Zusammenhang zwischen politischen Kontexten, Wissensgenerierung, Wissenszirkulation und der Einbindung von Wissensbeständen in politische Diskurse zu analysieren. Dies erlaubt, um hier nur ein Beispiel zu nennen, Beziehungen zwischen der Konstituierung von empirischen Sozialstudien, der Etablierung der Soziologie und transnationalem frauenpolitischem Engagement in neuer Weise zum Thema zu machen.

Zwei Ziele verbinden sich mit diesem Herangehen: Erstens sollen die Innensichten diachroner Bewegungsgeschichten synchron ausdifferenziert und in transnationale Vernetzungen eingeordnet werden, woraus sich zweitens eine stärkere Einbindung der Frauenbewegungsgeschichten in wissens- und politikgeschichtliche Kontexte ergeben soll. Folgende Fragen und Themen könnten dabei die Beiträge leiten:
- Synchrone Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Politik: Wie waren frauenpolitisches Engagement, die Konstituierung zeitgenössischen Wissens und politische Ereignisse aufeinander bezogen?
- Intertextuelle Zusammenhänge zwischen den Geschichtsschreibungen über Frauenbewegungen: Wie wurde Wissen generiert, welche wissenschaftlichen und publizistischen Episteme wurden genutzt?
- Geschichte als Ressource für Bewegungen – Historisierungspraktiken
- Wissensgenerierende und politische Praxis in ihren Interdependenzen

Umfang der Beiträge: 55.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Fußnoten)
(https://journals.univie.ac.at/index.php/oezg/oezgstylesheet)
Geplanter Erscheinungstermin: 2/2025

Aussagekräftige Vorschläge für Beiträge im Umfang von 1- 2 Seiten bis 15. Dezember 2022 mit dem Hinweis „cfp: proposal“ erbeten an: admin.thks@univie.ac.at

Women’s Movements and Formations of Knowledge – Political and Epistemic

Feminism as a widely used term of the late 20th century refers to both a political agenda and a formation of knowledge. This multiple meaning is not least due to the dynamic connection between the burgeoning women’s movements and the establishment of women’s and gender studies as an academic discipline. Researchers of the field repeatedly commented on the productive, if conflictive, character of this relationship. Historically, however, these closely entangled political and epistemic practices are not a new phenomenon. Rather, they can also be shown in the context of the women’s movements of various political orientations emerging and gaining public attention in many industrialised countries and in a number of countries of the global South in the late 19th century. Many of their protagonists regarded the practice of producing and circulating differentiated corpora of knowledge (e.g. on the living conditions of women from different classes, on gender- specific laws, but also regarding movements in other countries) as an important means of political struggle.

The tension between the political aims of a movement and academic claims to validity can also be demonstrated for women’s movements around 1900, although their knowledge was mainly produced outside academia, from which women were excluded. Thus, conflicting dynamics between political demands and knowledge practices have characterised the strategies of women’s movements to frame and launch various social and political issues since the late 19th century. In disputes about positions, strategies and claims, self- historicisation also often becomes a strategic tool.

The relationship between science and politics has long been a topic of research. However, diachronic narratives and national histories of liberation and professionalisation have often dominated the analysis, and references to political structures and events often only served as additional information. This not only promotes a problematic methodological nationalism, but can also lead to teleological, immanent narratives lacking synchronic and transnational context. Although the interconnections between political strategies and knowledge production strategies are mentioned quite frequently, they rarely become the main object of research. Therefore, we believe the particular relationships and connections between history, knowledge, and science to be worthy of further and close analysis.

The OeZG issue on the entanglements between political strategies and epistemic interconnections plans to combine and reassess earlier approaches to knowledge formations and politics by concentrating on the case of women’s movements and feminisms in the 19th and 20th centuries. Exemplary studies that also include transnational, imperial and colonial contexts should open up new perspectives on parallel developments and historical backgrounds and help analyse interrelations between political contexts, knowledge production and circulation, and the inclusion of knowledge corpora into political discourses. Among other things, this will offer a fresh look at the connections between the introduction of empirical social studies, the establishment of sociology as a discipline, und transnational feminist engagement.

Two goals are linked to this approach: first the inside views of diachronic movement histories should be differentiated synchronically and linked to transnational networks. This will, secondly, allow a fuller integration of women’s movement histories into political histories and histories of knowledge. We are looking forward to proposals for articles on interdependencies between knowledge practices and political practices, e. g. one of the following questions and related topics:
- Synchronic relationships between academia and politics – what were the particular reference points between feminist engagement, the contemporary production of knowledge, and political events?
- Intertextual relationships between various historiographies on women’s movements – how did the authors produce and present this knowledge, what academic and journalistic epistemes did they use?
- History as a resource of movements – which practices of historicisation did political activists use?

Length of contributions: 55.000 characters (including spaces and footnotes). (https://journals.univie.ac.at/index.php/oezg/oezgstylesheet)
Planned publication date: 2/2025

Please send proposal outlines of 1- 2 pages to admin.thks@univie.ac.at by 15 December, please, add “cfp: proposal” in the reference line.

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