Geschichte in der digitalen Gegenwart – Geschichtsverständnisse zwischen ‚Postfaktizität‘ und neuen Evidenzen

Geschichte in der digitalen Gegenwart – Geschichtsverständnisse zwischen ‚Postfaktizität‘ und neuen Evidenzen

Veranstalter
Leibniz Research Network “Value of the Past”, Herder Institute for Historical Research on East Central Europe – Institute of the Leibniz Association, Association of Historians in Germany, Working group on Digital History, NFDI4Memory, Marburg Center for Digital Culture and Infrastructure (MCDCI), Luxembourg Center for Contemporary and Digital History (C²DH), Ľviv Center for Urban History (Herder Institute for Historical Research on East Central Europe – Institute of the Leibniz Association)
Ausrichter
Herder Institute for Historical Research on East Central Europe – Institute of the Leibniz Association
Veranstaltungsort
Herder Institute for Historical Research on East Central Europe – Institute of the Leibniz Association
PLZ
35037
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Findet statt
Hybrid
Vom - Bis
14.06.2023 - 16.06.2023
Deadline
30.11.2022
Von
Peter Haslinger, Geschichte Ostmitteleuropas, Herder Institut / Universität Gießen, Historisches Institut

Die Tagung geht von der These aus, dass der digitale Wandel historisches Forschen und Erzählen von Geschichte derzeit umfassend und irreversibel verändert – mit bleibenden Auswirkungen auf die Geschichtswissenschaften und ihren Stellenwert im öffentlichen Raum. Die Konferenzbeiträge sollen daher danach fragen, welche Evidenz- und Faktizitätskrisen durch veränderte Medienformate und Mediennutzungen aktuell entstehen.

Geschichte in der digitalen Gegenwart – Geschichtsverständnisse zwischen ‚Postfaktizität‘ und neuen Evidenzen

Die Tagung geht von der These aus, dass der digitale Wandel historisches Forschen und Erzählen von Geschichte derzeit umfassend und irreversibel verändert – mit bleibenden Auswirkungen auf die Geschichtswissenschaften und ihren Stellenwert im öffentlichen Raum. Der Wert der Vergangenheit wird daher durch den digitalen Wandel vielfach neu zu bewerten sein, und auch das Verhältnis zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis wird neu austariert. Die Konferenzbeiträge sollen danach fragen, welche Evidenz- und Faktizitätskrisen durch veränderte Medienformate und Mediennutzungen aktuell entstehen. Sie sollen danach fragen, welche Bedeutung dies für die Ausbildung von Geschichtsverständnissen zukünftig haben wird. Dabei möchte die Tagung auch zu einer Problematisierung des Begriffs des „postfaktischen Zeitalters“ und seinem „positivistischen Bias“ beitragen.

Die Tagung wird das Jahresthema in mehreren Sektionen akzentuieren. Ein erster Schwerpunkt soll sich den epistemologischen Grundlagen des Themas widmen. Unter welchen (neuen) Bedingungen erfolgt die Kanonisierung historischer Narrative im digitalen Raum und wie entstehen entsprechende Erzähl- und Gedächtnisgemeinschaften? Wie ist die offensichtliche Rückkehr der „großen“ Geschichtserzählungen und Geschichtsmythen zu bewerten? Wie soll z.B. die Wissensvermittlung in Gedächtnisinstitutionen und Mu-seen auf diese Art der „gefühlten Wahrheit“ reagieren?

Vor dem Hintergrund aktueller Geschichtsangebote im digitalen Raum sowie neuer Formen von digitalem Storytelling gilt es zweitens zu fragen, wie die Darstellung von Vergangenheit in digitalen Formaten historische Methoden zukünftig verändern wird. Hier sollen aktuelle Praktiken des Erarbeitens, Darstellens und der Diskussion von Fakten, Sachinformationen und Wertungen in den historisch arbeitenden Disziplinen und Forschungsmuseen mit Phänomenen außerhalb eines pluralistischen Wissenschaftsverständnisses kontrastiert werden. In den Blick geraten so historische Verschwörungstheorien, Desinformationskulturen und (pseudo)wissenschaftlich auftretende Vergangenheitserzählungen. Im Vordergrund steht die Frage, ob das „Postfaktische“ durch digitale Formate eher befördert wird und wenn ja durch welche? Welche Chancen ergeben sich aber auch aus der Auseinandersetzung mit fake pasts für die Weiterentwicklung historisch arbeitender Disziplinen? Welche Konsequenzen hat dies für die notwendigen Kompetenzen zukünftiger Historiker:innen?

Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung soll sich mit der Veränderung von Evidenzverfahren im Zuge des digitalen Wandels auseinandersetzen. Ausgehend von Grundfragen der Quellenkritik im digitalen Zeitalter werden die neuen Bedingungen für die Evidenz historischer Inhalte diskutiert. Hier geht es zum einen um die Auswirkungen von Quellenverlust – durch fehlende Archivierung digitaler Kommunikation – und Quel-lenüberschuss v.a. durch die massenhafte Verfügbarkeit digitaler Schrift- und Bildquellen. Es gilt zu fragen, welche neuen Methoden im Bereich der Digital Humanities zur Verfügung stehen oder entwickelt werden müssen, um einen adäquaten Umgang mit genuin digitalen Quellen (born digitals) in Zukunft sicherstellen zu können. Dies reicht von der digitalen Forensik über die hermeneutische Analyse digitaler Korpora mit technischen Tools bis hin zu neuen Methoden der Qualitätssicherung.

Ein letzter Fokus richtet sich auf die politische Dimension des „Postfaktischen“ und ihre medialen Grundlagen. Gerade vor dem Hintergrund des Kriegs Russlands gegen die Ukraine, aber auch angesichts populistischer Herausforderungen für Demokratien soll reflektiert werden, wie im digitalen Raum Geschichte als Waffe, politisches Legitimationsinstrument und Element für Desinformation genutzt wird. In diesem Rahmen sollen Strategien der Diskreditierung und Etablierung von Normen- und Wertsystemen analysiert werden: etwa in Bezug auf Geschichtsvorstellungen, „Alternativ-“ und Gegenerzählungen in autoritären Systemen und populistischen Bewegungen, oder aber in Bezug auf die Infragestellung wissenschaftlich-historischer Erkenntnisse, wie sie beispielsweise in biologistischen Geschichtsbildern, der Infragestellung des Klimawandels oder Schöpfungsgeschichten von Kreationisten zu finden sind.

Die Konferenz steht in direkter Verbindung mit dem Historikertag 2023 in Leipzig zum Generalthema „Fragile Fakten“. Mit dem Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History konnte zudem eines der international wichtigsten Zentren der Digital History als Mitveranstalter gewonnen werden, ebenso das Ľviv Centre for Urban History, eines der zentralen Hubs für Digital Humanities in der Ukraine.

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch (mit Übersetzung deutscher Beiträge ins Englische). Wir freuen uns über Vorschläge zu Einzel- und Gruppenpräsentationen. Schicken Sie bitte Titel, Kurzabstract (bis zu 15 Zeilen) und Kurz-CV in Englisch oder Deutsch bis 30. November 2022 an peter.haslinger@herder-institut.de und saupe@zzf.potsdam.de.

History in the digital present – The understanding of history between ‘post-factuality’ and new evidence

The conference builds on the assumption that the digital transformation is currently changing historical research and storytelling profoundly and irreversibly – and that this will have lasting effects on historical studies and their relevance in the public sphere. Therefore, the value of the past is to be re-assessed against the backdrop of digital transformation, and the relation between communicative and cultural memory is being redefined. The contributions to the conference should thus explore crises of evidence and factuality that arise from the transformation of media formats and media usages. They should address the impact this transformation will have on the formation of future historical consciousness. The conference will therefore also contribute to the critical reading of the concept of the ‘post-factual age’ and its ‘positivistic bias’.

The conference will cover the topic in several sections. A first focus will be on epistemological foundations. Under which (new) conditions does the canonization of historical narratives take place in the digital space and how do corresponding communities of memory emerge? How should we assess the obvious return of “grand” historical narratives and of historical myths? For example, how can memory institutions and museums react to this kind of “perceived truth” with their activities in the field of knowledge transfer?

Against the background of current history content in digital space and new forms of digital storytelling, it is also important to ask how the representation of the past in digital formats will have an impact on historical methods in the future. Here, current practices of analyzing, presenting and discussing facts and interpretations in the historical disciplines and research museums need to be contrasted with phenomena outside of a pluralistic understanding of science. Historical theories of conspiracy, cultures of disinformation and (pseudo)scientific narratives of the past come into focus here. The main question is whether the “post-factual” is more likely to be promoted by digital formats and if so, by which ones? And what opportunities arise from dealing with “fake pasts” for the further development of historical disciplines? What consequences does this have for the future skills of historians?

Another focus of the conference will be on the transformation of the validation of evidence in the course of digital transformation. In regard to key questions of source criticism in the digital age, the new conditions for the production of evidence upon which historical narratives are based are to be discussed. On the one hand, the conference is concerned with the consequences of the loss of sources – due to the lack of archiving of digital communication – as well as the sheer quantity of sources due to the massive availability of digital text and images online. It is important to ask which new methods are available or need to be developed in the field of digital humanities to ensure appropriate treatment of genuine digital sources (born digitals) in the future. This ranges from digital forensics to the hermeneutic analysis of digital corpora with technical tools requiring new methods of quality assurance.

Last but not least the conference will address the political dimension of the “post-truth” and its medial foundations. Especially against the background of Russia's war against Ukraine, but also in view of populist challenges for democracies, the aim is to reflect on how history is weaponized, becoming both, an instrument for the creation of political legitimacy and an device for disinformation in the digital space. In this context, strategies for establishing and discrediting systems of norms and values are to be analyzed: for example in relation to historical concepts, “alternative” and counter-narratives in authoritarian systems and populist movements, or in relation to the questioning of scholarly-historical findings, as they can be found, for example, in biologistic images of history, in the questioning of climate change or in the creation stories of creationists.

The conference is directly linked to the German Historikertag 2023 in Leipzig on the general topic of “Frag-ile Facts“. With the Luxembourg Center for Contemporary and Digital History, one of the most important international centers of digital history will be co-organizer, as well as the Ľviv Center for Urban History, one of the central hubs for digital humanities in Ukraine.

Conference languages are German and English (with translation of German contributions into English). We welcome suggestions for individual and group presentations. Please send the title, short abstract (up to 15 lines) and short CV in English or German to peter.haslinger@herder-institut.de and saupe@zzf.potsdam.de by November 30, 2022.

Kontakt

peter.haslinger@herder-institut.de
saupe@zzf.potsdam.de