Arbeit – Alltag – Ausbeutung. Gesellschaftsgeschichte der Arbeiterinnen

Arbeit – Alltag – Ausbeutung. Gesellschaftsgeschichte der Arbeiterinnen

Veranstalter
Kirsten Heinsohn, Anja Kruke, Katja Patzel-Mattern, Hedwig Richter, Sebastian Voigt in Kooperation mit der Reichspräsident Friedrich Ebert-Gedenkstätte, (Reichspräsident Friedrich Ebert-Gedenkstätte)
Ausrichter
Reichspräsident Friedrich Ebert-Gedenkstätte
Veranstaltungsort
Friedrich Ebert-Gedenkstätte
PLZ
69117
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
28.09.2023 - 29.09.2023
Deadline
06.02.2023
Von
Hedwig Richter, Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München

In der Konferenz wollen wir die sehr verschiedenen Facetten einer Gesellschaftsgeschichte von Arbeiterinnen in den Blick nehmen – in der Industrie, auf dem Land, im Dienstleistungssektor, bei der Care-Arbeit, als Migrantinnen.

Arbeit – Alltag – Ausbeutung. Gesellschaftsgeschichte der Arbeiterinnen

Als Louise Rump im Jahr 1894 Friedrich Ebert heiratete, wurde sie Gastwirtin, Hausfrau und Mutter und blieb zugleich Arbeiterin und Sozialdemokratin. Wie so viele Arbeiterinnen musste auch die Ehefrau des späteren Reichspräsidenten mehrere Berufe ausfüllen – ihre Arbeit endete nicht, wenn sie das Wirtshaus verließ, sondern setzte sich in ihren privaten Räumen fort. Ihr Alltag bestand aus der Arbeit im Beruf und im Haushalt. Hinzu kam die Sorge für die Familie und ihre Versorgung. Sie war ständig dieser mehrfachen Belastung ausgesetzt. Nur wurde die weibliche Arbeit im Haus nicht als solche verstanden. Sie galt (und gilt auch heute noch weitgehend) als geschlechtsspezifische Aufgabe von Frauen, die aus Liebe und aufgrund einer Veranlagung erfüllt wird. Zuhause ist die Arbeiterin eine Hausfrau und damit quasi natürlicherweise keine Arbeitende mehr. Dies gilt ebenso für unverheiratete Frauen, die sich nicht um einen Ehemann, aber um andere Familienangehörige kümmern. Daran hat sich bis heute wenig geändert: Noch immer ist die Familien- und Sorgearbeit vor allem die Aufgabe von Frauen.

Diese Beschreibung wirft einige Fragen auf: Wie thematisierten die Arbeiterinnen ihre spezifische Situation und versuchten, sie zu gestalten und ändern? Welche Rolle spielten derartige Kämpfe in den Organisationen der klassischen Arbeiter:innenbewegung und wie beeinflussten sie Familienbeziehungen? Ist die Geschichte von Arbeiterinnen vor allem eine Geschichte ihrer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit und damit spezifischer Frauenberufe? Sind Hausfrauen, die in Arbeiterfamilien leben (und arbeiten) also keine Arbeiterinnen mehr? Wie muss der Begriff der Arbeit gefasst werden, um Frauen und Geschlechterverhältnisse besser in den Blick nehmen zu können? Wer leistet wo und unter welchen Bedingungen Reproduktionsarbeit und wie könnte eine Gesellschaftsgeschichte diese angemessen berücksichtigen? Die Tagung thematisiert damit auf einer theoretischen Ebene auch wesentlich die Frage danach, warum Frauen in so vielerlei Hinsicht in der Geschichte unsichtbar blieben.

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen rückt der Zusammenhang unterschiedlicher Diskriminierungen, denen speziell Frauen ausgesetzt waren, in den Fokus: Ohne Stimmrecht etwa und – bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – ohne das Recht sich in Parteien zu organisieren, waren für sie zentrale Mittel des politischen Kampfes extrem erschwert. Der schlechtere Zugang zur Bildung verschloss für die meisten Frauen anspruchsvollere, besser bezahlte Berufe. Für die Care-Arbeit zuständig und ohne gute Ausbildung war es für sie aber auch mit allen politischen Rechten schwierig, an der männlich dominierten Parteiarbeit teilzunehmen, die gerade für die höheren Ämter häufig Berufs- oder Gewerkschaftserfahrung erforderte.

Die aufgeworfenen Fragen sind nicht neu. Viele davon wurden in der feministischen Theorie, in der Soziologie, der Politik- und auch der Geschichtswissenschaft schon bearbeitet. Aktuell jedoch wird der Begriff der Reproduktionsarbeit nur noch selten außerhalb feministischer Kontexte benutzt. Die Frage nach dem Verhältnis von Erwerbsarbeit und Haushalt und seiner Bedeutung für die Wahrnehmung wie die Handlungsmöglichkeiten von Frauen ist also alt, ihre Bedeutung und Geschichte sind jedoch neu belebt: Care-Arbeit heißt das aktuelle Schlagwort, das in der Regel nicht mit der Geschichte von Arbeiterinnen in Verbindung gebracht wird, sondern eher als Migrationsphänomen und als ein überaus prekärer Dienstleistungsberuf. Die Care-Arbeit wird in Europa und den USA auch von Millionen Frauen geleistet, die ihre eigene Heimat und Familie verlassen, um woanders Bedürftige zu pflegen. Sie unterliegen ausbeuterischen Bedingungen, sind nicht selten illegalisiert und fallen somit nicht unter die gesetzlichen Arbeitsregelungen. Die Gewerkschaften können häufig nichts grundlegend gegen diese Situation tun. Dennoch organisieren sich Care-Arbeiterinnen diesseits und jenseits des Atlantiks gegen ihre Ausbeutung.

Diese geschlechtsspezifische Migration, in Europa als eine Ost-Westbewegung, sonst meist als Süd-Nordbewegung erkennbar, ist ebenfalls ein Teil der Arbeiterinnengeschichte des 21. Jahrhunderts, wird aber in der Regel nicht als solche erzählt.

Diese sehr verschiedenen Facetten einer Gesellschaftsgeschichte von Arbeiterinnen – als Arbeiterinnen in der Industrie, auf dem Land oder im Dienstleistungssektor, aber auch Zuhause, als Hausfrau und mithelfende Familienangehörige, als Migrantin, die Pflegearbeit leistet – wollen wir auf der Konferenz in den Blick nehmen. Gesucht sind Beiträge für den Zeitraum vom Kaiserreich bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, in denen der Wandel der Arbeitsgesellschaft aus einer Arbeiterinnenperspektive betrachtet wird. Die Geschichte von Arbeiterinnen und ihrem Alltag, ihren Berufen sowie den Ausbeutungsverhältnissen soll im Vordergrund stehen, insbesondere in Deutschland, aber auch mit einem vergleichenden Blick in andere Länder.

Die Konferenz findet in Präsenz in den Räumlichkeiten der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg statt; eine Teilnahme ist indes auch digital möglich. Die Tagungssprache ist Deutsch, Beiträge auf Englisch sind möglich. Die Reise- und Übernachtungskosten aller Referent:innen werden übernommen, dazu wird ein Honorar für Vortrag und schriftliche Ausarbeitung gezahlt. Wir bitten um Themenvorschläge mit einem Abstract (max. 300 Wörter) und einer etwa halbseitigen Kurzbiografie bis zum 6. Februar 2023 an Marcel Storzum (marcel.storzum@unibw.de) und Florian Greiner (florian.greiner@ebert-gedenkstaette.de). Bewerber:innen erhalten eine Rückmeldung bis Ende März 2023.

Kontakt

Marcel Storzum: marcel.storzum@unibw.de