Internationalismus / Internationalism

Internationalismus

Veranstalter
WVEE (PERIPHERIE. Politik - Ökonomie - Kultur)
Ausrichter
PERIPHERIE. Politik - Ökonomie - Kultur
PLZ
48155
Ort
Münster
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
01.09.2023 -
Deadline
28.08.2023
Von
Michael Korbmacher

Internationalismus / Internationalism

Call for Papers, PERIPHERIE, Ausgabe 173 (erscheint im Frühjahr 2024).

Internationalism

Call for Papers, PERIPHERIE, Issue 173 (to be published in spring 2024)

Internationalismus

In Zeiten weltweit spürbarer Krisen und Konflikte, wie sie mit dem Klimawandel, dem Corona-Virus oder dem Ukraine-Krieg einhergehen, fordern Regierungen und Politiker:innen aller Couleur gerne internationale Solidarität ein. Häufig ist damit nicht viel mehr gemeint, als dass andere Akteur:innen sich grenzübergreifend der eigenen politischen Position anschließen sollen. Von diesem Verständnis internationaler Solidarität soll in diesem Themenschwerpunkt nur am Rande die Rede sein.

Viele Menschen und soziale Bewegungen hingegen sehen internationale Solidarität als Möglichkeit, um soziale Missstände durch grenzüberschreitende Formen der Zusammenarbeit anzugehen. Ihre Gegenentwürfe fragen nach Alternativen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen der Ungleichheit und gehen über nationalistische Logiken hinaus. Ideen und Praktiken von internationaler Solidarität sind einerseits durch sich wandelnde globale und lokale Herrschaftsstrukturen (wie das kapitalistische Weltsystem, Kolonialismus oder Geschlechterverhältnisse) geprägt. Andererseits verweisen sie auf eine intellektuelle Tradition der Theoriebildung und Analyse dieser Rahmenbedingungen mit dem Ziel, soziale Gerechtigkeit zu schaffen (etwa im Zuge marxistischer und feministischer Debatten). Hinzu kommen die Annahme oder Erwartung einer Konvergenz von Kämpfen in unterschiedlichen Regionen (z.B. im Kontext von Befreiungsbewegungen). Im historischen Vergleich sind die verschiedenen Entwürfe und Praktiken von internationaler Solidarität zudem durch unterschiedliche politische Ausgangsbedingungen sowie Vorstellungen begründet gewesen. Entsprechend gehen mit internationaler Solidarität verschiedene Formen der Interaktion und Institutionalisierung einher, mit denen kleine wie große Erfolge und Misserfolge erzielt wurden.

Analytisch lassen sich zumindest zwei Grundannahmen für grenzüberschreitende Solidarität unterscheiden:

(1) Solidarität beruht auf der Annahme der gleichen Ausgangs- und Interessenlage spezifischer Gruppen. Gemeint ist hier klassischerweise das ausgebeutete und zugleich auf die sozialistische Umgestaltung hinstrebende Proletariat.
(2) Solidarität fußt auf der Annahme einer als ungerecht empfundenen, jedoch für die beteiligten Akteur:innen unterschiedlichen Ausgangslage im Kontext einer ungleichen Weltordnung, etwa bezogen auf die Folgen kolonialer Ausplünderung oder asymmetrischer Geschlechterverhältnisse. Diese gelte es solidarisch zu überwinden, um verschiedene Formen von Gleichheit und Gerechtigkeit für alle Menschen herzustellen.

Die unterschiedlichen Ideen und Praktiken der verschiedenen internationalistischen Bewegungen der Vergangenheit, wie der proletarische Internationalismus der sozialistischen und kommunistischen Internationalen, die internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg, die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen im Trikont seitens solidarischer Gruppen im Globalen Norden, zivilgesellschaftliche Tribunale oder die Anti/Alter-Globalisierungs-Bewegung, finden, wenn auch in unterschiedlichem Maße, als Vor- und Wunschbilder sowie Impulsgeber:innen bis heute ein Nachleben in Bezugnahmen auf internationale Solidarität. Bekannte Beispiele sind die internationalistischen Bewegungen und Gruppen, die sich mit den Aufständen und alternativen Gesellschaftsprojekten in Chiapas und Rojava solidarisieren. Die Erfahrungen rund um internationale Solidarität aus der Vergangenheit können aber auch für problematische Projektionen, enttäuschte Hoffnungen, institutionelle Abnutzung und gefährliche Tendenzen des Umschlagens von Solidarität in Bevormundung oder autoritäre Politik stehen.

Zudem treten in jüngerer Zeit vermehrt Praktiken globaler Solidarität und Zusammenarbeit in Erscheinung, die, zumindest auf den ersten Blick, ganz ohne die Referenz auf das Handeln zwischen Nationen, das im Wort „international“ steckt, auszukommen scheinen. Beispielhaft können die Fridays-for-Future- oder die #me-too-Bewegung genannt werden. Ebenso haben sich Protestformen wie das Versammeln auf öffentlichen Plätzen vom Tahrir-Platz über die Puerta del Sol bis zur Wallstreet ausgebreitet. Auch die Performance „un violador en tu camino“ („Ein Vergewaltiger auf Deinem Weg“) der chilenischen Gruppe las tesis wurde weltweit von feministischen Gruppen aufgegriffen und übersetzt. Vor dem Hintergrund virtueller Kommunikationsformen und global vereinheitlichter sozialer Medien scheinen Praktiken der grenzüberschreitenden Vernetzung sowie das „Wandern“ von Protestformen über Kontinente hinweg neue Bezüge und Bedeutungen hinsichtlich Solidarität angenommen zu haben. Dennoch ließe sich sagen, dass sie vor Problemen stehen, die wenigstens in einer Hinsicht übertragbar sind: der Vermittlung gemeinsamer oder ähnlicher Interessen und konzertierter Handlungsmacht zwischen regional unterschiedlichen Zusammenhängen im Kontext global wirkender Machtverhältnisse.

Wir möchten mit dem geplanten Themenheft zu der Debatte darüber beitragen, welche Erfahrungen aus der Geschichte und Praxis der internationalen Solidarität und des Internationalismus heute für die globalen Herausforderungen und sozialen Kämpfe wertvoll sein können. Daraus ergeben sich u.a. folgende Fragestellungen:

- Welche Rolle spielen die der internationalen Solidarität zugrundeliegenden Weltbilder und Analysen für deren Ausgestaltung und Erfolg? Wie wirken sich etwa Universalismus und modernisierungstheoretische Vorstellungen gesellschaftlicher Entwicklungsstufen einerseits und postkoloniale Theorie der Anerkennung von Differenz andererseits auf internationale Solidarität aus?
- Ist internationale Solidarität überhaupt noch ein zeitgemäßer Begriff? Haben sich in den letzten Jahren andere Formen der globalen und grenzüberschreitenden Solidarität herausgebildet? Wie haben sich die Vorstellungen von Internationalismus, Revolution und Befreiung historisch verändert? Wie könnte ein Internationalismus im 21. Jahrhundert aussehen? Welche Alternativen können im Kontext der mannigfaltigen Formen globaler Solidarität in den letzten Jahren identifiziert werden?
- Welche Bedeutung haben die globalen Medienformen in den Händen einiger weniger, im kapitalistischen Zentrum angesiedelter Internetkonzerne, für die internationale Solidarität? Welche Rolle spielt der „digital-divide“ in diesem Zusammenhang?
- Wie reagierte internationale Solidarität auf die neoliberale Globalisierung internationaler Produktions- und Wertschöpfungsketten? Wie müsste sie auf die derzeitigen Tendenzen zu Renationalisierung im Zeichen von Corona, Krieg und dem Aufstieg Chinas als globalen Gegenspieler der USA reagieren?
- Welche Rolle spielt die EU?
- Sind Chiapas und Rojava Projektionsfläche der internationalistischen Linken oder Projekte gelebter Solidarität?
- In welchem Verhältnis steht die internationalistische Wunschproduktion zur realen solidarischen Praxis über Grenzen hinweg?
- In welchem Verhältnis stehen die Kämpfe um repressive Grenzregime zur internationalen Solidarität?
- Welche vergangenen Erfahrungen internationaler Solidarität haben heute noch Relevanz? (Wie) werden sie in die heutigen Auseinandersetzungen eingespeist? Welche sind (zu Recht) verloren gegangen? Welche Strukturen braucht internationale Solidarität, um Wirksamkeit und Beständigkeit zu erreichen?
- Macht es Sinn, zwischen „Süd-Süd“-Solidarität und „Nord-Süd“-Solidarität zu unterscheiden? Ist ein anti-westlicher Internationalismus im Entstehen?

Redaktionsschluss für Artikel ist der 28. August 2023.

Manuskripte, Rücksprachen zu möglichen Beiträgen und weitere Fragen richten Sie bitte an info@zeitschrift-peripherie.de. Weitere Hinweise für Autor:innen stehen auf unserer Website unter https://www.zeitschrift-peripherie.de zum Herunterladen bereit.

Internationalism

In an era of global crises and conflicts, such as those linked to climate change, the COVID-19 pandemic or the war in Ukraine, governments and politicians regardless of their political orientation tend to appeal to international solidarity. Often, this means little more than calling on other actors to align themselves with one's own political position across borders. We will devote only passing attention to this understanding of international solidarity in this thematic issue.

In contrast to this discourse, many people and social movements see international solidarity as a way to address social grievances through transnational forms of cooperation. At the core of both theoretical reflections and practice is the search for non-nationalist alternatives to social inequality. Ideas and practices of international solidarity are, on the one hand, shaped by changing global and local structures of rule (such as the capitalist world system, colonialism or gender relations). On the other hand, they refer to an intellectual tradition of theorising and analysing these frameworks with the objective of furthering social justice (for example, in Marxist and feminist debates). In addition, there is the assumption or expectation of a convergence of struggles in different regions (e.g. in the context of liberation movements). In historical comparison, the theoretical and practical points of departure for thinking and exercising international solidarity have differed and are highly heterogeneous, i.e. vis-á-vis the role of the state. Accordingly, international solidarity has many faces, not only in terms of daily interactions and practices, but also scope and scale of institutionalisation. And, not least, international solidarity has resulted in small and large successes, but also failures, which are part and parcel of critical reflections for social movements today.

Analytically, at least two basic assumptions for transnational solidarity can be distinguished:

(1) Specific groups have the same starting point and interests. This classically refers to the proletariat, which is exploited and at the same time striving for socialist transformation.
(2) A situation is unjust but different for the actors involved in the context of an unequal world order, for example in relation to the consequences of colonial plundering or asymmetrical gender relations. Solidarity is the means to achieve various forms of equality and justice for all people.

The different ideas and practices of the various past internationalist movements, such as the proletarian internationalism of the Socialist and Communist internationals, the International Brigades in the Spanish Civil War, Tricont's support of national liberation movements in the Global North, civil society tribunals and the anti/alter-globalisation movement still serve as references or role models of international solidarity, albeit to varying degrees. Well-known examples are the internationalist movements and groups that express solidarity with the uprisings and alternative social projects in Chiapas and Rojava. However, past experience of international solidarity can also feed problematic projections and disappointed hopes, institutional attrition and solidarity becoming paternalistic or authoritarian.

More recently, practices of global solidarity and cooperation increasingly appeared, at least at first glance, to function outside of the national framework that is inherent in the word "international". Examples include the Fridays for Future or #MeToo mobilisations. Likewise, forms of protest such as gathering in public places have spread from Tahrir Square to Puerta del Sol and Wall Street. The performance "un violador en tu camino" ("a rapist on your way") by the Chilean group las tesis has been taken up by feminist groups worldwide. Against the backdrop of digital communication and globally interlinked social media, practices of cross-border networking and the "wandering" of forms of protest across continents seem to have taken on new references to and meanings of solidarity. Nevertheless, it could be said that they face broader problems at least in one respect: the mediation of common or similar interests and concerted agency between regionally different contexts in light of global power relations.

This proposed thematic issue seeks to contribute to the debate on the history and practice of international solidarity and internationalism and their value for today's movements with respect to global challenges and social struggles. We welcome contributions that deal with the following questions:

- Which roles do worldviews and analyses underlying international solidarity play in its elaboration and success? How, for example, do universalism and notions of developmental stages inherent in modernisation theory on the one hand and postcolonial theory of the recognition of difference on the other impact notions and practices of international solidarity?
- Is international solidarity still an up-to-date concept at all? Have other forms of global and transnational solidarity emerged in recent years? How have notions of internationalism, revolution and liberation changed historically? How would an internationalism in the 21st century look? Which alternatives can be identified in the context of the manifold forms of global solidarity in recent years?
- What are the implications of global media being in the hands of a few internet corporations located in the capitalist centre for international solidarity? Which is the role of the "digital divide" in this context?
- How did international solidarity respond to the neoliberal globalisation of international production and value chains? How should it respond to the current tendencies towards renationalisation under the wake of COVID-19, renewed awareness of war and the rise of China as a global counterpart to the USA?
- Which role does the EU play?
- Are Chiapas and Rojava projections of the internationalist left, or are they projects and role models of lived solidarity - or both?
- What relationship exists between internationalist visions of transnational solidarity and practices on the one hand and the day-to-day challenges of exercising international solidarity in a world with borders on the other? How relevant is such a distinction?
- Which kind of relationship exists between the struggles over repressive border regimes and international solidarity?
- Which historical experiences of international solidarity are still relevant today? Do they feature in current debates, and how? Among such traditions, which have (rightly) been lost? What kind of structures is needed for international solidarity to be effective and permanent?
- Does it make sense to distinguish between "South-South" solidarity and "North-South" solidarity? Is an anti-Western internationalism emerging?

Please submit manuscripts by 28 August 2023.

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