So erlangten bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik die Fälle des Hauptmanns von Köpenick, des Hochstaplers Georges Manolescu, der Thomas Manns Roman „Felix Krull“ inspirierte, oder auch des „falschen Prinzen“ Harry Domela, der in den 1920er-Jahren seine Memoiren schrieb und in der Verfilmung derselben die Hauptrolle spielte, große Popularität. Bis heute tauchen diese historischen Vorbilder immer wieder als Referenzpunkte auf. So erschienen besonders die Jahre zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ausbruch des Zweiten schon zeitgenössisch als eine Ära des Hochstapelns, in der Betrug und Betrugserwartungen epidemisch wurden. Doch auch nach 1945 gab es immer wieder Hochphasen der Hochstapelei, deren Grenzen zu Trickbetrug, Schwindel und Scharlatanerie bisweilen verschwammen.
Die Geschichtswissenschaft hat die lange, wechselvolle Geschichte der Hochstapelei bislang keiner systematischen Untersuchung unterzogen. Hier setzt die geplante Tagung an, die in sozial-, kultur- und medienhistorischer Perspektive dem Wandel des Phänomens, seiner schillernden Semantik und seiner vielgestaltigen Erscheinungen und Wirkungen im Zuge des 20. Jahrhunderts nachgehen möchte. Dazu sind sowohl konkrete Fallstudien, die die deutsche Geschichte in ihre europäischen und globalen Kontexte stellen, als auch theoretisch-konzeptionelle Beiträge zur Geschichte der Hochstapelei willkommen.
Ausgehend von der Frage, ob (und in welchem Sinne) die Hochstapelei mit den politischen, sozialen und kulturellen Verwandlungen des 20. Jahrhunderts verbunden ist, will die Tagung eine Reihe weitergehender Fragestellungen adressieren. Ist die Praxis des Hochstapelns – nicht zuletzt aufgrund ihrer medialen Wirkung – ein Barometer für Umwälzungsprozesse, in deren Zuge gesellschaftliche Ordnungen und politische Autoritäten, Klassenstrukturen und Geschlechterrollen und dabei auch individuelle Lebensentwürfe und -erzählungen ins Rutschen geraten? In welchen Räumen – vom Grandhotel über den Gerichtsaal bis zum Gefängnis – spielte sich die Hochstapelei ab bzw. mit welchen Räumen wurde und wird sie assoziiert? Welche Rolle spielen die Medien als Schule, Bühne und Gerichtssaal von Hochstapler:innen? Wie hat sich die Aufmerksamkeit für und die Repräsentation von Hochstapelei im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert? Welche Brüche und welche Kontinuitäten lassen sich ausmachen? Welche Typen von Hochstapler:innen gab und gibt es und wie wandeln diese sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts? Und welche Rückschlüsse erlaubt die Analyse der Hochstapelei in ihrem Spiel mit Rollen und Rollenerwartungen auf gesellschaftliche Normen und Verhaltensweisen einerseits und auf Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte von Menschen in Zeiten des Wandels wie im Wandel der Zeiten andererseits?
Die Konferenz findet vom 12. bis 13. Oktober 2023 am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam statt. Die Konferenzsprache ist Deutsch. Reise- und Übernachtungskosten werden gemäß den Richtlinien des Bundesreisekostengesetzes übernommen. Die Beiträge sollen eine Redezeit von 20 Minuten nicht überschreiten. Beitragsvorschläge (maximal 300 Wörter) aus allen Disziplinen sowie eine kurze bio-bibliographische Notiz werden bis zum 28. Februar 2023 erbeten an Tobias Becker (tobias.becker@fu-berlin.de), Michael Homberg (homberg@zzf-potsdam.de) und Thomas Werneke (werneket@cms.hu-berlin.de). Eine Rückmeldung erhalten die Beiträger:innen bis zum 15. April 2023.